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Teil 2: Staatliche National- und Grenzpolitik

2. Formation von Staat und Gesellschaft, 1800 bis 1850

2.1. Wirtschaftlicher Stillstand: Die Niederlande

Für Zeitgenossen müssen die Veränderungen, die sich innerhalb einer Generation in den Niederlanden vollzogen haben, enorm gewesen sein. Um das Jahr 1800 herum beschrieben in- und ausländische Reisende die Provinzen noch als

„heruntergekommen“ und als Orte der Langsamkeit und Rückständigkeit.3 Die Niederlande boten ein Bild des Verfalls, verglichen mit früheren Zeiten des Wohlstandes. Zudem waren große Gebiete des Landes noch überhaupt nicht infrastrukturell erschlossen, regelmäßige Überflutungen von Feldern durch den erhöhten Grundwasserspiegel und Flüsse, die über die Ufer traten, gehörten zum Alltag. Das Wasser war allgegenwärtig, und der größte Teil des Transports fand auf den vielen Flüssen und Kanälen statt.

der gesamten Bevölkerung). Trotzdem wurde die Verfassung als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratie gefeiert. Siehe Piet de Rooy: Republiek van rivaliteiten. Nederland sinds 1813.

Haarlem 2002, S. 55.

3 Geert Mak und Marita Mathijsen (Hrsg.): Lopen met Van Lennep. De zomer van 1823. Dagboek van een voetreis door Nederland. Zwolle 2001, S. 8: „Het Nederland dat Van Lennep en Van

Hogendorp doorkruisten, was een land dat leefde in de laatste jaren van diligence, ganzenveer en tondeldoos, van besloten dorpen en landstreken, van stadspoort en wildernis. Hun Nederland was een wachtend land.“

Nur 60 Jahre später hatte sich dieser Eindruck der Rückständigkeit und Langsamkeit vollständig verändert. Nun klagten Zeitgenossen über die Schnelllebigkeit der Zeit.

Und dieser Eindruck beruhte auf Fakten: Allerorten wurden Straßen und Eisenbahnlinien angelegt, das Kanalsystem und der Deichbau erneuert und die Grundsteine für eine effektivere Nutzung des Bodens sowie für eine beginnende Industrialisierung gelegt.4

Die beschleunigte Zeit hing mit einer generellen Veränderung von Gesellschaft und Staat zusammen. In diesen Jahren bildete sich überhaupt erst das, was als moderne Gesellschaft angesehen werden kann. Eine öffentliche Meinung, von ausländischen Reisenden zu Anfang des Jahrhunderts noch vermisst, äußerte sich ab den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts in neuen Zeitungen und Zeitschriften. Organisationen wie die Maatschappij tot het Nut van´t Algemeen, oder kurz „het Nut“, organisierte in vielen Städten Lokalvereine, die sich für eine verbesserte Bildung einsetzten, Lesesäle aufbauten und Diskussionen abhielten.5

Das Entstehen einer modernen Gesellschaft mit einer politisch interessierten Mittelschicht war dabei ein allgemein-europäisches Phänomen. Speziell an den Niederlanden war, dass man hier schon seit langem ein korporatives System kannte, das als früh-demokratisches Prinzip galt. Dieses System - besonders bekannt geworden durch die Waterschappen, die sich auf lokaler Ebene um die Erhaltung und Wartung von Deichen und Dämmen bemühten -, durchzog die niederländischen Provinzen, die sich traditionell als die Vereinigten Niederlande bezeichneten: Noord- und Zuidholland, Overijssel, Groningen, Friesland, Gelderland und Zeeland. Diese Provinzen hatten trotz der Zusammenarbeit im „Staten-Generaal“ eine weitgehende Autonomie, was sich auf niedrigerem Niveau wiederholte: Städte wie Groningen oder Amsterdam hatten ebenfalls einen hohen Grad an Eigenständigkeit, und

4 Anschaulich zu lesen bei Auke van der Woud: Het Lege Land. De ruimtelijke orde van Nederland 1798-1848. 6. Auflage, Amsterdam 2005. Siehe auch Hans Knippenberg und Ben de Pater: De eenwording van Nederland. Schaalvergroting en integratie sinds 1800. Nijmegen 1988.

5 Auch in Ostfriesland gab es eine Abteilung.

innerhalb der Städte gab es Gilden und ein einflussreiches Bürgertum, die selbstständig agierten. Der hohe Grad an Autonomie, der Gesellschaft und Staat bestimmte, war lange Zeit vorteilhaft, wurde jedoch ab Ende des 18. Jahrhunderts zum Problem.6

Einer der Hauptgründe dafür, warum das alte System in Frage gestellt wurde, war die Entwicklung, die sich in den preußischen Gebieten abzeichnete. Hier bildete sich eine zentralistische Staatsformation heraus, die effektiv Steuern eintreiben, zum Militärdienst einberufen und wirtschaftlich erfolgreich sein konnte. Dieses Modell erschien als das neue Staatsideal. Der Zentralismus wurde ab 1795 auch in den niederländischen Provinzen erprobt, erst als napoleonischer Vasallenstaat, ab 1810 wurde das französische Recht direkt eingeführt. In dieser kurzen Zeitspanne wurden einige Reformen begonnen, beispielsweise im Schulwesen, die aber nicht zu Ende geführt werden konnten.7

1814 entstand ein neuer Staat, das Königreich der Niederlande, unter autokratischer Führung des Hauses Oranje. Willem I hatte dabei auch über die „südlichen Niederlande“, das heutige Belgien, zu herrschen - eine Konstruktion des Wiener Kongresses, der anstrebte, eine Art Bollwerk gegenüber Frankreich zu schaffen. Der niederländisch-belgische Staat hielt nur bis zum Aufstand 1830; das französische Element war zu stark in den südlichen Provinzen. Mit der Abspaltung Belgiens begann sich erstmals ein modernes Nationalgefühl zu äußern. Es entstanden Zeitschriften und Zeitungen, in denen man sich über die „undankbaren Belgier“

empörte, und es wurde ein Bild der Niederlande entworfen, das erst „nördlich der großen Flüsse“ begann.8 Die Abspaltung war in gewisser Weise die Vorbedingung für das Entstehen eines modernen Nationalstaates.

6 De Rooy 2002.

7 Horst Lademacher: Geschichte der Niederlande. Politik – Verfassung – Wirtschaft. Darmstadt 1983.

8 de Rooy 2002, S. 23.

Ebenso wie die Niederlande musste auch Dänemark erst einen Prozess der äußeren Abspaltung von Gebieten sowie einer inneren Transformation der Gesellschaft durchlaufen, bevor von einem eigentlichen Nationalstaat die Rede sein konnte. Im folgenden Abschnitt wird die Entwicklung des dänischen Gesamtstaates umrissen, wobei erst einmal der Frage nachgegangen werden soll, was eigentlich mit der Bezeichnung Gesamtstaat gemeint ist. Hierbei wird auf die Theorien des schwedischen Neuzeithistorikers Harald Gustafsson zurückgegriffen.