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Kapitel 4: Abgrenzung der Nation:

1. Einleitung

Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit der Geo- und Grenzpolitik während des 19. Jahrhunderts, wobei das Hauptaugenmerk ebenso wie im vorherigen Kapitel nicht auf Deutschland/Preußen liegt, sondern auf seinen beiden Nachbarn Holland und Dänemark. Die Politik beider Länder soll, ähnlich wie in Kapitel 3, miteinander verglichen werden. Geo- und Grenzpolitik: Was ist das eigentlich, und welche Rolle spielt das vorliegende Kapitel in der gesamten Untersuchung? Diese Fragen sollen im ersten Abschnitt beantwortet werden. Abschnitt 2 widmet sich der Grenz- und Geopolitik der Niederlande, wobei hier das Hauptaugenmerk auf der inneren Vernetzung des Landes sowie dem Aufbau der Infrastruktur liegt. Im dritten Teil wird auf die dänische Grenzpolitik gesehen.

1.1. Einordnung und Relevanz

Wie im ersten Kapitel erläutert, ist die zentrale Frage die nach der Rollenzuweisung von Sprache im Prozess der Nationalisierung des Grenzraumes. Sprache ist kein Bedeutungsträger an sich, sondern bekommt eine Reihe von Rollen und Aufgaben zugeschrieben, abhängig vom jeweiligen politischen und kulturellen Kontext. Diese Erkenntnis für die deutsch-dänische Grenzregion ist neu, und wurde kürzlich erstmals von dem Historiker Peter Thaler bestätigt, der eine vergleichende Untersuchung zwischen der deutsch-dänischen Grenzregion und einer Reihe

osteuropäischer Grenzregionen durchgeführt hat.1 Es scheint so, als wenn in jüngster Zeit der internationale Vergleich mit anderen Grenzregionen und die theoretische Einordnung in den Bereich der Border Studies für das deutsch-dänische Grenzland verstärkt auf der Tagesordnung stehen, wofür Thalers Publikation ein Ausdruck ist.

Die Rollen und Bedeutungen, die man der Sprache zuweist sind in Grenzregionen - d.h. in Gebieten, in denen zwei oder mehrere national-kulturelle Staatsbildungen sich begegnen und ineinander übergehen - mitbestimmt durch die spezielle geographische Lage am Rande des Nationalstaates. Anders formuliert ist die Bildung nationaler Identität auch ein räumlicher Prozess, der von den örtlichen Gegebenheiten ebenso abhängig ist wie von den zeitlichen.

In einem weiteren Schritt wurden verschiedene „Agents“ identifiziert, d.h. die Akteure, die an einer nationalpolitischen Aufladung des Raumes und einer Politisierung der Sprache maßgeblich beteiligt waren. Hierbei habe ich im ersten Kapitel hervorgehoben, dass die politischen Bewegungen nicht Gegenstand der Untersuchung sind. Am sinnvollsten ist es, einerseits die geführte Politik zu betrachten und zweitens, die zivilgesellschaftlichen Diskussionen, d.h. ausgewählte intellektuelle Debatten und politische Diskussionen zum Thema Sprache und Grenze zu verfolgen. Daraus folgte die Kapiteleinteilung der vorliegenden Untersuchung.

Die Kapitel 3-5 beschäftigen sich mit der von staatlicher Seite aus geführten Politik, die Kapitel 6-7 widmen sich den zivilgesellschaftlichen Diskussionen.

Kapitel 3 diskutierte verschiedene Staatsmodelle, wie das des Conglomerate State oder der vornationalen niederländisch-belgischen Monarchie. Der Weg zum Nationalstaat, so das Fazit, war in sowohl Dänemark als auch den Niederlanden vom schwierigen Verhältnis zum preußisch-deutschen Nachbarn und von der Aufgabe, sich eine neue Kleinstaatsidentität zu erarbeiten, mitgeprägt.

1 Peter Thaler: Mellem Slesvig og Slovenien. Subjektiv identitetsdannelse i et sammenlignende perspektiv. In: Sønderjyske Årbøger 2006, Apenrade 2006, S. 201-218.

Kapitel 4 ist das zweite Kapitel, das sich mit der staatlichen Seite, hier der Grenz- und Geopolitik Dänemarks und der Niederlande, beschäftigt. Zurückgehend auf die zentrale Fragestellung nach der Bedeutungszuschreibung der Sprache in so genannten Grenzregionen, sucht das vorliegende Kapitel, die räumliche Verschiedenheit auszuloten. Wenn die Sprache eine besondere Rollenzuteilung in nationalen Grenzräumen erfährt, worin liegt dann die Besonderheit dieses Gebietes?

Dass in Grenzgebieten andere Bedingungen gelten, wurde bereits ausführlich im Abschnitt über die Grenzstudien diskutiert. Aber wenn dies so ist, muss auch von staatlicher Seite auf diese Besonderheit reagiert und eine spezielle Grenz- und Geopolitik geschaffen worden sein. Diese gilt es im Folgenden darzustellen.

Doch was ist eigentlich mit dem Begriff Geopolitik gemeint und wie positioniert sie sich zur Grenzpolitik? Diesen Fragen soll zuerst einmal näher nachgegangen werden.

Die Geopolitik ist der Rahmen für die staatliche Nationalisierungspolitik des Grenzraumes. Sowohl Grenz- als auch Sprachpolitik werden hier als zwei konkrete Möglichkeiten der Nationalpolitik gesehen.2

1.2. Geo- und Grenzpolitik: Definitionen und Erklärungen

Die Sozial- und Humanwissenschaften pflegen eine lange Tradition des Nachdenkens über das Wesen des Staates. Die Definition, die sich, trotz aller Kritik, noch immer behauptet, ist die des Soziologen Max Weber. Sein Verständnis vom Staat als dem legitimen Ausüber von Gewalt innerhalb eines gegebenen Territoriums wird in weiten Teilen der Literatur zitiert. Am intensivsten diskutiert wurde dabei die Gewaltausübung. Dem Passus des „gegebenen Territoriums“ schlägt erst seit kurzem größeres Interesse entgegen, was mit der derzeit recht dynamischen

2 Kapitel 5 konzentriert sich deshalb auf die Sprachpolitik. Die zentrale Frage lautet hierbei, inwieweit man bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eine bewusste Sprachpolitik durchführte.

Entwicklung des Teiles der politischen Wissenschaften zu tun hat, der sich mit Grenzen und Geopolitik auseinandersetzt.

Der Politologe Brendan O´Leary macht in seinem im Jahre 2000 publizierten Werk

„Right-Sizing the State“ darauf aufmerksam, dass Max Weber in seiner Staatsdefinition ein markanter Fehler unterlaufen sei.3 Das Staatsterritorium sei, so O´Leary, eben nicht „gegeben“, sondern einem steten Wandel unterlegen: Der Staat ist „fluid“, d.h. zu jedem beliebigen Zeitpunkt prinzipiell in seiner Form änderbar, was einer traditionellen Vorstellung des Staates als stabiler Einheit widerspricht.

Ein solches Verständnis des Staates erscheint aber im vorliegenden Falle als durchaus angemessen. Aufbauend auf die Border Studies, die sich mit der potentiellen Instabilität von Grenzen beschäftigen, mag der (national-)staatliche Raum logischerweise ebenso in seiner Wandelbarkeit betrachtet werden. Neben diesen Bemerkungen zum Thema Staatsdefinition mag an dieser Stelle auch näher auf das Thema Geopolitik eingegangen und darauf, wie dieses sich zur vorliegenden Problemstellung verhält.

Der Norweger Kristian Stokke hat in einem Übersichtswerk über die politische Geographie geschrieben, Geopolitik sei das Studium von Raum und Ort in Verbindung mit internationalen Beziehungen.4 Etwas konkreter könnte man Geopolitik auch als staatliches Instrument der Einflussnahme bezeichnen – als Möglichkeit, die oben genannte „Flüssigkeit“, die potentielle Instabilität des Territoriums zu minimieren. Als Instrumente lassen sich laut Brendan O´Leary jedoch nicht nur der Expansionsdrang sehen, sondern ebenso sehr ein „down-sizing“, d.h. ein bewusster Verzicht auf Territorium zwecks Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit.

3 Brendan O´Leary et.al. (Hrsg.): Right-Sizing the State. The Politics of Moving Borders. Oxford 2000.

4 Kristian Stokke: Politisk geografi. Oslo 1999, S. 35.

Im deutschen Sprachraum spricht man erst seit kurzem wieder von Geopolitik, während das Wort in den englischsprachigen Ländern weniger negativ behaftet ist.

Seit die Geopolitik sich in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit den nationalsozialistischen Ideen des „Lebensraums“ im Osten verband, war das Wort Geopolitik lange Zeit verpönt. Der Historiker Jürgen Osterhammel macht darauf aufmerksam, dass die räumlichen Konzepte jetzt langsam wieder Eingang in die deutsche Geschichtswissenschaft finden.5

Man könnte Grenzpolitik - und auch Sprachpolitik - als eine Unterkategorie von Geopolitik verstehen, wobei Grenzpolitik besonders auf die externe Abgrenzung des Territoriums gerichtet ist. Wenn auch im täglichen und an so genannten befriedeten Grenzen nicht so deutlich, so ist doch die Grundvoraussetzung der Grenzpolitik dieselbe wie die der Geopolitik: die prinzipielle Instabilität. Oder um ein bekanntes Zitat eines früheren dänischen Staatsministers zu missbrauchen: „Grænsen ligger ikke fast“ - die Grenze liegt nicht fest. Sie kann es gar nicht, denn nicht nur die Staaten selber sind „fluid“, sondern auch deren Gestalt, d.h. ihre Außengrenzen.6

„Fluidity“ darf laut Brendan O´Leary allerdings nicht mit einer beliebigen, stetigen Veränderung verwechselt werden, sondern soll als eine Balance zwischen solchen Aspekten, die zur Instabilität beitragen, und Aspekten, die Grenze und Staat stabil halten, verstanden werden; ein permanenter Prozess der Aufrechterhaltung der Institution Nationalstaat.7 Dies Bild der Grenze hat durchaus einen organischen Aspekt, wenn man z.B. an die Zellen eines lebendigen Körpers denkt, so werden auch hier die Zellmembrane konstant erneuert. Vielleicht ist dies auch als eine

5 Jürgen Osterhammel: Die Wiederkehr des Raumes. Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie. In: Neue politische Literatur, vol. 43, 1998, S. 374-394.

6 Der Staatsminister Wilhelm Buhl gebrauchte die vielzitierte Aussage“Grænsen ligger fast“ im Jahre 1945, um Gerüchten über eine Neuabstimmung der 1920er Grenze entgegenzuwirken.

Dänischgesinnte Kreise in Südschleswig und im Königreich betrieben in diesen Jahren eine massive Propaganda für eine Grenzrevision. Wie die neuere Forschung ergeben hat, konnten sie sich nur so stark behaupten, weil das „Großkapital“ u.a. in Form des A. P. Møller- Konzerns dahinter stand. Axel Johnsen: Dannevirkemænd og Ejderfolk. Den grænsepolitiske opposition i Danmark 1920-1940. Flensburg 2005.

7 Ebd., S. 78.

Rückkehr des Organismusgedankens aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu sehen.

Wenn man die Frage stellt, was Geopolitik und Grenzpolitik sei und was diese miteinander verbindet, so erscheint mir der Zusammenhang folgendermaßen:

Geopolitik ist der Versuch eines gegebenen Staates, sich innerhalb der Staatengemeinschaft selbst zu definieren. Grenzpolitik ist eines der konkreten politischen Mittel, die einem gegebenen Staate zur Verfügung stehen, um seine Interessen nach innen und nach außen zu wahren und damit der Versuch, durch räumliche Einflussnahme mit der prinzipiellen Instabilität des Staates zu arbeiten.

Auch Sprachpolitik ist eines dieser konkreten Mittel zur Aufrechterhaltung oder Schaffung nationaler Einheit.8

Zum Erreichen einer größtmöglichen Stabilität wurden in Dänemark und den Niederlanden verschiedene Mittel in Anspruch genommen, wie im Folgenden ausgeführt wird.