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Zusammenfassung: Nähert man sich der Frage, wie Individuen zu innerer Sicher-heit gelangen, aus der Perspektive von Subjektivierungstheorien, so lassen sich diese nur in einem komplexen Wechselverhältnis von Fremd- und Selbstformungs-modi erklären. Um diese sichtbar zu machen und zu verstehen, können Artefakte der Kunst wertvolle Impulse geben, indem sie eine Verschiebung gewohnter Wahrnehmung bewirken können. Für eine subjektivierungstheoretisch verortete Erforschung individueller Generierung von innerer Sicherheit bieten sich Comics in besonderer Weise an. Aufgrund ihrer sequentiellen Erzählstruktur weisen sie eine spezifische Analogie zu Vorstellungen von Subjektivierungsprozessen auf.

Somit versprechen sie, nicht nur inhaltlich, sondern auch formal, aufschlussreiche Perspektiven auf die Konstruktion innerer Sicherheit zu eröffnen. Am Beispiel zweier dominanter Motive in Daniel Clowes’ Comic David Boring wird gezeigt, wie der Protagonist innere Sicherheit zu gewinnen sucht: Das erste stellt seine Auseinandersetzung mit dem einzigen Zeugnis seines Vaters dar, einem Comic.

Das zweite Motiv bildet seine Suche nach der idealen Frau. Dabei liegt das Haupt-augenmerk auf dem komplexen Verhältnis des Individuums zu seiner Adressierung auf der Handlungs- und Gestaltungsebene.

Abstract: If one approaches the question of how individuals attain inner security from the perspective of subjectivation theories, these can only be explained in a complex interrelation of modes of external- and self-forming. In order to make these modes visible and to understand them in their complex interconnectedness, artifacts of art can provide valuable impulses by causing a shift in habitual per-ception. For a research approach to the individual generation of inner security based on theories of subjectivation, comics offer themselves in a special way. Due to their sequential narrative structure, they exhibit a specific analogy to concepts of processes of subjectivation. Thus, they promise to open up insightful perspec-tives on the construction of inner security, not only in terms of content, but also in terms of form. The example of two dominant motifs in Daniel Clowes’ comic David Boring shows how the protagonist seeks to gain inner security: the practices of the protagonist’s confrontation with a comic that is the only link to his father who left him early in his life, and as second theme his search for the ideal woman.

The main focus is on the complex relationship between the individual, its addres-sing by the actors and their environment, and on the formal level in which they express themselves in comics.

Keywords: Innere Sicherheit, Halt, Subjektivierung, Individuum, Comic, Kunst.

Einleitung

Daniel Clowes Comic David Boring (2012 [2000]) erzählt die Geschichte eines Mannes, dessen Leben aus dem Ruder läuft. Nachdem sein alter Schulfreund erschossen wird und der Protagonist David kurz darauf seine Traumfrau kennen-lernt, gerät er in einen Strudel aus Obsession und Verbrechen, in dem ihm der Boden unter den Füßen wegzubrechen droht. Erst am Ende des Comics, als seine Situation ausweglos erscheint, findet David überraschend Erfüllung und Sicher-heit in einer unerwarteten Beziehungskonstellation. Diese Schlaglichter lassen erahnen: David Boring ist gekennzeichnet durch Bruchstellen, Ambiguität und Orientierungslosigkeit. Angesichts dessen scheint eine erziehungswissenschaftlich interessierte Beschäftigung mit diesem Comic im Hinblick auf das Thema innere Sicherheit zunächst nicht sehr naheliegend. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass in vielen Fällen die labilen Elemente in Handlung und Gestaltung in einer spannenden Wechselbeziehung zu stabilisierenden Elementen liegen. Dieser Spur soll in diesem Beitrag gefolgt werden.

Von 1998 bis 2000 erschien David Boring in drei Teilen im Comicmagazin

„Eightball“ (1989–2004), bevor es schließlich 2000 als Gesamtausgabe publiziert wurde. Zehn Jahre später folgte die deutsche Übersetzung. Eine nachträgliche Gesamtausgabe einer in Episoden veröffentlichten Comicgeschichte ist durchaus üblich. Im Fall David Borings ist dieser Umstand jedoch relevant, da er bereits eine Deutung des Verhältnisses von Verunsicherung und Halt in diesem Comic ermöglicht: Die drei Teile, die Clowes „Akte“ nennt, bleiben auch in der Gesamt-ausgabe klar durch aufwändige, formatfüllende Eingangsseiten getrennt. Dadurch behaupten die Akte trotz der vereinheitlichenden Rahmung zwischen den Buch-deckeln ihre Eigenständigkeit. Auf der anderen Seite sind es die Buchdeckel, die verhindern, dass die Geschichte auseinanderfällt. Sie suggerieren Sicherheit, versprechen Sinn und bürgen für ein in sich geschlossenes Werk. Damit werden die Rezipient*innen angeregt, die möglichen Widersprüche, Verwirrungen und Leerstellen im Comic als Herausforderung anzunehmen und die Lücken in der Erzählung zu füllen. David Boring zerfällt gerade nicht, trotz der augenscheinli-chen Bruchstückhaftigkeit. Letztlich fügt sich das disparate Werk zu einem – wenn auch labilen – Ganzen.

Dieses Wechselverhältnis zeigt sich auch im Ringen um innere Sicherheit des Protagonisten David. Um die Konstruktion innerer Sicherheit herauszuarbeiten, werden die dargestellten Szenerien, Dialoge und Handlungen im Comic mit Rück-griff auf Subjektivierungstheorien analysiert. Sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der formalen Ebene werden diese auf ihre sichernden und stabilisierenden Funktionen beforscht. Subjektivierungstheorien sind dabei insofern von Interesse, als sie die Vorläufigkeit und Prozesshaftigkeit von Subjektkonzeptionen offenlegen.

Gleichzeitig thematisieren sie aber auch die Stabilisierungsmechanismen, die in Subjektivierungsprozessen zum Tragen kommen. Im Extremfall können Macht-verhältnisse, in denen sich Subjektivierung vollzieht, in Herrschaftsverhältnissen kulminieren, die zum Ziel haben, sich dauerhaft zu installieren (vgl. Foucault 2005 [1984], S. 877 f.). Diese diffizilen Verhältnisse, in denen potentieller Halt und mögliche Sicherheit die fluiden Subjektivierungsprozesse unterbrechen oder zum Stocken bringen, stehen im Fokus der folgenden Comicanalyse.

Bei der Lektüre von David Boring wird schnell der Eindruck erweckt, dass in dieser Geschichte die verunsichernden Elemente überwiegen. Der Protagonist David ist auf der Suche nach sich selbst. Diese Suche erweist sich als äußerst prekär:

Zwischen den Fragmenten einer Comicgeschichte, die ihm als einziges Zeugnis seines verschwundenen Vaters verblieben ist, der Flucht vor der Umklammerung seiner dominanten Mutter und der obsessiven Suche nach der idealen Frau, bleibt Davids Identität bis zuletzt brüchig, unabgeschlossen und diffus. Doch sind es nicht allein jene kontingenten Prozesse, die das fragmentierte Selbst des Protagonisten durchläuft. Denn so wie die Buchdeckel drei losen Kapiteln zu einer kohärenten Form verhelfen, verläuft auch Davids Selbst nicht „wie am Meeresufer ein Ge-sicht im Sand.“ (Foucault 1971 [1966], S. 462) Leitend ist deshalb im Folgenden die Suche nach Indizien, wie sich trotz dieser brüchigen Subjektfigur, die Clowes zeichnet und die ihm das Medium mitunter diktiert, Momente der Sicherheit und des Halts generieren.

1 Halt und Subjektivierung – Ankerpunkte in einem fluiden Konzept Was kann in diesem Zusammenhang als Marker definiert werden, die Subjekti-vierungstheorien einer Analyse von Halt und Sicherheit in einer Comicgeschichte bereitstellen? Einen denkbaren Ausgangspunkt dafür bildet Martin Saars knappe Skizze der Analytik der Subjektivierung (Saar 2013), in der er in großen Bögen die einflussreichsten Thesen der Subjektivierungstheorien nachzeichnet.

a) Sicherheit durch den subjektiven Eindruck von Selbstbestimmungsfähigkeit Für die folgende Analyse sind vor allem die Selbstformungspraktiken, mit denen Individuen innere Sicherheit generieren, von Bedeutung. Mit Althusser (1970) weist Saar auf die Rolle der Institutionen hin, die Subjekte produzieren. Ihren Ort hat die Subjektkonstitution in „bestimmten Praktiken und ‚Ritualen‘“ (Saar 2013, S. 19). Damit wird der konstruierte Charakter von Subjekten und damit ihre Kontingenz sichtbar gemacht, zugleich aber auch auf die Basis für deren Bestän-digkeit verwiesen: Man entkommt der permanenten Anrufung nicht und vollzieht die Praktiken und Rituale, die das Subjekt hervorbringen.

Die Vielschichtigkeit von Subjektivierungsprozessen, die bei Althusser bereits anklingt (vgl. Althusser 1970, S. 119), spitzt Saar mit Rückgriff auf Foucault noch weiter zu. Subjektivität konstituiert sich demnach in einem komplexen Geflecht aus „Wissens-, Macht- und Selbstführungsformen“ (Saar 2013, S. 22). Diese Komplexität lässt einmal mehr die Grenze zwischen Fremd- und Selbstformung verwischen und trägt zum Eindruck einer naturgegebenen Ordnung der Dinge bei.

Subjektivierungstheorien decken die historisch kontingente Erzeugtheit dieser Ordnung auf. Aber entsteht für die Individuen dadurch nicht auch der sichere Rahmen, in dem sie sich als Subjekte verorten? Saar weist auf die entscheidende Bedeutung hin, die der Doppelcharakter der Subjektivierung bei Foucault ein-nimmt. Das Subjekt wird konstituiert und konstituiert sich zugleich selbst (vgl.

ebd., S. 22). Die Betonung der Selbstformungsmöglichkeiten des Subjekts ist an dieser Stelle entscheidend.

Sie [die Subjektivierungsanalysen] dürfen nicht vom selbsttätigen, in einem gewissen Sinn „freien“ Moment in der Subjektivierung abstrahieren, in dem die Instanz oder Quelle der Subjektivierungskraft das Subjekt selbst ist, das sich auf sich selbst zurückwendet oder sich „faltet“, wie es Deleuze verbildlicht hat. (Ebd., S. 23)

Gerade in diesem Moment der Freiheit scheint ein entscheidendes Motiv für Sicherheit und Halt zu liegen. Zwar hebelt die Freiheit die suggerierte Sicherheit aus, mit der etwa Wiederholungsrituale eine bestimmte Subjektposition fixieren, aber gleichzeitig ermöglicht sie Selbstbestimmung, die zu Selbstsicherheit führen kann. Relevant ist in diesem Zusammenhang die Wirkmächtigkeit des subjektiven Eindrucks der Selbstbestimmtheit, die möglicherweise Sicherheit und Halt bietet.

Demnach werden Sicherheit und Halt hier in Form von zwei gegenläufigen Mo-tiven bedeutsam – zum ersten in den sichernden Praktiken der Wiederholungsrituale und zum zweiten im Moment der Freiheit, das Selbstformungspraktiken beinhalten, und der durch sie potenziell erfahrbaren Selbstsicherheit aus Selbstwirksamkeit.

Für die Analyse von David Boring erlangt diese Dichotomie besondere Bedeutung in jenen Momenten, in denen David mit bestimmten Verhaltensmustern bricht.

b) Sicherheit durch Wiederholungsrituale

Den zweiten wichtigen Marker, der zur Analyse von Halt und Sicherheit in einer Comicgeschichte bereitgestellt wird, bilden „Wiederholungsrituale“. Bereits in den vorangegangenen Abschnitten wurden diese als entscheidend für die Identifizie-rung von Momenten des Halts thematisiert. Ausgehend von Butlers Beschäftigung mit der Bedeutung von Performativität sollen sie an dieser Stelle noch einmal differenzierter zur Sprache kommen.

Relevant für die Analyse ist der Umstand, dass Wiederholungsrituale nicht eindeutig von Selbstformungspraktiken abzugrenzen sind. Das Subjekt for-miert sich in einem relationalen Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung.

„Diskursivierung und Verkörperung von Subjekten sind die zwei verknüpften Register, in denen das Subjekt als bestimmtes, benennbares und identifizierbares auftaucht.“ (Saar 2013, S. 24) Das Bewusstsein dieser Verknüpfung erhält für eine Comicanalyse entscheidende Bedeutung, da im Comic als Bild-Text-Medium beide Register in Erscheinung treten. Die Bedeutung von Wiederholungsritualen, die Performativität kennzeichnen, reicht im Hinblick auf Comics jedoch noch weiter.

Butler „insistiert [...] auf der Nicht-Identität noch der Wiederholungsrituale, durch die sich stabile Bedeutungen und Identitäten bilden.“ (Saar 2013, S. 25) Subjek-tivierung kann demnach nicht gelingen, denn deren Praktiken sind geprägt von Ambivalenz, Unabgeschlossenheit und Brüchigkeit. Genau diese Brüchigkeit findet ihre Entsprechung in der sequenziellen Erzählweise von Comics. Wie weiter unten mit Bezug auf den Comictheoretiker Ole Frahm näher ausgeführt wird, stellen Comics durch ihre besondere Erzähltechnik Identität per se in Frage. Butler sieht in dieser, für sie notwendigen, Verkennung von Adressierungen den Raum der Freiheit und des potentiellen Widerstandes der Individuen. Es handelt sich bei Subjektivierungsprozessen einmal mehr nicht um ausweglose Determination, sondern um labile Kräfteverhältnisse. Dennoch wird in dem Zitat deutlich, wie kraftvoll die Adressierungen Bedeutungen und Identitäten „zur-Realität-bringen“

(Saar 2013, S. 24). Für die Comicanalyse wird es entscheidend sein, die Relation der sichernden Funktion von Wiederholungsritualen zu deren Brüchigkeit zu be-stimmen. Nach der Beschreibung der für die Analyse entscheidenden Dimensionen von Subjektivierungsprozessen und der Frage danach, wie sich in ihnen Halt und Sicherheit identifizieren lassen, bedarf es noch einer Relationierung zum Comic als Forschungsgegenstand. Comics sind in Bezug auf eine Subjektivierungsana-lyse nicht gleichzusetzen mit empirischem Material aus Feldstudien, wie etwa Beobachtungsprotokollen oder Videoaufzeichnungen. Es handelt sich bei Comics um Kunst. Sie ermöglichen uns, wie Markus Rieger-Ladich schreibt,

Formen der Wahrnehmung, die sich von den alltagspraktischen Formen unterscheiden.

Gleichwohl beschreiben ästhetische Erfahrungen nicht das ganz andere zum Alltag; viel-mehr unterscheiden sie sich von alltäglichen Erfahrungen dadurch, dass sie uns Momente der Distanzierung gewähren. (Rieger-Ladich 2014, S. 353)

Kunstwerke argumentieren nicht, sie zeigen etwas (vgl. ebd., S. 359). Im Fall des Comics in Verbindung mit Subjektivierungstheorien zeigen sich bestimmte Modi der Subjektivierung in einer ganz bestimmten Weise und machen es zu einem voraussetzungsreichen Analysegegenstand. Im Folgenden sollen diese Besonder-heiten näher erläutert werden.

2 Das Comicformat und die Subjektivierungsprozesse Konstruktion und Dekonstruktion von Identität durch Wiederholung Comics weisen strukturell verankerte Analogien zu den weiter oben beschriebenen Dimensionen von Subjektivierungsprozessen auf. Das Comic als narratives Me-dium ist als solches prozessorientiert, im Vergleich zu anderen narrativen Medien jedoch in einer sehr spezifischen Weise. Ein wesentliches Merkmal wird in der im Rekurs auf Butler betonten Dimension der „Sicherheit durch Wiederholungsritua-le“ sichtbar. Diese Dimension erhält in der sequenziellen Erzählweise des Comics eine aufschlussreiche Entsprechung. Deshalb wird im Folgendem vor allem die Wiederholung im Comic als zentrale Analysekategorie in den Blick genommen.

a) Die Identität einer Comicfigur konstruiert sich über laufende Vervielfältigung

Mit Bezug auf den Comictheoretiker Ole Frahm, der in „Die Sprache des Comics“

(Frahm 2010) beispielhaft die Bedeutung der Wiederholung im Comic heraus-arbeitet, wird diese in den folgenden beiden Abschnitten näher beleuchtet. Die Idee eines authentischen Originals wird im Comic doppelt negiert: einerseits durch seine massenmediale Reproduktion, andererseits durch die permanente Wieder-holung seiner Figuren (vgl. ebd., S. 65). Für Frahm handelt es sich bei einem Co-miccharakter, der in den verschiedenen Einzelbildern (Panels) wiederkehrt, nicht um dieselbe Figur, sondern um die gleiche. Nur die Lesekonvention bildet aus der Vielzahl von Doppelgängern einen mit sich selbst identen Charakter. Durch die Wiederholung der Charaktere bestätigt sich deren Identität. Doch wird man sich ihrer simultanen Präsenz bewusst, löst sich diese Identität in einer Reihe von ununterscheidbaren Doppelgängern auf. Frahm schreibt der Wiederholung eine

ambivalente Wirkung zu. Im Rekurs auf Freud (1919) sieht er sie gleichermaßen als Quelle des Unheimlichen wie auch als Anlass für Vergnügen (vgl. ebd., S. 67f.).

Die Doppelgänger reflektieren die Vervielfältigung der Figuren durch die Bilderreihung wie durch die Serialisierung selbst. Es ist der Gegenentwurf der Comics zur Vorstellung der Vaterschaft, denn der Versuch die Comics auf einen Vater zurückzuführen, ist immer auch eine Ablehnung der Vervielfältigung der Figur selbst – des Unheimlichen des Doppel-gängers also, der die Comics notwendigerweise heimsucht. (Frahm 2010, S. 68)1

Anhand der verschiedenen Modi der Vervielfältigung zeigt sich, dass Comics, anders als zum Beispiel ein Bildnarrationsmedium wie der Film, diese Verviel-fältigung nicht verschleiern. Die Figuren erscheinen stets simultan neben- und miteinander, selbst wenn dies nicht explizit thematisch wird. Die Herstellung einer kohärenten Identität ist eine Herausforderung, die von den Leser*innen laufend bewältigt werden muss. Das gleichzeitige Erscheinen derselben Figur auf einer Seite konterkariert diesen Prozess und muss durch die Rezeptionskonvention zurückgedrängt werden. Ein als mit sich identisch erlebbarer Charakter wird im Comic also im besonderen Maß in einem Spannungsverhältnis von Brüchigkeit und Kohärenz hergestellt.

b) Die Identität einer Comicfigur schwankt zwischen Kohärenz und Zerstreuung

Dem Comic ist demnach strukturell der Zweifel an einer festen Identität ein-geschrieben. „Comics zeigen somit den Konflikt der Subjektivierung selbst auf, die immer Unterwerfung unter die Macht, die Anrufung, die Logik der Identität bedeutet und zugleich diesen Akt wiederholen muss, wodurch die Stabilität der Identität unsicher wird.“ (Frahm 2010, S. 108)

So wird vor diesem Hintergrund die Infragestellung von Identität durch das Medium Comic zentral. Dennoch dominieren die Wahrnehmung für gewöhnlich, gestärkt durch die Lesekonvention, vor allem die identitätsbildenden Kräfte der Wiederholung. Der ambivalente Doppelcharakter, den Subjektivierungstheorien in Bezug auf Sicherheit und Unsicherheit, Halt und Orientierungslosigkeit ver-mitteln, findet sich in der sequentiellen Kunst widergespiegelt. Jede Artikulation von Sicherheit, Identität oder Beständigkeit scheint im Comic bereits latent von Zweifel, Illusion oder Vorläufigkeit begleitet. Dennoch kann mit der Analyse von Momenten der Sicherheit und des Halts auch das Risiko der Festschreibung und Vereindeutigung von Subjektivierungsprozessen nicht ausgeschlossen werden.

Aus einer bildungstheoretischen Perspektive betont Alfred Schäfer (2019) den

„doppelten Entzug“, mit dem der Anteil der Nichtverfügbarkeit von Welt und Selbst

beschrieben wird. Er stellt diesen Entzug empirischen Untersuchungen von Subjek-tivierungsprozessen als Korrektiv zur Seite, die nicht selten der Gefahr unterliegen, Subjektivierungsprozesse zu vereindeutigen, und damit den doppelte Entzug von Subjektivierungsprozessen selbst zu verkennen (vgl. ebd. S. 127). Auch wenn ein Comic wie David Boring solche Vereindeutigungen erheblich erschwert, kann der emanzipatorische Anspruch klassischer Bildungstheorie und dessen gleichzeitige Unerfüllbarkeit in ihrem Verhältnis zu Subjektivierungstheorien helfen, den „nicht festschreibbaren Ort der Bildung“ (ebd. S. 123) präsent zu halten. Für die Comic-analyse kann damit ein Vergleichsrahmen gesetzt werden, der es ermöglicht, die herausgearbeiteten Momente des Halts in ihrer Ambivalenz wahrzunehmen und sich die Problematik möglicher Festschreibungen bewusst zu machen.

3. Analyse

Im Folgenden greife ich für die Analyse zwei markante Themen aus David Boring auf, in denen sich innere Sicherheit konstituiert. Das erste Thema bilden die Comic-fragmente aus einem Comic, das Davids früh verschwundener Vater gezeichnet hat und welches David bis zum Schluss der Geschichte begleitet. Das zweite stellt seine obsessive Suche nach der idealen Frau dar. Innere Sicherheit erweist sich dabei als untrennbar mit Unsicherheit und Haltlosigkeit verknüpft. Beide Themen visualisieren die Konfrontation Davids mit den Brüchen seiner inneren Sicherheit.

Inwiefern sich diese gestalten, wie David auf sie reagiert und wie sich sein Selbst-verhältnis dadurch transformiert, ist Inhalt der folgenden Seiten.

a) Die Comicfragmente des Vaters

Angesichts der Evidenz des Bruchstückhaften in David Boring werden Sicherheit und Halt erst bei eingehender Betrachtung als bedeutende Thematik der Geschich-te sichtbar. BetrachGeschich-tet man das Comic auf der Ebene der visuellen Gestaltung, so fallen mehrere Stilmittel auf, die für die Kohärenz und Stabilität des Werks sorgen. Neben den bereits erwähnten Buchdeckeln, die die ursprünglich separat publizierten Kapitel zu einem Ganzen vereinen, wirkt vor allem der dreizeilige Raster vereinheitlichend, der die gesamte Erzählung strukturiert. Durch die Gleichmäßigkeit der Panelfolge entsteht ein ruhiger, steter Erzählfluss, der dem stoischen, selbstdistanzierten Charakter von David entspricht. Nur selten zeigt sein Gesichtsausdruck Zeichen deutlicher Emotion. Selbst in starken Gefühlsmomenten, etwa als er seiner Traumfrau Wanda zu erstem Mal begegnet (Clowes 2010, S.10), deutet nur die leichte Öffnung seines Mundes und eine dezente Stirnfalte einen

besonderen Gefühlsmoment an. Die ruhige Panelfolge, die immer wieder statische Bildkompositionen und den gleichgültigen Gesichtsausdruck zeigt, verfestigt das Bild Davids als das eines reservierten Charakters, der den Verlauf seines eigenen Lebens aus sicherer Distanz verfolgt.

Seine innere Sicherheit erlangt David durch Distanz. Diese Form von Sicher-heit vermag jedoch nicht zu einem glücklichen Leben zu verhelfen. So fragt sich David schließlich selber: „Kann ich dem Diktat meiner Gene entrinnen oder bin ich dazu verdammt, unglücklich zu sein?“ (Ebd. S. 75) Versuche, diesem „Diktat“

zu entrinnen, gibt es aber etliche in der Geschichte.

Die farbigen Panels, die das Schwarz/Weiß der Primärerzählung immer wieder unterbrechen, können als solch ein Versuch gedeutet werden (siehe Abb. 1). Zwar passen sie sich dem Raster an, heben sich jedoch durch die Farbe und auch durch ihren Zeichenstil deutlich vom Rest der Geschichte ab. Bei diesen Panels handelt es sich um Bilder aus The-Yellow-Streak, dem laut David einzigen Comic, das sein Vater als mäßig erfolgreicher Comiczeichner vollständig selbst verfasst und gezeichnet hat. Nachdem Davids Vater in der Vergangenheit Frau und Kind ver-lassen hat, vernichtet Davids Mutter den Großteil seiner Comics. Von den wenigen

Die farbigen Panels, die das Schwarz/Weiß der Primärerzählung immer wieder unterbrechen, können als solch ein Versuch gedeutet werden (siehe Abb. 1). Zwar passen sie sich dem Raster an, heben sich jedoch durch die Farbe und auch durch ihren Zeichenstil deutlich vom Rest der Geschichte ab. Bei diesen Panels handelt es sich um Bilder aus The-Yellow-Streak, dem laut David einzigen Comic, das sein Vater als mäßig erfolgreicher Comiczeichner vollständig selbst verfasst und gezeichnet hat. Nachdem Davids Vater in der Vergangenheit Frau und Kind ver-lassen hat, vernichtet Davids Mutter den Großteil seiner Comics. Von den wenigen