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Teil 1: Fragestellungen, Methodik, Theorie

2. Zur Methodik

2.1. Geschichtswissenschaftliche und interdisziplinäre Bemerkungen

„Territorial units are historical products (…). Hence territories are not eternal units but, as manifestations of various institutional practices, emerge, exist for some time and disappear in the transformation of the world system”.14

Es scheint auf den ersten Blick, als lösten sich Fächergrenzen langsam auf, und der

„Cultural Turn“ der Sprach- und Kulturwissenschaften übe eine Dominanz über die Geschichtswissenschaft aus. Doch auch wenn die postmodernen Theorien – nicht nur, aber auch - in Dänemark zu teilweise heftigen Diskussionen geführt haben, wurden sie in ihrer tatsächlichen Einflussnahme überschätzt.15 Meiner Auffassung nach wurde das Postmoderne nicht zum Mainstream in der Geschichtswissenschaft, weil die Fachtradition von jeher Einflüsse aus anderen Fächern aufgenommen und für sich verwertet, sich aber nicht in ihrem Kern verändert hat. Man denke nur an die wirtschaftswissenschaftlichen Einflüsse auf die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Auch die Kulturgeschichte erlebte bereits in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ihre erste Welle, ausgelöst durch die Arbeiten des Niederländers Johan Huizinga. Die Beschäftigung mit vergangenen Lebenswelten und deren Deutungen ist noch immer abhängig von schriftlichen Quellen und der Analyse solcher Texte, auch wenn heute nicht mehr von „der“

Geschichte, sondern allenfalls von Geschichtsauslegungen gesprochen wird.

Auch in anderen Bereichen als in Bezug auf den Postmodernismus im engeren Sinne zeigt sich die Geschichtswissenschaft als eher traditionell. Die interdisziplinäre Forschung hat einen enormen Aufwind bekommen in den letzten Jahren, aber die

14 Anssi Paasi: Territories, Boundaries and Consciousness. The Changing Geographies of the Finnish-Russian Border. Oulu 1996, S. 3.

15 Die Verfasserin erinnert sich an eine Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in Odense

abgehaltene Diskussionsrunde im „Historisk Foredragsforening“, mit Wortmeldungen von u. a. Inga Floto und Søren Mørch, wo die Wellen hochschlugen und das Ende der Geschichtsschreibung befürchtet wurde.

interdisziplinäre Arbeitsweise ist nicht zur vorherrschenden Praxis geworden. Dies mag auch an den Schwierigkeiten liegen, die sich oftmals erst bei der Analyse zeigen.

Während sich die Geschichte mit temporären Veränderungen beschäftigt, sind beispielsweise Geographie oder Anthropologie auf räumliche Einheiten ausgerichtet.

Einer, dem diese spezielle Kombination zwischen Raum und Zeit gelungen ist und der sie anwendet auf eine Grenzregion, ist der Geograph Anssi Paasi, von dem das oben genannte Zitat stammt. Mit seiner Untersuchung der finnisch-russischen Grenze hat er einen Meilenstein der Grenzstudien produziert. Die zitierte Studie von 1996 verbindet die räumliche Sichtweise des Geographen mit der temporären des Historikers und hebt hervor, „territoriale Systeme“ jedweder Art unterlägen einem ständigen Wandel. Der Geograph Paasi bewegt sich mit seiner Analyse auch aus seinem eigenen Fach heraus, so benutzt er den Begriff der institutionellen und sozialen Praxis, der auf den Soziologen Pierre Bourdieu zurückgeht. Das Verständnis von Raum als einem Produkt sozialer, politischer und kultureller Praktiken ist ein wesentlicher Punkt der neueren fachlichen Entwicklung der Geographie. Gleichzeitig schafft es eine Verbindung zum Zugang des Historikers, der sich mit temporären Veränderungen befasst.16

Meiner Auffassung nach kann, basierend auf Paasis Ausführungen, auch der moderne Nationalstaat als Beispiel einer zeitlich begrenzten Raumeinteilung gesehen werden, der unter bestimmten Voraussetzungen entstanden ist und auch wieder vergehen kann.

Paasis Analyse der finnisch-russischen Grenzregion ist darum so bemerkenswert, weil sie sich meilenweit von der traditionellen Auffassung von Grenzen entfernt hat, die sowohl die politische Geschichte als auch die Geographie vermittelt hat. In der politischen Geschichte wurde Grenzen generell eine passive Rolle zugeschrieben, in Verbindung mit dynastischen Gebietsabtretungen oder Kriegen wurde lediglich ihre

16 Auf die geographischen Entwicklungen wird im 2. Kapitel noch näher eingegangen.

abgrenzende Funktion gesehen. Dieser Aspekt ist nicht falsch, aber eben nur ein Teil des Bildes. Auch in der Geschichtsschreibung Schleswig-Holsteins lässt sich diese Sicht der Grenze in weiten Teilen der einschlägigen Literatur feststellen, exemplarisch dargestellt an folgender Grenzdefinition des Kieler Historikers Kurt Jürgensen:

“Der Begriff ´Territorium` korrespondiert mit dem Begriff ´Grenze`. Hiermit ist die Linie gemeint, an der die dem Territorium zustehenden Hoheitsrechte ihre Begrenzung finden. Dabei mag es sich um natürliche Grenzen handeln, wenn Flüsse, Seen oder Meere die Grenze bilden“.17

Die Grenze erscheint hier als “Strich in der Landschaft“. Staatsrechtliches

„Territorium“ wird umschrieben als der Raum, der durch die Staatsgrenze beendet wird. Paasis und Jürgensens Zitate verdeutlichen die kursierenden, unterschiedlichen Grenzmodelle, die, mit diversen Grauzonen dazwischen, von Jürgensens sehr statischer Definition zu Paasis dynamischem Modell reichen.

Zu einem Verständnis der Rolle des Grenzraumes als aktivem Part während der Nationalisierung des 19. Jahrhunderts gelangt man meiner Meinung nach jedoch nur, wenn der schmale Pfad der politischen Definition verlassen und auch Inspirationen aus anderen Disziplinen geholt wird.

Eine andere Möglichkeit, sich von Traditionen der politischen und regionalen Geschichtsschreibung ein wenig zu entfernen, liegt in der Komparation. Diese Technik, zwei oder mehr Vergleichsobjekte gegenüberzustellen und auf

17 Kurt Jürgensen: Schleswig-Holstein als Territorium. Zur Grenz- und Territorialentwicklung Schleswig-Holsteins im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Band 122, 1997, S. 467-494, hier 467.

Ähnlichkeiten und Unterschiede zu untersuchen, soll hier auf zwei historische Landschaften angewandt werden.18