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Der integrierte Kulturbürger

In document Slægtsforskernes Bibliotek (Sider 62-69)

Stallo ist der ersten Welle der Einwanderer im 19. Jahrhundert zuzurechnen. Der Leh­

rer- und Heuermannssohn Stallo hat die sich ihm in den USA bietenden Chancen ge­

nützt und im oberen M ittelstand seinen Platz erarbeitet: Ein gutes Einkommen als an­

gesehener Anwalt, der auch in Aktien und Hypotheken investierte, ermöglichten ihm und seiner Familie ein Leben im - wie Stallo es sah: bescheidenen - Wohlstand. Auf ihn traf der für die meisten Auswanderer angewendete Wahlspruch also nicht zu: ‘Den Ahnen der Tod, den Eltern die N ot, den Kindern das Brot’.

Im Kulturleben der Stadt erwarb er als Intellektueller und ausgewiesener Forscher einen beträchtlichen Bekanntheitsgrad, öffentliches Ansehen und soziales Prestige?2 1849 wurde der erst 26jährige ausgewählt, die Willkommensrede auf den Revoluti­

onsteilnehmer Hecker zu halten.

Genau so groß wie Stallos Liebe zu den Naturwissenschaften waren auch sein In­

teresse, seine Neugier sowie sein Bedürfnis, auf verschiedenen Feldern sich schriftlich und mündlich zu äußern. Er hielt populärwissenschaftliche Vorträge, etwa an Sonn­

tagnachmittagen in der Turnhalle der Stadt, die es garnicht bis zu einer Druckfassung schafften. Als Mitglied im „Deutscher Literarischer C lub“33 beteiligte er sich seit 1877 in unregelmäßigen Abständen an Sonntagen am Programm der Winter-Vorträge.

Wenn Stallo, wie Ratterm ann bestätigte, philosophische Themen behandelte, dann dürfte das für die Zuhörer keine leichte Kost gewesen sein. Auf diesem Wege hat er in durchaus pädagogischer Absicht (z. B. über Humboldt, 1859) auch seinen Beitrag zum Zusam m enhalt der deutschen Gemeinschaft geleistet (wie über Garibaldi, 1860; Sän­

gerfestreden 1856-70, zum Deutschunterricht, 1883); gleichzeitig war es ihm immer

51 Rödter hat sie 1840 verkauft. Seit 1865 gab der Anwalt und Journalist Hassaurek diese Zeitung heraus, zusammen mit der „Freie Presse“ die bedeutendste Zeitung der Stadt.

52 Easton, S. 28 und 49: „leading figure in the community“, „prominent public figure“ . - Der Autodi­

dakt JBS ohne eine akademische Stufenleiter passt also wie viele seiner eingewanderten Vertrauten in Cincinnati nicht in den Definitionszusammenhang bei Engelhardt.

53 Dobbert (S. 34) bezeichnete diesen als „aristocratic“ . - Der Club tagte regelmäßig im „Grammers“

in der Walnut Street, dem 1872 von Anton Grammer (1832-1911) gegründeten Restaurant.

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ein Anliegen, den Aufbau einer deutsch-amerikanischen Kultur zu fördern (Jefferson, 1855). Diese Ansprachen wurden meist auf Deutsch angeboten; von den zahl­

reichen Vorträgen, die er in fast drei Jahrzehnten hielt, sind sechs von den in der Turnhalle gehalte­

nen Ansprachen gedruckt und in den Sammelband von 1893 aufge­

nommen worden.

Als Nachfolger Rödters wurde er Präsident des 1844 gegründeten

„Deutscher Lese- und Bildungs­

verein“, durch den die Verbreitung des Buches und die Förderung der deutschen Sprache betrieben wer­

den sollte?4 Am 6. April 1875 wurde Stallo als Mitglied in den Pionierverein03 aufgenommen; nur deutschstämmige Amerikaner ab dem 40. Lebensjahr und mindes­

tens 25 Jahren ununterbrochener Residenz in Cincinnati kamen da­

für in Betracht. Dieser von 1868 bis 1961 bestehende Verein, der im „Washington Plat­

form Saloon“ in der Elm Street monatlich tagte, gab bis 1887 die Zeitschrift „Der Deutsche Pionier“ heraus. Leitender Redakteur und treibende Kraft war ein Jahrzehnt lang Ratterm ann, den Stallo zu dieser Tätigkeit ausdrücklich ermutigte. Als Mitglied des Programm- und Organisationskomitees unterstützte Stallo 1880 das Bestreben

„mit dem nächsten Stiftungsfeste des Vereins eine Wiedervereinigungsfestlichkeit (Re­

union) der 30er und 40er deutschen Pioniere des Geistes in den Vereinigten Staaten“

zu veranstalten.36 Anfangs dürfte Stallo auch an dem - ab 1883 an jedem ersten Sep­

tember-Sonntag abgehaltenen - ‘Deutschen Tag’ teilgenommen haben, der in Erinne­

rung an die Ankunft von Pistorius und seinen Pfälzern in Philadelphia (1683) gefeiert wurde; seit 1895, als Ratterm ann die Organisation verantwortete und Stallo längst in Italien wohnte, feierte man in Cincinnati an diesem Tag zusätzlich auch die Erinne­

rung an die Schlacht von Sedan.

Es kann also nicht verwundern, dass man mit Beginn seiner Anwaltstätigkeit ab 1849 Stallo zusammen mit anderen deutschen Honoratioren der Stadt - aus Gründen der Beziehungspflege und der Geselligkeit - regelmäßig im „Weinschmitt“, in

„Wie-54 Körner, S. 201.

55 D DP7.2, 1875, S. 80.

56 Einladungsschreiben von HAR an den „achtbaren Herrn Richter“ vom 20.03.1880 (UI HARC R.2.2v, p. 127); neben diesen gehörten Rümelin, M oor und Brühl zu diesem Komitee zur Ausrich­

tung des 12. Stiftungsfestes des DPV von Cincinnati. Der Aufruf ist gedruckt in: DDP 12.1, 1880, S.

39-40 und der Bericht über das am 24. -26.05.1880 abgehaltene Fest: ebd. 12.3., 1880, S. 99-121.

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lert’s Pavilion“, in Weber’s Café oder am Stammtisch in der Braue­

rei Gloßner, in „Klopfers H öhe“

oder bei Roll, Reiß, Hag antraf.

Wenn man dem nach 1858 auch dort verkehrenden R atterm ann glauben darf, schätzten ihn seine Kollegen: Stallo war in diesen „Bier- und Gesprächsrunden“ ein geselli­

ger, regelmäßiger und gern gese­

hener Gast von „liebenswürdiger Gemüthlichkeit“ und aufgeweck­

tem, lebhaftem Temperament. Rat­

term ann wollte an Stallo unbe­

dingt „etwas Aristokratisches“ aus­

gemacht haben, „nichts Eigendünk- liches, sondern ein vornehmes, geistesaristokratisches Benehmen “;

doch konnte Stallos Verhalten of- Abb. 28b: Wielerts Pavillon, Vine Street, heute fenbar schnell Umschlägen?7

Neben den Stammtischbesu­

chen ging Stallo auch zu den Treffen literarischer oder musischer Zirkel; ein ausge­

suchter Kreis von Gleichgesinnten traf sich an jedem ersten Sonntag im M onat zu M u­

sik und Gesprächen reihum in den Privathäusern des Freundeskreises, auch im „Sa­

lon“ Stallo. Daran nahmen deutschstämmige Vormärzler und Achtundvierziger, Sklavereigegner und Turner, sowie auch Vertreter aller möglichen religiösen Ausrich­

tungen teil, die zur Spitze der sozialen Hierarchie der - deutschstämmigen - Bürger der Stadt zählten?8

So etwa pflegte Stallo den Umgang mit - von Ratterm ann namentlich festgehalte­

nen - Personen unterschiedlichster Herkunft wie dem Journalisten und Dichter Au­

gust Becker^9, dem Philosophen Moncure Daniel Conway, mit Ex-General August

57 „Er war aber sehr wählerisch. Kam ein prätensiöser, vorlauter Bramarbaß hereingeschneit, so hatte er ihn sofort erkannt und wich ihm aus, und wenn eine ihm sonst unliebe Person zugegen war, setzte er sich an einen andern Tisch, trank sein Glas Bier aus und ging fort. Von etlichen Leuten wurde ihm das als Hochmuth gedeutet, allein es war ein edler Stolz, der ihn leitete“ (S. 50).

58 „Das erste deutsche Frauenkränzchen in Cincinnati“ (Rümelin in: DDP 4.6, 1872, S. 210-214) soll 1837 gegründet worden sein. Eine neue Generation von Frauen habe sich ab 1830 zusammengefun­

den. Während die Männer öffentliche Lokale aufsuchten, besuchten sich Frauen gegenseitig privat.

Je nach Interesse fanden sie sich in literarisch, musisch oder auch kirchlich ausgerichteten Gruppen zusammen. Als Protagonistinnen werden die Namen Backhaus, Bouché, Klauprecht, Kränking, Kröll, Miller, Molitor, Rümelin,Verdun genannt. Dazu heißt es abschließend: „Alle vaterländischen Küchen und Lebensweisen, auch verschiedene religiöse Denkungsweisen waren vertreten, - es war die Viel­

seitigkeit harmonisch vereint“ (S. 214). Wie HAR dazu ergänzte (DDP 7.7, 1875, S. 280-283) habe leider die „gute deutsche Gemüthlichkeit“ seit der Jahrhundertmitte sichtbar abgenommen.

59 „(...) der den Tag voraus berechnete, an dem er von hoch oben gnädigst auf seine ,anglo-amerikani- schen Freunde’ hinab zu blicken und sie seiner Gewogenheit zu versichern gedachte“ (1876, Reden Nr. 18.4, S. 413 f). - Der Hecker-Vertraute B. traf 1858 im Hause Stallo auf seinen hessischen Lands­

mann Münch und freundete sich mit ihm an (DDP 4.3, 1872, S. 82).

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Moor, dem katholischen Pfarrer Clemens Hammer und seinem protestantischen Kol­

legen August Kröll, August Recher, dem Rabbiner Dr. M ax Lilienthal60, mit Dr. Karl Schneider, dem Arzt Friedrich Rölker und den Apothekern Eckel, Kolb, Wagner, mit Ludwig Wehmer, den Journalisten Heinrich Rödter und Friedrich M ünch61, dem Leh­

rer Heinrich Pöppelmann und dem Friedensrichter Renau; zu diesen Kreisen gehörten bald nach ihrer Ankunft die Achtundvierziger Friedrich Hecker62 und August Willich63 wie auch der Zoologe Adolph Zipperlen und Louis Fuhrmann.

Hinzu kamen Bekannte und Freunde in anderen Städten, mit denen Stallo korres­

pondierte, die er besuchte oder bei sich zuhause begrüßte, wie beispielsweise Caspar Butz64 aus Chicago, Friedrich Kapp65 aus New York, die Mediziner Constantin H e­

ring und Heinrich Tiedemann aus Philadelphia66, Emil Preetorius aus St. Louis und - bis zum endgültigen Bruch - Carl Schurz. Der deutsch-amerikanische Historiker und Germanist Oswald Seidensticker, ein eifriger Beiträger beim „Der Deutsche Pionier“, und der Ethnologe Adolph Bandelier wurden bisweilen begrüßt.

Man kann davon ausgehen, dass Stallo das ihn interessierende wissenschaftliche Geschehen in Deutschland genau verfolgte. Welche deutsche Nachrichtenmedien er im einzelnen genutzt hat und zu welchen Personen er - außer zu Ernst Mach - noch

brief-60 Reden Nr. 15, S. 274-277: Für JBS, einer der Redner auf der Gedächtnis-Feier (DDP 14.6, 1882, S.

213), war der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zugleich „Stammesgenosse und Freund (...) der biedere Deutsche“ und ein Kosmopolit. - L. galt als Reform-Rabbiner und Cincinnati als Zentrum des Reformjudentums in den USA (Fuchs, S. 109 und Anm. 149).

61 Er verfasste u.a. „Die künftige deutsche Auswanderung nach Nordamerika“, in: DDP 3.7, 1871, S.

203-208. - JBS urteilte 1876 im Rückblick auf 1872: „(...) die mit uns in der Reformarbeit gemein­

schaftliche Sache machen sollten, sich von ihrem Mißtrauen gegen die Demokratie nicht werden frei­

machen können, (wie das z.B. bei meinen Freunden Hecker und Münch zu sehen ist)“ (Reden Nr. 18.3, S. 391).

62 H. wurde zusammen mit den anderen 48ern Kinkel, Schurz, Sigel und Struve zu Beginn des Bürger­

krieges angefeindet; Karl Heinzen, seit 1856 Redakteur beim New Yorker „Pionier“, bezeichnete sie als „Nachfahren der deutschen Fürsten“ und griff sie in der Zeitung wiederholt scharf an (Reiß, S. 356).

63 JBS soll W. („a daring spokesman of radical democracy“: Honeck, S. 83) 1858 nach Cincinnati ge­

holt haben. JBS stimmte mit W. überein bei der Forderung einer Reform des US-Staatswesens, der För­

derung des Bildungswesens und der Schaffung einer Plattform für alle Deutschamerikaner (Reiß, S.

333 Anm. 74).

64 „(...) dem Poeten, der Verse darüber macht, am 4. Juli und an andern Gedächtnißtagen der Freiheit sich zu Dithyramben begeistert, Ideale hat, und für den Robespierre schwärmt“ (1865, Reden Nr. 10, S. 214 f). Weitere Erwähnungen seines Freundes B.: ebd. S. 225, 229. - JBS, 1864-65 selbst als Au­

tor der „Deutsch-amerikanische Monatshefte“ tätig, animierte am 22.08.1864 auch Tafel - ggf. auch anonym - irgend etwas für Butz’ Monatsschrift beizutragen, etwa „Skizzen aus dem Kriegsleben, Be­

trachtungen über den südlichen Himmel etc.“ (CMC Mss 1070/2/23/1). - In den 13 erhaltenen, in der Mehrzahl englisch abgefassten Briefen im CMC wurde - ansonsten wenig überliefertes - Priva­

tes ebenso wie Geschäftliches behandelt; noch mehr kamen Angelegenheiten des Regiments oder ein­

zelner Truppenangehöriger zur Sprache. Stallo begründete seine Schreibpausen mit Arbeitsüberlas­

tung, Krankheit oder Abwesenheit. (Ich danke der Archivarin Christine Schmid Engels, die mir am 30.10.2014 das fotokopierte Material aus dem Tafel-Nachlass zur Verfügung gestellt hat.)

65 „(...) der in ruhigen Stunden, wenn er nicht eben in Jones’ Wood gesungen und gezecht hat, auch Rea­

list ist“ (1865, Reden Nr. 10, S. 229). K. hatte schon 1854 in New York eine Abhandlung über die Sklavenfrage herausgebracht. Den Staat USA nannte K. eine „Geschäfts-Association“ (Reiß, S. 369).

- Siehe unten S. 223 Anm. 41.

66 „(...) wovon der Eine bekanntlich die Materie zu verdünnen und der Andere neuerdings die Geister zu verdicken bemüht ist“ (1865, Reden Nr. 10, S. 230).

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Abb. 29: Bellevue House in Clifton Heights mit Schiefebenen-Bahn

lichen Kontakt hielt, dafür hat es bisher keine konkreten Anhaltspunkte gegeben. Die Zahl der Besucher und Gäste aus Deutschland im Hause Stallo blieb - soweit es R at­

termann registriert und überliefert hat - begrenzt. Erwähnt werden die Dichter Fried­

rich von Bodenstedt und Theodor Kirchhoff. Der Afrika-Reisende Gerhard Rolfs war zwar Rattermanns Gast, verkehrte aber während seines Aufenthalts in Cincinnati auch bei Stallo. Eine unrühmliche Erwähnung findet der Dichter Friedrich von Bodenstedt;

sein - nicht näher benanntes - „unschönes“ Auftreten in der Stadt und im Haus seines Gastgebers verleidete Stallo danach die Aufnahme von Besuchern.

Viele Autoren kamen auf Stallos offenes Haus zu sprechen67; entweder hatten sie davon reden hören oder sie waren selbst in den Genuss von Einladungen gekommen.

Stallos (von Ratterm ann so genannte) Villa68 in der 429 Resor Avenue im höher gele­

genen Clifton Heights69, wenige Jahre vor der Übersiedlung nach Italien gekauft, war

67 „Sein gastfreundliches Heim war stets hervorragenden Landsleuten, welche die Königin des Westens besuchten, geöffnet und vorzüglich finden dort hervorragende Gelehrte und Künstler freundliche Auf­

nahme“ (Tenner, S. 445). - „ ... his home was one of the social, intellectual and artistic centers of that city“ (McCormack, S. 278). - „Stallo’s home was the meeting point of all distinguished German po­

liticians“ (Johnson, S. 207). - „His home was typical of upper-middle-class European families“; Eas­

ton beruft sich auf Aussagen einer nicht näher benannten Verwandten (S. 52).

68 Im Census von 1850 war JBS im 10. (S. 111), 1860 im 5. (S. 131), 1870 im 9. Wahlbezirk (S. 29) auf­

geführt (Datenbank des AHB, eingesehen am 17.03.2015). - JBS teilte Tafel am 7.12.1864 mit (CMC Mss 1070/2/24/7), dass „I had a tumble with my horse buggy and all, last Sunday (...).“ Wenn man davon ausgeht, dass es sich um ein eigenes Gefährt handelte, dann verfügte JBS - unabhängig von ge­

äußerten Klagen über angespannte finanzielle Verhältnisse - über entsprechende Mittel für Unter­

bringungsmöglichkeiten und Personal.

69 Im Touristenführer wurde Clifton als „Perle der Vorstädte“ angepriesen, „dem Eldorado der Aristo­

kratie und dem Mekka aller fremden Besucher. Wohl wenige Vorstädte können ihm an Pracht der Re­

sidenzen und Geschmack der Anlagen den Rang ablaufen. Hier verbringt die ,haute volee’ die heißen

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mit dem privaten Wohn- und dem großzügig angelegten Arbeitsbereich denn auch Treffpunkt für solch ausgesuchte Personen. Das Haus verfügte nach Schilderung Rat­

termanns auch über ein Empfangs- und Sprechzimmer. Ein besonders repräsentativer O rt war der Musik-Salon; dort standen zwei Steinway-Konzerflügel. Alle Kinder sol­

len das Instrument erlernt haben; Hulda Stallo kam von ihrem Studium in Leipzig als Wagnerianerin zurück, wohingegen Stallo eher Bach, Haydn, M ozart bevorzugte. Bei den Vorführungen seiner Tochter Hulda vor den vielen Besucher, oft begleitet vom Pia­

nisten Adolph Carpe70, waren aber auch Beethoven, Weber, Schumann und Chopin im Repertoire.

Das angebaute Studierzimmer für Stallos außerberufliche Studien war nach R at­

termanns Schilderung ebenso wie die Bibliothek angefüllt mit Büsten und Stichen von über fünfzig berühmten und von Stallo geschätzten Persönlichkeiten aus Kunst, Dich­

tung, Naturwissenschaft und Philosophie - und schon so als „Sanctum-Sanctorum“

erkennbar; Ratterm ann erinnerte sich vor allem an Büsten der besonders geschätzten Goethe und Hum boldt, an Portraits von Sokrates, Aristoteles, Shakespeare, Schiller, Newton, Bacon, Darwin, Helmholtz, Mill, Paine und nicht zuletzt Jefferson.

Die Bibliothek mit etwa 5000 Bänden71, nicht gerechnet die juristische Literatur in seinem Büro, war thematisch sehr breit gefächert. Der Möser-Verehrer Stallo soll dort auch Raritäten wie Erstausgaben von Keplers astronomischen Schriften der Jahre 1609-27 resp. Briefe von 1718 verwahrt haben. Zudem wurden dort wissenschaftli­

che Zeitschriften aus den unterschiedlichsten Gebieten vorgehalten; hier durfte sich auch Ratterm ann bedienen.72 Der Bücherbestand w ar so groß, dass er bis auf wenige Exemplare 1885 nicht nach Italien mitgenommen werden konnte.

Diese Bibliothek war Ausdruck für Stallos Aufstieg und Erfolg, seine Bildungsnähe und Kulturbeflissenheit, für Bürgerstolz und Sendungsbewusstsein. Wie aus seiner 1893 veröffentlichten Zusammenstellung ausgewählter Abhandlungen hervorgeht, war Stallo Zeit seines Lebens ein Lernender geblieben und ein im klassischen Sinn Ge­

lehrter geworden, der die Ideen der deutschen Aufklärung mitgebracht hatte und der für neue Ideen aufgeschlossen blieb.

Sommertage in ihren palastähnlichen, von hohen Bäumen und dichtem Gebüsche geschützten Ge­

bäuden (...)“ (Burgheim, Wegweiser, S. 263). Publikumsmagnet für Ausflügler aus der Stadt an Sonn­

tagen war das Bellevue-Haus; die 130 m hinauf wurden ursprünglich durch eine dampfbetriebene Schiefebenen-Bahn überwunden. „Das schönste Vergnügungslokal der Vereinigten Staaten“ umfasste Ballsaal, Kegelbahnen, Billardhallen, Garten und Aussichtsplattform. „Am nördlichen Ende des Gar­

tens liegt das alte Haus, welches früher von Richter Stallo bewohnt wurde und welches jetzt von dem unternehmenden Pächter des ganzen Platzes, Herrn Hildebrandt, ebenfalls für Wirtschaftszwecke ein­

gerichtet ist“ (S. 176, 178).

70 Verfasser (gest. um 1905) von „The pianist and the art of music. A treatise on piano playing for te­

achers and students“, Chicago 1893 (Neudruck 2009); „Der Rhythmus. Sein Wesen in der Kunst und seine Bedeutung im musikalischen Vortrage“, Leipzig 1900.

71 „Sie wissen, daß es in unserm Hause gerade an Büchern nicht fehlt“; mit diesen Worten begründete Walter Stallo (16.07.1879 an Major Hipp in S. Marys, Auglaise County) die Weigerung einer Über­

nahme aller Bücher des verstorbenen Willich; nur die philosophischen Werke fänden noch Platz, aus­

gewählte medizinische Titel wollte er selbst in Besitz nehmen, Hipp sollte die militärischen Werke über­

nehmen; der Rest könnte einer Schule oder einer öffentlichen Bibliothek übergeben werden (UI HARC R.3.3, p. 73).

72 So z.B. als HAR sich auf der Suche nach Material über den Grafen Pourtales an JBS wandte (14. und 15.12.1880, UI HARC R.1.35 (box 5); dessen Biografie erschien in : DDP 13.3, 1881, S. 82-90.

Johann Bernard Stallo (1823 -1900) ___ ______ 67

Der Anwaltsberuf brachte es mit sich, dass Stallo mit Blick auf seine Klientel Cin­

cinnati bis 1885 nur selten und dann für kurze Zeit verließ.73 Über die Familie ist we­

nig überliefert. Aus der spärlich überlieferten Korrespondenz mit Gustav Tafel w äh­

rend des Bürgerkriegs geht nur hervor, dass Stallo Anlage-Geschäfte für seine Familie tätigte, dass ihm aber auch die Angehörigen seiner Frau Geld anvertrauten.

Über die Herkunft von Stallos Ehefrau berichtete selbst Ratterm ann nichts. 1850, ein Jahr nach einer Cholera-Epidemie, wohnte die zum Zeitpunkt der Volkszählung 24jährige Helene mit ihrem Ehemann und dem acht M onate alten Sohn Robert noch zusammen mit dem Kaufmann C. Zimmermann und dessen Familienangehörigen in einem Haus. Zu diesem Zeitpunkt gab es neben der 1825 in Deutschland geborenen Helene noch vier Geschwister.74 Zehn Jahre später vermerkt die Census-Liste, dass der Haushalt des Anwalts Stallo seine Frau Helene, vier Kinder und die aus (wahrschein­

lich Rhein-) Bayern stammende achtzehnjährige Haushaltshilfe M argret Hahn um­

fasste. Am Tag seiner Musterung gab Stallo am 2. September 1862 als Wohnadresse 19 Court Street an. 1870 gehörten sieben Personen zum Haushalt: Stallo, seine Ehe­

frau und inzwischen fünf Kinder.

Ob in Stallos H aus eine em anzipatorisch-dem okratische Atm osphäre herrschte, darüber haben wir keine Kenntnis. Tenner hatte 1878 dazu am Schluss seiner Le­

bensskizze geäußert: „Es heisst und wir glauben es gerne, dass es in dieser Stadt keine glücklichere Familie als die Stallo’sche gibt, und wir hoffen und wünschen, dass er sich dieses Glückes noch viele Jahre erfreuen w erde.“ Diesen - nicht mehr über­

prüfbaren - Eindruck einer perfekten Fam ilienatmosphäre vermittelte auch R atter­

mann. Sicher ist nur, dass Stallo - unabhängig von unserer fehlenden Kenntnis vom Familienalltag - in seinem Essay von 1874?ö über die Frauenem anzipation nach au­

ßen hin eine fast mystisch verklärte Position zur Ehe als Institution vertrat; die ‘weise Entwicklung der Geschichte’ brachte Stallo zu der Auffassung, dass die Frau - in sei­

nen Kreisen - die ihr zukommende segensreiche Rolle nur in bestimmten Betäti­

gungsfeldern und außerhalb des politischen Treibens erfüllen könne - was sich für Stallo als Lehre aus der Geschichte ergab. Das hinderte seine Frau Helene 1862 nicht daran, w ährend einer Antisklaverei-Veranstaltung den angepöbelten Referenten handgreiflich zu beschützen.76

73 Belegt sind: 1839 Besuch beim Missionspriester Ferneding in Indiana (Berufsberatung), 1850 Cart- hago/Ohio (Bewerbung als Delegierter für das Hamilton County), 1856 Milwaukee/Wisconsin (Fré­

mont-Wahlkampf), ca. 1862 Montreal/Kanada (Besuch bei Hunt), 1862-63 Frontsoldat, 1863 Mia- misburg/Ohio (Familienfest), 1867 Indianapolis/Indiana (Sängerfest), 1868 und 1871 Deutschland- Besuche, 1872 St. Louis/Missouri (Wahlkampf), 1876 New York bzw. New Orleans/Louisiana (Tilden-Wahlkampf), 1884 Montreal (Wissenschaftskongress).

74 Wahrscheinlich Caspar Z. (geb. 1794, Haßloch/Pfalz, seit 1816 katholisch getraut mit Maria Mag­

dalena Schröck), der 1854 wieder in Ludwigshafen nachweisbar ist und daher nicht mehr im Census 1860 geführt wird. Fünf der noch in Deutschland geborenen Kinder gingen 1842 mit in die USA (Cen­

sus 1850, Cincinnati/Hamilton County, ward 10, household 3033992, S. 110). Der 1833 geborene Andreas („Andrew“ ) ist am 18.03.1891 in Cincinnati verstorben (Freundliche Mitteilung von Ro­

land Paul, IPGV vom 15.05.2015). - Für 1857 werden in Cincinnati 3 führende Weinhändler genannt:

Longworth 8c Zimmerman, Zimmerman 8c Brothers, G. and P. Bogen (Pinney, S. 165).

75 Kap. 4.6.

76 JBS teilte Tafel am 22.08.1864 u.a. auch mit, dass seine Frau von einer schweren Krankheit genesen sei (CMC Mss 1070/2/23/1).

68 Oldenburgische Gesellschaft für Familienkunde - Jahrbuch 2016

Wenn man Ratterm ann folgt, verfügte man im Hause Stallo über Kenntnisse der französischen Küche, die seine Ehefrau aus der bairischen Rheinpfalz mitgebracht ha­

ben dürfte.

Ob Stallo ein Familienmensch war, ist nicht zu sagen; Gustav Tafel gegenüber äu­

ßerte Stallo seine große Genugtuung, das er in Kürze Großonkel werden würde77; er hatte seinem ehemaligen Vorgesetzten am 28. O ktober 1863 von seiner Teilnahme an der Hochzeit seiner Nichte in Miamisburg - nördlich Cincinnati, in der Nähe von Day- ton/Ohio - erzählt und gleichzeitig einen Seitenhieb gegen seinen Briefpartner ob des­

sen Junggesellen-Standes eingeflochten.78

In die Ausbildung der eigenen Kinder hat der bildungsbeflissene Stallo sicher einge­

griffen; sowohl in das Medizinstudium des Sohnes Walter, als auch in die Musikausbil­

dung der Tochter Hulda; sie erfolgten auf Hinwirken des Vaters teilweise in Deutschland.

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