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Teil 2: Staatliche National- und Grenzpolitik

5. Dänische und holländische Beziehungen zu Preußen

5.1. Preußischer Expansionsdrang als Abschreckung

Zeitgleich mit der Herausbildung moderner nationaler Identitäten entstanden auch ihre Schattenseiten– die nationalen Stereotypen und Feindbilder. Wobei das Phänomen der Feindbilder keineswegs erst seit der Moderne zu finden ist oder gar nur in Europa, sondern, so mag es scheinen, eng zusammenhängt mit jedweder Identitätsbildung. Zur Festigung des Eigenen gehörte auch immer die Abgrenzung von dem, was man nicht sein wollte, von dem, was ängstigte und erinnerte an das eigene Ausgeliefertsein, die eigene Begrenzung und Sterblichkeit.45 Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Identitätsforschung, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. 46

Die meist sehr stabilen Feind- und Fremdbilder Deutschland gegenüber sind nicht, wie häufig vermutet, ein Ergebnis des 2. Weltkrieges und der deutschen Besatzung 1940-45. In dieser Zeit wurde das Bild des Kriegs treibenden, herrschsüchtigen und gleichzeitig sehr gründlichen Deutschen zwar verstärkt, der Ursprung des Feindbildes ist aber um 1815 anzusiedeln. In den Niederlanden lässt sich seit der Zeit eine wachsende Angst vor wirtschaftlicher Bedrohung durch den östlichen Nachbarn ausmachen.47

45 Beispiele sind nachzulesen in: Poul Duedahl, Louise Kallestrup, Lars Andersen (Hrsg.): De måske udstødte. Historiens marginale eksistenser. Aalborg 2005.

46 Das Entstehen von Feindbildern ist eine komplexe Angelegenheit. Wann genau das Bild der preußischen Pickelhaube gleichbedeutend wurde mit dem „Deutschen“, ist schwierig zu sagen.

Das Deutschenbild wurde bereits genauestens untersucht, auch weil es so einen großen Einfluss hatte auf die europäische Politik. Manfred Koch-Hillebrecht: Das Deutschlandbild. München 1977.

47 Dies belegt Horst Lademacher: Zwei ungleiche Nachbarn. Wege und Wandlungen der deutsch-niederländischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Darmstadt 1990. Siehe auch J. F. E.

Bläsing: Das goldene Delta und sein eisernes Hinterland 1815-1851. Von niederländisch-preußischen zu deutsch-niederländischen Wirtschaftsbeziehungen. Leiden 1973.

Auch in Dänemark tauchte eine gewisse Animosität nicht etwa im 20. Jahrhundert, sondern bereits Ende des 18. Jahrhunderts auf, ausgelöst durch die berühmt-berüchtigte Affäre des Altonaer Leibarztes Struensee mit der dänischen Königin Karoline Mathilde.48 Die so genannte Tyskerfejde war zwar in erster Linie ein Kopenhagener Phänomen, wird aber in der Forschung als Beginn der deutsch-dänischen Spannungen hervorgehoben. Eine Untersuchung macht darauf aufmerksam, dass das Dänische gerade im Vergleich, im Kontrast zum Deutschen entstand. Dänisch-Sein heißt „Nicht-Deutsch-Sein“, so die These.49 Eine ähnliche Funktion mag erst das Preußen-, später das Deutschenbild in den Niederlanden erfüllt haben. Worauf fußte dieses Erleben einer Bedrohung, wovon wollte man sich abgrenzen?

Es war kein Zufall, dass sich die dänische und niederländische Außenpolitik zunehmend auf den heranwachsenden deutschen Nationalstaat konzentrierten. Es wurde im Laufe des Jahrhunderts immer ersichtlicher, dass Preußen eine Politik der Integration betrieb und durch komplizierte Tauschgeschäfte mit den Nachbarstaaten versuchte, ein möglichst gut zusammenhängendes Territorium zu erwerben. Dieser Prozess ist bereits ausführlich in der Preußenliteratur beschrieben worden. Ein interessanter Sammelband aus den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Titel „Expansion und Integration“ versuchte dabei, eine Übersicht über die verschiedenen Gebiete zu schaffen, die sich Preußen bis 1871 einverleibte.50 Das überraschende Fazit der Publikation ist, dass man lange nicht von einem einheitlichen Rechts-, Verwaltungs- und Schulsystem sprechen konnte. Obwohl Preußen einen Einheitsstaat anstrebte, wurden den einzelnen Gebieten noch lange

48 Siehe Ole Feldbæk (Hrsg.): Dansk Identitetshistorie, 4 Bände, Kopenhagen 1991-1992. Altona gehörte ja damals noch zum Gesamtstaat. Im Übrigen wird am Beispiel Struensee sichtbar, wie verschieden nationale Deutungstraditionen sein können. Im Gegensatz zur dänischen Forschung - die Struensees Unverfrorenheit hervorhebt -, wird er in der deutschen Tradition als Erneuerer eines veralteten Systems dargestellt, als tragische Figur, die ihrer Zeit voraus war.

49 Michael Harbsmeier: Danmark: Nation, kultur og køn. In: Stofskifte. Tidsskrift for Antropologi.

Nr. 13, 1986, S. 47-73.

50 Peter Baumgart (Hrsg.): Expansion und Integration. Zur Eingliederung neu gewonnener Gebiete in den preußischen Staat. Köln/Wien 1984.

Zeit eine Reihe von Eigentümlichkeiten eingeräumt; nicht zuletzt Ostfriesland profitierte von dieser laxen Integrationspolitik.51

Im vorherigen Kapitel wurde die deutsch-nationale Entwicklung skizziert. Preußen nahm darin eine zentrale Rolle ein. Die hervorstechende Rolle Preußens wird bei jeder Darstellung der nationalen Entwicklung schnell deutlich. Doch dieses Bild ist mit Vorsicht zu genießen – Preußen war am Anfang des 19. Jahrhunderts nur einer unter mehreren deutschen Kleinstaaten, und seine Rolle bei der Bildung eines deutschen Nationalstaates war nicht von selbst gegeben.

Dass spätere Zeiten dies anders gesehen haben und Preußen eine Art „Aufgabe“

oder „Sendung“ haben zuteil werden lassen, liegt auch daran, dass eine Reihe von historischen Darstellungen aus der Zeit nach 1866 sehr „preußen-freundlich“ waren und die Studien, die einen anderen Schwerpunkt hatten, vergessen wurden.52 Die deutsche Entwicklung und Preußens Geschichte sind nicht dasselbe. Aber der preußische Staat vermochte es, sich durch Diplomatie und Waffengewalt eine Vormachtstellung zu erkämpfen und somit die deutsche Nationalstaatwerdung nach seiner Vorstellung zu beeinflussen.

Von Preußen aus gesehen, war die Expansion und Integration verschiedener deutscher Staaten ein wünschenswerter und positiv verlaufender Prozess, der dem Staat Einnahmen und nicht zuletzt mehr politischen Einfluss im europäischen

„Konzert“ brachte. Gleichzeitig baute sich aber ein Ungleichgewicht in Europa auf, das von den Nachbarstaaten als gefährlich und als Bedrohung für die eigene Wirtschaft und Sicherheit ausgelegt wurde. Gerade Dänemark und die Niederlande, die verglichen mit Frankreich beide keinerlei militärische Herausforderung für

51 Enno Eimers: Die Eingliederung Ostfrieslands in den preußischen Staat. In: Baumgart 1984, S.

119-168.

52 So Stefan Berger: Prussia in history and historiography from the eighteenth to the nineteenth century. In: Philip G. Dwyer (Hrsg.): The Rise of Prussia 1700-1830. Harlow 2000, S. 27-44.

Preußen boten, sahen sich dabei mehr und mehr in die Enge getrieben. Deren Sicht auf Preußen gilt es im Folgenden herauszuarbeiten.