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Kapitel 5: Sprache als Integrationsinstrument

3. Niederländisch im deutsch-holländischen Grenzraum

3.2. Ostfriesland und die reformierte Kirche

Die reformierte Gemeinde in Emden kann auf eine lange Geschichte zurückblicken.

Mitte des 16. Jahrhunderts immigrierte eine große Anzahl von holländischen Reformierten in die Stadt, die ihnen Glaubensfreiheit gewährte. Vor hier aus wurde der niederländische Bildersturm mit vorbereitet, und in den vielen Buchdruckereien der Stadt wurden Pamphlete und religiöse Streitschriften produziert. 43

Nach dem geglückten Aufstand des Willem von Oranje kehrten diese Exilholländer nur teilweise wieder in ihre Heimat zurück. Viele blieben in der Hafenstadt am Dollart und begründeten eine Art klerikalen Stadtstaat. Das – sich lutherisch bekennende - Herrscherhaus der Cirksena in Aurich verlor dabei die politische Macht über den westlichen Teil Ostfrieslands bis hinunter nach Leer. Die „Groote Kerk te Emden“ setzte eine Stadtverfassung für Emden durch, die als theokratisch bezeichnet werden kann.44

Durch ihre zentrale Rolle für die Reformierten bekam die niederländische Sprache ebenso wie in Bad Bentheim eine Reihe von Eigenschaften und Bedeutungen zugeschrieben. Sie wurde als „heilige“ Sprache verehrt und man meinte, sie würde die moralische Entwicklung der Bevölkerung unterstützen. Der Schulunterricht, wie in Bad Bentheim auch von der Kirche organisiert, wurde in Niederländisch

43 So wurden die protestantischen Glaubensschriften von dort aus in die Niederlande

eingeschmuggelt. Andrew Pettegree: Emden and the Dutch Revolt. Exile and the development of reformed Protestantism. Oxford 1992.

44 Siehe auch Heinz Schilling (Hrsg.): Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557-1620. 2 Bände, Köln 1992. Hier kann nicht näher auf die große Bedeutung Emdens in der

Reformation eingegangen werden. Es existiert jedoch eine reichhaltige Sekundärliteratur zu diesem Thema sowie zu Einzelpersonen wie Menso Alting, Johannes a Lasco und Menno Simons, dem späteren Begründer der Mennoniten.

abgehalten. Dies führte dazu, dass die normale Bevölkerung, die Seefahrerfamilien und kleinen Handwerker in Emden und Umgebung, ihren Schriftverkehr mit der Obrigkeit ebenfalls in Holländisch verfassten, denn diese Sprache hatten sie in der Schule gelernt. Bis Ende des 18. Jahrhunderts waren diese Gegebenheiten relativ unproblematisch und wurden sowohl von der regionalen Verwaltung in Aurich und ab 1744 von der preußischen Landesregierung toleriert. Einen Widerspruch zwischen politischer Zugehörigkeit zu einem deutschen Staat und traditionell holländischer Kultursprache sah man erstmals Ende des 18. Jahrhunderts. Hier begann der preußische Staat, eine Änderung dieser Sprachpraxis anzustreben, denn diese bestand ja nicht nur aus kirchlichen Geboten und Predigten.

Die aus den Niederlanden stammenden, oder jedenfalls dort ausgebildeten Prediger genossen nicht nur einen starken Einfluss im Gemeindeleben, durch sie floss der Strom der Informationen und der politischen Bildung in einer Zeit, wo Zeitungen und andere Medien noch Mangelware waren. Der kulturelle Einfluss kam dabei meist vom nahe gelegenen Groningerland und von der (west)friesischen Universitätsstadt Franeker, die viele ostfriesische Priester stellte. Als sich am Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Lesezirkel gründeten und gemeinnützige Organisationen zur Bildung und Erbauung ins Leben gerufen wurden, stand Ostfriesland in einer Grenzlage zwischen deutschen und holländischen Einflüssen.

Die bereits in einem frührem Kapitel genannte Gesellschaft „Tot nut van´t Algemeen“, die sich der Bildung der Bürger verschrieben hatte, bekam auch ihre Lokalabteilung in Ostfriesland.

Die deutsche Sprache hatte es im westlichen Teil schwer sich durchzusetzen, wurde sie doch seit Jahrhunderten mit den verhassten Lutheranern des Herrscherhauses in Aurich verbunden. Deutsch war die Predigt- und Kultursprache der Lutheraner, und diese alten religiösen Zwistigkeiten wurden somit in eine Zeit des aufkommenden nationalen Gedankens mit übernommen. In der ersten preußischen Zeit (1744 bis 1808) wurde von preußischer Seite aus noch nicht wirklich „Ernst gemacht“. Anders

sah es nach der Übernahme Ostfrieslands durch das Haus Hannover 1815 aus.

Zwischen 1815 und 1866 wurde erstmals eine konsequente Sprachpolitik von Seiten der politischen Machthaber aus geführt. Dass sie in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts noch wenig Wirkung zeigte, lag an dem massiven Widerstand der einflussreichen reformierten Kirche.

4. Zusammenfassung

Zusammenfassend für Schleswig und Ostfriesland lässt sich bemerken, dass sowohl bei den Themen Verwaltungssprache in Schleswig und Kirchen- bzw.

Bildungssprache in Ostfriesland massive Widerstände zu entdecken sind. Die offizielle Sprachpolitik wurde dabei durch sowohl aktiven als auch passiven Widerstand blockiert.

Blickt man sowohl auf die Entwicklungen im Herzogtum Schleswig als auch auf Ostfriesland, so fallen erst einmal die Unterschiede auf. In Schleswig gab es keine konfessionellen Auseinandersetzungen, da das gesamte Herzogtum lutherisch-protestantisch ausgerichtet war. Es wurde fast ausnahmslos auf Deutsch gepredigt, mit Ausnahme der dänischen Heiliggeistgemeinde in Flensburg, die eine Sonderrolle genoss.45

Doch die Frage ist, ob wirklich die Konfession der Streitpunkt in Ostfriesland war.

Blickt man auf die lange Geschichte der reformierten Kirche zurück, so entsteht eher ein Bild von weltlicher Machtausübung. Quasi-religiös-politische Machtausübung beinhaltete Autorität in verschiedenen Lebensbereichen, dem kirchlichen, aber eben auch dem soziokulturellen und dem politischen. In diesem Sinne mögen die niederländische Sprache und die Konflikte um die Einführung der deutschen Sprache in allen Lebensbereichen vergleichbar sein mit den Querelen, die sich für die

45Lars Henningsen und Johann Runge: Sprog og kirke. Dansk gudstjeneste i Flensborg 1588-1921. Flensburg 2006.

den dänischen Gesamtstaat ergaben, als dieser versuchte, das Dänische und das Deutsche zu systematisieren und zu vereinheitlichen. „Language of Governance“ – in Grenzregionen ein umkämpftes Thema.