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Russische Kinder

In document THE DET (Sider 93-105)

Den Geschichtsunterricht in der Schule begannen wir bei den Ägyptern vor viertausend Jahren — ihr Gott war der Ochse Apis, der eine bienenförmige Marke auf der Zunge haben sollte. Durch viele Klassen arbeiteten wir uns bis zu Friedrich dem Siebenten und der Verfassung durch, und da war Schluß, mehr Geschichte gab es nicht.

Was rings um uns geschah, geschah nicht für uns. In der Naturgeschichte war der Löwe das erste Tier, das wir in-und auswendig kennen lernten, in-und doch hatten wir in meiner Provinz nie einen Löwen zu sehen bekommen, den Sperling aber, der Sommer und Winter vor unserer Tür zwitscherte und davon lebte, daß er unsere schädlichen In­

sekten ausrottete, behandelte man in aller Kürze. Rabin-dranath Tagore hat darüber in folgenden Zeilen geklagt:

„Wir rauben dem Kind die Erde, indem wir es Erdkunde lehren. Es hungert nach Geschichte und wird mit trocknen Zahlen und Tabellen abgespeist. Es wurde für eine mensch­

liche Welt geboren, aber man hat es in eine Welt lebender Grammophone verbannt."

Soweit ich die ideellen Bestrebungen verstanden habe, die die Revolution in der russischen Schule geweckt hat, gehen sie darauf aus, das Kind dem Leben zurückzugeben:

Dem Baum zurück, der über seinem Haupte rauscht, in seinem Ofen prasselt. Zurück dem Getreide, das vor seinen Augen sprießt und wogt und schließlich als Brot auf dem

1 ische duftet. Die Schiffe fahren an dir vorüber — woher, wohin, womit? Die Sonne bricht jeden Tag in dein Leben.

Die Sterne blinken jede Nacht ihre Geheimnisse von der Ewigkeit für dich und die, die du liebst. Die Quelle hat dir tausend Dinge von Kraft und Wachstum zu erzählen, lausche ihrem Gesänge. Der russische Lehrer hat das Buch geschlossen und dafür die Welt geöffnet.

Das Unterrichtskommissariat hat rings in Rußland 35 Experimentalschulen eröffnet, die vollkommen frei in die Hände moderner Pädagogen gelegt sind. Gemeinsam ist ihnen allen, daß sie nicht versuchen, den Kindern Kenntnisse einzupauken, sondern sie zu Arbeitsmenschen entwickeln wollen, indem sie die Schule direkt an eine Werkstatt, ein Künstleratelier oder eine Gärtnerei knüpfen. Die Kinder sollen nicht nur Examinanden werden, sondern Schneider oder Schuster, Maler oder Bildhauer, oder sie sollen lernen, die Erde im Schweiße ihres Angesichts zu bebauen.

Zuerst statteten wir der Schule einen Besuch ab, die nach Lunatscharski genannt ist und in der vornehmen alten Chlebny pereulok liegt. Die Schule selbst ist untergebracht in einem stilvollen Palais mit Reliefs spielender Amoretten über Türen und Fenstern. Friifier gehörte er dem Fabri­

kanten und Millionär Griboff, dessen Gattin, die schönste und lebenslustigste Dame Moskaus, hier tonangebend war bei Glücksspiel und strahlenden Bällen. Das Palais ist nationalisiert: 425 arme Kinder lärmen jetzt in den Kabinetten und rutschen an den Treppengeländern der Halle herunter, die aus schwarzer Mooreiche gefertigt sind.

Alle Prachtmöbel sind fort. In der kleinen Einzimmer­

wohnung der Madame Solowjewa stehen ein mit Filz be­

zogener Teetisch, ein gepolstertes Ecksofa und hinter einer spanischen Wand ein schmales Bett. Die Ausstattung

der Klassen besteht aus gehobelten Bänken und lischen, wird aber durch Ausschmückungen belebt, die die Kinder selbst erfanden.

In der Klasse der Zehn- bis Zwölfjährigen hängt in einem Einmacheglas vor dem Fenster ein Bund halb entfalteter Frühlingszweige, und es war den Schülern zur Vufgabe gemacht worden, täglich in ihren Schreibheften über die Phasen der Laubentwicklung Rede zu stehen.

Die Zwölf- bis Dreizehnjährigen sind Künstler und haben die Wände mit starkfarbigen Anschauungsbildern tapeziert. Einige Vorwürfe seien genannt: Wie kommt der Frühling? Farbige Bleistifte antworten auf einem schwarzen Pappstück mit einer glänzenden roten Sonne, mit grünen rieselnden Bächen und mit \ ögeln, die große gelbe Schnäbel tragen. Ferner: Anschauliche Darstellung der Stärkebereitung, zu einer Zeit ausgearbeitet, als man in der Klasse tatsächlich Stärke hergestellt hatte. Karte über den Lauf der Wolga, Bilder von Fischerei, Flößen, Eissägen.

Schlittschuhläufern, gezeichnet, nachdem man in den Museen die Bilder Rjepins, Burakis und Lewitans von den Gegenden an der Wolga studiert hatte. Daneben selbst­

komponierte Malkasten-Illustrationen zu Tschirikoffs be­

kanntem Gedicht von dem Bourgeoisieknaben Kole und dem Proletarierknaben Kolka mit Interieurs der beiden scharf kontrastierenden Heime.

Ich stehe gerade in einem der Klassenzimmer des ersten Stocks und bewundere eine schematische Darstellung der Herztätigkeit, als Solowjewa ihren Mund meinem Ohre nähert und mit leiser Stimme sagt: ,,Dies war Frau Griboffs Privatkabinett, hier hat sie sich erschossen. Sie hatte näm­

lich drei Männer, neben ihrem Ehemann liebte sie den da­

maligen Modemaler Moskaus und einen jungen Kaufmann,

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der Petroleumquellen in Baku besaß. Eines Tages verein­

barte sie mit dem in Baku, er und sie sollten sich an einem bestimmten Zeitpunkt töten, und als die Stunde gekommen war, telephonierte sie an den Maler und sagte: Jetzt er­

schießen wir beide uns. Sie starb hier in diesem Zimmer, mit dem Revolver in der einen und dem Hörer in der anderen Hand. Der Maler starb in seinem Atelier, aber der Mann in Baku kam mit einem Streifschuß davon. Das Ereignis erregte ungeheures Aufsehen, und die Moskauer Blätter schwelgten in Einzelheiten. Ach ja, das ist nun mehr als zehn Jahre her, aber die Kinder ängstigen sich immer noch, des Abends hier hineinzugehen."

Ist es merkwürdig, daß ich bei Solowjewas Bericht in Gedanken versinke? Hier setzte die schöne Madame Gri-boff auf Rot und verlor, und jetzt lärmen in ihrem Kabinett frohe Proletarierkinder. Ist d o c h ein Sinn in dem allen?

Oder w a s . . . und hier stehe ich nun und studiere ein Schema über den Herzschlag. .

In Fabrikant Griboffs Speisesaal befindet sich zur Zeit tine Ausstellung von Schülerarbeiten. Wenn wir sie durch­

eilen, bekommen wir einen Eindruck vom Plan der Schule:

Charakteristisch ist für das neue Rußland, daß alles sogleich in Statistik umgesetzt wird, und so versuchen auch die Kinder über ihre Erlebnisse in Figuren und Kurven Rede zu stehen. Ein vierzehnjähriger Knabe zeigt mir z. B., wie man in Diagrammen das Ergebnis eines Besuches der Klasse in der Ausstellung des Roten Heeres feststellen kann. Trage: Was wußten wir von der Roten Armee, be­

vor wir hingingen.J Antwort: 15 von uns wußten, daß sie gegen die \\ eißen kämpfte, einer wußte, daß im Heere politisch gearbeitet wird, ein anderer, daß es viel aß, zwei, daß es sehr stark war, einer kannte eine Schule für Soldaten.

Frage: Was wissen wir von der Roten Armee, nach­

dem wir die Ausstellung besucht haben? Antwort: Jetzt wissen wir alle, daß sie Sappeure hat, und wie die ihre Lauf­

gräben und bombensicheren Räume bauen. Wir wissen, daß sie auch Krieg gegen Räuber führt, daß sie mit Flug­

zeugen arbeitet, Radium gebraucht, daß sie Analphabeten unterrichtet und Theater hat. Wir kennen Trotzkis Zug, mit dem er von Front zu Front reiste und täglich in draht­

loser Verbindung mit 20 Stationen stand. Wir wissen, daß im Heere die kommunistische Gruppe existiert, daß es seine eigenen Taucher hat und Prothesen für Invaliden anfertigt.

So empfangen die Kinder die nötigen Kenntnisse, in­

dem sie die Welt nicht durch das welke Buch, sondern durch den frischen Eindruck entdecken.

Ihre Erfahrungen können nach zweierlei Handlungen gruppiert werden, den naturhistorischen, der Lehre vom Leben, und den kulturhistorischen, der Lehre von der menschlichen Organisation des Lebens.

In den untersten Klassen beginnen die Zehn- bis Elf­

jährigen, die Umwelt zu studieren. Sie sehen, wie das Wetter sich jeden Tag ändert, wie die Bäume ihr Aussehen, die Vögel ihre Töne wechseln. Ihre Beobachtungen zeichnen sie auf und vergleichen hinterher die Ergebnisse mit den Erfahrungen der Meteorologen von anderen Jahren. Diese e r s t e S t u f e i s t d i e p e r s ö n l i c h e B e o b a c h t u n g .

Die nächste ist d i e ä s t h e t i s c h e U m s c h r e i -b u n g : Es gilt, in der Literatur Beispiele zu finden für das Gebiet, dem man sich gerade widmet. Lernt man von den Bergen, so schlägt man auf, wie Tolstoj den Kaukasus schilderte und was Goethe vom Thüringer Wald sang.

Die dritte Stufe ist die K l a s s i f i k a t i o n : Man hat seinen Stoff gesammelt, ihn ästhetisch betrachtet und soll

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-ihn nun wissenschaftlich verarbeiten, um die verborgenen Naturgesetze zu extrahieren. Die Kinder klassifizieren Ge­

treidearten und Sämereien, die sie selbst' gesät haben, sie rubrizieren Vögel, stellen Regeln für Wind und Meer auf, finden die Unterschiede im Leben, wie es sich am Meere und an Binnenseen äußert, und entdecken dann, daß das Leben am Flusse wieder etwas ganz anderes ist.

Die vierte und letzte Stufe ist: Wie kann das Material, d a s w i r b e h a n d e l n , v o m M e n s c h e n a u s g e n ü t z t w e r d e n ? Die Kinder haben Ausschlag an den Händen.

Nun wohl, wie gewinnt man den Teer, der die heilende Salbe bildet? Im Keller hat der Lehrer mit Hilfe der Schüler einen großen Ofen errichtet, und nun wird mit ver­

schiedenen Holzarten experimentiert, um den besten Teer zu gewinnen. Die Resultate Werden nachher in einer Reihe von Bildern oder in veritabeln Modellen gezeigt, die sorg­

same Kinderhände, hoffentlich nun vom Ausschlag geheilt, in Puppengröße ausgeführt haben.

1. Zuerst sehen wir Proben der verwendeten Natur­

hölzer.

2. Durchschnitt des Ofens.

3. Proben verschiedener russischer Feuerungsmethoden.

4. Line Probe, wie man in Deutschland Teer brennt.

5- Proben kranken Holzes, das nicht verwendet werden kann.

6. \\ ieviel soll man von jeder Holzart nehmen, um guten Teer zu erhalten?

7. Proben von den Veränderungen des Holzes bei den verschiedenen Temperaturen.

Hiermit ist man bis zu dem Punkt der Entwickelung gelangt, der in der neuen Schule als der wichtigste be­

t r a c h t e t w i r d , n ä m l i c h d e r A u g e n b l i c k , w o d i e W i s s e n ­

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s c h a f t e i n g r e i f t , u m d i e A r b e i t z u u n t e r s t ü t z e n u n d zu verbessern. In diesem Falle: Während früher

8. das Holz nur 23 % Teer ergab, hat man jetzt

9. eine Methode gefunden, durch die 100 % gewonnen werden können.

Die andere Hauptlinie folgt der Kulturgeschichte und zeigt, wie die Menschen das Leben im Laufe der Zeit orga­

nisiert haben, immer damit verglichen, wie es jetzt ist.

Die Kleinsten beginnen mit Robinsons Versuchen, sich eine Kulturwelt auf einer öden Insel zu schaffen, und dann geht man weiter, nimmt den Menschen des Steinalters durch, läßt die Kinder selbst seine Waffen, Kleider, Schmuck­

stücke und Wohnungen nachmachen und führt Steinalter-Stiicke mit Sonnenanbetung und anderen religiösen Zere­

monien auf. Man zeigt, wie damals mit einem Pfluge ge­

arbeitet wurde, der aus zusammengebundenen Zweigen ge-fe1 tigt war, während man jetzt einen amerikanischen Dampfpflug zur Verfügung hat. Auf dieselbe Weise wird das Leben der Höhlenmenschen dargestellt; dann Pfahl­

bauten; das Mittelalter; wie der Kreml entstanden ist; der Feudalismus bis zum Kapitalismus.

Die Kinder haben keine Hefte — keine anderen als die, die sie sich selbst aus weißem Papier zurechtschneiden. In die zeichnen sie, was sie sehen, und schreiben, was der Lehrer erzählt. Später gibt er ihnen die Titel gewisser Handbücher in der Bibliothek an. Sie sollen nicht leserv und auswendig lernen, sondern arbeiten, systematisch studieren, ihre eigenen Beobachtungen machen, selbst Schlüsse ziehen. Sie sollen d e n k e n lernen. Sie machen alles selbst, nähen ihre Kostüme für die Schulauf­

führungen, die gewöhnlich der Darstellung historischer Szenen gewidmet sind. Da die Schule arm ist, müssen sie

K i r k e b y , R u s s i s c h e s T a g e b u c h . g

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auch selbst das Material für die Naturgeschichte sammeln;

man begann mit dem Skelett eines Huhnes, dessen Fleisch man zuerst gebraten und verspeist hatte, dann folgte auf gleiche Art ein Kaninchen, daran schloß sich eine Krähe, die man tot im Garten gefunden und ausgestopft hatte. Auf diese Weise dürfte es lange dauern, bis man zum Löwen kommt.

Ein Komitee von Kindern reguliert das tägliche Leben der Schule; hierzu wählt jede Klasse zwei Repräsentanten.

Im Präsidium sitzen außer allen Lehrern vier Schüler und drei Vertreter des Ministeriums. Schließlich findet eine intime Zusammenarbeit zwischen Schule und Gewerk­

schaften, Museen, der Kunstakademie und wichtigen Fabriken in der Weise statt, daß der Unterricht von Zeit zu Zeit in die einzelnen Betriebe oder Institute verlegt wird.

Wir wollen unseren Besuch mit dem Keller beschließen, wo einmal die Weine des Herrn Griboff lagerten, und der jetzt mit Hobelbänken, Werkzeugmaschinen und Schmelz­

öfen gefüllt ist. Ein vierzehnjähriger Knabe lehrt gerade ein dreizehnjähriges Mädchen, die elektrische Drehbank in Gang zu setzen und den Meißel über den schnurrenden Holz­

kegel zu führen, daß die Späne fliegen. Mir fällt das ver­

traute Verhältnis auf, das zwischen Lehrern und Schülern herrscht. Die Verwalterin wird nur mit kameradschaft­

lichem Nicken begrüßt, worauf die beiden Kleinen weiter drehen. Und ich frage Solowjewa; wie sie die Disziplin aufrechterhält:

— Schlagen Sie die Kinder nicht?

— Nie, antwortet sie entsetzt. Ich rede mit ihnen.

Wenn sie einmal etwas sehr Schlimmes getan haben, so weine ich ein wenig. Ich werde Ihnen ein Beispiel unserer Er­

ziehungsmethode nennen: Die Kinder werfen sich gern mit

Eicheln, klettern daher oft auf die Eichbäume und brechen dabei Zweige ab. Wir unternahmen nun einmal einen Ausflug in den Wald. Zufällig kam dort ein Förster hinzu und erklärte, welchen Nutzen wir alle von der Eiche hätten.

Sie gibt Schönheit, sie gibt Feuerung, Holz für den Haus­

bau, Eicheln zum Kaffee, Rinde zum Gerben, Material für das Hausgerät. . . . Seitdem haben die Kinder die Eichen weniger heimgesucht. —

Wer kann nun in dieser Kostschule erzogen werden, wo alles kostenlos ist? Die erste Bedingung ist, daß die Eltern arm sind, die zweite, daß Platz vorhanden ist. 150 Schüler wohnen in der Schule, insgesamt genießen 425 freien Unter­

richt. Fünf Prozent der Kinder kommen aus Kreisen der Intelligenz. Es gibt nur eine Art Menschen, aus deren Heim wir keine Kinder haben wollen, sagt Solowjewa bestimmt

— Schieber.

\\ ir haben keine Zeit, die 34 anderen Experimental-schulen zu besuchen, die jede ihre Eigenart hat. So wollen wir zum Schluß nur in den Sokolnikipark vor Moskau fahren, wo man in einer Sammlung nationalisierter Kauf­

mannsvillen eine Naturschule eingerichtet hat: sie wird P i o s t a n t c i a , d. h. „Die biologische Station der neuen Naturforscher" genannt.

Hier versammelte im Jahre 1918 der Kommunist Dr.

Rusakow eine Reihe jüngerer idealistischer Wissenschaftler, die von hier aus die moderne Naturforschung in allen Schulen Rußlands einführen und sie zur Grundlage für die neue Lebensanschauung der Kinder machen wollten; er wurde später während des Aufstandes in Kronstadt an der Spitze der roten Truppen getötet, aber seine Idee wird von W seswjatski weitergeführt und die Schule von allen Lehrern gemeinsam geleitet.

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Für die 60 Kinder, die hier draußen in der freien Natur wohnen, gibt es keinen festen Lehrplan, sie haben keine Bücher und bekommen erst nach mehreren Jahren eine Art biologischen ,,Baedeker". Sie gehen nur vor die Tür und sollen auf eigene Faust die Welt wissenschaftlich ent­

decken. Sie studieren das Leben um sich her Tag für Tag, v.on Jahreszeit zu Jahreszeit, wie in einem lebenden Kalender. Sie graben im Garten und misten im Stall. Eine der Villen ist zum Laboratorium umgeschaffen, wo alle Möglichkeiten des Lebens ausprobiert werden, eine andere Villa wurde Voliere für Sperlinge, Stare, Raben, Krähen, Störche, Eichhörnchen und Füchse, die die Kinder selbst gefangen haben.

Alles hat ein praktisches Ziel: Der Botaniker studiert in erster Reihe Gemüse, die Zoologen machen Studien über die Haustiere als Grundlage der Biologie. Im Garten züchtet man Bienen, in der Umgebung beobachtet man alles Lebende:

wieviele Vögel im Winter hier sind und wo sie ihre Nester haben. Der ganze Wald ist allmählich ornithologisch karto-graphiert worden. Zuhause statten die Kinder nach allen Ausflügen Berichte ab, die ihren Stil entwickeln, zeichnen Diagramme über ihre Erlebnisse, wodurch ihr mathema­

tischer Sinn sich entfaltet, und kräftigen ihren Körper, in­

dem sie alle Hausarbeit selbst tun.

Im Sommer wählt jedes Gouvernement einen Natur­

geschichtslehrer, der zu einem dreimonatlichen Kursus hierher kommt, und fast jede Woche ziehen von hier Expe­

ditionen aus, die Lehrer von den Moskauer Schulen und Studenten der Universitäten bilden. Sie studieren die Geschichte der Gegend, ihre Flora, ihr lierleben, ihre Geologie. Augenblicklich macht die Hälfte der Kinder einen Ausflug nach der Krim. . . .

Viermal im Jahre treffen sich alle zu Sonnenfesten, nämlich zu den Tag- und Nachtgleichen, am längsten Sommer- und am kürzesten Wintertage. Das Fest beginnt bei Sonnenaufgang. Die ganze Zeit werden Beobachtungen gemacht, wie die Natur sich verändert hat. Um die Mittags­

zeit wird mitten auf dem Festplatze der Schatten der Sonne gemessen, man verfertigt Diagramme über ihren Auf- und Untergang. Gleichzeitig halten die Lehrer astronomische, naturgeschichtliche und historische Vorträge und erklären, wie die religiösen Feste schon vor der Zeit des Christentums eben als Ausdruck für die Ereignisse in der Natur be­

standen.

Ich mache den Einwand, was man denn in dem weit längeren Wintersemester tut, wenn alles von Eis und Schnee starrt.

Die Antwort lautet: Wir arbeiten jetzt mit den Schulen besonders gern im Winter. Man glaubte früher, daß die Natur zu dieser Zeit tot sei. Wir finden, daß sie lebt. Wir studieren die Vögel, die überwintern, die Silhouetten der entlaubten Bäume, das Leben der Insekten unterm Schnee, wir machen meteorologische Beobachtungen vom Schnee selbst, von den Eiskristallen, vom Frost, wir studieren das Leben der Seen unterm Eise. Wir machen das Experiment, Baumzweige in die Stube mitzunehmen, wo sie dann am Ofen ausspringen und haben auf diese Weise mitten im W inter schon blühende Apfelzweige mit winzigen Äpfeln, ja Trauben im März gehabt. Wir stellen z. B. den 300 ver­

schiedenen Klassen in Moskau die Aufgabe: Zeichnet den Winter, wie ihr ihn euch gedacht habt, ehe ihr ihn studiertet, und zeichnet ihn darauf, wie ihr ihn jetzt seht.

— Ausgezeichnet — sage ich, und denke an die dänischen und deutschen Schulkinder, die das ganze Jahr

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einen einzigen Ausflug machen. — Aber alle Kinder Mos­

kaus können doch nicht heraus kommen und im Walde studieren?

— Es ist Leben überall, antwortet man, und jede Woche erhalten die Kinder in der Stadt wenigstens eine Unter­

richtsstunde im Freien, in den Parks, auf den Boulevards, in den Gärten, das einzige, was sie daran hindern könnte, wäre, daß das Schuhzeug nicht in Ordnung ist.

— Eine junge dänische Dame wurde in größerer Ge­

sellschaft durch die neuen russischen Schulen geführt, deren ganze Einrichtung auf Russisch erklärt wurde. Als man fertig war, fiel sie plötzlich weinend Frau Lunatscharski um den Hals, die mit im Gefolge war. Man fragte teil­

nahmsvoll, was ihr wäre? Nichts, antwortete die junge Dame unter Tränen. Ich verstehe nichts von dem, was man gesagt hat, aber ich verstehe, wieviel man für die Kinder tut. . . .

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