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Kapitel 6: Sprache und Nation im Grenzgebiet

1. Sprache als kulturelle Metapher: Konflikte im Grenzraum

„Das nationale Selbstverständnis entlang der deutsch-dänischen Grenze weist viele Variationen auf. Neben einem klassischen Nationenverständnis, welches auf einer Politisierung kultureller Verbindungen beruht, entstand auch eine ausgeprägt subjektive Auffassung. ”1

In der deutschen und dänischen Geschichtsschreibung bezüglich der Herzogtümer Schleswig und Holstein dominierten lange Zeit zwei eng miteinander verbundene Themenbereiche: die Grenzfrage und die Sprachproblematik. Diese Schwerpunktsetzung begann bereits Mitte des 19. Jahrhunderts und setzte sich fort im so genannten „Grenzkampf“ der Nachkriegszeit. Der Grenzkampf ist somit nach Auffassung der Verfasserin keine Erfindung der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, sondern beruht auf Deutungsmustern, die sich bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in politischen Schriften und Pamphleten, in Geschichtswerken und wissenschaftlichen Abhandlungen finden lassen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, diese Deutungsmuster nachzuweisen und abschließend mit dem deutsch-niederländischen Grenzraum Ostfriesland zu vergleichen.

Wenn sich Deutsch- oder Dänischgesinnte ab cirka 1840 zur Sprach- und Nationalitätenfrage äußerten, bezogen sie sich auf geschichtliche Ereignisse und verknüpften Geschichte und Gegenwart, beispielsweise den Mythos des Dannewerks

1 ”Den nationale selvopfattelse langs den dansk-tyske grænse udviser mange variationer. Ved siden af en klassisk nationsopfattelse, som beror på politisering af kulturelle bånd, udformede sig også en udpræget subjektiv forståelse”. Peter Thaler: Mellem Slesvig og Slovenien. Subjektiv

identitetsdannelse i et sammenlignende perspektiv. In: Sønderjyske Årbøger, 2006, S. 101-118, hier S.

116.

mit der aktuellen politischen Lage. Diese Historisierung des Nationalen an sich ist nichts Besonderes, sondern ein typisches Merkmal der primordialen Nationenauffassung. Bemerkenswert ist jedoch, dass die politischen Unterschiede sich nicht in der Argumentationsweise widerspiegeln. Die eigentlichen Gegensätze existieren zwischen einem Trennungs- und einem Gemeinschaftsdiskurs.

Der Historiker Peter Thaler kommt zu einem ähnlichen Schluss, wenn er in einem kürzlich veröffentlichten Artikel bemerkt, die nationale Selbstauffassung im Grenzgebiet basiere keineswegs nur auf primordialen Auffassungen. Weiterführend könnte man zu den oben zitierten Ausführungen Thalers bemerken, dass das so genannte „sindelagsprincip“, welches im Prinzip jedem erlaubt, sich zu dieser oder jener Nationalität zu bekennen, hier ein starkes Gegengewicht zum traditionellen

„Blut und Boden “- Ideal bildete und in der nationalen Argumentation auch verwertet wurde; mal als Untermauerung der eigenen Argumente, mal zwecks

„Lächerlichmachung“ des politischen Gegners.

1.1. Aufbau des Kapitels

Das Kapitel unterteilt sich in vier Abschnitte. In den beiden ersten Abschnitten stehen die nationalen Entwicklungen im deutsch-dänischen Grenzland im Vordergrund. Hierbei wurden verschiedene Arten von Quellen herangezogen.

Hierbei wird eine Parallelität angestrebt: Abschnitt 2 und 4 präsentieren eine Sicht auf das jeweilige Grenzland, die sich aus Primärquellen speist. Abschnitt 3 und 5 bauen auf veröffentlichten Quellen und Diskussionen auf.

Im Abschnitt 2 steht das unveröffentlichte Material im Zentrum. Abschnitt 2 dient überwiegend dem Versuch, die Sprach- und Nationalitätenkonflikte anhand konkreter lokaler Verhältnisse aus dem Amt Tondern anschaulich darzustellen.

Standpunkte und Meinungen sind in diesem Material wenig zu finden, ging es für den Amtmann in Tondern doch in erster Linie um die Aufrechterhaltung von Ruhe

und Ordnung. Das Tonderner Material teilt sich auf in drei Gruppen von Texten, die gleichzeitig die „chain of command“ reflektieren. An oberster Stelle stehen die Schreiben der Regierung auf Gottorf an das Amtshaus in Tondern. Von da aus setzt sich die Kette weiter „nach unten“ an die Gemeinden und lokalen Repräsentanten der Obrigkeit wie Pastoren oder andere Würdenträger fort. Die dritte Gruppe machen die Reaktions-Schreiben aus, die wiederum an das Amthaus in Tondern gerichtet sind, und in gewisser Hinsicht den Widerstand gegen Beschlüsse „von oben“ symbolisieren. Die Frage ist hier also: Wer ist wem gegenüber verantwortlich, und wer gibt die Befehle?

Die zitierten Quellen in Abschnitt 3 bestehen aus publiziertem Material, das, teils registriert, teils unregistriert, in Archiven und Fachbibliotheken im Grenzland zu finden ist. Seit Mitte der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts publizierten angesehene Bürger, politisch interessierte, Amtmänner und Politiker der Ständeversammlungen kleine Schriften und Pamphlete, die die Sprach- und Nationalitätensituation im Herzogtum Schleswig aus ihrer Sicht darstellten. Ein Teil dieser Schriften wurde anonym publiziert; auch war es üblich, außerhalb des Gesamtstaates drucken zu lassen, wenn sich die politischen Anschauungen nicht mit denen der Staatsadministration deckten. So wurden Schriften zur Schleswig-Holstein-Frage auch in Leipzig oder Hamburg gedruckt.

Einige dieser Hefte oder „småskrifter“ sollen hier als Quelle der diskursiven Schaffung des Grenzraumes herangezogen werden. Die Schriften weisen eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen und Wiederholungen auf, was neben der ungeheuren Materialmenge und der Tatsache, dass diese bisher nicht gemeinsam registriert worden sind, der Grund dafür ist, dass nur eine Auswahl berücksichtigt werden konnte. Die Schleswig-Holstein-Frage war eine auch überregional bedeutsame Sache, und wurde ab cirka 1845 südlich von Altona als Teil der „Deutschen Frage“

diskutiert, aber die Stichworte wiederholten sich, die Argumentationen blieben ähnlich. Jeder Verfasser bezog sich wieder auf vorhergehende Schriften von

politischen Freunden oder Gegnern. Bei der Auswahl wurde Wert darauf gelegt, dass nicht die „usual suspects“ herangezogen wurden, sondern eher solche Verfasser, die der Nachwelt weniger im Gedächtnis geblieben sind. Ausnahmen bestätigen die Regel; so ist auch eine kleinere Schrift des Nationalromantikers Orla Lehmann ausgewählt worden, dies nicht alleine aus dem Grund, weil die bekannten nationalen Vordenker bereits ausführlich diskutiert und analysiert wurden, sondern auch, weil dieses Material nur vereinzelt und am Rande untersucht wurde. Diese Schriften bekamen Breitenwirkung durch ihre simple Masse. Sie wurden in teils sehr hohen Auflagen herausgegeben, und die Anzahl der Druckexemplare – die immer auch in der Schrift selber angeführt wird – sagt auch einiges über den Grad der Verbreitung aus.2

Auch nicht unwichtig war ihr niedriger Preis – für ein paar Pfennige ließ sich eine Schrift erwerben, und der Verlag pries meist auf der letzen Seite weitere Schriften im selben Genre an. Mit anderen Worten: Für die Zeitgenossen waren diese kurzen, d. h.

bis zu 25 Seiten langen Schriften - oft mit reißerischer Überschrift und gewagten Hypothesen - wahrscheinlich wesentlich zugänglicher als die Schriften Herders oder Fichtes. Sie trugen damit also zur Verbreitung der nationalen Idee in der Bevölkerung bei.

Im ostfriesischen primären Quellenmaterial lassen sich durchaus politische Standpunkte, Urteile und Meinungen zur Sprachfrage im unveröffentlichten Material finden. Dies wird in Abschnitt 4 vorgestellt, wobei Abschnitt 5 sich - ebenso wie Abschnitt 3 - dem publizierten Material zuwendet. Hierbei sind es Historiker und Theologen Ostfrieslands, die sich zur Sprach- und Nationalfrage äußern.

2 Siehe dafür die Fußnotenhinweise bei den einzelnen Schriften.