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Kapitel 5: Sprache als Integrationsinstrument

1. Sprachpolitik als Integrationsinstrument

1.1. Was ist Sprachpolitik?

Die Internet-Datenbank Wikipedia definiert Sprachpolitik folgendermaßen:

„Die Sprachpolitik bezeichnet alle Maßnahmen und Regeln, mit denen der Gebrauch von bestimmten Sprachen (Sprachstatusplanung) oder ein bestimmter Gebrauch von Sprache (Sprachpflege) vorgeschrieben wird. Während Sprachstatusplanung in Staaten

und Organisationen stattfinden kann, findet Sprachpflege in der Praxis nur innerhalb von Staaten statt.“2

Diese Definition ist am breiteren Ende des Definitions-Spektrums angesiedelt, denn es scheint so zu sein, dass das Verständnis von Sprachpolitik nicht werturteilsfrei ist.

Eine große Anzahl von Publikationen zum Thema Sprachpolitik kommt von Seiten der linguistisch inspirierten Politologie oder der politischen Linguistik. Diese Studien haben eines gemeinsam – sie deuten Sprachpolitik primär als Instrument des Minderheiten- und Kulturenschutzes. Das Recht auf sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung, auf „cultural diversity“, wird gerne hervorgehoben, ebenso wie die Forschungen Will Kymlickas häufig herangezogen werden.

Die Frage, was Sprachpolitik eigentlich sei und anhand welcher Merkmale sie beschrieben und definiert werden könne, wird auf höchst unterschiedliche Art und Weise beantwortet, abhängig von der fachlichen Ausgangslage. Die gemeinsame Basis scheint die Annahme zu sein, dass es sich bei Sprachpolitik um einen aktiven Eingriff in die existierende Sprachpraxis einer bestimmten Bevölkerungsgruppe handelt. Dieser Eingriff geht von einer politischen Instanz aus. Inwieweit die Eingriffe die erwünschte Wirkung zeigen, ist dabei zweitrangig.

Sprachpolitik, so meine Überlegung, alliiert sich immer mit anderen Themen und politischen Forderungen. Im vorliegenden Fall ist das dahinter liegende politische Ziel die Nationalisierung, es gibt jedoch eine Vielzahl von Beispielen, bei denen das Hauptziel ein anderes war.3

Als Beispiel für die liberale Auffassung von Sprachpolitik ließe sich eine Definition des politologisch ausgerichteten Sprachwissenschaftlers François Grin anführen, der in einer Studie aus dem Jahre 2000 Sprachpolitik folgendermaßen definiert:

2 http://de.wikipedia.org/wiki/Sprachpolitik.

3 Louis-Jean Calvet: Language Wars and Linguistic Politics. Oxford 1998, S. 114.

„Language policy is a systematic, rational, theory-based effort at the societal level to modify the linguistic environment with a view to increasing aggregate welfare. It is typically conducted by official bodies or their surrogates and aimed at part or all of the population living under their jurisdiction”.4

Der top-down Aspekt wird in Grins zweitem Satz hervorgehoben, und dieser mag als allgemeingültig gesehen werden, denn Sprachpolitik kommt immer „von oben“.

Der erste Teil stellt Sprachenpolitik als rational, wohldurchdacht und theoretisch untermauert dar. Diese Merkmale lassen sich meiner Meinung nach durchaus in Frage stellen.

Die Frage ist auch, ob diese Deutung der Sprachpolitik als liberales Instrument so allgemeingültig ist wie in einigen Untersuchungen dargestellt. Gerade Studien in Themenbereichen, die vor dem 20. Jahrhundert liegen, scheinen davon wenig profitieren zu können. 1919/20 formulierte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson erstmals die Idee vom Selbstbestimmungsrecht der Völker in seinem 10-Punkte-Programm. Im Zuge der neuen Ideen wurden Volksabstimmungen in u. a.

Nordschleswig und Allenstein abgehalten. Dies war auch das erste Mal, dass man von nationalen Minderheitenrechten sprach. Doch vor 1920, und sicherlich in der Zeit von 1814 bis 1867, war das Verständnis von Sprachpolitik und deren Aufgaben ein ganz anderes.

Die Aufgabe von Sprachpolitik war im Zeitraum von 1830 bis cirka 1920 primär die eines staatlichen Integrationsinstrumentes. Staatliche, später auch nationale Einheit war erwünscht; Sprachpolitik war eines der Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. In diesem Sinne ist auch die Kapitelüberschrift zu verstehen: „Sprache als Integrationsinstrument“. Die so genannten Sprachenreskripte, durch die der

4 François Grin: Evaluating Policy Measures for Minority Languages in Europe: Towards effective, cost-effective and democratic implementation. ECMI Report Nr. 6, Flensburg 2000, S. 7.

dänische Staat versuchte, aktiv auf die Sprachpraxis einzuwirken, werden in der geschichtswissenschaftlichen Literatur durchaus als Sprachpolitik bezeichnet. Legt man die oben genannte Definition zugrunde, waren die Handlungen jedoch viel zu herantastend, viel zu unsystematisch, als dass von einer eigentlichen Sprachpolitik gesprochen werden kann. Die geführte Politik war nur wage theoretisch begründet.

Auch die Frage, ob Sprachpolitik immer rational ist, lässt sich stellen. Nach meiner Auffassung liegt dieser Vorstellung von „Rationalismus“ ein besonderes Verständnis von Sprachpolitik zugrunde: François Grin sieht darin ein Instrument der aktiven Unterstützung von vernachlässigten Bevölkerungsteilen, besonders von Sprach- und Kulturminderheiten.5 Damit steht er nicht alleine, denn in der überwiegenden Mehrheit der neueren Untersuchungen zur Sprachpolitik wird diese implizit als politisches Instrument des Minderheitenschutzes gesehen. So hören sich Worte wie

„Multilingualism“ mit heutigen Ohren sehr gut an, und der Schutz von Minderheitssprachen und der Eigenart der Regionen ist nicht zuletzt in Europa ein wichtiges Ziel. Er ist gleichzeitig Teil einer umfassenden EU-Integrationspolitik, die das regionale Niveau auf Kosten des nationalen Levels stärkt. Jede Zeit, so scheint es, hat ihre Sprachpolitik und ihr Verständnis davon.6

Eine andere Herangehensweise lässt sich in der regionalhistorischen Forschungstradition zum Thema Sprachpolitik im Herzogtum Schleswig während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts finden. Hier ist festzustellen, dass Sprachpolitik nicht näher erklärt oder gar definiert wird, selbst wenn das Wort im Titel der Publikation erscheint. So schweigen sich beispielsweise Jochen Bracker (1972/73), Niels Åge Nielsen (1982) oder Jürgen Rohweder (1976) darüber aus, wie sie Sprachpolitik verstehen und gehen damit implizit von einem „common sense“- Verständnis aus. Selbst Sven Thomas Olsen (1999), der sich mit der

5 Dies ist auch verständlich aus seiner Forschung heraus, die auf Minderheitenthemen fokussiert.

6 Dies sollte keinesfalls als Abwertung des Minderheitenschutzes verstanden werden.

Nationalitätenpolitik des Kaiserreiches auseinandersetzt und zentrale Begriffe stets genau definiert, schweigt sich in diesem Fall aus.7

Ich denke, dass diese Nicht-Existenz einer Definition mit dem Verständnis zusammenhängt, das die Regionalgeschichte von Sprachpolitik hat – nicht theoretisch reflektiert, sondern pragmatisch. Dies deckt sich meiner Auffassung nach ganz gut mit der tatsächlich geführten Politik, die ja auch pragmatisch in ihrer Ausführung war.

Das sprachpolitische Verständnis des Politologen François Grin entspringt der Minderheiten- und Nationalitätenpolitik nach 1945 und ist gekennzeichnet durch Funktionalismus. So stellt er ein Modell vor, an dessen Anfang die „Language Policy“ steht, am Ende das „Outcome: Minority Language Use“. Die Frage ist, ob sich wirklich ein solch kausaler Zusammenhang zwischen Sprachpolitik und lebendigem Sprachgebrauch herstellen lässt.8 Als Gegenbeispiel ließe sich z.B. die preußische Nationalitätenpolitik nach 1867 anführen, die ja trotz massiver Unterstützung der deutschen Sprache – als Minderheitensprache! - in Nordschleswig das genaue Gegenteil des Gewünschten erreichte, nämlich eine Stärkung des Dänischen.9

Sprachpolitik kann demnach meiner Auffassung nach als Instrument zur Beförderung politischer Ziele, die nicht zwingend auch offen benannt werden, gesehen werden. Es handelt sich dabei um einen Versuch, regulierend in die Sprachpraxis eines gegebenen Gebietes und /oder einer Bevölkerungsgruppe

7 Jochen Bracker: Die dänische Sprachpolitik 1850-1864 und die Bevölkerung Mittelschleswigs. I:

Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. 1. Teil: Vol. 97, 1972, S. 127-225;

2.Teil: Ebd., Vol. 98, 1973, S. 87-213; Niels Åge Nielsen: Sprogpolitik og dialektforskning i Slesvig 1851-64. In: Sønderjysk Månedsskrift, 1982, S. 283-290; Jürgen Rohweder: Sprache und Nationalität.

Nordschleswig und die Anfänge der dänischen Sprachpolitik in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts. Glückstadt 1976; Sven Thomas Olsen: Die Dänenpolitik im deutschen Kaiserreich.

Preußisch-deutsche Nationalitätenpolitik in der Region Nordschleswig/Sønderjylland 1864-1914.

Diss. Hamburg 1999.

8 Grin 2000, S. 13.

9 Siehe dafür Olsen 1999.

einzugreifen. Hierbei kann es sich um innen- oder außenpolitische Aktivitäten handeln. In den hier behandelten Zeiträumen und Gebieten ist Sprachpolitik ein wichtiger Teil der staatlich-nationalen Integrationsversuche. Beginnend mit den ersten Versuchen von Seiten des dänischen Gesamtstaates, durch Sprachverordnungen regulierend einzugreifen, gingen die Regulierungsversuche über ins Extreme, nachdem Preußen Schleswig-Holstein annektiert hatte. So wurde der Gebrauch der dänischen Sprache in den Schulen ganz verboten, Vereins- und Pressewesen gänzlich von der Sprachpolitik dominiert, die als zentrales Mittel der Nationalisierungspolitik gesehen wurde.10

Zusammenfassend lassen sich zwei Dinge feststellen. Erstens gibt es verschiedene Verständnisweisen von Sprachpolitik. Die theoretische Literatur zu dem Thema wird dominiert von einem minderheitspolitischen Zweig, dessen Verständnis von Sprachpolitik nicht uneingeschränkt für Verhältnisse vor dem 20. Jahrhundert gilt.

Das vorläufige Fazit ist, dass sprachliche Regulierung immer mit einer Wertung verbunden ist und dass diese Wertung von Seiten einer administrativen und/oder staatlichen Instanz implizit oder explizit ausgeht.

Im folgenden Abschnitt wird geschildert, wie die dänische Regierung 1810 erstmalig versuchte, regulierend in die Sprachpraxis einzugreifen. Diese ersten sprachpolitischen Gehversuche lassen sich kaum als rational oder genau durchdacht beschreiben. Danach soll näher auf das zweite Konzept einer Sprachpolitik, den so genannten Regenburger Reskripten von 1851, eingegangen werden.