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Teil 1: Fragestellungen, Methodik, Theorie

2. Zur Methodik

2.2. Die vergleichende Methode

Was zeichnet den historischen Vergleich aus? Mit dieser Frage haben sich in den letzten Jahren namhafte Historiker beschäftigt. Die vergleichende Methode versucht, Ähnlichkeiten und/oder Unterschiede bei zwei oder mehr historischen Phänomenen herauszuarbeiten, die nicht unmittelbar miteinander in Beziehung stehen. Die Beziehung entsteht erst durch die Kernfrage.19 Daraus folgt auch, dass immer nur Teilaspekte verglichen werden können.

Die einschlägige Literatur unterscheidet dabei zwischen Komparationen, die das Spezielle hervorheben, und solchen, die versuchen, Muster und Ähnlichkeiten zu entdecken. In vorliegender Untersuchung werden die nationalen Entwicklungen in zwei sich ähnelnden Regionen vorgestellt. Sowohl Ostfriesland als auch Schleswig sind historisch gewachsene Gebiete, die im Zuge der deutschen Einigungskriege des 19. Jahrhunderts von Preußen vereinnahmt wurden. In beiden Regionen gab es in bestimmten Bevölkerungsgruppen zeitweise erheblichen Widerstand gegen die preußische Politik. Sowohl Schleswig als auch Ostfriesland waren geprägt durch eine jahrhundertealte Sprachpraxis, in der Deutsch, sowohl in seiner hoch- als auch in seiner niederdeutschen Form, mit einer anderen Hochsprache konkurrierte.20 Der Sprachgebrauch war nicht beliebig, sondern an verschiedene Aspekte des täglichen Lebens wie Kirchgang, Schule oder Kontakte mit der Verwaltung geknüpft. Diese

18 Die historische Landschaft ist ein Gebiet, das zwar keine Verwaltungshoheit mehr besitzt, aber sich durch eine von ihrer Umgebung unterschiedliche Kultur und Tradition auszeichnet. Siehe auch Erwin Karel: Grenzen in Drenthe. Vier historische beschouwingen over scheidslijnen in cultuur en landschap.

Assen 2000. In diesem Sinne scheint der Begriff sowohl auf das ehemalige Herzogtum Schleswig als auch auf die ehemalige Grafschaft Ostfriesland angebracht.

19 Die folgenden Bemerkungen basieren auf Heinz-Gerhard Haupt und Jürgen Kocka (Hrsg.):

Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung.

Frankfurt 1996.

20 Zum Unterschied zwischen Hochsprache und Dialekt, siehe Kapitel 4.

von mir als „pragmatischer Sprachgebrauch“ bezeichnete Mehrsprachigkeit behinderte auch den Einzug der nationalen Ideologie in den beiden Regionen.

In diesem Sinne handelt es sich auf den ersten Blick um einen Vergleich, der die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten sucht. Implizit liegt dahinter jedoch ein Interesse am Speziellen; an der Entwicklung, die anders verlief als in rein deutschsprachigen Regionen. Diese wiesen natürlich ebenfalls nicht unproblematische Entwicklungen auf, waren jedoch nicht mit zwei aufeinander treffenden Nationalkulturen konfrontiert.21

Warum also vergleichen? Der Vergleich kann Antworten geben, die eine rein nationale oder regionale Studie nicht zu geben vermag. In seiner bekannten Studie zur Entwicklung kleinerer europäischer Nationalitäten analysiert Miroslav Hroch beispielsweise die soziale Basis von nationalen Gruppierungen und erschafft daraus eine Typologie. Er hofft, durch seine Untersuchung Aussagen über die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Nationalbewegung machen zu können.22 Das Hauptinteresse liegt also nicht bei den einzelnen Vergleichsobjekten, sondern bei der zentralen Fragestellung.

Der historische Vergleich erzielt, so der deutsche Historiker Jürgen Kocka, einen

„Verfremdungseffekt“. Dieser Ausdruck stammt aus Berthold Brechts dramatischem Werk und bezeichnet den Augenblick, in dem sich einer der Schauspieler direkt an das Publikum wendet und damit die Illusion des Theaters durchbricht; der Zweck einer solchen Übung ist bei Brecht natürlich die politische Bewusstwerdung des Publikums. Der Vergleich zwischen Theater und Geschichtsschreibung, den Jürgen Kocka anstellt, scheint durchaus gut gewählt, denn auch durch die vergleichende Methodik wird, wie beim brechtschen Verfremdungseffekt, der Erzählfluss

21 Zu Schwaben siehe Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Europa und Deutschland. München 2000.

22 Miroslav Hroch: Social Preconditions of National Revival in Europe. A comparative analysis of the social composition of patriotic groups among the smaller European nations. Neuauflage New York 2000.

durchbrochen und die Illusion der historischen Erzählung, die gerne entlang einer Zeitachse entlangläuft, aufgehoben.23 Dieser Effekt wird noch verstärkt durch die Wahrscheinlichkeit der Zeitverschiebung, da historische Komparationsfälle niemals ganz gleichzeitig stattgefunden haben können.

Es werden meist internationale Vergleiche angestellt, z.B. über Industrialisierungsprozesse in Belgien und Großbritannien. Doch gerade dies birgt auch Gefahren: Internationalität zweifelt eben nicht das Diktat des Nationalen an, sondern übernimmt – auch rückwirkend in vorindustrielle Zeit - die Vorstellung einer nationalen Einheit.24

Auch in anderen Disziplinen wird verglichen, und zwar weitaus häufiger als in der Geschichtswissenschaft. Diese relative Zurückhaltung der Historie erklärt sich aus verschiedenen Gegebenheiten, die mit der Eigenart der Geschichtswissenschaft zu tun haben. Die bereits oben erwähnte Dominanz der Quellenkunde hat auch einen Einfluss darauf, dass seltener verglichen wird als in anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, so Hartmut Kaelble.25 Die Arbeit mit den Quellen führe zu einer sehr detailgenauen Kenntnis von vergangenen Lebenswelten, gerade dadurch werde jedoch häufig vor Generalisierungen zurückgeschreckt. Wer mit Geschichte arbeitet, weiß, wie einzigartig jeder Fall ist. Dies mache Typologisierungen seltener als beispielsweise in der Soziologie.26 Ein anderer Hinderungsgrund könne, wie Hartmut Kaelble bemerkt, das innige Verhältnis zur Zeit sein. In einem Fach, in dem Diskussionen um die richtigen Epochenabgrenzungen mit Leidenschaft geführt werden, sind Unterteilungen in sehr

23 Haupt/Kocka 1996, S. 23.

24 Haupt/Kocka 1996, S. 273.

25 Hartmut Kaelble: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt 1999, S. 107.

26 Innerhalb der Nationalismusforschung siehe z. B. Theodor Schieders Aufsätze in: Otto Dann und Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Theodor Schieder: Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa. 2. Auflage, Göttingen 1992.

kurze Zeitabschnitte weit verbreitet. Doch gerade diese Genauigkeit könne für einen größer angelegten Vergleich hinderlich sein. 27

Während Hartmut Kaelble in seinem als praktischem Hilfswerk angelegten Buch von 1999 überwiegend auf Gefahren und Schwierigkeiten hinweist, darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass wohl keine historische Synthese ohne Vergleiche hergestellt werden kann. Die Komparation erlaubt es, Zusammenhänge, ähnliche Entwicklungsverläufe und Strukturen zu erkennen, die bei einer für sich stehenden Untersuchung vielleicht unentdeckt geblieben wären. Aus eben diesen Möglichkeiten heraus wurde die internationale Komparation hier gewählt.

Während die Komparation das „Forschungsdesign“ darstellt, ist die empirische Arbeit der Kapitel 6 und 7 auf eine quellennahe Arbeitsweise angewiesen, die theoretisch reflektiert an die Texte herangeht. Inspiration hierfür wurde in der Diskursanalyse gefunden, auf die im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden soll.