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Kapitel 5: Sprache als Integrationsinstrument

2. Sprachpraxis und -verordnungen in Schleswig-Holstein, 1800 bis 1850

2.3. Die Regenburgischen Reskripte von 1851

Während das Sprachreskript von 1810 noch in eine Zeit fiel, als das Königshaus in Kopenhagen sich wenig Gedanken über die nationale Frage machte, war die Situation 40 Jahre später eine ganz andere. Das politische Klima in Europa hatte eine lange Periode des Konservatismus gesehen. Das Ballancesystem Metternichs hatte dabei eine große Schwachstelle: Es beruhte auf Unveränderlichkeit und Stillstand, gerade auch, was das Gefüge um die deutschen Staaten herum betraf. Doch dieser Stillstand hielt nicht lange an, erst regte sich der nationale Gedanke in den südlichen Regionen wie Schwaben, später auch in den nördlicheren Gebieten und Schleswig-Holstein.23

23 Langewiesche 2000.

Im Laufe der 30er Jahre bildete sich, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, eine nationalliberale Bewegung in den Herzogtümern. Im Laufe der 40er Jahre des 19.

Jahrhunderts wurde diese zunehmend radikaler, es wurden Vereine zur Sprach- und Kulturpflege gegründet. Der Funke schlug über, als die demokratischen Bewegungen in Berlin und Prag Unruhen auslösten. Man erklärte den dänischen König als „unfrei“ in seinen Entscheidungen und gründete eine eigene Regierung für die beiden Herzogtümer. Die Kieler Aufständischen bekamen bald Unterstützung von anderen deutschen Staaten, die die „schleswig-holsteinische Sache“ als pars pro toto der deutschen Frage ansahen.

Dänemark befand sich aufgrund der großmachtspolitischen Gegebenheiten in einer guten Ausgangslage und konnte deshalb die Aufständischen überwältigen. Noch war es für Europa am wichtigsten, dass sich die Machtkonstellation nicht veränderte.

Bereits 16 Jahre später, beim 2. Schleswig’schen Krieg 1864, hatte sich diese Konstellation grundlegend geändert.

Der Krieg von 1848-50 wurde innerhalb der dänischen und der deutschen Forschung unterschiedlich bewertet. Von deutscher Seite aus ist die Rede von einem frühdemokratischen Bürgerkrieg. In Dänemark war die Beurteilung meist negativer, eine Neudeutung kam erst mit Claus Bjørns viel diskutierter Untersuchung.24 Wie auch immer die Beurteilung der 1848er ausfällt – sie ist bestimmt von der Tatsache, dass 1848 missglückte. Die demokratischen Träume der Frankfurter Paulskirche setzten sich nicht durch, und auch die politisch bewegten Schleswig-Holsteiner mussten entweder nach Amerika auswandern oder sich in ein politisches System einfügen, das unübersehbar veraltet war.

In diesem Klima, das noch von den Schlachten bei Idstedt und Bau aufgeheizt war, setzte die Regierung auf einen weiteren Versuch der Sprachpolitik. Der Hintergrund

24 Claus Bjørn: 1848. Borgerkrig og revolution. København 1998. Siehe auch Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt a. M. 1985.

war ein ganz anderer als 1810. Als 1851 wieder regulierend in die Sprachpraxis im Herzogtum Schleswig eingegriffen werden sollte, hatte die Regierung bereits ausreichend Erfahrung mit der Sprengkraft der nationalen Idee gemacht.

Die nach dem Departement-Chef Regenburg benannten Sprachreskripte von 1851 waren das erste Beispiel einer national motivierten Sprachpolitik im deutsch-dänischen Grenzgebiet. Auch wenn spätere politische Aktionen wie die preußischen Restriktionen der so genannten Köller-Zeit um 1900 – benannt nach dem Beamten Köller, der die Politik durchsetzte - in ihren Bemühungen weiter gingen, war der Ansatz bereits 1851 zu erkennen. Jetzt ging es nicht mehr nur um eine Rationalisierung des Staates. Es sollte erstmals versucht werden, die Bewohner Schleswigs direkt zu erreichen, als Bürger und als Angehörige der dänischen Nation.

Der Gegner, die deutsch-nationale Bewegung, war ausreichend bekannt. Man hatte zwar sämtliche Nationalvereine nach dem Krieg verboten, aber die Frage war, wie lange man diese Bestrebungen in Schach halten konnte.

Man baute auf den 1810 eingeführten Begriff „Mittelschleswig“. Es wurde ein so genanntes „gemischtes Distrikt“ gegründet, das sich mit dem oben genannten Areal deckte. Das Departement Regenburg bemühte sich hier nicht nur um eine Vereinheitlichung der Sprachsituation, sondern versuchte, das gemischtsprachige Gebiet vollends zu danisieren. So sollte das Dänische fortan auch in den gemischten Gebieten die Verwaltungssprache sein. Offizielle kirchliche Handlungen wie die Konfirmation bekamen eine Frist bis 1864, ansonsten sollte auch die dänische Schulsprache so schnell wie möglich eingeführt werden.25

Nicht nur, was den Begriff Mittelschleswig betraf, griff man auf 1810 zurück.

Regenburg ließ auch nach dem alten Reskript von 1810 suchen – es war zeitweilig in den Staatsakten verschwunden - und ließ verkünden, dass

25 Ulrich Lange (Hrsg.): Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Neumünster 2003.

„in den zum Herzogthum gehörigen Districten, Aemtern und Inseln, wo dänisch gesprochen wird, die dänische Sprache nach und nach bei dem Gottesdienst und bei dem Schulunterricht (wie bei allen öffentlichen Angelegenheiten) allgemein eingeführt werden solle.“26

Regenburg ließ sich dabei nicht beirren. Obwohl erst kurze Zeit vorher, 1846 und wieder 1850, eine große Anzahl von mittelschleswigschen Pastoren zu den Sprachverhältnissen in ihren Gemeinden befragt worden war, flossen diese Erkenntnisse nicht in die neuen Bestimmungen mit ein. Diese Befragungen sind im Übrigen einzigartige Dokumente über die Sprachsituation in Schleswig Mitte des 19.

Jahrhunderts. Die Quellenkritik hat kritisiert, dass hier nicht die authentischen Stimmen der Dorfbewohner zu hören sind, doch näher kann man einer öffentlichen Meinung um 1850 wohl kaum kommen. Trotz dieser umfassenden Dokumente der Mehrsprachigkeit wurde von dem Departement eine Vereinheitlichung angestrebt.

„Regenburg scheint nicht erwogen zu haben, die Bevölkerung nach ihren Wünschen zu fragen (…)“.27 Dies war im Grunde auch nicht nötig nach Regenburgs Verständnis der Situation. „Er war Ideologe“, wie der schleswig-holsteinische Historiker Jochen Bracker bemerkt, und als solcher war Regenburg in erster Linie an der Durchführung seiner Politik interessiert. Er war getrieben von seiner starken nationalen Überzeugung und einem Wunsch, das gemischtsprachige Gebiet zu danisieren. Dies meinte er, durch eine von oben aufgedrängte Sprachpolitik erreichen zu können – ein Fehler, den die preußische Regierung 1867 wiederholte.

Die Erforschung der Sprachreskripte ist wohl weitestgehend abgeschlossen, die Quellen der Dorfbefragungen sind wieder und wieder verwertet worden. So baut Jochen Bracker in seinen Artikeln von 1972 und 1973 u.a. auf eine 1923 von Holger

26 Bracker 1972, S. 146.

27 Ebd., S. 147.

Hjelholt verfasste Schrift.28 Die Beurteilung Regenburgs als Ideologen greift auch der süderjütische Historiker Hans Schultz Hansen 2003 wieder auf. Die Regenburgischen Versuche einer sprachlichen Danisierung, so Schultz Hansen, brachen mit sämtlichen sprachlichen Traditionen des Herzogtums Schleswigs.29

Und nicht nur, dass die Sprachenpolitik die deutsch Gesinnten aufbrachte. Auch dänische Kreise wurden durch die restriktive Politik gegen die Regierung in Kopenhagen aufgebracht. Schultz Hansen bemerkt, dass „der Gesinnungszwang, der aus den Sprachreskripten sprach, (…) auch von einem Kreis dänischer Nordschleswiger kritisiert (wurde)“.30 In diesem Sinne ist die dänische Sprachpolitik um 1850 ein gutes Beispiel für eine Politik, die sich selbst durch ihre Restriktivität schadet. Sie trat eine Welle der Petitionen los, es wurden Tausende von Unterschriften gegen die sprachliche Vereinheitlichung nach Kopenhagen gesandt.

Dabei kam der Widerstand bei weitem nicht nur von deutschsprachigen Schleswigern. Auch viele dänischsprachige Bauern und Kleinstadtbewohner sahen die Ausbildung und die arbeitsmäßigen Chancen ihrer Kinder gefährdet. Der Handelsstand sah seine traditionell nach Süden gerichteten Verbindungen als bedroht an.31

Zusammenfassend lassen sich ein paar Bemerkungen zum Thema Sprachpolitik im deutsch-dänischen Grenzland machen. Erstens ist es erstaunlich, wie lange man mit einer uneinheitlichen Verwaltung und gleichzeitiger deutscher und dänischer Verwaltungs-, Schul- und Kirchensprache ausgekommen war. Erst mit der

28 Holger Hjelholt: Den danske sprogordning og det danske sprogstyre i Slesvig mellem krigene (1850-1864). København 1923. Der überwiegende Teil der geschichtlichen Studien über Schleswig, die direkt nach 1920 herauskamen, bezogen Stellung zur Schleswig-Frage. Holger Hjelholt befindet sich sicherlich noch am „neutralen Ende“ der Skala. Am anderen Ende gibt es unzählige politische Pamphlete, aber auch Schriften wie die „Dansk grænselære“ des Claus Eskildsen, die in

unzähligen Auflagen erschien und auch in den Schulen als Unterrichtsmaterial gebraucht wurde.

29 In: Lange 2003, S. 452.

30 Ebd.

31 Ein gutes Bild von der Situation in Apenrade gibt Gottlieb Japsen: Den nationale udvikling i Åbenrå 1800-1850. Apenrade 1961.

preußisch-österreichischen Verwaltung ab 1864 veränderten sich diese Verhältnisse endgültig.

Zweitens ist vielleicht auch deutlich geworden, wie beliebig im Grunde die Argumentation für und wider die Einführung einer bestimmten Sprache in der öffentlichen Verwaltung war. Obwohl einerseits auf das Wohl der Bevölkerung verwiesen wurde, gab es bei gegenteiliger Meinung ebendieser Bevölkerung kein Entgegenkommen.