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Drei Abende in Meyerholds Revolutions- Revolutions-Theater

In document THE DET (Sider 135-148)

Ich war im voraus gründlich vor Meyerholds Theater gewarnt worden. Als ich mich eines Abends endlich ins erste Parkett setzte, sekundierte mir ein belesener, wohl­

wollender Schauspieler vom Kaiserlichen Schauspielhaus, während ich einen von Meyerholds Vorkämpfern in der russischen Presse und einen seiner Bewunderer aus Wien im Rücken hatte. Mit dem Stück hatte ich mich vorher be­

kannt gemacht, es hieß T a r i a l k i n s Tod und war eine Art kleinbürgerlicher Komödie aus den sechziger Jahren, die sich über den Formalismus der Rechtsmaschinerie und die barbarische Stupidität des Gefängnispersonals lustig machte.

Man hat Meyerhold einen ganzen Theaterkomplex am I riumphplatz überlassen, wo man früher Ausstattungs­

operette und Entkleidungsvariete gepflegt hatte. Wenn man den großen nackten Raum betritt, hat man sogleich den Eindruck, als besuche man ein Theater in den Ferien zwischen zwei Spielzeiten. Der Saal ist kalt wie ein Eis­

keller, sein einziger Schmuck besteht in einer um den Balkon herum gemalten I n s c h r i f t : ,,Dies Theater ist den Soldaten des Heeres und den Vorkämpfern der Kunst ge­

weiht." Der Vorhang ist fort, die Kulissen ebenfalls. Ein breiter Gang führt durch den Zuschauerraum schräg auf die

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-nackte Bühne, gleitet direkt ins Theater über, und im Zwischenakt schlendert das Publikum auf ihm hinauf und benutzt die Bühne selbst als Foyer. Jetzt, zu Beginn, liegt sie in tiefer Finsternis da, allmählich unterscheidet man die leeren Hängebrücken des Schnürbodens, die schmutzig­

weißen Wände mit Anschlägen der Feuerwehr und einigen zufälligen Plakaten von Bouillonwürfeln und einer neuen Zahnpasta. Sonst gähnt Leere. Eben vor Beginn des Stückes kommen ein paar Maschinisten mit phantastischen Gartenmöbeln, von denen eins einer Schaukel gleicht, ein anderes einem Käfig, ein drittes der vergrößerten Ausgabe efnes Tretrades, in dem weiße Mäuse herumzulaufen pflegen.

Ein Scheinwerfer erhellt plötzlich den Vordergrund, und das Spiel kann beginnen. Gott bewahre — welch ein Spiel! Die Schauspieler trugen eine Art gestreifter Uniformen mit ejner Mütze auf dem Kopfe: ich wußte im voraus, daß dies die eigens von Meyerhold komponierte Bühnentracht war, die in allen Stücken und Stilarten gebraucht werden kann, aber sie verlieh den Auftretenden eine unangenehme Ähn­

lichkeit mit Zuchthäuslern, und erst als sie zu spielen an­

fingen, mußte man seine Auffassung dahin ändern, daß sie Patienten darstellten, die aus einer Irrenanstalt aus­

gebrochen sind. Es war vollkommener Wahnsinn. Die Schauspieler fuhren auf der Bühne herum, schrien und heulten wie toll. Bald sprang der eine in die Schaukel, bald der andere in den Holzkäfig, während der dritte wie eine Tanzmaus in dem Rade steppte. Bald fielen sie auf den Kopf, bald auf den Hintern. Am unangenehmsten war, daß sie jeden Augenblick große Brownings aus den Taschen zogen und einander in die Beine schössen. Es war kein Wunder, daß sie die Kälte im Saal ertragen konnten, ich konnte es nicht, obwohl ich im Pelz mit einem Wollschal

um den Hals dasaß. Die erste Pause, während der der frühere kaiserliche Schauspieler in einen Disput mit Meyerholds zwei Trabanten geriet, benutzte ich, um ins Foyer zu verschwinden, wo ich in den nächsten Akten herumtrabte, um mich warm zu halten, während ich mich mit Tee aus dem Samowar verbrühte. Wenn ich durch die Tür in den Saal spähte, erblickte ich undeutlich zwischen Pulverrauch und Staubwirbeln, wie die Schauspieler ein­

ander auf den Hintern schlugen oder schössen oder sich gegenseitig — an höchst unpassenden Stellen — berochen . . . zuletzt ging ich zähneklappernd nach Hause und legte mich mit hohem Fieber zu Bett.

Als ich mich von meiner Erkältung erholt hatte, lockte mich einige Wochen später die Neugier wieder zu Meyerhold. Ich hatte das Gefühl, daß hier dennoch ein Problem war, das ich ergründen mußte. In doppeltem Unter­

zeug schlich ich mich eines Abends in eine der hintersten Rangreihen. Das Stück war von dem französischen Schrift­

steller Marcel M a r t i n e t und hieß: Die Nacht. Das Stück, das Martinet geschrieben hat, trägt wenigstens diesen Titel, aber Meyerhold hat es umgearbeitet, so daß es jetzt fürs Revolutionstheater paßt. Er hat alle Gespräche, alle Begründungen herausgeschnitten, übrig geblieben sind nur die Handlung, die Kämpfe, die Schüsse (mehrere Schüsse sind wahrscheinlich eingelegt!), und der melancholisch­

schläfrige 1 itel ,,Die Nacht" ist in den feurigeren ,,Die ganze Erde empört sich" umgeändert. Das Stück kann hier gespielt werden, weil es kaiserliche Truppen verhöhnt und die roten Soldaten verherrlicht. In einer Szene kommt ein kaiserlicher Prinz in voller Gala an die Front und bekommt vom Kanonendonner nervöse Leibschmerzen. Mitten im versammelten Generalstab entkleidet er sich, bis er

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lieh im bloßen Hemd mit einem Ulanenhelm auf dem Kopfe dasteht: zwei Oberärzte bringen einen riesigen Nachttopf mit vergoldeter Krone auf die Bühne, und während alle Offiziere der Armee stramm stehen, die eine Hand an die Mütze heben und sich mit der anderen die Nase zuhalten, hebt der kaiserliche Prinz mit dem Rücken gegen das Publikum den letzten Zipfel seines Hemdes und zeigt einen fleischigen Körperteil, den er auf dem gekrönten Möbel an­

bringt. Ich bin nicht ganz sicher, ob die Musik in diesem Augenblick ,,Alles für den Zaren" anstimmte. Einige Minuten später befinden wir uns im Lager der Roten. Ein halbes Hundert junger Leute von den kommunistischen Truppen sind zu einer nächtlichen Beratung am Fuße einer Eisenbahnbrücke versammelt. Im Lichte der elektrischen Scheinwerfer klettert bald der eine, bald der andere an dem Gerüst hoch, während ihm die revolutionären Reden wie zischende Stichflammen aus dem Halse stehen. Die meisten tragen die schmucke Chauffeur- oder Fliegeruniform aus schwarzem Leder, die typisch für die Helden der Revolu­

tion geworden ist. Es sind viele schöne Gestalten mit edlen Zügen und funkelnden Augen unter ihnen, die in lebensgefährlicher Höhe gewandt wie Telephonarbeiter an den Brückenpfeilern auf und ab klettern, und es glückt ihnen, Bühne und Saal mit revolutionärer Hochspannung zu ej-füllen, die sich immer wieder in Funken von Hört-Rufen und Applaus bei Publikum wie Mitspielenden ent­

lädt. Die kaiserlichen Truppen nähern sich, bald sind wir in einen spannenden Kampf verwickelt. Feldtelephone werden etabliert. Gewehre knattern. Ordonnanzen sausen auf ratternden Motorrädern auf der Bühne ein und aus und liefern Rapporte ab, allmählich werden wir alle so von Pulverrauch und Kampfstimmung benommen

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-daß, als es einen Augenblick schwarz für die Roten aus­

sieht (natürlich sehr unglücklich auf einem Revolutions­

theater), jeder einzelne im Saal es als eine persönliche An­

gelegenheit empfindet. Aber Gott sei Dank: Im entscheiden­

den Augenblick öffnen sich die Flügeltüren im Hintergrund des Zuschauerraums, und herein sausen unter Töffen und Huppenheulen ein paar riesige Lastautos voll Hilfstruppen und Maschinengewehren. Sie sausen mitten durch den Zu­

schauerraum und rollen geradeswegs auf die Bühne, eben noch im rechten Augenblick, um die Revolution diesmal zu retten.

Die Stunde, die ich an diesem Abend bei Meyerhold verbrachte, verstärkte mein Interesse, und schon am nächsten Abend saß ich in der Direktionsloge in Begleitung eines Regisseurs des Theaters, um der ganzen Empörung der Erde von Anfang bis zu Ende beizuwohnen. Wovon Martinets Stück handelt, weiß ich nicht, aber dies war eine Art dramatischen Lehrbuches für revolutionäre Erziehung.

Die Bühne wurde von einem mächtigen mennigeroten Ge­

rüst beherrscht, das sowohl Eisenbahnbrücke wie Maschinen­

halle vorstellen konnte, und irgendwo ragte ein schwarzer Silhouettenkranz zwischen Leitern und Laufbrücken hervor.

Auf einer Seite hatte man das arbeitende Volk, Handwerker und Bauern um eine Mähmaschine amerikanischen Modells gruppiert. Auf der anderen die Offiziere der Oberklasse, die Champagner tranken und mit schicken Krankenschwestern, die in Luxusautos an die Front gekommen waren Cancan tanzten. Die Revolution bricht aus. Und jetzt tauchen die liberalen Politiker in Gehrock und Zylinder auf und halten gutgemeinte demokratische Reden an das Heer (Kerenski).

Das Volk glaubt ihnen, statt ihren eigenen Proletarierführern zu folgen, und daraus entsteht natürlich Unheil. Denn in

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-einem kritischen Augenblick lassen die halbrevolutionären Kerenskis die ganzrevolutionären Bolschewistenführer von hinten erschießen, worauf die Generale der Bourgeoisie

"wieder auftauchen, um das Volk in einen neuen kapita­

listischen Iviieg und in den lod zu führen.

Das eigentümlichste an der Vorstellung war sicher, daß andauei nd während des Spiels Lichtbilder auf einem weißen Schirm mitten auf der Bühne gezeigt wurden: auf diese Art wurden die wechselnden Phasen der Handlung beständig begleitet und in die rechte revolutionäre Beleuchtung ge­

setzt. Das Ganze beginnt mit einem Bilde von Trotzki, und der Text meldete, daß er das Stück gewählt hätte. Dann kam ein kurzer „Gruß der Schauspieler an die rote Armee".

Während des Bauerntanzes machte das Lichtbild Reklame für die Verwendung von Traktoren. Als die liberalen Politiker redeten, schrie die Leinwand: „Nieder mit den Handlangern des Kapitalismus!" Und als der kaiserliche Prinz sich auf sein kaiserliches Möbel setzte, sagte die In­

schrift auf der Wand mit einem Zitat aus der Geschichte Kurlands. ,,Sobald du dich auf deinen Thron setzt, werden deine Feinde dich fürchten!"

\\ ährend die Schauspieler bei den krampfartigen Spähen in ,,1 arialkins Tod nur wie leere Rasseln gelärmt hatten, war über diesen Wirklichkeitsbildern ein Leben und eine Fahrt, die mitreißend wirkten. Hier bewegten sich die Schauspieler wie Fische im Wasser, hier waren sie in ihrem FJement. Mir kam der Gedanke, daß sie ja nur die Erleb­

nisse ihrer letzten Jahre auf die Bühne gebracht hatten. Sie trugen ihr Alltagszeug, schössen mit ihren gewohnten Re­

volvern; es wurde Reklame damit gemacht, daß Trotzki bei der Inszenierung geholfen hätte, indem er Panzerautomobile und Feldküchen aus den Depots des Heeres geliehen hatte.

Die Revolutionsredner, der Lärm der Matrosen, das Feld­

telephon, die nächtlichen Patrouillen — alles zusammen war das tägliche Dasein ihrer Jugend gewesen. Talent hatte wohl keiner von ihnen, aber große Künstler hätten nicht mit mehr Überzeugung und Kraft auftreten können. Der Saal erscholl vom Beifall. Von Kunst war hier nicht die Rede.

Das Leben selbst hatte seinen Einzug gehalten. Zuletzt legten die Kameraden die Leiche des ermordeten Revolu­

tionshelden in einen Sarg, der in die rote Flagge gehüllt war, während als einzige Dekoration seine Chauffeurmütze aus schwarzem Leder und sein Revolver auf den Deckel gelegt wurden: der Sarg wurde in ein Ford-Auto gestellt und im nächtlichen Dunkel die Rampe hinunter durch den Zuschauerraum zum Theater hinausgefahren, während leise Musik die Internationale anstimmte. So folgten diese jungen Leute erst vor wenigen Monaten ihren getöteten Kameraden durch die Straßen Moskaus. Auf der verödeten Bühne bleibt allein die Witwe zurück, aber statt in Verzweiflung zu sinken, hebt sie den zwölfjährigen Sohn des Toten hoch und läßt ihn bei der roten Flagge schwören. —

Am nächsten Tage suchte ich Meyerhold selbst in dem Hause auf, das man ihm für seine dramatische Schule über­

lassen hat; in ein paar Zimmern wohnt er selbst mit seiner jungen Gattin, die zugleich seine schönste Schülerin ist.

Der Träger des umstrittensten Namens der russischen Bühne hat in diesem Jahre schon sein 25jähriges Schau­

spielerjubiläum gefeiert; er empfing vom Kultusministerium den Ehrentitel ,.Künstler des Volkes", eine Auszeichnung, die nur ein halbes Dutzend Persönlichkeiten besitzen, und die dem alten Titel „Künstler des Zaren" entspricht; gleich­

zeitig wurde er zum Ehrenoberst des roten Heeres mit Garnison Moskau ernannt.

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Ursprünglich ist auch er vom Kiinstlertheater aus­

gegangen, eine Reihe von Jahren reiste er in der Provinz, kehrte dann zurück und arbeitete eine Saison bei Stanis­

lawski, bis er Regisseur am Kaiserlichen Theater in Petro­

grad wurde und hier Aufmerksamkeit durch seine In­

szenierungen erweckte. Während der Revolution ging er mit den Kommunisten und wurde bei Nowrosisk von den Weißen gefangengenommen; im Gefängnis bekam er I ubei kulose, lag acht Monate im Krankenhaus und wurde schließlich wegen seiner Krankheit entlassen, die ihn zu absoluter Untätigkeit zwang. Im Jahre 1919 begann er endlich unter Lunatscharski zu arbeiten: unter der Inspi­

ration der Revolution waren eine ganze Reihe Theater­

ideen in ihm gereift, und mit Unterstützung des Staates er­

öffnete er das Theater der Revolution, um sie in die Tat umzusetzen.

Meyerhold ist eine hohe Gestalt mit scharf markierten angelsächsischen Zügen und kräftig dominierender Nase;

sein Wesen besitzt das fieberhaft-hastige Tempo, das über Menschen kommen kann, die einmal den Tod gegrüßt und dabei entdeckt haben, daß wir eilen müssen, wenn wir mit unserer Arbeit auf Erden fertig werden wollen.

Wir beginnen unsere Unterhaltung, indem wir von der Schauspielerschule sprechen, die die Grundlage seines Theaters bildet.

— Als das Wichtigste verlange ich, sagt er, daß der Schauspieler einen starken, gesunden Körper und volle Herrschaft über ihn besitzt. Er soll einen vollkommenen Organismus haben, nicht nur den, den die Bühne, sondern auch den, den das Leben erfordert. Das moderne Schau­

spiel verlangt nicht nur psychologisch kräftigeres Handeln als früher, der Schauspieler muß auch in seinem Spiel

hastiger und stärker sein, ganz wie im Film. Deshalb pflegen wir in erster Reihe Körperkultur, Sport, Boxen, Lawn-tennis, Tanz, Akrobatik; ich habe selbst ein System für die physische Entwickelung des Schauspielers aufgestellt, das ich Bio-Mechanik nenne, und das auf Gesundheitspflege und Gymnastik basiert ist. Der Dichter Tritjakof hat es dem Theater noch weiter angepaßt.

— Und wenn die Körperbeschaffenheit des Schau­

spielers, auch im Leben, in Ordnung ist, was verlangen Sie dann von ihm auf der Bühne?

— Wir möchten eigentlich am liebsten überhaupt kein Theater spielen. Wir wollen heraus aus dem Theater. Wir wollen im Leben selbst spielen, am liebsten in Fabriken oder größeren Maschinenhallen, und daher suchen wir in unseren Dekorationen eben das Innere einer Fabrik mit ihren Eisenkonstruktionen nachzuahmen. Die Sache ist die, daß die Schauspieler nicht professionell einseitig ausgebil­

dete Akteure, sondern Arbeiter sein sollen, die selbst nach beendeter Arbeitszeit Theater spielen, die selbst die Stücke wählen und ihr eigenes Theater für ihre eigenen Kame­

raden organisieren. Die Schauspieler sollen Menschen sein, nicht wie bisher nur Schauspieler.

— Ja, wende ich ein, aber vorläufig spielen Sie doch auf einem Theater und nicht in den Fabriken.

— Noch nicht. Aber mein Theater ist eine Etappe auf dem Wege dorthin. Wir experimentieren ja. Ich könnte mir auch denken, in Bahnhofshallen zu spielen. Wir wollen nur weg von dem alten Theater, wo das Publikum schlaff und still dasitzt. Das Publikum soll gerade auch mit in Bewegung sein, wie wenn die Massen in den großen Waren­

häusern sich auf und nieder bewegen, vor- und zurück­

wogen. Unsere neuen jungen Architekten haben schon

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solche Zukunftstheater projektiert, wo das Publikum an-dauer nd im Gange ist, wo man z. B. mit Hilfe eines rollen­

den Trottoirs von einem Platz im ersten Parkett bis zu den höchsten Galerien gebracht werden kann. Leben und Schau­

spiel sollen vermengt werden. Automobile, Straßenbahnen und Aeroplane sollen im Zuschauerraum selbst kommen und gehen. Die \ orstellungen sollen kurz sein, selbst zwei Stunden (wie jetzt in meinem Theater) sind zuviel: eine Stunde zwanzig Minuten wird richtig sein; unsere Zeit ist teuer.

Wo wollen Sie das neue Theater bauen?

— Rußland ist zu arm, wir müssen das reiche Amerika mit seiner modernen Ingenieurkunst und seiner entwickelten Industrie das erste konstruieren lassen. Aber vorläufig können wir ja überall spielen, wo wir eine Fabrik, eine Mühle, eine Brücke finden, ja mitten in einem Walde, warum nicht. . . .

— Was wollen Sie mit Ihrem Theater?

Wir wollen agitieren. Ein Theater darf nicht un­

politisch, es muß entweder weiß oder rot sein. Wie ein Buch, eine Zeitschrift, eine Zeitung, ein politischer Klub muß das Theater ein politisches Programm, eine starke Klassenidee haben, für die es kämpft. Die Schauspieler müssen dabei sein, den neuen Aufbau der Gesellschaft zu formen, das neue Leben zu organisieren. Das Theater muß stets den Augenblick mitleben, muß immer subjektiv sein, muß Schritt für Schritt der Entwickelung seiner eigenen Zeit folgen. Die rechte Verbindung zwischen Schauspieler und Zuschauer kann nur zustande kommen, wenn das Theater in engem Kontakt mit dem Leben steht.

— Hat man früher schon ein derart aktuelles Theater gehabt ?

— Ich glaube es nicht. Vielleicht in Spanien. Calde-ron, Lope de Vega und Tirso da Molina, der den ersten Don Juan schrieb. . . .

— Was hat Sie denn inspiriert?

— Ich bin stets ein Experimentator gewesen, der zu seinen Ideen während der Arbeit kommt. Aber ich habe die Dramaturgie aller Zeiten und Länder studiert, und mein System ist wohl am nächsten der italienischen Commedia del arte verwandt und vielleicht beeinflußt von Zirkusakrobatik und chinesischer oder japanischer Regie.

— Wie ist denn das politische Programm Ihres Theaters?

— Wir kämpfen für das Proletariat und für die neuen Ideen von Marx und Engels.

— Davon war bei der Aufführung von „Tarialkins Tod" nichts zu spüren.

— Die Aufführung dieses alten Stückes enthält ein historisches Moment: So lebten wir in den sechziger Jahren, so barbarisch waren die Methoden der russischen Polizei damals. Sie sehen, es ist doch eine Tendenz vor­

handen. Das Publikum erfährt, wie abscheulich es in der zaristischen Zeit war.

— Aber welchen politischen Grund haben Sie denn, Cromelenks ,,prachtvollen Hahnrei" zu spielen, der sicher hauptsächlich bei Lugné Poe in Paris aufgeführt wird?

— Keinen. Wir spielen das Stück nur wegen seiner Technik. Cromelenk hat nichts mit unserer Ideenwelt zu tun, aber bei der Aufführung erhielten unsere jungen Schauspieler Übung in den Traditionen des alten Theaters, wie sie von Moliére und Ben Jonson geschaffen sind.

— Worin besteht denn Ihr politisches Repertoire?

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-— In Yerhaerens „Morgenröte", in Meyerkoffskys

„Mysteria Buff", in Martinets „Nacht", bei dem ich übrigens Text und Namen verändern mußte; es hatte zu viele Dialoge und deklamatorische Passagen.

— Was sagt Martinet dazu?

— Das weiß ich nicht. Der Hauptinhalt ist ja bewahrt, wir haben nur die Rede lakonisiert.

—Was ist sonst noch charakteristisch für Ihr Theater?

— Die Einführung von Lichtbildern und lebenden Bildern, die glänzende Gelegenheit zur Agitation geben.

Und die feste Bühnenuniform, die in allen Stücken ge­

braucht werden kann und einschärft, daß es nicht die Kleider sind, die spielen sollen.

— Was halten Sie von der Drehbühne oder von der Elevatorbühne?

— Lassen Sie uns keine Zeit damit vergeuden, über dieses alte Zeug zu schwatzen.

— Welche Schauspieler haben Sie um sich gesammelt?

— Gar keine. Ja, ich habe vielleicht insgesamt zwei bis drei professionelle Kräfte, sonst will ich nur neues Menschenmaterial haben, das frisch und empfänglich für das Neue ist. Mein Personal besteht aus meinen Schülern, in der Regel ganz jungen Leuten, die aus der Provinz kommen, um an meiner Theaterschule zu studieren.

— Aber man kann doch am Theater nicht Talent ent­

— Aber man kann doch am Theater nicht Talent ent­

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