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Kapitel 5: Sprache als Integrationsinstrument

2. Sprachpraxis und -verordnungen in Schleswig-Holstein, 1800 bis 1850

2.1. Verwaltungstraditionen in den Herzogtümern

Die Herzogtümer Schleswig und Holstein hatten seit dem Mittelalter eine bewegte Geschichte hinter sich. Im Vertrag von Ripen 1460 war der holsteinischen Ritterschaft zugesagt worden, dass beide Herzogtümer auf „ewiglich tosamende ungedeelt“

bleiben sollten. Diese „ewige Verbundenheit“ verhinderte jedoch nicht, dass beide Gebiete völlig verschiedene Verwaltungsstrukturen aufwiesen. Holstein gehörte von jeher dem deutschen Reich an, hatte jedoch gleichzeitig den dänischen König in dessen Eigenschaft als holsteinischer Herzog zum Landesherrn.

Das Herzogtum Schleswig war wiederum lange unterteilt in einen reichsdänischen und einen Gottorfer Teil. Obwohl das Haus Gottorf eigentlich nur eine Seitenlinie der dänischen Krone war, lieferte man sich mit dem Königshaus erbitterte Fehden um die Vorherrschaft in Schleswig. Die Großzeit der Gottorfer Herzöge, mit Regierungssitz auf Schloss Gottorf in der Stadt Schleswig, war das 17. Jahrhundert.

In dieser Zeit wurde der barocke Schlossgarten angelegt und der Hof sandte den Forscher Adam Olearius auf seine Reisen in den Orient.

11 Die Widerstände gegen eine Steuerung von außerhalb haben sich bis heute erhalten. Zugereiste aus anderen Teilen Deutschlands werden immer noch „Deutsche“ genannt.

12 Siehe hierzu Heinrich Schmidt: Ostfriesische politische Geschichte. Leer 1975. Die Ostfriesische Landschaft besteht bis heute, nimmt allerdings nur noch Aufgaben innerhalb der Heimatpflege wahr.

Durch geschickte Schachzüge Kopenhagens kam beinahe das gesamte Schleswig nach Ende des Siebenjährigen Krieges direkt unter die dänische Krone. Gottorf hatte sich in seiner Allianz mit dem Schwedenkönig Gustav Adolf zu weit vorgewagt und wurde praktisch aufgelöst.13 Wobei „direkt unter die dänische Krone“ zuviel gesagt ist, denn der dänische König sah schnell, dass seine Befugnisse nur eingeschränkt galten. Die alten Privilegien galten noch immer in der Rechts- und Verwaltungspraxis.

Die Verwaltung war in Schleswig traditionell in so genannte Ämter aufgeteilt, wobei der leitende Amtmann offizieller Vertreter des Königs vor Ort war. Da er aus dem regionalen Adel kam und weitgehende Befugnisse hatte, handelte es sich dabei oft de facto um eine Alleinherrschaft des Amtmannes. Er übte Recht, sammelte die Steuern ein und zweigte dabei einen gewissen Teil für sich und seinen Hausstand, der diverse Angestellte umfasste, ab. Die Ämter unterteilten sich wiederum in die Harden, wo die Hardesvögte die Funktion der lokalen Gesetzesmacht ausfüllten.14 Neben diesen Ämtern gab es besonders an der Westküste eine Reihe von Landschaften, die Gebiete mit bäuerlicher Selbstverwaltung bezeichneten. Die größte Landschaft im Raum Schleswig war Eiderstedt. Auch viele Städte waren es gewohnt, sich selbst zu verwalten. Dies war noch während des 17. Jahrhunderts so, als der Landesherr versuchte, neue Polizeiverordnungen einzuführen. Ulrich Lange bemerkt dazu: „Diese Gebote wurden immer wieder eingeschärft, scheinen deshalb relativ erfolglos gewesen zu sein (…)“.15

Nicht zuletzt gab es bis in das 19. Jahrhundert hinein eine Reihe von adeligen Gütern, besonders in Holstein, aber auch in Schleswig. Diese Güter hatten ihre eigene Rechtssprechung. Die Bauern dort waren weitgehend dem Willen ihres Gutsherrn

13 Ole Feldbæk : Danmark-Norge 1380-1814, Bind IV: Nærhed og adskillelse. 1720-1814. København 1998.

14 Für die folgenden Ausführungen, siehe Ulrich Lange (Hrsg.): Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Neumünster 2003.

15 Lange 2003, S. 289.

unterlegen, dies galt „auch im Zeitalter des Absolutismus“.16 Diese große Eigenständigkeit des holsteinischen Adels widersprach natürlich zutiefst der absolutistischen Ideologie, die sich seit den späten 80er Jahren des 19. Jahrhunderts immer mehr etablierte im Königreich, gefördert u. a. auch durch eine protestantisch-pietistische Bewegung, die sich von Sachsen aus ausgebreitet hatte. Die Herrenhuter waren wichtige Unterstützer des Fortschrittsglaubens, der sich u. a. auch in der Vorstellung von einer rationaleren Machtverteilung durch einen zentralistisch-absolutistischen Staat zeigte. 17

Die absolutistische Staatsform, die ihr Vorbild in den aufgeklärten Regimes von Russland, Preußen und Österreich fand, wurde von den Zeitgenossen nicht als Totalitarismus, sondern als Befreiung von mittelalterlich-dezentralen Staatsgebilden angesehen. Eine solche Staatsreformierung musste natürlich auf Kosten der Eigenständigkeit der holsteinischen Gutsherren gehen, was die Stimmung in Holstein negativ beeinflusste. Die deutsch gesinnten Kreise, die in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in Kiel zusammenfanden und um 1848 ihre Zeit gekommen sahen, kamen zu einem großen Teil aus eben dieser Gutsherrenkaste. In dem Sinne kann die nationale Bewegung auch als Revolte gegen die eigene Machtbeschneidung gesehen werden, jedenfalls anfänglich.

Nicht nur die Verwaltung selber, sondern auch die dahinter stehende Gesetzgebung der Herzogtümer ähnelte einem Flickenteppich. In den Gebieten, die direkt der dänischen Krone unterstellt waren, herrschte noch der mittelalterliche „Jydske Lov“, da hier nicht, wie in den nördlicher gelegenen Gebieten Jütlands, mit der Einführung des Absolutismus 1660 auch die Gesetzgebung des „Danske Lov“ eingeführt wurde.

Gleichzeitig herrschten auf den großen weltlichen und kirchlichen Gütern eigene

16 Ebd., S. 190.

17 Die Herrenhuter Brüdergemeinden waren dabei nicht nur religiöse Kuriosität in einer Zeit des wachsenden Rationalismus. Thomas Bredsdorf: Den brogede oplysning. Om følelserne fornuft og fornuftens følelse i 1700-tallets nordisk litteratur. København 2003.

Rechtsprechungen. Von Einheitlichkeit konnte also zu Anfang des 19. Jahrhunderts keine Rede sein.18

Doch nach der Aufnahme Holsteins und Lauenburgs in den deutschen Bund im Jahre 1815 begannen sich Stimmen in der Kopenhagener Gesamtstaatsverwaltung zu melden, die eine dichtere Anbindung Schleswigs und Holsteins an das Königreich forderten. Es wurden erste Versuche gemacht, die juristische und verwaltungsmäßige „Kleinstaaterei“ aufzuheben, was nicht konfliktfrei vonstatten ging. In der Verwaltungszentrale des Gesamtstaates, der bis 1814 auch Norwegen einschloss, war man sich der Verschiedenartigkeit der Gesetzgebung bewusst.