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Trotzkys rote Parade

In document THE DET (Sider 175-196)

Ein deutscher Soldat, der im Weltkriege gefallen war, klopfte an das Tor des Himmelreiches, und Petrus öffnete.

— Wohin willst du?

— Ins Paradies.

— Was bist du?

— Soldat.

— So hast du andere Menschen getötet, in der Bibel aber steht: Du sollst nicht töten. W^ofür hast du übrigens getötet?

— Mit Gott für Kaiser und Vaterland!

— Schön, mein Sohn, du darfst dennoch herein.

Kurz darauf kam ein französischer Poilu. Gleiche Frage. Gleiche Antwort.

— Und wofür hast du denn gekämpft, mein Sohn?

— Pour la patrie!

— Gar nicht so übel. Komm nur herein.

Jetzt kommt ein englischer Tommy. Selbes Kreuz­

verhör.

— Und wofür hast du gekämpft?

— For three shillings and six pence . . .

— Geh zur Hölle!

Und endlich klopft ein russischer Bauernknecht in der Uniform des Zaren.

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-— Wofür hast du denn gekämpft, mein Sohn?

Ich weiß es gar nicht, Eure hohe Excellenz. Man kam eines schönen Tages und schickte mich fort.

Ein Jahr nach Ausbruch der russischen Revolution und ein halbes Jahr nach Schluß des Weltkrieges saß ich in dem schönsten Sommergarten Nordseelands im Schatten von Kastanienblättern und folgte mit den Augen großen weißen dreieckigen Jachtsegeln, die langsam über den blauen Atlasteppich des Öresund zogen. Eine junge Kranken­

schwester setzte sich neben mich und begann mir plötzlich das Märchen ihres Lebens zu erzählen:

Er war russischer Soldat, groß, blond, natürlich keck;

der Krieg hatte ihn seinem träumenden Müßiggang ent­

rissen und zu einem tapferen Offizier gemacht. Verwundet und als kranker Kriegsgefangener war er ins Horserödlager gekommen, wo sie ihn gepflegt hatte. Ein Liebesverhältnis war entstanden, aber an dem Tage, als er geheilt heimreisen sollte, hatten sie einander das Wort gegeben. Er hatte ein­

flußreiche Freunde in Dänemark, eine gute Stellung war ihm versprochen worden, und sobald er seine Verhältnisse in Kußland geordnet und sich von seinen Eltern verabschiedet hatte, wollte er wiederkommen, um sie zum Altar zu führen.

Er war nicht gekommen. Die Revolution hatte ihn ge­

nommen. Er hatte sofort ein Gewehr ergriffen, war von einer Front zur anderen geflogen, um den Kommunismus zu verteidigen, und nach einer Reihe flüchtiger Grüße war dann endlich dies gekommen . . . Sie reichte mir einen Brief von fünfzehn Seiten. Sie brach nicht in Tränen aus.

Sie stürzte nicht fort. Sie blieb sitzen, seufzte tief und begann dann von einem französischen Leutnant zu

sprechen, der mit seinem Torpedojäger in dem kleinen Hafen unten lag.

Aber den Brief durfte ich behalten. Ich habe ihn auf­

bewahrt als das interessanteste Revolutionsdokument, das mir je begegnet ist. Er schildert die Verwandlung einer Seele unter der Revohitionspsychose aus einem glücklichen Bräutigam in einen selbstvergessenden Heros. Einmal soll er veröffentlicht werden, von dem Meine liebe . . . bis Dein . . . Hier muß ich mich damit begnügen, einige Zeilen zu zitieren:

. . Aber jetzt habe ich mich selbst gefunden, ich weiß, wie ich weiterleben soll, und vieles, das ich an meinem früheren Leben nicht verstand, ist mir jetzt klar geworden, auch alles, was ich an dir nicht verstand.

. . . Wenn ich alles schreiben wollte, was ich in dieser Zeit durchlebt habe, und zu welchen Resultaten ich ge­

kommen bin — ich müßte ein dickes Buch über meine Weltanschauung mit Beweisen für ihre Richtigkeit schreiben.

. . . Schon vor drei Monaten habe ich geschrieben, daß ich das Gewehr ergriffen hätte, um zu verteidigen — wen?

— das Vaterland? . . . Nein und wieder nein, auch nicht mein Heim, nicht Rußland, nicht mein eigenes Leben und nicht das russische Volk. Ich wollte die junge, die in der ganzen Welt einzige sozialistische Republik verteidigen, den Herd nicht der russischen, sondern der großen allgemeinen Revolution. Mein Vaterland — ist die ganze Welt, mein Volk — sind alle unterdrückten, alle tätigen Arbeiter — das Proletariat. Und von diesem Standpunkt aus ist Ruß­

land mir teuer als ein Land, wo das Proletariat die Macht in Händen hat und jetzt verblutet im Kampf für seine Frei­

heit, seine Unabhängigkeit, sein Recht, als Menschen und nicht als Sklaven zu leben.

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. . . Ubermorgen reise ich nach Moskau zurück, und Gott weiß, wann ich meine Eltern wiedersehe. Du wirst verstehen können, daß ich mir nicht viel Ruhe gönne, und daß die Sorge um mein eigenes Ich fast keine Rolle in meinem neuen Leben spielt. Und doch bin ich glücklich wie nie zuvor. In diesem Selbstvergessen, ganz losgelöst von persönlichen Interessen, und in der Arbeit für das allgemeine Wohl habe ich einen so tiefen Lebensinhalt gefunden, daß keine Liebe, nicht einmal himmlische Kräfte mich von meinem Wege entfernen könnten. Kein irdischer Schatz kann mir dies innerliche Gefühl von Freiheit und Un­

abhängigkeit ersetzen. Ich will immer und bis zu meinem Tode in dieser Richtung arbeiten "

Ist das nicht wieder der alte Kosakenhäuptling aus dem russischen Volksliede Stenka Rjasin, der — als seine Krieger ihm vorwarfen, daß er ihre gemeinsamen großen Ideale in den Armen seiner Geliebten vergäße — diese er­

griff und über Bord warf, so daß sie in der Wolga ertrank?

Der russische Soldat, der in den Weltkrieg ging, wußte nicht, wofür er sich schlug. Als er aber hinterher in den Revolutionskrieg zog, da wußte er es. Lenin und I rotzky siegten über Kerenski, weil dieser das Heer ver­

anlassen wollte, den nationalen Krieg zusammen mit der Entente gegen Deutschland fortzusetzen. Lenin sah (und darin lag sein Genie), daß die russischen Soldaten nicht mehr kämpfen k o n n t e n , und sein einziges Programm war: Frieden. Trotzky sagte in Brest-Litowsk: „Wir können nicht auf die Bedingungen der Deutschen eingehen, aber wir können auch keinen Krieg führen, und darum verlassen wir ganz ruhig die Front und gehen heim."

Monate später war dieser Trotzky Anführer derselben tod­

müden Soldaten; er sammelte 5^2 Millionen Mann unter

der roten Fahne; singend und schlecht bewaffnet gingen sie dem Feinde entgegen, um in Begeisterung ihr Leben für einen neuen Krieg, den Krieg der Revolution, zu opfern. Er wurde gleichzeitig auf vierzehn verschiedenen Fronten angegriffen und siegte auf allen. Denn jetzt wußte der russische Soldat, wofür er kämpfte. Das ist das Geheimnis der roten Armee.

Trotzky sollte auf dem Roten Platz in Moskau Parade über das Heer abhalten, und ich reiste sieben Tage und Nächte hindurch, um rechtzeitig hinzukommen. Als ich endlich am letzten Abend Moskau erreichte, waren alle Karten vergriffen. Das Ministerium des Äußeren hatte keine. Das Moskauer Sowjet hatte keine. Lenins Stell­

vertreter Kamenjew nicht. Radek nicht. Die kommu­

nistische Internationale auch nicht. Der Iswostschik fuhr mich in ganz Moskau herum, und erst, als wir bis zum Höchstkommandierenden der Roten Armee vorgedrungen waren, erhielt ich einen Platz auf der internationalen Tribüne. Nach Verlauf von sieben Tagen konnte ich ruhig zu Bett gehen und mit der Eintrittskarte unter dem Kopf­

kissen schlafen.

Am nächsten Morgen prasselte der Regen mit entsetz­

lichem Spektakel herab. Die Straßen, durch die ich fuhr, waren leer, die Vorstädte schienen ausgestorben, alles war schon zum Kreml gewandert. Als wir uns dem Zentrum näherten, wurde die Luft von taktfestem Marsch, Kommandorufen, den Klängen der Messinghörner erfüllt.

Schulkinder kamen in weißem Sommerzeug anmarschiert.

Arbeiter in schwarzem Sonntagsstaat. Sportsleute in selbstgestrickten Wollhemden. Fabrikmädchen mit roten revolutionären Kopftüchern. Alle hatten sie eine Fahne, alle traten im Takt, alle hatten ein Musikkorps, das die

K i r k e b y , R u s s i s c h e s T a g e b u c h . 1 1

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Internationale spielte. Der ganze innere Stadtteil war von Postenketten abgesperrt, jede Waffengattung schien ihren Kreis um den Kreml gezogen zu haben, zu äußerst galoppierten Kosaken. Eine halbe Million Menschen (oder eine ganze) sollten jeder seine Rolle in dem großen Schauspiel spielen, jedem wurde hier sein Platz angewiesen.

Ich spaziere an der Kremlmauer vorbei, die lange Reihe revolutionärer Gräber entlang, und finde meine Bank auf der Tribüne gerade neben dem Rednerpult, das aus roten Mauersteinen wie ein riesenhafter Sockel für irgend­

ein grandioses Monument erbaut ist. Hinter mir erheben sich die sonnengebleichten, hellroten Festungsmauern des Kremls. Hoch auf den Turmzinnen wachsen in den Spalten des zerfallenen Gemäuers alte Bäume, die nun wie grüne Wimpel zwischen den krapproten Flaggengirlanden wehen, ausgespannt zwischen den goldenen Kuppeln. Die Mauern des Kremls sind mit gewaltigen Gemälden bedeckt, die nicht größer als Briefmarken wirken: Arbeiter und Bauern reichen sich die Hände, ein Neger, ein Chinese, ein Australier, ein Europäer sammeln sich unter einer roten Fahne, die Gestalt Lenins zeichnet sich von einer auf­

gehenden Sonne ab. . . . Zwischen den Schießscharten in Höhe des sechsten Stocks ist ein Netz von roten elektrischen Glühbirnen gesponnen, und rings auf Türmen, Dächern,.

Mauerkanten hängen Zuschauer wie schwere Klumpen von Fledermäusen.

Vor mir liegt die Fläche des Marktplatzes wie eine un­

geheure Gemeindeweide, und hier ist in grauen Reihen, so weit das Auge reicht, das Revolutionsheer aufgestellt. Es ist ganz umrahmt von einer wogenden Menschenmasse, die lebt, strömt und flimmert. Die Gebäude rings sind in rote

Draperien mit revolutionären Sprüchen und Grüßen und einem „Lange lebe Trotzky" gekleidet.

Als die Zeiger der Spaskija-Turmuhr sich der Zehn nähern, wird es still auf dem Platze. Man weiß, daß Trotzky der Sekundenzeiger Rußlands ist. Und in demselben Augenblick, da die Uhr zum Schlage ausholt, berichten gellende Hornsignale, daß der Volkskommissar für Heer und Flotte seinen Einzug auf dem Marktplatz gehalten hat.

In grauem Uniformrock und mit schwarzem Stoffhelm schreitet Trotzky, von seinem Stab umgeben, schnell vor­

wärts. Die Soldaten haben sich im Karree aufgestellt.

Jetzt eilt er über den ganzen Platz, Kompanie auf Kom­

panie begrüßend. Sein Vorwärtskommen sieht man an den hochgeschwungenen Mützen, aber die Entfernung ist zu groß, als daß man das Hurrageschrei hören könnte, und man sieht wohl die Bewegungen der Spielleute, aber die Töne gelangen nicht herüber.

Dann taucht Trotzky wie ein kleines lebendiges Monu­

ment auf dem Sockel des Rednerpultes auf. Die Uniform sieht aus, als wäre sie aus einer grauen Bettdecke genäht.

Mitten auf der Brust strahlt eine riesige hochrote Seiden­

schleife, die schlecht zu den rotvioletten Bruststreifen steht.

Sonst trägt er keine Orden, sondern nur, wie alle Soldaten des Heeres, den roten Sowjetstern auf den Bezug der Pickelhaube genäht. In Photographie und Film verleiht ihm der Spitzbart ein mephistophelisches Aussehen; ich habe, um die Wahrheit zu sagen, immer den Eindruck ge­

habt, daß er dem Teufel selber glich, aber jetzt, da er keine zehn Schritt von mir entfernt steht, ist der Eindruck ein ganz anderer. Es strahlt nicht nur Humor, sondern auch viel menschliches Wohlwollen aus den schwarzen Augen hinter dem scharfgeschliffenen Kneifer. So kann ein

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tüchtiger Advokat aussehen, aber auch ein beliebter Ober­

lehrer, Gegenstand sterblicher Verliebtheit für seine Schülerinnen. „Gott, was für herrliches schwarzes, wel­

liges Haar er hat!": Ich sehe es, als er den Helm lüftet und die Schweißperlen auf der wachsweißen Intelligenzstirn trocknet.

Er stellt sich ohne Pose hinter die niedrige Brustwehr des Rednerpultes und beginnt. Die Stimme ist die kräf­

tigste Rußlands, eine „magna vox" schwersten Kalibers, scharf und mit Stahlklang, aber spirituell moduliert und ohne das gewöhnliche atemlose Offiziers - Stakkato, das kernig klingen soll:

„Kameraden des Roten Heeres! Kommandanten!

Kommissare! Und ihr, Arbeiter und Arbeiterinnen des roten Moskau!" Keine Muskel regt sich in seinem bleichen Antlitz. Keine Armbewegung unterstreicht seine Worte.

Er steht stramm vor der Front. Aber die Augen schleudern Blitze. Das Echo von den Mauerflächen gibt vier Silben auf einmal wieder, man fühlt, daß er über den ganzen Platz zu hören ist, daß seine Worte jeden einzelnen gerade in die Brust treffen, ja, als ich mich auf der Tribüne umsehe und Beduinen, Chinesen, Tartaren, Kaukasier, Juden, Armenier entdecke, habe ich den Eindruck, daß seine Worte in fünf Weltteilen gehört werden: in Wirklichkeit spricht er nicht zu seinen 40 000 Soldaten, sondern zu Deutschland, Eng­

land, Frankreich, der Türkei: zur Welt.

„Es gibt unter uns welche, die die Auffassung hegen, daß jede Machtaufwendung von Übel sei, und daß sich die Kommunisten nicht mit der „Verherrlichung" von Waffen­

macht oder der Roten Armee befassen sollten. Das ist eine Philosophie für Quäker oder alte Jungfern von der Heils­

armee. Eine solche Propaganda innerhalb der kommu­

nistischen Partei zuzulassen wäre dasselbe, als wolle man Tolstojsche Lehrer unter den Truppen einer belagerten Festung dulden. Wer sein Ziel erreichen will, darf keine Mittel scheuen. Das Mittel, die arbeitende Klasse zu be­

freien, ist die revolutionäre Macht."

Trotzky nimmt nun eine kritische Untersuchung der Politik aller Großmächte Rußland gegenüber vor. Am bösesten ist er auf England, und ich habe das Gefühl, als ob er eine schwache Wendung nach der Tribüne der Diplo­

maten mache, um Mr. Hodgson gerade ins Gesicht zu treffen. Der englische Sekretär verliert einen Augenblick das Monokel.

„Wir haben sie alle zu friedlicher Abrüstung ein­

geladen, aber ihre Antwort war Nein! Einem Feinde gegenüber, der von Kopf bis zu Füßen bewaffnet ist, können und wollen auch w i r nicht abrüsten. Im Gegenteil: Wir wollen uns so lange in der Kriegskunst üben, wie die ge­

panzerte Faust des Kapitals Unabhängigkeit und Freiheit der vereinigten sozialistischen Staaten bedroht. Wrir wünschen Frieden, Arbeit und Brüderlichkeit unter allen Völkern. In dem Augenblick, wo auch die anderen es wünschen, reichen wir dem Brudervolk die Bruderhand.

Aber solange unsere ausgestreckte Hand noch in der Luft schwebt oder abgewiesen wird, solange wollen wir mit dieser Hand die Wehr der Sowjetrepublik festhalten.

Kameraden des Roten Heeres! Kommandanten und Kommissare! Vor den Augen der hier versammelten Ar­

beiter und Arbeiterinnen fordere ich euch auf, der Arbeiter­

klasse und Arbeitermasse aller Länder den roten Eid ab­

zulegen, indem ihr meine Worte nachsprecht. Genosse

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Kommandant der Parade! Lassen Sie das Heer zum roten Eid auffordern. . .

Ein kurzes Kommando gellt, läuft wie ein Echo von Regiment zu Regiment. Hornsignale schallen, ferne Töne antworten. Die Kosaken ziehen ihre krummen Türkensäbel, die wie lange Messer in der Luft blitzen, das Fußvolk steckt die Bajonette auf und fällt das Gewehr. Dann wird es toten­

still. Keiner hat darauf geachtet, daß der Regen längst auf­

gehört hat und die Sonne vom blauen Himmel herabscheint und in 40 000 blanken Stahlschneiden Widerschein findet.

Hoch oben zwischen weißen Federwolken gleiten Aeroplane in Kiellinie wie ziehende Wildgänse. Am unteren Ende des Platzes strahlt die Sankt-Basilius-Kathedrale mit ihren elf bemalten und vergoldeten Kuppeln, und eine von ihnen scheint sich plötzlich loszureißen und himmelwärts zu fliegen — es ist ein blanker, gefirnißter neuer Drachen­

ballon, der einem losgerissenen, vierhundert Jahre alten Stück byzantinischer Architektur gleicht. Die 40 000 Mann stehen wie aus Metall gegossen. Trotzky ruft den Eid Satz für Satz, und 40 000 Stimmen sprechen ihn im Chore nach, Silbe für Silbe, wie mit einer einzigen gemeinsamen Riesen­

stimme:

„Ich, Sohn des arbeitenden Volkes und Bürger der Sowjetrepublik, nehme den Namen eines Soldaten im Heer der Arbeiter und Bauern an.

Ich verspreche den Arbeitern Rußlands und der ganzen Welt, gewissenhaft das Kriegshandwerk zu erlernen und das Eigentum des Volkes wie mein eigen Fleisch und Blut zu

\*erteidigen.

Ich verspreche, daß ich nie einen Schritt unternehmen werde, der eines Bürgers der Sowjetrepublik unwürdig ist,

und daß ich alle meine Gedanken auf das große Ziel richten will: alle Arbeitenden zu befreien.

Ich verspreche, bereit zu sein, auf das erste Gebot der Arbeiter- und Bauernregierung die Sowjetrepublik gegen alle Gefahren und Angriffe von Seiten aller ihrer Feinde zu verteidigen und weder meine Kräfte noch mein Leben zu schonen im Kampfe für die russische Sowjetrepublik, für die Sache des Sozialismus und für die Brüderschaft unter allen Nationen.

Wenn ich mich gegen dieses mein heiliges Versprechen versündige, so will ich von allgemeiner Verachtung und den härtesten Strafen des revolutionären Gesetzes getroffen werden . .

Trotzkys Stahl durchschneidet die Luft wie blanker Axthieb. Die Antwort des Heeres rollt wie Kanonendonner über den Roten Platz.

Als der Eid abgelegt ist, gratuliert Trotzky den Soldaten (wie wenn Christen sich nach dem Abendmahl Glück und S e g e n w ü n s c h e n ) u n d s c h l i e ß t d a m i t , d a ß e r e i n H o c h f ü r S.S.S.R. — Sojus Sowjetskich Socialisttitchekich Respublik

— die vereinigten Sozialistischen Staaten der Welt — aus­

bringt. Aber vervielfacht klingen die Hurrarufe, die das Heer nachher immer wieder für ihn selber ausbringt, und immer wieder muß er vortreten und mit der Hand an dem roten Helmstern danken . . .

Jetzt ziehen alle Musikkorps der Parade vor das Redner­

pult; ich zähle 1200 Mann in drei oder vier Orchestern, die abwechselnd die Marseillaise, die Internationale, und alle diese Sturmmärsche und Revolutionsfanfaren des Wr elt-repertoires spielen. Es wirkt wie Branntwein mit Pulver.

Trotzky hat sich, von seinem Stab umgeben, an den Fuß des

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Rednerpultes gestellt und salutiert starr wie ein Zinnsoldat die vorbeidefilierenden Reihen, indem er ihnen zwei Stunden lang einen persönlichen, immer variierten Gruß zuruft. Sein Schlund ist wie ein bronzener Mörser, der jede Minute eine andere Hurrabombe abfeuert.

Hier kommen sie in glänzender moderner Ausrüstung, mit Giftgasballons, Gasmasken, Fahrrädern, Panzerauto­

mobilen. Und alle, alle mit geballten Fäusten und Begeiste­

rung in den Augen.

Als die letzte Uniform vorbei ist, kommt die Reihe an die Zivilparade. Den ganzen Nachmittag schiebt sich eine halbe Million Menschen zu Fuß, zu Pferde, zu Wagen, in Autos, mit Musik, mit Fahnen, unter Gesang über den Roten Platz. Alles ist Chaos, alles strömt, alles singt. Tableaus.

Aufzüge. Sport. Schauspiel. Lichtbilder. Orchester. Hier kommen Wagen mit Sansculotten von 1793 und Kommu­

narden von 1871. Hier eine Reihe von Käfigen aus dem Zoologischen Garten, in denen ein Mussolini, ein Poincaré, ein Ebert, ein Vandervelde eingesperrt sind . . . Berittene Kosaken stecken rohes Fleisch zwischen die Gitterstäbe und kitzeln mit ihren Lanzen die heulenden Kapitalisten unter höhnischen Zurufen.

Dann fällt die Dunkelheit ein. Die roten Girlanden hängen wie leuchtende Paternosterschnüre zwischen den Kreuzen des Kremls. Lenin erscheint im Transparent. Ben­

galische Lichter werden in den alten Türmen angezündet.

Wo früher das Öl der heiligen Lampe auf der Spaskija blakte, strahlt jetzt ein blendender elektrischer Stern. Und über der höchsten Kuppel, hoch gegen den schwarzen Nacht­

himmel trifft ein Scheinwerfer die rote Flagge, die ihre Falten wie ein ständiger Strom rinnenden Blutes im Winde bewegt.

N A M E N - V E R Z E I C H N I S

Mac Monos ioi.

I N H A L T :

Seite

Einführung V

Towaritsch i

Moskauer Tagebuch 12

Russische Jugend 25

Besuch in einer russischen Fabrik 38

Der Muschik ' 45

Der neue russische Bauer 52

Interview mit Lunatscharski 64

Russische Kinder 75

Die russische Kirche 87

Besboschnik, der Gottlose 94

Russisches Theater 107

Drei Abende in Meyerholds Revolutionstheater . . . 117

Unterredung mit Radek 130

Samara 143

Trotzkys rote Parade 157

Namen-Verzeichnis 169

Inhalt 171

— 171

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