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Kapitel 5: Sprache als Integrationsinstrument

3. Niederländisch im deutsch-holländischen Grenzraum

3.1. Konfession im Grenzgebiet: Das Beispiel Bad Bentheim

Die Grafschaft Bentheim war, wie auch andere Gegenden des späteren Münsterlandes, seit langem einem starken kulturellen Einfluss der Niederlande ausgesetzt. Katholische Erneuerungsbewegungen wie die Devotio Moderna konnten bereits im Spätmittelalter gut in dieser Region Fuß fassen.39 In dem Gebiet um Bad Bentheim herum war „Kirche und Sprachgebrauch eine häufig anzutreffende Symbiose“.40 Bis ca. 1600 wurde hier noch hauptsächlich Mittelniederdeutsch geschrieben und gesprochen. Danach folgte eine relativ kurze Zeit des hochdeutschen Einflusses, die bald in eine niederländische Dominanz-Phase überging.

Besonders mit der Reformation verstärkte sich dieser Einfluss von niederländischer Kultur und Sprache. Seit 1588 galt die calvinistische Glaubenslehre verbindlich in Bad Bentheim. Damit näherte man sich im religiösen Bereich den niederländischen Provinzen an, die auch überwiegend reformiert waren.

Die reformierte Kirche ging zurück auf den Reformator Johannes Calvin, der sich zusammen mit dem Schweizer Johan Zwingli einerseits gegen die katholische Kirche, andererseits gegen die Lehren Martin Luthers abzugrenzen suchte. Einigkeit mit Luther bestand in dem Wunsch, Kirche und Glauben erneuern zu wollen durch eine Rückbesinnung, einer Verinnerlichung des Glaubens. Luthers Abkehr von

39 Wobei die Devotio Moderna mehr von den südlichen Niederlanden, und nicht so sehr von den Kernprovinzen Noord- und Zuidholland ausging. Siehe auch Johan Huizinga: Herfstij der Middeleeuwen. Studie over levens- en gedachtensvormen der veertiende en vijftiende eeuw in Frankrijk en de Nederlanden. 16. Aufl., Groningen 1984.

40 Ludger Kremer: Das Niederländische als historische Kultursprache in der Grafschaft Bentheim.

In: P. A. M. Abels et. al. (Hrsg.): Nederland en Bentheim. Vijf eeuwen kerk aan de grens. Vijftiende verzameling bijdragen van de Vereniging voor Nederlandse Kerkgeschiedenis. Delft 2003, S. 195-211.

katholischen Gewohnheiten wie dem Kauf von Ablässen wurde unterstützt von den Calvinisten. Uneinigkeit herrschte jedoch besonders in der so genannten Prädestinationslehre. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass bereits am Anfang der Zeit einige Wenige auserwählt wurden, der Rest der Menschheit jedoch verdammt war. Wer zu diesen Wenigen gehörte, war schwierig herauszufinden.

Mit der Prädestinationslehre hing ein strenger Verhaltenskodex zusammen, der sich im Kirchenleben bemerkbar machte. Die strenge Auslegung der Lehre – die so genannte „doppelte“ Prädestinationslehre - führte zu der kuriosen Praxis, dass nur wenige Kirchenmitglieder zum Abendmahl gingen, da sie sich nicht für würdig hielten. Das Wort stand zentral in der calvinistischen Lehre und die Predigt wurde das zentrale Element des Gottesdienstes. In Ostfriesland konnte sich diese bis zu zwei Stunden hinziehen. Gleichzeitig wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts Sitzgelegenheiten in den reformierten Kirchen eingebaut, Bänke waren lange verpönt. So kam es regelmäßig vor, dass ältere Gemeindemitglieder ohnmächtig wurden.

In der Schweiz und in den Niederlanden konnte die calvinistische Lehre auf Dauer Fuß fassen. Besonders in Holland kam es im Zuge des „Bildersturms“ zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche, die lutherische Variante bekam nicht die Oberhand unter den Protestanten. Während sich die Reformierten in den deutschen Gebieten nur regional behaupten konnten, wurden die Niederlande durchdrungen vom Calvinismus und dessen Weltauffassung.

Die streng-protestantische Haltung wurde bald auch in weltliche Bereiche ausgedehnt. So übernahmen die Kirchen in Ostfriesland und in Bad Bentheim die Armenvorsorge und die Schulerziehung der Kinder. Sie achteten dabei besonders

darauf, die moralische Entwicklung der Jugend zu fördern und begannen, sich in weite Bereiche des öffentlichen Lebens einzubringen.41

Aber nicht nur religiös machte sich die Nähe zu Holland bemerkbar. Wirtschaftlich war das 17. Jahrhundert das „goldene Zeitalter“ der Holländer, und in den deutschen Grenzgebieten wurde es normal, dass viele Menschen in den Sommermonaten zu „Hollandgängern“ wurden und dort ihr Geld verdienten. Diese frühen „Gastarbeiter“ hatten anders herum auch ein holländisches Äquivalent, es zog beispielsweise eine große Zahl von Niederländern in die Gebiete an den Rhein.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts kam die Grafschaft Bentheim mehr und mehr in den holländischen Einflussbereich. Die reformierte Kirche nahm einen zentralen Platz in der regionalen Verwaltung ein, durch den Oberkirchenrat oblag ihr auch die Aufsicht über sämtliche Schulen. Der oberste Kirchenratsvorsitzende war immer ein Niederländer.42

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kirche in einigen Gebieten im deutsch-niederländischen Grenzraum sowohl im politischen Bereich als auch innerhalb der Bildung und des Sozialwesens ein hohes Maß an Einfluss hatte. Die niederländische Sprache erfuhr eine beinahe sakrale Anbetung, was allerdings in Bad Bentheim nicht unbedingt dazu führte, dass die Verwaltung und der Kontakt zwischen Bürger und Obrigkeit auch in dieser Sprache stattfand.

Wenn es um die Rolle der Sprache bei der Nationalisierung Ostfrieslands geht, ist die Bedeutung der reformierten Kirche zentral. Hier, am nördlichsten Ende der holländisch-deutschen Kontaktfläche, wurde der deutschen Sprache eine eigentümliche Rolle zugeschrieben. Die reformierte Kirche bremste hier die nationale Entwicklung massiv. Im folgenden Abschnitt wird näher auf den Zusammenhang zwischen Kirche und nationaler Entwicklung in Ostfriesland eingegangen. Hierbei

41 Dies ist generell einer der typischen Züge des reformierten Bekenntnisses.

42 Kremer 2003, S. 201.

soll ein besonderes Augenmerk auf die Kirchengemeinde der „Großen Kirche“ in Emden geworfen werden, deren politischer Einfluss im anfänglichen 19. Jahrhundert zwar geschwächt, aber keineswegs gebrochen war.