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Kapitel 5: Sprache als Integrationsinstrument

2. Sprachpraxis und -verordnungen in Schleswig-Holstein, 1800 bis 1850

2.2. Das Sprachreskript von 1810

An der südlichen Grenze Dänemarks wuchs der Deutsche Bund, seit 1834 der Deutsche Zollverein. Den Federführenden in der Staatsadministration wurde deutlich, dass einiges an der Struktur des Gesamtstaates geändert werden musste, wollte man nicht den – auch wirtschaftlichen – Anschluss in Europa verpassen. Der in einem vorherigen Kapitel als „Conglomerate State“ bezeichnete dänische Staat war alles andere als zentralistisch, was einer modernen und effektiven Staatsverwaltung widersprach.19

Gleichzeitig sorgte man sich, die „Büchse der Pandora“ hinsichtlich der Forderungen nach einer freien Verfassung und einer graduellen Ablösung der Herzogtümer vom Königreich zu öffnen. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts begannen erste Stimmen in Holstein laut zu werden, die eine Einhaltung des Artikels 13 der deutschen Bundesakte forderten. Dort hatte der dänische König 1814/15 einer

18 Eine Übersicht der verschiedenen Verwaltungseinheiten findet sich bei Lange 2003, S. 430.

19 Die folgenden Darstellungen basieren auf Schlussfolgerungen, die die Verfasserin aufgrund der Darstellungen Ole Feldbæks gezogen hat (Feldbæk 1998). Das hier entworfene Bild könnte man in einem gewissen Grade als „Bedrohungsszenario“ bezeichnen, besonders im

wirtschaftlichen Sinne. Es ist aber nicht, darauf soll hingewiesen werden, die einzig existente Deutung dieser wichtigen dänischen Epoche.

landesständischen Verfassung für Holstein und Lauenburg – nicht ganz freiwillig - zugestimmt. Aufgrund der langen Verbundenheit der beiden Herzogtümer forderten die Holsteiner gleichzeitig auch eine solche Verfassung für Schleswig, was über die Zusagen des Artikels 13 hinausging.

Die Kopenhagener Regierung sorgte sich – zu Recht – um die Konsequenzen einer solchen regionalen politischen Instanz. Wie groß die Befugnisse dieser Ständeversammlungen (stænderforsamlinger) auch sein würden, sie wären ein Symbol für die Eigenständigkeit Schleswigs und Holsteins und würden, so die Befürchtung, auf längere Sicht eine Abspaltung forcieren. Dass 1834 trotzdem die Ständeversammlungen in Schleswig und Itzehoe einberufen wurden, war größtenteils dem wachsenden Druck des Auslandes zu verdanken. Große Befugnisse hatten die Ständeversammlungen nicht. Bedeutung bekamen sie erst durch politische Diskussionen und Aufsehen erregende Ansprachen wie die des Peter Hjort Lorenzen, also genau durch die politische Sprengkraft, die Kopenhagen so dringend vermeiden wollte.

Die Regierung in Kopenhagen versuchte, die schwierigen Fragestellungen weiträumig zu umschiffen und gleichzeitig einige praktische Probleme zu lösen.

Besonders die nicht einheitlichen Sprachverhältnisse waren einem modernen Staat nicht mehr angemessen. So versuchte Frederik VI in Jahre 1810 mit einem Erlass zu bestimmen, dass ab sofort die dänische Sprache als Administrationssprache in Nord- und Mittelschleswig gelten solle. Diese so genannten Sprachreskripte von 1810 könnten als Versuch ausgelegt werden, eine vereinheitlichte Verwaltung und dadurch auch ein engeres Zusammenwachsen zwischen dem Königreich nördlich der Königsau /Kongeåen und den Herzogtümern zu erreichen.

Mit dem Begriff Mittelschleswig wird traditionell der Bereich bezeichnet, dessen nördliche Linie zwischen Tondern und Flensburg, im Süden über Angeln bis Schleswig verlief. Die nordfriesischen Gebiete sind darin nur teilweise inbegriffen.

Mittelschleswig ist aber keine konkrete geographische Bezeichnung und deckt sich auch nicht mit einer alten Verwaltungseinheit. Man versuchte 1810 damit den Raum zu benennen, der sprachlich komplett gemischt war, d.h. wo die Sprache von Dorf zu Dorf, von Familie zu Familie variierte. Die Politik und später auch die Forschungsliteratur griff diesen Begriff auf.

Es war nicht der erste Versuch einer sprachlichen Vereinheitlichung. Bereits 1770 hatte sich Struensee für eine – allerdings deutsche - Kirchen- und Schulsprache in Angeln eingesetzt. Viel Glück hatte er mit der Durchsetzung nicht. Im Dezember 1810 wagte sich Frederik VI wieder an die ungelöste Sprachproblematik heran. In seinem Sprachreskript schrieb er:

„In Unserem Herzogtum Schleswig ist, neben den Inseln, auch der größte Teil der Ämter und Disktrikte des Festlandes bewohnt von Dänisch sprechenden Menschen.

Auf diesen Inseln und in diesen Ämtern, wo das Dänische die Alltagssprache ist, ist es Unser allerhöchster Wunsch, dass der Gebrauch der deutschen Sprache bei Gottesdienst, Schulunterricht und Gericht aufhören soll und die dänische Sprache an dessen Stelle treten möge.”20

Dass der Alleinherrscher nicht so autark war, wie die offizielle Staatsideologie es darstellte, zeigte sich auch in diesem Zusammenhang. Frederik VI ließ bald nach Aussendung der Verordnung ein Rundschreiben gehen an die Amtmänner in dem nördlich der Linie Husum-Schleswig gelegenen Teil Schleswigs gehen. Diese wurden bezüglich ihrer Meinung zum Spracherlass und seiner Durchführbarkeit befragt.

Der generelle Tenor war eine ablehnende Haltung. Die meisten Amtmänner waren der Meinung, die Einführung der dänischen Sprache als Verwaltungs-, Schul- und

20 „Under vort Hertugdømme Slesvig ere foruden nogle af Øerne ogsaa størstedelen af Amterne of Districterne paa Fastlandet beboede af dansktalende Folk. Paa disse Øer og i disse Amter, hvor det danske Sprog er Almeenmands Sprog, er det Vor Allerhøieste Villie, at det tydske Sprogs Brug ved Gudstjeneste, Skoleunderviisning og Rettergang skal ophøre og det danske Sprogs brug træde i sammes sted.” Zitiert nach: Rohweder 1976, S. 21.

Kirchensprache, jedenfalls in den Teilen Schleswigs, in denen Hoch- oder Plattdänisch/Sønderjysk die Umgangssprache war, sei weder wünschenswert noch durchführbar. Deutsch sollte seine traditionelle Rolle als Bildungssprache behalten.

So kam es zu keiner Änderung der Verhältnisse und die Wirkung des Reskriptes verpuffte.

Jürgen Rohweder bemerkt in seiner Untersuchung zur dänischen Sprachpolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Frederik VI „sah Sprache als Vehikel der Zentralisierung seines Staates“.21 Rohweder deutet das Sprachreskript nicht national, sondern machtpolitisch, für Frederik VI zählte die Modernisierung seines Staates.

Rohweder steht mit seiner Deutung nicht alleine; der überwiegende Teil der Forschungsliteratur, der sich zu dem Sprachreskript äußert, ist sich darüber einig, dass keine nationalen Beweggründe hinter dem Vorstoß standen, das Dänische als offizielle Sprache einzuführen.

Trotzdem führt Rohweder aus, dass es um 1810 herum bereits Intellektuelle in Kopenhagen gab, die in frühnationalen Bahnen dachten. Zu diesen zählt er die Intellektuellen Rothe und Spies, die beide eine Denkschrift zum Sprachreskript Friedrichs VI herausgaben. Beide nahmen Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel wahr, sondern schrieben ihr einen symbolischen Wert zu. So sprachen sie zu diesem Zeitpunkt bereits von „Muttersprache“ und meinten damit die Sprache einer Nation. Sowohl Spies als auch Rothe sahen kein Problem für die überwiegend dänischsprachigen Gebiete in Nordschleswig, sondern für die gemischtsprachigen Regionen in Mittelschleswig.22 Besonders Rothe hielt dort eine Einführung des Dänischen für unvorteilhaft und voreilig, und in dem Sinne waren sich die intellektuellen Kopenhagens und die ländlichen Pastoren einig. Beide Seiten trugen mit ihrer skeptischen Haltung dazu bei, dass der König einlenkte und sich nichts veränderte.

21 Rohweder 1976, S. 24.

22 Ebd., S. 27.

Jürgen Rohweders Werk zu der frühen dänischen Sprachenpolitik ist eines der Standardwerke der Sekundärliteratur zum Thema Sprache und Nationalität im deutsch-dänischen Grenzgebiet. Diese Standardwerke definieren zusammengenommen den Rahmen der vorliegenden Untersuchung, denn jedes Werk steht auf den Schultern vorhergehender Untersuchungen, bezieht sich auf diese und versucht gleichzeitig, bisherige Auffassungen wenn nicht zu revidieren, so doch jedenfalls herauszufordern oder zu ergänzen. Eine unkritische Übernahme der in der Sekundärliteratur vertretenen Thesen ist auch nicht unproblematisch. Denn die Sekundärliteratur ist nicht frei von den Werturteilen nationaler Deutungsmuster.

Während Rohweder beispielsweise einerseits die frühe Sprachpolitik als nicht national motiviert bezeichnet, gebraucht er andererseits die Sprache, besonders die Privatsprache, als nationalen Markör. Dieser Widerspruch macht meiner Auffassung nach deutlich, wie sehr der nationale Diskurs den Rahmen der Diskussionen bisher bestimmt hat.