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der Bücherwart

In document ) SLÆGTSFORSKERNES BIBLIOTEK (Sider 56-77)

Im Interesse der Herren, die uns liebenswürdigst Vorträge für den heutigen Abend zugesagt haben, möchte ich von weiteren Ausführungen absehen bzw.

dieselben unserem ersten Schriftführer, Herrn Ueltzen=Barkhausen überlassen, bemerke aber, daß der Geschäftsführende Ausschuß gern bereit ist, auf Anfragen allgemeiner Art aus der Mitte der Versammlung, soweit es in seinen Kräften steht, Auskunft zu geben.

Aus dem bereits oben*) angedeuteten Grunde wurde hierauf vom Vor¬

sitzenden vorgeschlagen, den § 10 der Vereinssatzungen dahin abzuändern:

„Der Geschäftsführende Ausschuß besteht aus 10 Mitgliedern. Diese sind I. bis 9. wie bisher.

„Ein Gedanke, dem ich entgegenzutreten für nötig hielt, bezieht sich auf

die Forderung der Rassenreinheit. Ein Redner hatte für nötig gehalten,

die ethische Einheit des deutschen Volkes in Frage zu stellen, weil sie den

führenden Kreisen fehle — usw.

Daß Herr Klemm mit diesen Worten von meinem Vortrag spricht, gibt er selbst zu (— es wäre sonst kaum zu glauben), und ich muß ihm das

folgende erwidern.

Ich habe, wie der wörtliche Abdruck des Vortrages zeigt, in ihm weder die Ethik der führenden Kreise, noch ethische Gesichtspunkte überhaupt berührt, und am allerwenigsten ein Schlagwort in den Mund genommen wie „ethische Einheit“, als ich von der Einwanderung von Niederländern und Franzosen

sprach.

Was nun die „Forderung der Rassenreinheit“ anlangt, so kann diese

Forderung zwar sehr leicht ausgesprochen werden. Die Geschichte lehrt uns aber,

daß sie in keinem Kulturvolk besteht und nicht nur im westlichen, noch mehr fast im ganzen ostelbischen Deutschland fehlt, wo die slavischen Völkerstämme sich seit Jahrhunderten mit den Deutschen mischen und wo noch jetzt eine

große Anzahl polnischer, wendischer und anderer Sprachinseln im deutschen

Gebiet liegen, auch in nächster Nähe von Leipzig und Berlin.

Und es zeigt sich sogar, daß Völker mit sehr ausgeprägtem Volkscharakter und ausgesprochenem Völksbewußtsein aus den verschiedensten Elementen zu¬

sammengesetzt sind. Die Engländer vereinigen in sich Kelten und Römer,

Angelsachsen und Normannen; die Nordamerikaner sogar alle europäischen Rassen und Völker; und wie beneidenswert geschlossen und einheitlich treten

sie nach außen auf !

Wir müssen hieraus die Uberzeugung gewinnen, daß weniger die Rassen¬

reinheit bestimmend ist für das einheitliche Wesen eines Volkes, als die gleichen Lebensbedingungen und Schicksale, die gleiche Sprache und Erziehung und die

gemeinsamen idealen Ziele.

Für die genealogische Forschung, um die es sich bei mir lediglich ge¬

handelt hat, wird die Klarstellung der Rassenmischung bei einzelnen Personen, wie ganzen Völkerschaften, stets eine wichtige und dankbare Aufgabe sein.

Der Forschung wird sie zum Nutzen und weder dem deutschen, noch irgend¬

einem anderen Volk zum Schaden gereichen trotz der Entrüstung des Herrn Dr. Klemm.

Hierauf entgegnete Kammerherr Dr. Kekule von Stradonitz (Gro߬

Lichterfelde) ebenfalls zu seiner Verteidigung gegen einen Angriff das folgende:

In der 5. Sitzung der Ortsgruppe Berlin des „Roland“', Verein zur Förderung

der Stammkunde, welche am 1. Mai 1905 stattgefunden hat, hat der Vor¬

sitzende, Herr Dr. K. Klemm in Groß=Lichterfelde, den 1. Jahresbericht der

„Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte“ in Leipzig auf

Grund des 1. Heftes der „Mitteilungen“ dieser Zentralstelle nach einzelnen Richtungen hin einer Besprechung unterzogen. (Vergleiche „Archiv für Stamm¬

und Wappenkunde“', Ausgabe A: Roland=Beilage Nr. 39 vom 1. Juni 1905, S. 108.

Er hat es dabei für notwendig gehalten, der Forderung einer Professur für Genealogie, die sich, wie er sagt: „wie ein roter Faden durch die im Berichte

abgedruckten Reden der Hauptjahresversammlung ziehe“ entgegenzutreten und

führte aus:

I. daß man nur, wie früher üblich, dem Professor für Diplomatik einen Lehrauftrag für Genealogie und Heraldik zu erteilen brauche, um diese

Forderung an jeder Universität erfüllt zu sehen;

2. es bedürfe keiner Staatshilfe, Reglementierung und einer neuen Klasse von Beamten. Man solle mit Selbsthilfe vorgehen. Statt eines genealogischen Seminars an der Universität Berlin solle man ein freies deutsches Hochstift für Stammkunde aus privaten Mitteln begründen.

Dazu bedürfe es keines großen Kapitals.

3. Dieses Hochstift müsse „allein dem wahren Adel deutscher Nation vorbehalten werden.“

Da ich es wesentlich bin, der schon seit Jahren mit Nachdruck an den verschiedensten Stellen und mit Begründungen von verschiedenen Seiten her die Forderung der Gründung eines Lehrstuhles für Genealogie und eines genea¬

logischen Seminars an irgend einer der großen Hochschulen Deutschlands vertreten hat; da ich namentlich auf der in Rede stehenden Hauptversammlung der Leipziger Zentralstelle einen ausführlichen Arbeitsplan für das Lehren der Genealogie, diesen Begriff im weitesten Sinne verstanden, und für das genea¬

logische Seminar aufgestellt habe, so nehme ich Veranlassung, hiermit einige Bemerkungen über die Einwände des Herrn Dr. Klemm zu machen.

Zunächst seine Bemerkung, man brauche nur dem Professor für Diplo¬

matik einen Lehrauftrag für Genealogie zu erteilenl Ich erlaube mir hier¬

gegen erstens die Einwendung, daß vor allem sehr fraglich ist, ob ein Professor der Diplomatik in der Regel soviel von Genealogie versteht, daß er zum Halten von Vorlesungen über wissenschaftliche Genealogie befähigt ist. Ich glaube das für meinen Teil nicht. Denn die wissenschaftliche Genealogie ist, wie das Lehrbuch von Lorenz untrüglich dargetan hat, ein großes und umfangreiches

Gebiet. Ich habe auch die Beobachtung gemacht, daß Diplomatiker von Fach der Genealogie so fremd gegenüberstehen, daß sie Stammtafeln und Ahnen¬

tafeln nicht unterscheiden. Das berechtigt also nicht zu großen Hoffnungen!

Zum zweiten aber ist die wissenschaftliche Diplomatik ein äußerst schwieriges und

umfangreiches Fach geworden, welches eines Mannes Tätigkeit und Arbeitskraft

nicht nur völlig ausfüllen kann, sondern auch tatsächlich in Anspruch nimmt.

Eine Vereinigung beider Lehraufgaben wäre also zum Nachteil beider Fächer.

In der Genealogie würde der Diplomatiker sich auf die diplomatische Seite beschränken. Sein eigenes und eigentliches Fach würde aber durch die Beschäfti¬

gung mit der Genealogie nach solchen Seiten, welche die Diplomatik nicht an

sich schon braucht, leiden, weil niemand seine Kräfte ungestraft zersplittert.

Ich muß mich deshalb mit voller Uberzeugung dahin aussprechen, daß eine Vereinigung zwar früher möglich war, zu Zeiten, da die Diplomatik sich noch nicht zur selbständigen Wissenschaft ausgebildet hatte und da die Genea¬

logie noch lediglich als eine Hilfswissenschaft der Geschichte betrachtet wurde, daß sie aber heute eine Unmöglichkeit ist. Richtig dürfte dagegen sein, daß der größte Teil der Genealogen zu wenig Kenntnis in der Diplomatik hat.

Endlich ist noch entgegenzuhalten, daß keineswegs, wie Herr Dr. Klemm meint, durch das von ihm vorgeschlagene Verfahren an jeder Universität

dem Mangel an genealogischem Unterricht abgeholfen sein würde, denn Lehrer der Diplomatik gibt es zur Zeit durchaus nicht an allen Hochschulen.

Dem zweiten Einwande des Herrn Dr. Klemm habe ich vor allem entgegen¬

zuhalten, daß ich für meine Person durchaus nicht ausschließlich an Berlin gedacht habe. Ein Lehrstuhl für Genealogie und ein genealogisches Seminar kann nur lebensfähig sein an einer großen Hochschule, weil vorläufig nur da

auf eine genügende Anzahl von Zuhörern gerechnet werden kann, aber in Leipzig z. B. oder in München wäre beides geradeso am Platze, wie in Berlin, und

ein Vorhandensein an einer deutschen Hochschule würde m. E. vorläufig völlig

genügen. Wer Genealogie wissenschaftlich und eingehend studieren will, kann

dann eben an diese Hochschule gehen. Ich glaube sogar, daß bei dem immer mehr wachsenden Interesse für genealogische Dinge die Zahl solcher Studenten gar nicht so gering sein würde, manche allein aus diesem Grunde auf ein oder

zwei Halbjahre nach der betreffenden Hochschule hingehen würden.

Wie aber Herr Dr. Klemm der Staatshilfe oder auf andere Weise beschaffter, größerer Mittel für den Unterricht in der Genealogie und das genealogische Seminar glaubt entraten zu können, ist mir völlig unerfindlich. Ich kann mir weder einen Unterricht in der Genealogie, noch ein genealogisches Seminar denken: ohne einen umfangreichen genealogisch=heraldischen Apparat und ohne eine umfangreiche und bekanntlich recht kostbare Fachbibliothek.

Wie merkt man es z. B. dem Lorenzschen Buche an, daß die Universitäts¬

bibliothek in Jena, auf die der verdiente Begründer der wissenschaftlichen Genealogie angewiesen war, gerade in bezug auf genealogische Literatur sehr

spärlich bedacht ist! Wie oft kommt, um den gleichen Gegenstand von einer

anderen und besonderen Seite zu beleuchten, der Ahnenforscher selbst bei den

größten öffentlichen Büchersammlungen Deutschlands (Berlin und München)

in Verlegenheit, weil er Bücher von weit her kommen lassen muß und, da

z. B. die Bibliothéque nationale in Paris nicht verschickt, schließlich keinen

Ausweg sieht, als zu kaufen. In Deutschland gibt es zur Zeit zwei einiger¬

maßen vollständige genealogische Fachbibliotheken. Die eine besitzt das Kgl.

Heroldsamt in Berlin. Hier ist jahrelang planmäßig gesammelt worden.

Ein nicht geringes Verdienst des gegenwärtigen Herrn Ersten Vorsitzenden dieser Behörde und Heroldsmeisters. Aber diese Sammlung ist nur Bevor¬

zugten zugänglich. Die zweite ist die treffliche Fachbibliothek des Vereins

„Herold“' zu Berlin. Da wird auch planmäßig gesammelt, aber die Mittel,

welche gerade zu diesem Zwecke verfügbar sind, reichen lange nicht aus, und es wird deshalb noch ein Zeitraum von ungefähr 20 Jahren vergehen, bis diese

Fachbibliothek wirklich auf der Höhe ist, da namentlich die ausländische genea¬

logische Literatur bisher nur wenig berücksichtigt werden konnte.

Ganz im Gegensatz zu Herrn Dr. Klemm bin ich da also der Meinung,

daß größere Mittel notwendig sind und daß deshalb die Staatshilfe oder eine große Privat=Kapital=Stiftung ganz unentbehrlich sind.

Wenn endlich Herr Dr. Klemm meint, daß „das Neue deutsche Hochstift für Stammkunde“ „allein dem wahren Adel deutscher Nation vorbehalten werden müßte“ so muß dieser Ansicht mit allem Nachdruck entgegengetreten werden. Eine adelige Gencalogie gibt es überhaupt nicht, und die wissen¬

schaftliche Genealogie duldet keine Beschränkung. Auch unter einer „deutschen“

Genealogie kann ich mir nicht viel denken. Will Herr Dr. Klemm etwa nichtdeutsche Ahnen eines deutschen Mannes oder einer deutschen Frau nicht

zählen und in solchen Fällen dem Offenlassen von Lücken das Wort reden?

Oder sollen deutschgewordene Geschlechter fremder (französischer, spanischer, italienischer usw.) Herkunft von der Bearbeitung ausgeschlossen werden?

Ich muß daher erklären, daß die Kritik des Herrn Dr. Klemm in keiner Weise meine Uberzeugung erschüttert hat, die Schaffung eines Lehrstuhls und eines Seminars für Genealogie ’an wenigstens einer größeren Hochschule Deutschlands sei ein dringendes Bedürfnis und werde eine mutige, aber auch

gute Tat der betreffenden Regierung sein, daß sie sich wahrscheinlich auch bald

belohnt machen würde durch „genealogischen“ Zuzug von anderen Hochschulen.

Einer „Reglementierung“ bedürfte es dazu gar nicht. Im Gegenteil: je

mehr Freiheit man dem betreffenden Dozenten ließe, desto besser. Uberhaupt

müßte man noch Erfahrungen sammeln und dann „reglementieren“ nicht umgekehrt. Und die „neue Klasse von Beamten“? Der eine Privatdozent mit Lehrauftrag, höchstens Titularprofessor, der für den Anfang völlig genügen würde, bildet doch keine „neue Klasse von Beamten“, Oder dachte Herr Dr. Klemm etwa an „Hofgenealogen“? Davor möge allerdings die wissen¬

schaftliche Genealogie durch eine gnädig waltende Vorsehung gütig bewahrt werden, wenn nämlich damit solche Personen gemeint sind, welche nach altem Muster die Abstammung der Habsburger von Hektor oder dergleichen beweisen

wollen. Da das aber kein ernster Genealoge mehr tut, auch die zufällig im Hofdienst stehenden Genealogen in ernster Weise und in erster Linie der Wahr¬

heit dienen, welche das vornehmste Ziel aller Genealogie ist, so vermag ich wirklich die Abneigung gegen Genealogen, welche in Beamteneigenschaft mit diesem Fache zu tun haben, nicht zu verstehen.

Ob allerdings derjenige Lehrplan, den ich in Leipzig für die wissenschaftliche

Genealogie als Lehrfach aufgestellt und näher begründet habe, gut und richtig

ist, darüber wird sich billigerweise streiten lassen. Bisher hat er freilich keinen Widerspruch, wohl aber mancherlei Zustimmung*) gefunden.

Ferner nahm der Schriftführer des Vereins, Herr Ingenieur Ultzen=Bark¬

hausen, das Wort und führte das folgende aus:

Meine verehrten Damen und Herrenl Für einige persönliche Bemerkungen

möchte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, und zwar möchte ich drei ver¬

schiedene Dinge berühren.

Erstens muß ich meinem Bedauern Ausdruck geben, daß ich persönlich

nicht in der Lage gewesen bin, der Sache, die uns heute hier zusammenführt,

im laufenden Jahre meine schwachen Kräfte so zur Verfügung zu stellen, wie ich es gewünscht hatte. Im Frühjahre mußte ich aus gesundheitlichen Rück¬

sichten einen längeren Erholungsurlaub nehmen. Rücksichten auf meine Ge¬

sundheit, auf meine dienstliche Tätigkeit, zwangen mich auch hinterher, meine Betätigung an den Arbeiten der Zentralstelle um ein wesentliches einzuschränken.

Wenn ich dieses hier erwähne, so geschieht das aus zwei Gründen. Einmal möchte ich damit aussprechen, daß die Möglichkeit, die Pflichten, die das Amt den Ausschußmitgliedern auferlegt, zu erfüllen, aus einfachen und naheliegenden Ursachen beschränkt ist. Sie können und dürfen nicht erwarten, daß neben

den unmittelbaren Arbeiten, welche die Gründung, die Einrichtung und Leitung

des Vereins notwendig machten, von uns auch noch umfangreichere materielle Arbeit geleistet wurde, die dem ganzen Plane unseres Unternehmens nach einem

festangestellten Beamten übertragen werden sollte. Es ist ja, wie Sie ge¬

sehen haben, berechtigte Hoffnung vorhanden, daß wir den Gedanken bald werden ausführen können, — daß es uns möglich sein wird, einen Herrn zu gewinnen, der seine ganze Kraft unserer Sache widmet. Vorläufig aber ist nur eine nebenbei tätige Hilfskraft zu gewinnen möglich gewesen.

Dann aber möchte ich Sie durch diese Bemerkung darauf hinweisen, welche Verdienste sich der Vorsitzende, Herr Rechtsanwalt Dr. Breymann, um unser

Unternehmen erworben hat. Derselbe hat in diesem Jahre, wie schon im Jahre

*) Vgl. Monatsblatt der k. k. Heraldischen Gesellschaft „Adler“, V. Bd., Nr. 59 vom November 1905.

1903, dem Gründungsjahre der Zentralstelle, seine persönlichen Kräfte und die seines Kanzleipersonals in uneigennützigster Weise in den Dienst unserer Sache gestellt. Ich möchte nicht unterlassen, an dieser Stelle zu betonen, wie sehr wir ihm wie auch dem 1. Beisitzer, Herrn Dr. Tille, welcher nicht minder

seine rege Anteilnahme für die gemeinsame Gründung innerhalb und außerhalb der Arbeitsausschußfitzungen bewiesen hat, zu Dank verpflichtet sind. Dasselbe,

meine verehrten Anwesenden, nur in anderer Richtung, gilt von unserem Schatzmeister, Herrn Heinrich Gontard, der sich mit besonderer Sorgfalt der

finanziellen Seite unseres Unternehmens angenommen hat. Wir wollen hoffen,

daß er durch die weitere Entwickelung unseres Unternehmens bald in der Lage ist, uns die Anstellung eines genealogisch geschulten Beamten zu gestatten.

Zweitens muß ich auf die Schwierigkeiten zu sprechen kommen, die unseren Bestrebungen, auch abgesehen von der finanziellen Seite, entgegenstehen: Ich

meine die Schwierigkeiten, die vorhandenen archivalischen Schätze in zweck¬

mäßiger Weise für uns auszunutzen. So erfreulich es ist, daß die Auffassung von dem Werte genealogischer Forschung sich allmählich ändert, so ist doch nicht zu leugnen, daß ihr auch heute noch in weiten Kreisen jeder Wert abgesprochen wird. Ansichten, wie sie in der Menge herrschen, können uns im allgemeinen gleichgiltig sein, da sie uns bei der Verfolgung unserer Ziele nicht in dem

Maße hinderlich sind wie die persönliche Abneigung einzelner Vertreter der Wissenschaft, auf deren Entgegenkommen wir angewiesen sind.

Deshalb verdient ein Ausspruch Erwähnung, den ich vor kurzem gelegentlich

einer Unterredung über genealogische Forschung zu hören bekam. Der Betreffende meinte, es sei eben bedauerlich, daß ein Dünkel, wie ihn bisher nur der Adel

gekannt habe, jetzt auch anfinge, die bürgerlichen Kreise zu befallenl Ich denke,

es erübrigt sich für uns, hierüber auch nur ein Wort zu verlieren; ich wollte damit nur zeigen, wie unsere Bestrebungen von mancher Seite bewertet werden.

Ein ganz anderer Fall, der uns nicht so gleichgültig sein kann, betrifft die

Auffassung, wie sie mancher Archivar und Bibliothekar haben mag, wenn auch,

wie die Außerungen darüber auf dem jüngsten Archivtage gezeigt haben, bei der großen Mehrheit der Archivare eine durchaus sachgemäße Auffassung der Lage herrscht. Erlauben Sie mir, das hier Gesagte an einem ganz bestimmten Falle zu beleuchten: Der Vorsteher der Leipziger Stadtbibliothek und des Rats¬

archivs, Herr Professor Dr. Wustmann, hat verschiedentlich Veranlassung ge¬

nommen, zu erklären, daß er der familiengeschichtlichen Forschung jeden wissenschaftlichen Wert abspreche. Aus diesem Grunde —und unter

Betonung einiger anderer Gesichtspunkte — wurde mir vor kurzem die persön¬

liche Einsichtnahme in die im Ratsarchiv aufbewahrten Begräbnislisten und andere Quellen kurz und bündig abgeschlagen; er betonte, daß er nicht nur mir, sondern grundsätzlich jedem die Benutzung verweigere! Die Benutzung des Materials führe zu argen Belästigungen der Archivverwaltung; Platzmangel

wird vorgeschützt, ja sogar der Umstand, daß das Material selber durch die

Finger der Benutzer leide.

Die Freundlichkeit des betreffenden Archivars, Gewünschtes selbst nachsehen zu wollen — dies würde, wie man zugeben muß, einer argen Belästigung gleichkommen, sobald man wiederholt und im umfangreichen Maße davon Gebrauch machen wollte — eine solche Freundlichkeit kann dem Forscher gar nichts nützen und geht auch entschieden über das Maß dessen hinaus, was der Archivar als solcher zu leisten hat *).

Diese Verhältnisse bringe ich hier so bestimmt zur Sprache, weil es für

jeden ernsten Forscher von größter Wichtigkeit ist, selbst an die Quellen heran¬

zukommen, weil er sich nicht auf Mitteilungen Dritter verlassen soll und darf.

Es ist selbstverständlich, daß wir damit anfangen möchten, an dem Orte, wo unsere Gründung erfolgt ist, das noch schlummernde Material zu verwerten.

Aber bei der Stellungnahme des berufenen Verwalters des Leipziger Ratsarchivs ist das eben unmöglich. Wir müssen das offen und freimütig aussprechen, weil uns sonst der Vorwurf nicht erspart bleiben kann, daß wir das Nächst¬

liegende außer Acht ließen!

Die Begräbnislisten, die Innungsakten, die Schöffenbücher, Vormundschafts¬

register, Besitzwechselverzeichnisse und ähnliche Archivalien, soweit sie des aktuellen praktischen Wertes entbehren, werden heute allgemein, genau so wie andere Urkunden und Akten, als der wissenschaftlichen Forschung allgemein zugäng¬

liche bffentliche Schätze betrachtet, deren Benutzung zu wissenschaftlichen Zwecken den Personen, die dazu befähigt erscheinen, nicht versagt werden darf. Keines¬

falls darf die verzopfte Anschauung ausschlaggebend sein, daß derartiges Ma¬

terial ausschließlich für den Archivar vorhanden sei. Wo diese Ansicht herrscht, da ist es an der Zeit, daß sie verschwinde. Unwillkürlich gedenke ich des Spruches im Stadtverordnetensaale unseres neuen Rathauses, der lautet:

„Mutig zur Scheere bei altem Zopf““ Leipzig besitzt dank des Opfersinnes

seiner Bürger eine herrliche Stadtbibliothek, deren Sichtung, Ordnung und

Erweiterung ein verdienstvolles Werk des Herrn Professor Wustmann ist.

Aber damit allein ist es doch nicht getan; die wenigen Personen, die meistens den herrlichen Lesesaal der Bibliothek nur benutzen, rechtfertigen nicht die Kosten

*) Ausdrücklich möchte ich hier betonen, daß die Auffassung, die ich vor einem Jahre hier zum Ausdruck brachte, im ganzen von den deutschen Archivaren geteilt wird; ich sagte damals: „Die Archivvorstände und die ihnen vorgesetzten Behörden werden einsehen müssen, daß eine wissenschaftliche Forschung, die der Gesamtheit zu nuße kommt, dadurch unterbunden wird, aber auch das Publikum wird ein¬

sehen müssen, daß die Forschung selbst seine Sache ist, und daß es die Archiv¬

vorstände ferner nicht um allerlei materielle Auskünfte angehen darf“ (Mit¬

teilungen, 1. Heft, S. 9—10). Daß die geforderten Archivalien dem genügend legitimierten Benutzer gerade so wie andere Akten vorgelegt werden müissen, sollte eigentlich selbstverständ¬

lich sein.

seiner Einrichtung. Und einen anderen Grund dafür als den, daß durch die übergroße Ordnungsliebe des Vorstandes die Benutzung der Stadtbibliothek so erschwert ist, einen anderen Grund gibt es nicht, wenigstens nicht in den Augen

aller derjenigen, die sich nach dieser Richtung hin Erfahrungen gesammelt haben,

und deren sind in Leipzig nicht wenige, Man meidet eben, wenn irgend an¬

gängig, die Stadtbibliothek und das Ratsarchiv völlig, bietet doch für erstere

in vieler Beziehung die so vorzüglich eingerichtete und den Benutzern so ent¬

gegenkommende Universitätsbibliothek Ersatz. Für unsere Bestrebungen aber müssen wir die Schätze der Stadtbibliothek und das Ratsarchiv benutzen.

Was den Platzmangel im Ratsarchiv betrifft, so haben wir begründete Aussicht, daß dieses angebliche Hindernis schwindet, sobald das Archiv in dem alten Rathause untergebracht ist. Ich will nicht unerwähnt lassen, daß Herr Professor Wustmann selbst mich neulich damit tröstete, ja daß er im Grunde genommen überhaupt kein so scharfer Gegner unserer Bestrebungen ist, wie er

sich den Anschein gibt. Wenigstens schreibt er im 1. Bande, S. 277 seiner

„Geschichte der Stadt Leipzig“ (Leipzig, Hirschfeld 1905): „Eine lohnende Arbeit wäre sicherlich eine Zusammenstellung der Orte, aus denen die neuen Bürger kamen. Sie würde zeigen, in welchen Richtungen einst Leipzig die stärkste Anziehungskraft ausgeübt hat“.... und weiter .... „So viel kann man auch ohne genaue Zählung sehen, daß ein großer Teil der Zuwandernden, namentlich unter den Handwerkern, aus Süd- und Westdeutschland kam.“

An anderen Stellen wird bei Erwähnung mancher Personen über den Beruf und Stand des Vaters berichtet. Und was hier bei Personen des 14.

und 15. Jahrhunderts zu wissen erwähnenswert erscheint, fällt doch gerade in das Gebiet der Genealogie. Was ist das anders als Geschlechterforschung.

Sie ist eben ein unentbehrliches Hilfsmittel für jede orts- und stadtgeschicht¬

liche Forschung.

Meine verehrten Anwesenden, seien Sie überzeugt, daß es mir in höchstem Maße unangenehm gewesen ist, dieses eben Gesagte öffentlich erörtern zu müssen.

Aber im Interesse unserer Sache war ich dazu gezwungen. Ich will hoffen und wünschen, daß meine Zwangslage, mich bei allen, die Anstoß an meinen

rein sachlich gemeinten — Ausführungen nehmen, entschuldigt.

Ich verlasse diesen Gegenstand mit dem Hinweis darauf, daß wir in abseh¬

barer Zeit ein Gesuch an den Rat und das Stadtverordnetenkollegium richten

werden, um womöglich eine Anderung der bisherigen Ubung herbeizuführen.

Ich hege die Hoffnung, daß wir unser Ziel erreichen, und wenn in anderen Städten ähnliche Verhältnisse herrschen sollten, dürfte es sich empfehlen, einen ähnlichen Weg einzuschlagen.

Ich komme nun zum dritten und letzten der Punkte, über die ich sprechen wollte.

Sie finden unter den ausgestellten Gegenständen einige schlichte Hand¬

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