• Ingen resultater fundet

Russische Jugend

In document THE DET (Sider 43-56)

Heute vormittag machte ich einen Spaziergang nach dem Kreml und guckte unterwegs in das historische Museum, das an den Roten Platz stößt. Aber ich vergaß die Schaukästen über den Besuchern. Alle fünf Minuten stellte sich eine neue Schar Knaben und Mädchen im Vestibule auf; es waren Klassen aus allen Schulen der Stadt, die hier eine Unterrichtsstunde in lebendiger Geschichte haben sollten. Und alle fünf Minuten stand eine neue liebens­

würdige Führerin bereit, um sie willkommen zu heißen, die Kleinsten bei der Hand zu nehmen und mit der ganzen Ge­

sellschaft ins Altertum zu marschieren. Die Vitrinen wurden aufgeschlossen, die seltensten Dinge herausgeholt und erklärt, die alten russischen Gräber öffneten sich, die Vorväter jagten aufs neue über die Steppe, und blendende Kirchenfenster ließen den Kreml leuchten — die ganze Geschichte Rußlands sah ich sich neu und lebendig in schimmernden Kinderaugen spiegeln.

Ich fragte einen Aufseher, wie diese Besuche organi­

siert wären. An gewissen Tagen war der Zutritt frei, an anderen bezahlte jedes Kind 3 Pfennige, die Schulen mußten sich nur vorher anmelden. Dasselbe galt für Fach­

vereinigungen. Die nächsten drei Wochen waren schon überzeichnet.

Ahnlich war es Sonntag in der Tretyakow-Galerie, wo alle die wunderbaren modernen Gemälde hängen:

Werescht-— 25 —

schagin, Ryepin, Perow. . . . In diesen Salons, wo früher ein oder der andere Tourist mit einem roten Baedeker auf dem Parkett umherschlich, herrschte jetzt Gedränge. Ar-heiter, Soldaten, Schulkinder, alte Frauen versammelten sich in dicken Klumpen vor diesen ergreifenden Szenen aus Rußlands blutiger Geschichte, in der die Maler die ewige Revolution wahrer Kunst gepredigt haben. Überall stand ein begeisterter Kunstkritiker mit flatterndem Schlips oder eine kleine Lehrerin in hochgeschlossenem baum­

wollenem Kleide bereit, erklärte und zog die Scharen von .Saal zu Saal hinter sich her. Zuletzt war es, als bekämen die Wände Leben: Peter der Große und Leo Tolstoj traten aus ihren Rahmen und offenbarten ihr tiefstes Geheimnis diesen Kleinen, deren Horizont früher eine Hofmauer oder eine Fabrikwand gewesen war, die aber jetzt plötzlich mit geblendetem Blick in eine ganz neue, ungeahnte Welt von Schönheit und Farben, von Leben und Dichtung hinein­

starrten. Das Entscheidende ist nicht, daß man den Aus­

geschlossenen die Pforten geöffnet hat, sondern daß man sie liebevoll an der Hand nimmt und sein Wissen mit ihnen teilt. Vor Ryepins Gemälde von Iwan dem Schreck­

lichen, der seinen ermordeten Sohn in die blutigen Arme schließt, kam ich in eine Schar von Bauernsoldaten, denen das Bild von einem zwanzigjährigen blonden Mädchen mit blanken, blauen Augen und warmer Stimme erklärt wurde.

Ich fühlte ihren Drang zu helfen, ich spürte den Eifer der anderen, zu verstehen, es war ein Spiel von Menschenliebe, das eine Feuersäule in meiner Brust emporschießen ließ und mich tiefer ergriff als die ergreifendsten Kunstwerke der Galerie.

Immer wieder stellt man diesem Wunderbaren gegen­

über : Wie die Großen und Starken sich über die Schwachen

und Kleinen beugen. So hatte ich neulich stundenlang eine umfassende Staatsinstitution durchwandert und ihre Biblio­

thek, das Museum, die Lesehalle, die Vortragssäle studiert.

. . . Es war gerade Schließzeit, und das Gebäude hatte sich allmählich geleert, als ich in einem Auditorium 12 bis 15 alte Frauen mit weißen Tüchern um den Kopf entdeckte, die um einen langen Tisch herumsaßen. Eimer und Besen standen in den Ecken und verrieten, daß es eine Versamm­

lung von Scheuerfrauen war. Ich ging näher und sah jetzt drei junge Damen, die sich bald über die eine, bald über die andere beugten, und wie die Alten versuchten, Pappstücke mit Buchstaben zu Wörtern zusammenzulegen oder, mit schiefem Kopf und die Zungenspitze vor An­

strengung in einen Mundwinkel geklemmt, nach Vor­

schrift in ein Heft zu schreiben. Es war ein Kindergarten für Waschfrauen.

— Ja, sagte der Direktor, der mich begleitete,, die Reinmachefrauen erhalten täglich, ehe sie zu scheuern be­

ginnen, eine Stunde Unterricht. Vor einem Jahr konnte keine von ihnen lesen oder schreiben. Jetzt können sie alle rschon buchstabieren.

Die Männer der russischen Revolution arbeiten nicht für sich, sondern für die Zukunft. Die Leute, die die Revo­

lution gemacht haben, siegten, weil sie ihr Leben einsetzten und es jeden Tag aufs neue einsetzen. Manche von ihnen gingen auf die Straßen, um zu zerschlagen, zu erschießen und selbst erschossen zu werden. Andere gingen in die Kommissariate, um sich langsam zu Tode zu arbeiten, um die neue Welt aufzubauen und selbst unter den An­

strengungen zusammenzubrechen.

- 27

Alle großen Hotels, \ ereins- und Klubhäuser sind zu Regierungsbureaus umgebildet, in denen es von unzähligen Kontoristen, Stenographen, Ordonnanzen, Sekretären und Damen mit dampfenden Teebrettern wie von Bienen in einem Stock wimmelt. Jede zweite Tür wird von einer Schildwache mit aufgestecktem Bajonett bewacht, und man muß reichlich mit Papieren versehen sein, um durchzu­

kommen. Jeder Raum ist vollgestopft mit Schreibtischen»

überall fließt es über von Papieren, und mitten im Ge­

klapper der Schreibmaschinen und Gerassel der Rechen­

bretter (ein Russe kann nicht zwei und zwei zusammen­

legen, ohne mit seinem „Stschoti" zu lärmen, demselben Modell, das in Fröbelschen Kindergärten beim Unterricht im kleinen Einmaleins gebraucht wird), mitten in diesem Lärm sitzt das Personal, trinkt Tee, raucht Zigaretten und versucht, die neuen Ideen in Zirkularen und Dekreten zu formen. Die Revolution hat vom alten System einen entsetzlichen bureaukratismus geerbt. Wenn man nur von einem Kommissariat zum anderen soll, wird man mit Papieren versehen, die ein paar Unterschriften, zwei, drei Stempel und verschiedene Laufnummern tragen. Aber die Revolution hatte das Glück, daß die Führer jetzt selbst die Gefahr entdeckt haben und sie bekämpfen. Auf dem russi­

schen kommunistischen Kongreß stand Stalin auf und er­

zählte, daß er im Prom-Bureau in Petrograd (der Zentrale der Großindustrie) bisher mit 2000 Mann gearbeitet hätte.

„Jetzt habe ich alle bis auf etwa 170 verabschiedet, und mit denen arbeite ich besser als früher!"

Glückt es dann endlich, die Tür des Volkskommissars selbst zu erreichen, so steht sein Privatsekretär dort im Gespräch mit Audienzsuchenden, die vielleicht tagelang ge­

reist sind und wochenlang antichambriert haben und nun

ganz einfach mit den Ellbogen weggepufft werden. Als H. G. Wells schon zu einer Zeit, da ausländische Gäste noch eine Seltenheit waren, auf spezielle Einladung von Kame-new und durch seinen Freund Gorki bei Lenin ein­

geführt, Rußland besuchte, verstrichen 18 Stunden, ehe er hereingelassen wurde, und als er 24 Stunden vergebens auf Lunatscharski gewartet hatte, reiste er wieder nach Eng­

land zurück.

Drinnen sitzt der Volkskommissar, von Telephonen, Telegrammen, Sekretären, Schreibmaschinendamen, Über­

setzern, Kurieren umgeben und bereitet neue Gesetze und Dekrete, neue politische Reden oder Zeitungsartikel vor, unterschreibt Leben und Tod. Hier arbeiten sich diese Männer ab bis spät in die Nacht; Tschitscherins Lampe im Ministerium des Äußern erlischt in der Regel nicht vor vier Uhr morgens. Wenn die Wanzen oder das Pfeifen der Mäuse mich nachts wachhält, kann ich durch meine Fenster das gefürchtete Gebäude der G.P.U., wo Djer-schinski, der Robespierre der Revolution, residiert, strahlend erleuchtet daliegen sehen, bis die Sonne die Illumination verlöscht. Diese Männer gebrauchen nicht die Revolution, die Revolution gebraucht sie. Sie hat sie in ihre starken Eisenfäuste genommen und preßt ihnen langsam die Seele aus. Lenin ist schon fertig, ein Sterbender, andere sind nur noch verbrauchte Nervenbündel. Sie gebieten über alle Herrlichkeiten der Welt, über Paläste, Belustigungen, Kunstschätze, aber sie werden sie nie genießen, sie schenken alles dem folgenden Geschlecht.

Soweit man sehen kann, steht die jetzige Sowjet­

herrschaft sicherer da als je. Innerhalb der Grenzen Ruß­

lands wird kein verantwortlicher Politiker sie vorläufig durch andere Methoden oder andere Männer zu ersetzen

29 —

versuchen. Und die Emigranten haben ihre Rechte durch die Flucht verspielt. Die Entwicklung ihres Vaterlandes ist an ihnen vorbeigegangen, und wenn sie heimkehren, können sie sich einfach nicht mehr mit ihren Landsleuten verständigen, sie sprechen zwei verschiedene Sprachen.

Aber ewig wird die jetzige Herrschaft ja auch nicht währen. Wenn es auch noch lange dauert: einmal wird die Entwickelung andere Kräfte in den Sattel setzen.

1 rotzki hat gesagt: „An dem Tage, da wir genötigt werden, zu gehen, werden wir die Tür hinter uns mit einem Krach zuschlagen, der in der Weltgeschichte widertönen wird."

Aber eines ist sicher: Diese Männer werden die Welt anders hinterlassen, als sie sie vorfanden. Ihre Ideen werden bleiben. Ihre ganze Arbeit ist letzten Endes darauf aus-gegangen, die neuen Gedanken zu säen, und an dem Tage, da sie abtreten, wird das Feld grün dastehen.

Es ist die Aufklärungsarbeit, die im Rußland der Revolution den stärksten Respekt abzwingt. Vor 5 bis 6 Jahren standen die Kommunisten eines Tages plötzlich da und sollten 150 Millionen über zwei Weltteile verstreute Menschen erziehen, von denen gegen 90 Prozent noch im Mittelalter lebten und weder lesen noch schreiben konnten.

Wie sollten die sie hören? Wie sollten sie aufgerufen werden? Man wählte die Bildersprache. Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler schufen Plakate, die zu Mil­

lionen in die fernsten Gegenden Rußlands gefahren und in den Dörfern angeschlagen wurden und dort so gut wie nur irgendein Agitator redeten. Man mußte die Bauern lehren, den Boden nach modernen Methoden zu bebauen, mit den Städten zusammenzuarbeiten, in neue Kriege zu gehen, um die Rechte der Revolution zu verteidigen. So wurde eine lange Rede in ein kurzes Bild umgesetzt, die

Statistik zu einem illustrierten Märchen belebt. Selbst die Züge, die nach der Krim, nach Archangelsk, durch Sibirien fuhren, wurden mit Figuren übermalt, deren Sprache jeder verstehen konnte. Der Anschauungsunterricht wurde auf geniale Weise in einem Umfang wie nie zuvor in den Dienst der Aufklärung gestellt, man entdeckte die Bedeutung des Bildes, die schon Napoleon erkannt hatte („Ich lerne mehr aus der kleinsten Skizze als aus dem längsten Bericht"), und diese Unterrichtsmethode: alles durch Linien und Farben statt durch Buchstaben und Zahlen zu erklären, teilte sich auch der Kindererziehung mit, bei der man nun dazu übergegangen ist, durch das Auge zu lehren.

Aber in aller Aufklärungsarbeit der Erwachsenen, in allem Unterricht der Kinder liegt ein kommunistischer Keim verborgen. Ab und zu müssen Lehrer und Lehre­

rinnen eine Art Examen bestehen, damit die Schuldirektion kontrollieren kann, ob sie im rechten Geist unterrichten.

Und in allen Schulen, Lehranstalten, Universitäten, Fabriken soll eine jungkommunistische Zelle eingerichtet sein, ein vorgeschobenes Fort für junge Parteigenossen, von dem sie Ausguck halten und Ausfälle machen können. Am Abend vor dem ersten Mai nahm ich in einer Moskauer Muster­

schule teil an einer revolutionären Abendunterhaltung mit internationaler Deklamation und Gesang, wobei die Schüler auftraten, während sich die Lehrer, die besonders ein­

geladen waren, in den Winkeln verbargen. Ein vierzehn­

jähriger Knabe leitete die Versammlung mit einer großen Glocke und schloß mit einem Hoch auf die Schulabteilung der Jugend - Internationale, die das Fest arrangiert hatte.

So systematisch gingen die jugendlichen Arrangeure zu

31

-Werke, daß die gewöhnliche Lieblingsmelodie der Kinder.

„Das Lied der alten Moskauer Kaufleute", aus dem Pro-gramm ausgeschaltet wurde, weil der Abend im Zeichen der Internationale stehen sollte, und ebenso waren bei dem folgenden Ball die geliebten Nationaltänze verboten. Als Arthur Ransome Rußland 1919 zu dem fürchterlichsten Zeitpunkt besuchte, als alle hungerten und froren und man Keinen L n t e r r i c h t e r t e i l e n konnte, weil d i e K i n d e r e r f r o r e n wären, wenn sie nur eine Stunde lang stillgesessen hätten, lockte man sie doch täglich durch eine warme Mahlzeit in die Schule, und ein alter Lastträger, der zwei Söhne hatte, erklärte das so: ,,Ja, täglich gehen die Jungen in die Schule, singen zweimal die ganze Marseillaise, bekommen dafür ihr Mittagessen und gehen dann wieder nach Hause."

In Moskau hat man sogar drei Universitäten errichtet, oie nur Kommunismus dozieren, und deren einziges Ziel ist, kommunistische Agitatoren heranzubilden. Die größte ist für die russische Jugend und nach Swerdlow benannt.

Sie ist in dem reichen Marmorpalast des früheren Kauf­

mannsklubs eingerichtet, dessen Spielsäle mit Spielkarten in den Deckengemälden und den Mustern der Kronleuchter zu Leseraum und Bibliothek umgebildet sind. Hierher schicken die Arbeiterorganisationen oder Fachvereinigungen von ganz Rußland ihre vielversprechende Jugend, damit sie in dreijährigem Kursus zu kommunistischen Missionaren erzogen werden können. In den ersten fünf Jahren hat man ungefähr 10 000 ausgebildet.

Der Rektor führte mich eines Tages durch die Säle; im größten bereiteten die Schüler eine Ausstellung vor, die in Statistik und graphischen Kurven von der täglichen Arbeit und ihren Ergebnissen erzählte. Z. B.: In den Lesesaal kommen täglich soundsoviele verschiedene Blätter, so viele

von dieser Art werden gelesen, so viele von jener, so viele Besucher kommen, so viele Lesestunden werden es in diesem Saal usw. Die Schüler haben selbst ein Theater ein­

gerichtet und im Laufe des Jahres sechs Vorstellungen so­

wie 29 Konzerte gegeben. Sie haben ihren eigenen Verlag gegründet und eine kleine Holzschnittdruckerei eröffnet, wo man sowohl geographische Karten wie futuristische Porträts von Trotzki anfertigt.

Die beiden anderen Universitäten erziehen Agitatoren für den Westen und den Osten.

Die Universität des Westens soll Westeuropa umfassen, hat aber vorläufig nur Schüler aus den Randstaaten, die Rußland — nicht durch Krieg, sondern durch Kommunis­

mus — zurückzuerhalten hofft.

Die Universität des Ostens ist vielleicht das bunteste Haus in Moskau. Hier versammelt sich die Jugend aus allen Ländern des Ostens, im ganzen 52 verschiedene Natio­

nalitäten, teils die Rassen, die schon der Sowjetrepublik angehören: Baskiren, Kirgisen, Tartaren, Turkestaner, Ad-serbejaner, teils die anderer Länder: Türkei, Persien, Indien, China, Korea, Japan und Ägypten. Augenblicklich sind es 900 Schüler, und ein Besuch in den Lesesälen ist wie der Besuch eines ethnographischen Museums. Eine neunzehn­

jährige I artarenschönheit mit Indianerprofil und ebenholz­

schwarzen Flechten studiert die Geschichte der Oktober­

revolution, während im Kreis um sie gelbe Zwerge mit kugel­

runden Melonenköpfen und Zwetschensteinaugen Kowalen-kos „Politische Grammatik" ins Chinesische übersetzen.

Ich sah einige Examensarbeiten und notierte folgende Aufgaben: Verschiedene Flugzeugtypen, Schema über die Arbeitsteilung der Bevölkerung in Turkestan, artesische Brunnenbohrung, bildmäßige Darstellung der Entwickelung

K i r k e b y , R u s s i s c h e s T a g e b u c h . 3

— 33 —

des Fötus, türkische kommunistische Strömungen in der muselmanischen Kultur. . . .

Eine Schwierigkeit liegt darin, das Unterrichtsmaterial in den vielen verschiedenen Sprachen zu erhalten. Die Schüler müssen denn auch selbst in ihrer freien Zeit die Lehrbücher übersetzen und in einer in dem Gebäude ein­

gerichteten Druckerei herstellen. Man zeigte mir den letzten Band: „Das kommunistische Manifest" aus dem Englischen ins Urdo übersetzt. Ich schlug vor, ihn Lord Curzon zu schicken. Das Wandbild im Festsaal stellte die

„Kontra-Revolution" vor; der Gegner der Revolution war als ein Muselman dargestellt, der in Fez, Talar und Pan­

toffeln aus seinem Harem kommt, und dem der nackte kommunistische Held einen Speer durch den Bauch schleudert. Ich mußte an die Kirchen in Afrika denken, in denen das Jesuskind auf dem Altarbilde ein kleiner Neger ist.

— Wie ist es, wenn man junge Revolutionäre aus 52 verschiedenen Nationen unter einem Dache hat? fragte ich den Leiter der englischen Sprachgruppe, der vorläufig Hindus und Ägypter angehören und die einmal auch Amerika umfassen soll.

— Sie wohnen in drei großen Häusern, in denen kommunistischer Haushalt geführt wird. Die jungen Leute sind meist unpolitisch und müssen ganz umgebildet werden.

Sie kommen als Wilde von überall her, bringen ihr Eigentum mit und glauben, daß sie es behalten können. Aber es gibt hier kein Privateigentum, alles kommt der Allgemeinheit zu­

gute. Sie lernen auch kommunistisch leben.

— Aus welchen Gesellschaftsklassen kommen nun diese werdenden kommunistischen Pioniere?

Ich stellte diese Frage an Frau Fruimkin, die die täg­

liche Leiterin der Swerdlow-Universität und Expertin in Statistik ist.

Sie antwortete gleich mit Zahlen:

— Vom letzten Jahrgang stammen 134 von Bauern, 563 kommen aus Arbeiterheimen und 123 aus anderen Klassen.

— Und wie geht es, wenn zweitausend junge Männer und Frauen jedes Jahr hier an der Universität und ihren Internaten aus allen Ecken des größten Reiches der Welt zusammenkommen und täglich in ungebundenster Frei­

heit zusammen leben?

Genossin Fruimkin hatte gleich die moralische Statistik bereit:

— Auf tausend unserer Studenten kommen 40 mit alter und nur einer mit frischer Syphilis, worauf wir sehr stolz sind.

Es ist sicher richtig, daß sich die Jugend in Moskau jetzt auf ganz andere Art als früher belustigt. Die Handels­

reisenden im Hotel beklagten sich, daß das einzige größere Tanzrestaurant dieser Tage wegen mangelnden Zuspruchs geschlossen werden mußte, und prophezeiten daraus den nahe bevorstehenden Fall der Sowjetregierung. Ich kann einen Pessimismus nicht teilen, der beklagt, daß die lang­

beinigen Schnösel nicht mehr mit ihren Berliner Mädeln zwischen den verstaubten Palmen herumhopsen können.

Ich war selbst in der Hoffnung nach Moskau gekommen, einmal Fedjas Rolle spielen zu können und der Länge nach auf einem Sofa zu liegen, während die Zigeunertruppe die

„Abendglocken" sang. Die Stadt ist ja berühmt wegen ihrer

3*

— 35 —

Naehtrestaurants, und nach alter Gewohnheit hat man noch ein Kabarettprogramm von i bis 3 Uhr nachts. Stattet man einige Stunden nach Mitternacht der eleganten Ere­

mitage auf dem Petrowski-Boulevard einen Besuch ab, so sitzen in dem hohen Stucksaal einige kleine, dunkelhäutige Gesellschaften und sehen aus, als fröstelte sie in der verlassenen Üppigkeit der Gipsweiße. Es sind in der Regel Schieber mit allzuvielen Ringen auf den allzu dicken Fingern, und Damen mit allzuviel Pelzwerk auf allzu fetten Nacken, die vergebens versuchen, sich å la „Oberklasse"

über die mageren französischen Tänzerinnen zu amüsieren, die mit hohlem Echo in dem leeren Saale lärmen. Ich guckte hinten in die berühmte Serie von Separat-Salons hinein, wo die Fedjas früher die Zigeuner anhörten und nachher Cham­

pagner ins Klavier gössen oder die Spiegel zerbrachen. Es war kalt und leer, eine eigene gespensterhafte Grabes­

stimmung schlug mir jetzt aus den Kapellen der Lebens­

freude entgegen. Die Zigeunerfamilie singt noch im großen Saal, aber Fedja ist fort; entweder ist er als revolutionärer Held gestorben, oder er sitzt als emigrierter Kinopianist in Berlin.

Moskau scheint wirklich augenblicklich die moralischste Großstadt der Welt zu sein, und die jungen Herren vom Roten Kreuz klagten mir, wie schwer es jetzt — im Gegen­

satz zur vorrevolutionären Zeit — sei, eine kleine Freundin zu finden. Die Demimonde ist ausgestorben. Die jungen Frauen sind treu, die Männer ritterlich. Vor ein paar Jahren, in der Notperiode der Revolution, war Raubmord auf den Hauptstraßen nichts Ungewöhnliches, jetzt geht eine junge Dame um Mitternacht in den Moskauer Vorstädten nicht nur sicherer, sondern auch ungenierter als auf den Haupt­

satz zur vorrevolutionären Zeit — sei, eine kleine Freundin zu finden. Die Demimonde ist ausgestorben. Die jungen Frauen sind treu, die Männer ritterlich. Vor ein paar Jahren, in der Notperiode der Revolution, war Raubmord auf den Hauptstraßen nichts Ungewöhnliches, jetzt geht eine junge Dame um Mitternacht in den Moskauer Vorstädten nicht nur sicherer, sondern auch ungenierter als auf den Haupt­

In document THE DET (Sider 43-56)