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Teil 1: Fragestellungen, Methodik, Theorie

3. Forschungstraditionen

3.3. Die Grenzregionen in Theorie und Regionalforschung

Die theoretische Erforschung von Grenzen ist einerseits noch eine recht junge Disziplin, die erst Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts richtig Aufwind bekam. Andererseits gab es vor dem 2. Weltkrieg bereits eine lebhafte Diskussion zum Thema Grenzen, die aber durch den Krieg unterbrochen wurde. Diese frühen Texte wurden lange nicht von der späteren Forschung wahrgenommen. 56

Die Forschungstradition der Grenzstudien wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit der Veröffentlichung von Frederick J. Turners Studie zum „American frontier“

begründet.57 Seine Thesen werden in Amerika noch heute intensiv diskutiert.58

54 Steen Bo Frandsen: Opdagelsen af Jylland. Den regionale dimension i Danmarkshistorien 1814-64.

Aarhus 1995; Claus Bjørn: 1848. Borgerkrig og revolution. 2. Auflage, Kopenhagen 1999.

55 Lorenz Rerup: Slesvig og Holsten efter 1830. København 1982.

56 Darauf macht aufmerksam: Peter Sahlins: Natural Frontiers Revisited. France´s Boundaries in the 17th Century. In: American Historical Review, 95, 1990, S. 1423-1451.

57 Frederick J. Turner: The significance of the frontier in American history. In: Annual Report of the American Historical Association for the Year 1893, 1894, S. 199-227.

Turners Konzept unterscheidet sich grundlegend von der europäischen Tradition.

Das Konzept frontier, einer sich stets nach Westen ausdehnenden Kulturgrenze, beinhaltet eine andere Dynamik als die national legitimierten Grenzziehungen der europäischen „Kleinstaaterei“. Neben diesen eher empirischen Untersuchungen gilt das Hauptinteresse der eigentlichen „Border Studies“ den theoretischen Erkundungen von Grenzen und Grenzkonzepten. Die Studien sind meist anthropologisch oder geographisch dominiert.59

Ein anderer, eher politisch orientierter Zweig, beschäftigt sich mit Geopolitik. Die Geopolitik, so bemerkt Jürgen Osterhammel, ist gerade in Deutschland ein schwieriges Thema, legten doch gerade die Nationalsozialisten Wert auf Konzepte wie Raum („Lebensraum“) und Kulturgrenzen.60 International hat sich diese Forschung jedoch schon weit bewegt,61 und in diese Forschungstradition lassen sich auch niederländische Untersuchungen über nationale Integration, z.B. von Hans Knippenberg, einordnen.62

Im deutschen Kontext kann, was die Westgrenze betrifft, auf eine Kontinuität innerhalb der so genannten Kulturraumforschung hingewiesen werden. Forscher wie Herrmann Aubin oder Franz Petri begründeten diese regionalhistorische Variante der Grenzforschung, die seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts den Kultur- und Sprachgrenzen im niederländisch-niederrheinländischen Raum nachspürte, und die

58 Einer der wichtigsten Einwände derzeit ist, dass Turners Idee auf der Vorstellung eines leeren Raumes aufbaute, was aber nicht den Tatsachen entsprach. Siehe auch Robert A. Williams: Like a Loaded Weapon. The Rehnquist Court, Indian Rights, and the legal History of Racism in America.

Minnesota 2005.

59 Siehe z.B.: Hastings Donnan und Thomas M. Wilson: Borders. Frontiers of Identity, Nation and State.

Chicago 1999; Henk van Houtum und Eiki Berg (Hrsg.): Routing Borders Between Territories, Discourses and Practices. Aldershot 2003; Henk van Houtum: An Overview of European Geographical Research on Borders and Border Regions. In: Journal of Borderlands Studies, Vol. 15, Nr. 1, 2000, S. 57-83.

60 Jürgen Osterhammel: Die Wiederkehr des Raumes. Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie. In: Neue politische Literatur, vol. 43, 1998, S. 374-394.

61 Brendan O´Leary (Hrsg.): Right-Sizing the State. The Politics of Moving Borders. Oxford 2000;

Dijkink 1996.

62 Hans Knippenberg und Ben de Pater: De eenwording van Nederland. Schaalvergroting en integratie sinds 1800. Nijmegen 1988.

nach dem 2. Weltkrieg und bis in die 70er Jahre auch personell ungebrochen fortgeführt wurde. Erst seit kurzem wird dieser Forschungszweig aufgrund seiner völkischen Untertöne scharf kritisiert.63

In den Niederlanden nimmt die Beziehung zum deutschen Nachbarn traditionell eine wichtige Rolle ein. Historiker auf beiden Seiten der Grenze widmen sich der Erforschung der deutsch-niederländischen Grenzregionen, u.a. der Münsteraner Horst Lademacher.64 Nach dem zweiten Weltkrieg bestand für eine kurze Zeitspanne die Möglichkeit einer Annexion einiger niederländisch geprägter, zu dem Zeitpunkt aber deutscher Regionen. Diese Debatte produzierte einige niederländische Untersuchungen, die die Grenzfrage agressiv- national deuteten.65 In den letzten Jahren entstanden eine Reihe von Studien, z.B. von Friso Wielenga, die die deutsch-niederländischen Beziehungen und die Grenzlandsgeschichte kritisch und ohne nationale Stellungnahme beleuchten.66

Neben der dänischen Nationalgeschichte, in der Schleswig, wie bereits erwähnt, eine wichtige Rolle einnimmt, hat die dänisch- süderjütische Regionalgeschichtsforschung viele Untersuchungen zum nationalen Problem produziert.67 Auch auf deutscher Seite hat man sich mit der Periode des aufkommenden nationalen Gedankens befasst. Es lässt sich jedoch feststellen, dass die historische Forschung lange Zeit geteilt war. In der Grenzregion gab es noch 1997 bei der Errichtung einer Euroregion Unstimmigkeiten über die gemeinsame Bezeichnung Sønderjylland oder Schleswig, wobei beide Seiten sich – zu Recht –auf die historischen Wurzeln der jeweiligen

63 Karl Ditt: Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri (1903-1993). In: Westfälische Forschungen, 1996, Vol. 46, S. 73-176; Ad Knotter: Na de

Kulturraumforschung. Oude en nieuwe concepten in de grensoverschrijdende regionale geschiedschrijvning. In: Tijdschrift voor Geschiedenis, Vol. 118, Nr. 2, 2005, S. 227-246.

64 Horst Lademacher: Zwei ungleiche Nachbarn. Wege und Wandlungen der deutsch-niederländischen

Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Darmstadt 1990; ders.: Geschichte der Niederlande. Politik – Verfassung – Wirtschaft. Darmstadt 1983.

65 Anschaulich H.J. Keuning: Nederlandsch-Duitsche Grenslanden. Een geografische belichting van het annexatieprobleem. Amsterdam 1945.

66 Friso Wielenga (Hrsg.): Kannitverstan? Deutschlandbilder aus den Niederlanden. Münster 1995.

67 Siehe Rerup 1982; Schulz Hansen 1990; Japsen 1961.

Bezeichnung beriefen.68 In diesem Sinne war die historische Zunft ihrer Zeit voraus.

Studien wie die von Alexander Scharff und Jochen Bracker waren die ersten, die sich auch auf dänische Fachliteratur bezogen. Damals wurde an der Universität Kiel eine neue Linie der Kooperation begründet, die in grenzüberschreitenden Historikerkonferenzen fortgesetzt wurde.

Die so genannte Sprachfrage lässt sich nur schwer von der historischen Erforschung des Aufkommens nationaler Identitäten im deutsch-dänischen Grenzgebiet trennen.

Auch hierzu gibt es viele Untersuchungen von beiden Seiten der Grenze.69 Doch die regionalgeschichtliche Forschung ist auch gekennzeichnet durch ihre Theoriedistanz.

Der Forschungsgegenstand der nationalen Bewegungen und der Sprachenfrage nimmt einen verhältnismäßig großen Stellenwert ein.70 Hierdurch entsteht für die vorliegende Arbeit eine Distanz zur eigentlichen Regionalgeschichte. Das Hauptinteresse einer vergleichenden Untersuchung ist es ja nicht, wie bereits in Abschnitt 2 erläutert, einen tieferen Einblick in eine regionale Entwicklung zu bekommen, sondern, durch die vergleichende Analyse der verbindenden Fragestellung näher zu kommen.