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Die Tilden-Kampagne 1876

In document Slægtsforskernes Bibliotek (Sider 172-184)

Ein - nach seiner Veröffentlichung heftig diskutierter - Aufruf brachte im Mai 1876 und wieder im Fifth Avenue Hotel in New York eine Versammlung von unentwegten Reformern zusammen, keineswegs nur „um eine politische Andachtsübung zu halten, den alten Parteien zur Abwechslung einmal wieder in s Gewissen zu reden, eine neue Parteiethik zu formuliren usw. “93, sondern um unverdrossen die öffentliche Meinung in Richtung Reform zu beeinflussen. Doch die - absichtlich frühe geplante - Nom i­

nierung eines Frontmannes, entweder der von Grant gerade vom Amt des Schatz­

amtssekretärs enthobene Republikaner Bristow oder der gegen die New Yorker Kor­

ruption erfolgreiche Demokrat Tilden - beide „Fahnenträger der Reform “ - , scheiterte.

Denn die bekannten Kräfte in den etablierten Parteien regten sich umgehend; Stallo schilderte im Rückblick minutiös, mit welchen Verfahrenstricks und M anipulationen der Tagungsergebnisse die Festlegung auf einen gemeinsamen Kandidaten erneut vor­

zeitig zu Fall gebracht und die Vertagung des New Yorker Kongresses erreicht wurde.

Auch eine Zusam m enkunft in New Orleans konnte diese Aktivitäten zur ‘Schädigung des amerikanischen Volkes’ nicht stoppen. „Wohlmeinende und wohlerzogene L eute“

wie Wesendonck und Körner - und immer noch zählte er Schurz dazu - waren in den Augen Stallos überspielt worden. Sich allerdings jetzt nach so einem weiteren Eklat

91 Der „unappealing candidate“ (Efford, S. 197) hatte gegen Grant keine Chance, auch nicht in den mehr­

heitlich deutschen Wahlbezirken (Dies., S. 238 Tabelle 2: Voting in Cincinnati’s „german“ wards 1860- 76).

92 Mit 78,5 % wurde der Höchstwert für die Beteiligung an einer Präsidentenwahl erreicht (Heideking, S. 176).

93 Reden Nr. 18.1, S. 357.

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noch über die Hereinnahme von reformwilligen Mitgliedern aus den Reihen der De­

m okraten zu beklagen, hielt Stallo für ebenso verspätet wie überflüssig.

Die auch an Lieber orientierten politischen und moralischen Überzeugungen ent­

sprachen Stallos Prinzipientreue und veranlassten ihn während des Wahlkampfes im Herbst 1876 fünf Artikel für die am weitesten verbreitete deutschsprachige und den Demokraten zuneigende New Yorker „Staats-Zeitung“94 zu verfassen. Stallo mischte sich also mit diesen fünf Briefen über „Die politische Sachlage 1876“ 93 erneut in die öffentliche Debatte ein. Weil sich angesichts der Zahl der an ihn gelangten Briefe und seines Zeitmangels dieser Weg anbiete, habe er zu dieser Form der Antwort gegriffen:

„Absolutes Schweigen meinerseits würde mißgedeutet werden (...).“ Die ersten drei Briefe beschäftigten sich mit der augenblicklichen politischen Lage und mit den Aus­

sichten der beiden großen Parteien.

Der erste Brief vom 15. August griff das große Erstaunen beim deutschamerikani­

schen Publikum über Stallos deutlich geäußerte Vorbehalte auf - und vor allem über seine Wahlaussage für den demokratischen Kandidaten. Denn während der letzten 25 Jahre habe sich diese Partei der Sklaven-Frage zugewandt mit der angebotenen Alter­

native „entweder die Union der Freiheit oder die Freiheit der Union zu opfern (...).“

Diese Partei habe zudem eine Politik der permanenten Steuererhöhung verfolgt. Diese Zielvorstellungen seien in ständig wechselnden, aber immer populistisch ausgerichte­

ten Wahlprogrammen niedergelegt worden, insgesamt ein „Zwangskurs“ hin zu „ei­

ner feigen Obstruktionspolitik. “ Das wiege allerdings schwer.

Seine Vorstellungen ausführlicher fortführend widmete sich Stallo eine Woche spä­

ter im zweiten Brief vom 20. August 1876 der Frage, „ob es möglich sei, die jetzige demokratische Partei so umzugestalten und zu reinigen, daß sie m it einiger Aussicht a u f Erfolg m it der Aufgabe der Reform betraut werden könne (...)“ oder ob die zu er­

ledigenden Aufgaben doch eher den Republikanern zuzutrauen seien.

Zunächst hob er die Leistungen der Demokraten in der Vergangenheit hervor - gleichsam die mit dem Nam en Jeffersons und der Unabhängigkeitserklärung ver­

bundene „goldene Z e it“ dieser Partei. Seit den 1840er Jahren waren die Anzeichen

„des allmählichen Verfalls“ nicht mehr zu übersehen; die früher hochgehaltenen Grundgedanken der Demokratie seien abhanden gekommen: So vor allem die Si­

cherstellung der Freiheiten des Individuums, die Idee der Selbstregierung und die Be­

schränkung der Regierungsgewalt auf gesetzgeberische Befugnisse, dazu der Schutz von Gewerbe- und Verkehrsfreiheit vor den Attacken von M onopolisten und Indus­

triebossen sowie die Abwehr von Privilegien und Sonderrechten für Interessengrup­

pen - das alles sei gänzlich aus den Augen verloren worden. M an habe in den Pro­

grammen seither immer nur darauf geachtet, „die Hülsen der alten sogenannten Jef- ferson’schen Prinzipien“ zur Täuschung der W ähler einzubauen. So hätten sich die Demokraten zu einer Partei der Sklaverei-Befürworter entwickelt, die die Union be­

drohe, dem Materialismus huldige und „vollständige Unabhängigkeit der Vereinig­

ten Staaten von auswärtigen Einflüssen “ predige. Als Beispiele dafür nannte er die An­

nexion von Texas, den Krieg gegen M exiko und die Ambitionen in Kuba - mit den

94 Mit einer Auflage von 55 000 Exemplaren (1872) laut Kamphoefner (Musterknaben, S. 43) die größte deutschsprachige Zeitung weltweit; dazu auch Nagel, S. 580 f.

95 Reden Nr. 18.1-5: S. 348-435.

Johann Bernard Stallo (1823-1900) 173

durchaus schädlichen Langzeitfolgen.96 Die politische Abstinenz der Intelligenz im Norden nehme zu; die von ihrer ursprünglichen Anhängerschaft, den kleinen Leuten im Norden, längst getrennte Demokratischen Partei sei in die Hände von Drahtziehern geraten, die auf Geheiß des Südens agierten. Für Stallo stand fest: „(...) südliche Skla­

venbarone oder nördliche Teiggesichter“97 bildeten inzwischen eine merkwürdige Ko­

alition; seine Bilanz war alles andere als beruhigend.

Eine weitere Woche später beschäftigte sich Stallos dritter Brief vom 28. August 1876 mit dem Wiedererstarken der Demokraten. Ihnen traute Stallo eine Besserung der Verhältnisse zu, wenn dieser Richtungswechsel auch mit reichlich innerparteili­

chem Widerstand und der Gefahr eines Rückfalls in alte Verfehlungen verbunden sei.

Trotz der zweifelhaften Qualitäten mancher Anführer in dieser Partei könnte es mit der Tatkraft gutwilliger und einsichtiger Patrioten gelingen, den gefährlichen Re­

formstau angesichts der Ängste vor den Folgen von Krieg, Gewalt und der seit 1873 anhaltenden wirtschaftlichen Depression zu lösen. N ur von diesen gutwilligen Kräf­

ten der „nördlichen D em okraten“ erwartete Stallo die Wende; sie waren selbst im Krieg dieser Partei verbunden geblieben.98

Denn weit größer war aus Stallos Sicht inzwischen das Sündenregister der Repu­

blikaner. M itte der 1850er Jahre hatten sich im Norden die Republikaner als die Par­

tei der Wohlhabenden und der Intelligenz etablieren können, gebildet aus den - aller­

dings unbelehrbaren - Resten der Whig-Partei und aus fortschrittlichen Demokraten.

Ihre Mission, die Sklaverei - wohlverstanden nur im Süden - zu unterbinden und die Union zu erhalten, „(...) wurde, wenn auch m it schweren Opfern, glänzend gelöst. “

Inzwischen aber stünden sie für eine verhängnisvolle Entwicklung: „Wie immer, schwiegen unter den Waffen nicht nur die Gesetze, sondern auch die Verfassung. “ So seien nach 1865 immer mehr Verfassungsprinzipien ganz aufgegeben worden; die Kriegskosten sollten durch hohe Steuern und Zolleinnahmen abgedeckt werden. W äh­

rend ihrer Machtausübung habe sich die Schuldenlast des Staates jedoch verdreifacht.

Die Verschleuderung und Veruntreuung von öffentlichen Geldern beim Bahn-, Hafen- und Kanalbau wurden als Maßnahmen für den Zusammenhalt des Landes angepriesen;

in Wirklichkeit bereicherten sich dadurch korrupte Kongressmitglieder und gewinnori­

entierte Industriekapitäne. Seit 1872 hätten die Republikaner die immer lauter wer­

denden Reformbestrebungen sogar systematisch unterlaufen. In der Wirtschaft würden die nach weiterer Konzentration strebenden Monopole gestärkt, wohingegen die Mehr­

heit des Volkes von mit Ämtern versorgten Parteigängern ausgebeutet werde. Die Ein­

mischung in die persönliche Freiheit habe polizeistaatsmäßige Ausmaße angenommen.

Wie die jüngst in Cincinnati verabschiedete W ahlplattform zeige, sei alles auf Ab­

lenken, Verdecken und auf die Verunglimpfung der demokratischen Wähler besonders aus der Arbeiterschaft angelegt - und das in einer Partei „welche vor gibt, der H ort der Republik und ihres Heils zu sein.“ Das Anfang Juni 1876 verabschiedete

Wahlpro-96 „(...) daß eine Handvoll Abenteurer (...) sich der Territorien bemächtigen und den Codex der Skla­

verei zum unwiderruflichen Grundgesetz der zukünftigen neuen Staaten machen können. Man (...) gründet darauf das Recht der willkürlichen Sezession“ (S. 367).

97 S. 364 f.

98 „(...) die durch den Krieg herbeigeführte neue Ordnung der Dinge in demselben guten Glauben an­

erkennt und zur Aufrechterhaltung derselben ebenso entschlossen ist, wie die Mehrheit der Republi­

kaner“ (S. 390). JBS nennt Groesbeck, McCook, Payne, Ranney, Thurman, Ward (S. 389).

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gramm habe nichts von den Entgleisungen angepackt, wodurch das führende Perso­

nal der Republikanische Partei „noch größeren Unfug treibt, als die demokratische Partei in ihrer schlimmsten Z e it“?9

Alle diese ineinander greifenden und für den notwendigen Wandel erforderlichen Ziele seien in der jüngsten Zeit von den regierenden Republikanern verwässert, ver­

ändert, zurückgestellt oder fallengelassen worden. Aber nur ein ständiges Beharren auf diesen Zielen, die ständige M ahnung an die Gutwilligen im Lande, der ständige Ap­

pell an die alten Prinzipien könne in Verbindung mit gesetzgeberischen M aßnahmen eine Wendung herbeiführen.

Insofern - so Stallos von ausführlichem Zahlenmaterial gestütztes Fazit - hätten die alten Parteien zwar abgewirtschaftet; doch war der direkte Ausweg mit der beab­

sichtigten Gründung einer dritten Partei schon 1872 - damals schnell und gründlich - gescheitert, nicht zuletzt am Unvermögen und am Widerstand der mit der Reform- Aufgabe betrauten Anführer. Dazu kam das Beharrungspotential in beiden etablier­

ten Parteien mit ihrer eigentlich überholten und zudem schädlichen Politik. Stallo blieb auch jetzt noch überzeugt, dass es nach wie vor galt, die Gleichheit der materiellen In­

teressen, die Ähnlichkeit der Anschauungen, die Ideen auf sozialen und anderen nicht­

politischen Gebieten in einer neuen Partei zu bündeln und die landsmannschaftlichen Besonderheiten auszubalancieren; so etwas sei indes - so Stallos Einschätzung - noch nie schnell zu bewerkstelligen gewesen. Einer von einer Mehrheit ins Spiel gebrachten innerparteilichen Regeneration der alten Parteien als Ausweg sah Stallo „nur mit großem M ißtrauen“ entgegen. So blieb aus seiner Sicht jetzt nur der Griff nach einer Zwischenlösung, weil er einer dritten Partei augenblicklich keine Chance einräumte.

Deshalb sollten - so die erstaunlich optimistische Alternative - nunmehr die positiven Elemente der alten Parteien mobilisiert werden, um „die guten Elemente“ aus beiden Parteien zusammen zu bringen.

Als Ziel sah Stallo nur einen gangbaren Weg, nämlich „die allmähliche Reorgani­

sation der staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen des Südens, die Wiederer­

öffnung seiner natürlichen Hülfsquellen, die dauernde Sicherung der inneren Ordnung und des Friedens der eben wieder als gleichberechtigt in den Verband der Union ein­

getretenen Gemeinwesen. “ Stallo stellte klar, dass durch die Mobilisierung bewährter Prinzipien der Demokratie die Erneuerung des Landes gelingen könne, wenn sie nur mit harter Hand durchgeführt w ürde.100

99 S. 351.

100 „Wenn es damals galt, die Bildung von Monopolen und Privilegien zu verhindern, so gilt es jetzt, vorhandene Monopole und Privilegien zu zerstören. Wenn es damals darauf ankam, den Einzelnen wie den Staat vor willkürlichen Uebergriffen nationaler und sonstiger Regierungsgewalt zu schüt­

zen, so kommt es jetzt darauf an, Beide von dem Bann dieser Uebergriffe zu befreien. Selbstregie­

rung, Autonomie des Individuums wie der verschiedenen Abstufungen der politischen Gemeinde in ihren legitimen Lebenssphären ist heute wieder die Losung, wie ehedem“ (S. 383). - „M onopol“ galt laut Schumpeter in den USA „als Urheber beinahe aller Mißstände“ (S. 164) und war zum Schimpf­

wort mutiert; diese an historischen Entwicklungen festgemachte und als naiv bezeichnete Haltung war aus S. Sicht typisch für bürgerliche Liberale. Er betonte, dass „die Großunternehmung oder die große Kontrolleinheit als notwendiges Übel akzeptiert werden muss“ (S. 174), weil sie M otor des Fortschritts und der Ausweitung der Gesamtproduktion sei; staatliche Regulierung der Industrie sei sehr vorsichtig zu handhaben. So die Position des Harvard-Ökonoms Schumpeter (1883-1950), der 1942 noch überzeugt war, dass der Sozialismus den Kapitalismus bezwingen werde (Piketty, S. 182).

Johann Bernard Stallo (1823-1900) 175

Notwendig seien zudem eine maßvolle Erhebung von Steuern bei gleichzeitiger Ab­

schaffung oder drastischer Absenkung der Zölle, die Beibehaltung der Verfassungs­

zusätze, die Neuordnung des korrupten und verbürokratisierten Staatsdienstes durch Ämterreduzierung101 und die Rückkehr zur M etallw ährung102, um dem von Stallo so bezeichneten, offenbar unausrottbaren „Greenback-W ahn“ 103 zu entgehen. Das seien die neuen Aufgaben, die die - in der Öffentlichkeit vor Kraft strotzenden - Republi­

kaner am wenigsten in der Lage seien zu lösen. Dagegen seien die Demokraten im Au­

genblick das kleinere Übel.

Manches, so glaubte Stallo, war - wie die Schutzzollfrage - auf dem Gesetzeswege schnell lösbar. Anderes - wie die Durchforstung des durch alle Verwaltungsstufen rei­

chenden Staatsdiener-Apparates - bedürfe allerdings einer tiefgreifenden, zeitrauben­

den Umbildung.

M it einer K andidatur Tildens könne man jetzt den Anfang dieser mühsam en po­

litischen Umwälzung machen. Das lasse sich - so Stallos Fazit - zum indest vom ge­

rade in St. Louis verabschiedeten Program m der D em okraten erhoffen, das ganz im Gegensatz zu dem der Republikaner wenigstens Ansätze für die Diskussion der drängenden Probleme bereit halte. Am 28. O ktober 1876 setzte sich Stallo am Red­

nerpult des New Yorker Cooper-Instituts - wie dann wieder im Novem ber in New O rleans - „Für Tilden“ 104 ein, den New Yorker R eform -G ouverneur und dem o­

kratischen P räsidentschaftskandidaten.105 Der angeschlagene Ton w ar dram atisch;

in der Endphase des W ahlkam pfes und angesichts des Ernstes der politischen

101 JBS wandelte einen Tacitus-Satz („in der korruptesten Republik giebt’s die meisten Gesetze“ ) ent­

sprechend um: „in der korruptesten Republik giebt’s die meisten Beamten“ (Reden Nr. 18.3, S.

402).

102 Im Februar 1862 war zur Kriegsfinanzierung die nationale Papierwährung („greenback“ ) eingeführt worden, die nach Kriegsende bestehen blieb. Ein langer Streit über die Präferenz von Gold-, Silber- oder Papierwährung wurde geführt. 1873 wurde die Prägung weiterer Silber-Münzen eingestellt; 1875 kehrte Grant zum Goldstandard zurück mit der Absicht, den greenback allmählich durch Silbermün­

zen zu ersetzen. Seit dieser Zeit wurden die Wahlkämpfe auch durch den Streit zwischen Demokraten als Silber-Lobbyisten und den im industrialisierten Norden verankerten Republikanern als Verfechter des knappen, harten Geldes bestimmt. 1875 hatte es noch eine Kampagne des Staates Ohio gegen die Greenback-Währung gegeben. Erst mit der Gründung der staatlichen US-Zentralbank FEDferal Re­

servei 1913 verfügte der Staat über ein Instrument der Regulierung (Adams, S. 105, Heideking, S. 179).

- 1872 verwies JBS auf eine Plakat-Aktion der Demokraten von 1869, „um dem Volke begreiflich zu machen, das Heil des Landes beruhe auf der unbeschränkten Fabrikation uneinlösbarer Papierfetzen“

(Reden Nr. 16, S. 298). - Noch 1892 hielt JBS mit Bezug auf 1876 (Reden Nr. 18.3, S. 402) dazu fest:

„Hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo man allgemein einsehen wird (...), die wahre Lösung der Währungsfrage bestehe darin, daß der Kongreß sich darauf beschränke, Geld zu prägen, d. h. den Me­

tallstücken Zeichen ihres Gewichts und Feingehalts aufzudrücken, und es dann den Kontrahenten selbst überlasse, in ihren Kontrakten vorzusehen, in welcher Münze die dadurch geschaffenen Obligationen einlösbar sein sollen (...)“ (Reden Nr. 23, S. 531).

103 „(...) dessen wir mit so viel Mühe Herr geworden sind, und der in vielen Theilen der Union noch im­

mer nicht erloschen ist. Es giebt auch jetzt noch Tausende von Leuten, die fest überzeugt sind, der Wohlstand des Landes stehe in direktem Verhältniß zur Menge des darin kursirenden Geldes“ (1884, Reden Nr. 22.2, S. 508).

104 Reden Nr. 19, S. 436-464.

105 „Tilden, the Democrats thought, was a hard-money reformer und friend to the immigrant (...) by 1876 nearly a whole generation of German-American leaders had written off the Republican Party.

(...) Voters were slower to change than their leaders“ (Efford, S. 225).

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Lage106 sei es seine Pflicht als einfacher Wahlbürger, gleichsam als M ahner zur Auf­

klärung über die augenblicklichen Zustände und zum Nachdenken über die politische Weichenstellung für die kommenden Jahre beizutragen. Der Wahlkampf fiel auch in die Zeit, in der die Konjunktur in den USA spürbar schwächelte und zusätzlich Unsi­

cherheit verbreitete, was Stallo der „orthodox-republikanischen“ Regierung zur Last legte.

Bezeichnend war für Stallo der Umgang der Regierung mit der seit zehn Jahren aus­

stehenden und immer wieder aufgeschobenen Abkehr von der Papiergeld-Währung,

„dem Zwangkurs der Greenbacks.“ Damit habe eine seit 15 Jahren betriebene Poli­

tik die Finanz- und die Arbeitskraft im Lande zerrüttet.107 Denn die für die verspro­

chene Rückkehr zur Metall-W ährung erhobenen Steuern von jährlich wenigstens 500 Millionen Dollar seien mehrheitlich in die Taschen von Spekulanten gewandert. Infolge des erhobenen Schutzzolls hätten die um 10 % gestiegenen Produktionskosten die US- Industrie vom M arkt ausgesperrt. Was übrig geblieben sei, hätten Korruption und Geldverschleuderung aufgezehrt, statt die kriegsbedingte Staatsschuld von drei Bil­

lionen Dollar nachhaltig zu reduzieren. Insgesamt sei die republikanische Politik in die Inflationsfalle gelaufen. Von einer Verminderung öffentlicher Ausgaben und einer Politik zur Stärkung der Steuerkraft des Landes konnte Stallo nichts erkennen. Be­

zeichnend für dieses Vorgehen einer Zerstörung der „natürlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse“ sei die Verdoppelung des Präsidentengehalts und die Verdrei­

fachung der Staatsausgaben.

Trotzdem hatte sich Hayes als Kandidat der Republikaner gegen Bristow, den Fa­

voriten der Reformer, deutlich durchgesetzt; als ehemaliger Parteigänger der Whigs und Gouverneur von Ohio habe Hayes - wie Stallo minutiös an H and von dessen Rede­

beiträgen und Abstimmungsverhalten in den zurückliegenden Jahren nachwies - als Kongressmitglied stets mitgeholfen, die Reformversuche der Demokraten niederzu­

stimmen, Gesetzesverstöße gutzuheißen oder zuzudecken. Den Zuhörern wurde H ayes108 als Phrasendrescher und williger Unterstützer der Beutepolitiker, der purita­

nischen und nativistischen Fanatiker, der Schutzzoll-Verfechter und der Spekulanten109

106 „Es ist eine Thatsache, die wenigstens von den deutschen Bürgern dieses Landes nicht bestritten wird, daß in unserm nationalen Leben Uebelstände eingerissen sind, durch deren Beseitigung nicht nur das Wohl, sondern das Fortbestehen unseres Gemeinwesens in seiner bisherigen republikanisch-demo­

kratischen Form, bedingt ist“ (Reden Nr. 19, S. 436).

107 „Sie hat (...) eine Politik verfolgt, die im Fall ihrer Fortsetzung, unvermeidlich dahin führen muß, daß unsere produktive Industrie ertödtet, unser internationaler Handel und Verkehr zerstört, und unser Kredit im Ausland vernichtet wird, so daß von der Tilgung unserer nationalen Schuld und mit­

hin auch von einer Wiederaufnahme der Baarzahlung kaum ernstlich die Rede sein kann“ (S. 442).

108 „(...) Hayes ist und bleibt der Sklave des Verbrechens“ (1877, Reden Nr. 20, S. 468). - JBS legte Wert auf die Richtigstellung, wonach die Beschreibung von H. als „round man, without rickety proportions“

1872 in Cincinnati erfunden und auf Grant angewendet worden sei. „Dabei ist zu bemerken, daß der geniale Erfinder von seinem Plagiat am alten Horaz keine Ahnung hatte“ (Reden Nr. 18.3, S. 399 Anm.).

109 Auflistung zahlreicher Beispiele aus den Jahren 1866-76 in: Reden Nr. 18.2, S. 371 Anm. - Seit 1862 seien an verschiedene Eisenbahn-Gesellschaften 127 Mio acres Ackerland gegangen „- eine Län­

derstrecke, die umfangreicher ist, als der ganze Flächenraum der vier größten Staaten der Union!“

Dazu kämen Staatskredite von über 64,5 Mio Dollar und 25 Mio bezahlter Zinsen, rückzahlbar erst nach 30 Jahren. Dazu bezahle der Staat jährlich nochmals 4 Mio Zinsen. „Es ist nachgewiesen, daß das von der Regierung gemachte Darlehen allein fast genügt hat, die fertigen Bahnen zu bauen, so daß die Aktieninhaber der Eisenbahngesellschaften die Bahnen sowohl wie die geschenkten

Lände-Johann Bernard Stallo (1 8 2 3 -1 9 0 0 )______ 177

vorgeführt. Wie die Aufstockung des Supreme Court durch zwei konservative M it­

glieder hinlänglich zeige, reduzierten die Republikaner die M itwirkung des Volkes auf das Steuerzahlen. Auch bewies die 1870 erfolgte Streichung des Amtes des Steuer­

kommissars Wells, dem seine Gegner die Wandlung zum Freihändler nicht verziehen, wer die Drahtzieher waren. Um den Anhängern des Freihandels zu schaden, waren diese sich nicht zu schade gewesen, in einer aggressiven Kampagne den Vorwurf zu streuen, im Wahlkampf sei britisches Geld geflossenen. Stallo prophezeite: Die ver­

sprochene Vereinfachung der Verwaltung mit weniger Beamten und weniger Verfü­

gungen oder Erlassen schaffe nur noch mehr Bürokratie. Die bisherigen Erklärungen der Republikaner dienten zur Irreführung der Bürger und zur Verdeckung der eigent­

lich wichtigen Fragen wie die Behandlung der Rebellenstaaten oder der Umgang mit dem Ultramontanismus. Mit einem gewählten Hayes - so schloss Stallo sein Plädoyer für Tilden - würde es um die Frage gehen „ob in unserem Lande die Regierung fortan Alles sein soll, und der Bürger Nichts (...).“

Im wesentlichen war die Rede eine Auseinandersetzung mit der zwei Wochen vorher in der New Yorker Staatszeitung wiedergegebenen Ansprache von Schurz an gleicher Stelle. Dieser hatte am 14. Oktober 1876 die Vorstellungen der Republikaner zur Reform der Finanzen, des Regierungshandelns, des Staatsdienstes sowie die Rückkehr zur H art­

geldwährung unterstützt. Aus Stallos Sicht war das „ein merkwürdiges Schauspiel.“

M it Schurz war er seit langem bekannt. Schon 1860 soll er „im Verein mit Stallo“

andere Deutschamerikaner „m assenhaft“ aus der Demokratischen Partei abgeworben und veranlasst haben, für die Republikaner und den Sklaverei-Gegner Lincoln zu stim­

m en.110 Anfang Mai 1872 begann die Entfremdung Stallos von Schurz, der - neben Jacob M üller-w ährend des Konvents im Hause Stallo zu Gast gewesen war. Schurz111, der sich gerade vom revolutionären Aktivisten in einen konservativen Reformer ver­

wandelte, soll - so die harten Vorwürfe112 - als Vorsitzender des liberaldemokratischen

reien umsonst haben“ (Reden Nr. 19, S. 455). Der Kongress-Abgeordnete Hayes habe für 17 Land­

schenkungen gestimmt, die größte über 42 Mio acres an die ,Atlantische und Pacifische Eisenbahn’,

„deren Gesamtareal der Gebietsausdehnung der Staaten New York, Pennsylvanien und Ohio mehr als gleichkam“ (Reden Nr. 21.2, S. 481 f). - Nach Adams (S. 101) sollen zwischen 1862-72 30 Mio acres Land an die Eisenbahn-Gesellschaften übergegangen sein, die zusammen mit den Großindus­

triellen und den Finanzkapitänen über die Jahrhundertwende hinaus eine dominante Rolle in der Po­

litik spielten.

110 So Cronau, S. 334, 340 (ohne Quellenangabe). - Im September 1872 zitierte JBS ausführlich aus ei­

ner Rede von Schurz vom 13.09.1860, um die Kehrtwende zu verdeutlichen, die S. inzwischen vor­

genommen hatte (Reden Nr. 17, S. 331-332).

111 JBS zitierte aus einer weiteren Schurz-Rede, um sein eigenes Zögern im Mai 1872 und sein damals noch ungebrochenes Vertrauen zu S. zu unterstreichen (S. 312-313). - „(...) Schurz’s newfound faith in laissez-faire politics and local self-rule led him to resist federal legislation against Ku Klux Kian terror. (...) In their attempt to forge an American meritocracy, liberal politicians like Schurz all but abandoned their concerns for social equality (...) in a society that increasingly defined itself as ex- ceptionalist, capitalist, and white“ (Honeck, S. 178 f). - Bancroft/Dunning nahmen S. in Schutz: Die Nominierung von Greeley sei eine „schwere Enttäuschung“ gewesen, aber S. habe die „Rolle eines Präsidentenmachers“ nicht spielen wollen und sich nur noch auf die Wahl 1876 konzentriert (S. 382 f).

-Trefousse (S. 185) und Efford (S. 195) sahen S. Rolle ebenfalls weniger kritisch.

112 Nagler (S. 427 f) hat Zweifel an der „Verschwörungstheorie“ einiger Historiker und macht die „un­

berechenbare Delegiertenzusammensetzung“ und Schurz’ Selbstüberschätzung seines taktischen Geschicks für den missglückten Tagungsausgang verantwortlich.

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