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Teil 2: Staatliche National- und Grenzpolitik

4. Innere und äußere Konsolidierung der Nation, 1850-1900

4.1. Dänische Identität und zentralisierter Kleinstaat

In der dänischen Geschichtsschreibung nehmen die zwei Schleswigschen Kriege 1848-50 und 1864 verhältnismäßig viel Platz ein. Dies beruht auf der Tatsache, dass beide Kriege wohl mehr zur Formung der nationalen Identität beitrugen, als eine Reihe von weniger dramatischen Geschehnissen es hätten tun können.

Nach 1864 und bis zur Volksabstimmung 1919/20 wurden die Herzogtümer Schleswig und Holstein erst in den preußischen Staat, ab 1871 in das Deutsche Kaiserreich integriert. Eine bedeutende dänische Minderheit in Nordschleswig wurde in dieser Zeit erst politisch aktiv und es bildete sich eine starke dänische Identität als Gegengewicht und Bollwerk gegen die massive Germanisierungspolitik heraus, die Preußen nicht erst seit der berüchtigten Köllerzeit um die Jahrhundertwende, sondern bereits in den späten 60er Jahren des 19. Jahrhunderts durchführte.33

Auch wenn diese Erfahrungen der beiden Kriege, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, für Dänemark traumatisch waren, so lassen sie sich meiner

32 Diese Theorie hat dargelegt: Steen Bo Frandsen: Opdagelsen af Jylland. Den regionale dimension i Danmarkshistorien 1814-64. Aarhus 1995; ders.: A regional approach to the formation of nation-states.

The case of Jutland in the 19th century. Konferencepaper, Oslo 2000.

33 Dies belegt anhand von umfassendem Quellenmaterial Sven Thomas Olsen: Die Dänenpolitik im deutschen Kaiserreich. Diss. Hamburg 1999.

Vorstellung nach auch unter einem anderen Aspekt betrachten. Erst die Abspaltung Schleswig-Holsteins ermöglichte eine innere Konsolidierung sowie eine systematische Reformierung von Staat und Gesellschaft. Ab 1864 war der bisher ungeklärte Status der Herzogtümer als innenpolitisches Problem vom Tisch und die Regierung in Kopenhagen führte nur noch eine indirekte Schleswig-Politik, u. a.

durch finanzielle Unterstützung von dänisch gesinnten Schleswigern.34

Man könnte etwas provokativ hinzufügen, dass die Abspaltung Schleswig-Holsteins nicht nur zu einer dänischen Bewusstwerdung in Nordschleswig und Teilen Mittelschleswigs führte, sondern ebenso dazu beitrug, dass das deutsche Element in Dänemark fast vollständig verschwand und sich dadurch auch nördlich der Königsau leichter ein dänisches Nationalbewusstsein bilden konnte. Bereits seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts hatte es erste Anzeichen für eine gewisse negative Haltung gegenüber der deutschsprachigen Oberschicht in Kopenhagen gegeben, gegenüber Regierungsmitgliedern, die der holsteinischen Adelsschicht angehörten wie beispielsweise die Rewentlows.35 Das Feindbild des Deutschen ließ sich jedoch leichter aufbauen, als man ihn als den äußeren Feind deklarieren konnte und nicht länger als Teil des Gesamtstaates anerkennen musste.36 Nach der Abspaltung der Herzogtümer konnte ein Prozess der inneren Integration fortgeführt werden, der bereits 1814/15 eingesetzt hatte.

Der Historiker Steen Bo Frandsen stellt in seiner 1995 herausgegebenen Dissertation über die „Entdeckung Jütlands“ dar, wie von verschiedenster Seite aus seit Anfang des 19. Jahrhunderts an einem Dänemark-Bild gearbeitet wurde, das sein Zentrum in Kopenhagen hatte. Sowohl die Herzogtümer als auch die anderen Regionen des Gesamtstaates, speziell Jütland und die Insel Fünen, wurden darüber vergessen. Das

34 Dänisch gesinnten, die aufgrund des preußischen Militärdienstes über die Königsau nach Dänemark flüchteten, wurde die preußische Staatsbürgerschaft entzogen. Sie wurden damit juristisch gesehen zu Staatenlosen. Siehe Olsen 1999.

35 Siehe auch Vibeke Winge: Dänische Deutsche - deutsche Dänen. Geschichte der deutschen Sprache in Dänemark 1300-1800 mit einem Ausblick auf das 19. Jahrhundert. Heidelberg 1992.

36 Betr. des Feindbildes des Deutschen, siehe auch Abschnitt 5.

nationale Projekt wurde laut Frandsen besonders auch von den nationalliberalen Historikern wie C. F. Allen und anderen betrieben, die durch ihre Kopenhagen-zentrierte Geschichtsschreibung weite Teile des kulturellen Lebens in den Regionen ausgrenzten. Ihr Dänemark war das Dänemark eines nationalen Zentralstaates, und sie schrieben dieses Bild zurück in die Vergangenheit. Auf diese Art und Weise wurde die Ära des Gesamtstaates nunmehr ein missglückter Versuch und als von vornherein zum Scheitern verurteilt gesehen aufgrund der inneren „nationalen Konflikte“, die aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht existierten, so Frandsen.37

Ob man dieser Darstellung anhängt oder nicht, so kann in jedem Falle festgestellt werden, dass Dänemark sich seit 1850 in Richtung Nationalstaat bewegte. Ab 1850 grenzte man sich mehr und mehr zum Nachbarn im Süden ab und baute eine starke Identifikation mit dem neuen Staat durch eine nationale Mobilisierung weiterer Teile der Bevölkerung auf. Eine ganz ähnliche Entwicklung durchliefen die Niederlande, wenn auch hier der Blick weitaus stärker auf Religion und Konfession gerichtet war, als dies in Dänemark der Fall war.

4.2. „Verzuiling“: Die Säulen der niederländischen Gesellschaft38

Ebenso wie der dänische Gesamtstaat erst nach der Abspaltung Schleswig-Holsteins 1864 zum eigentlichen Nationalstaat wurde, hatten sich die ersten nationalbewussten Äußerungen in Holland erst während und nach der belgischen Abspaltung 1830 gezeigt. Wie bereits eher bemerkt, gab es dabei Unmutsäußerungen über die

„undankbaren Belgier“, was allerdings nicht zu einer Bewegung der Wiedervereinigung geführt hätte. Der Doppelstaat war im Grunde unpopulär - auch bei dem Monarchen.39 Wenn die südlichen Provinzen dem Norden in der

37 Siehe hierzu auch besonders seinen Artikel in Max Engman, Åke Sandstrøm 2004. Außerdem sei auf das Werk des dänischen Nationalismusforschers Uffe Østergaard hingewiesen.

38 Die „Verzuiling“, ist ein spezieller Begriff, der nur in der niederländischen Geschichtsschreibung und Gesellschaftstheorie gebraucht wird.

39 So Lademacher 1983.

Industrialisierung auch weit voraus waren, so gab es doch ein ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl in Holland. Die „plumpe Aussprache“ des Niederländischen, die Nähe zu Frankreich und nicht zuletzt die starke katholische Prägung machte den Süden für die Holländer suspekt. Die „Papisten“ wurden als eine Art 5. Kolonne des Vatikans gesehen und bekamen kaum politische Einflussmöglichkeiten. So kam in der Zeit von 1814/15 bis 1830 kein einziges Kabinettsmitglied aus Antwerpen oder Brüssel.40

Die Belgienfrage wurde zum Katalysator für die nationale Einheit, nicht nur wegen der südlichen Provinzen selbst, sondern ebenso wegen der Entscheidung, die sie den Provinzen abverlangte, die traditionell zum holländischen Norden gezählt wurden.

So waren 1830 die Stimmen aus dem Gelderland sehr zwiespältig, bei einer Volksbefragung im selben Jahr stimmten große Teile der Bevölkerung, aber keine Mehrheit, für einen Anschluss an einen neuen belgischen Staat.

In der Provinz Limburg waren die Meldungen dagegen sehr deutlich: Hier stimmte eine überwiegende Mehrheit für einen Anschluss an Brüssel. In Limburg, das diverse Male seine Zugehörigkeit gewechselt hatte, war die Loyalität gegenüber dem westlichen, städtischen und vor allem protestantischen Amsterdam traditionell sehr schwach ausgebildet. Wenn die Provinzialregierung sich doch gegen einen

„Seitenwechsel“ entschied, so nur aus Angst vor einem militärischen Konflikt.41

Zu diesen fast hundertprozentig katholischen Provinzen kamen Regionen wie Overijssel, deren Bevölkerung zu einem Grossteil, aber nicht überwiegend, katholisch war. Mit einer Abspaltung Limburgs war es also nicht getan, das Problem der Konfession musste innerhalb der Niederlande selbst gelöst werden. Das Schwierige daran war, dass sämtliche der nationalen Mythen, die seit den 30er Jahren vermehrt durch Festtage und lokale Feiern gepflegt wurden, auf einem

40 Ebd.

41 Für die genauen Zahlen der Abstimmung, siehe De Rooy 2002.

protestantischen Nationalbild basierten. Der Mythos um die „Watergeuzen“ und ihren Aufstand während des 80-jährigen Krieges hatte beispielsweise auch einen explizit antikatholischen Aspekt. Die Niederlande, in denen offiziell Religionsfreiheit herrschte, besetzten alle politisch einflussreichen Posten mit Protestanten calvinistischer und – seltener – lutherischer Konfession.42

Peter van Rooden schildert in einem bemerkenswerten Artikel die Art und Weise, auf die dieses Problem gelöst wurde. 43 So wurden die antikatholischen Aspekte bei den Nationalfeiern bewusst heruntergespielt. Die politische Administration übernahm dabei eine aktive Rolle und verhinderte gewaltsame Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken, die so nur vereinzelt auftraten. Dieser politisch bewusste Schritt ermöglichte eine neue Geschichtsdeutung, in der die Katholiken in der niederländischen Nation auch einen Platz bekamen.

Seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts machte sich noch ein neues Phänomen bemerkbar, das die gesellschaftliche Entwicklung der Niederlande bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhundert beeinflussen sollte - die so genannte „Versäulung“ („verzuiling“) der Gesellschaft. Es entstanden dabei in sich geschlossene Lebenswelten, die die Gesellschaft nach Weltanschauung religiöser oder politischer Art aufteilten. Die Hauptsäulen waren dabei die Liberalen, die Katholiken, die Protestanten sowie, später dazukommend, die Sozialdemokraten. Schulen und Vereine, aber auch Zeitungen und später die Fernsehkanäle, waren von ihrer Klientel her aufgeteilt.

Diese „Säulen der Gesellschaft“ wurden in der Forschung lange Zeit als

„Bremsklotz“ der nationalen Einheit gedeutet. Die Aufteilung, so die allgemeine Auffassung, habe das Zusammenwachsen der Gesellschaft blockiert. Die neue

42 Frans Groot: Vlaggen in top en stenen door de ruiten. De natie in de steigers, 1850-1940. In:

Bloom, J.H.C. und J. Talsma (Hrsg.): De verzuiling voorbij. Godsdienst, stand en natie in de lange negentiende eeuw. Amsterdam 2000, S. 171-200.

43 Peter van Rooden: History, the Nation, and Religion: The Transformations of the Dutch Religious Past. In: Peter van der Veer und Hartmut Lehmann (Hrsg.): Nations and Religion. Perspectives on Europe and Asia. Princeton 1999, S. 96-111.

"Verzuilings"- Forschung widerspricht dieser traditionellen Auffassung und vertritt die Ansicht, gerade diese Aufteilung habe einen relativ reibungslosen Übergang zur nationalstaatlichen Identifizierung erst möglich gemacht.44