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Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag widmet sich Narrativen der Verun-sicherung, die in Zusammenhang mit der COVID-19-Krise aufgerufen werden und für „innere Sicherheit“ sorgen sollen. Dabei identifizieren wir Kalküle, die einerseits individuelle Besonnenheit aktivieren und anderseits gesellschaftliche Stabilisierung gewährleisten sollen. Das gelingt uns mit Rückgriff auf psycho-analytische Subjekttheorien, die Strategien der individuellen Rationalisierung fokussieren, und auf diskursorientierte Subjekttheorien, die gesellschaftliche Dis-ziplinierungstechnologien in den Blick nehmen.

Abstract: This article is focused on narratives of uncertainness, being created during the COVID-19 crisis in order to provide ‘home security’. In doing so, we identify approaches that on the one hand activate individual level-headedness and on the other hand are supposed to ensure societal stabilization. We succeed in doing this by resorting to psychoanalytic subject theories that emphasize strategies of individual rationalization and to discourse-oriented subject theories that accent social disciplinary technologies.

Keywords: Covid-19, Sicherheit, Subjekttheorien, Gesellschaftskritik, Psycho-analyse, Alltagskultur.

1 Einleitung

Für die Atemwegserkrankung COVID-191 finden sich seit ihrem Ausbruch im Dezember 2019 epische Bilder und apokalyptische Verweise, wie sie dem Weltge-richtstriptychon eines Hieronymus Bosch entstammen könnten. Doch auch andere, durchwegs triviale Bilder werden bemüht, und diese werden wohl im kollektiven Gedächtnis bleiben. So hat die traditionsbewusste „Original Wiener Schneekugel-manufaktur“ eine neue Ware in ihr beliebtes Souvenir-Sortiment aufgenommen:

die Schneekugel mit Klopapier.2

Mittlerweile ist bekannt, dass die durch respiratorische Aufnahme von Virus-partikeln übertragene Krankheit alle Organe angreifen kann. Über das Virus und seine Auswirkungen auf den menschlichen Körper weiß man aber nach wie

vor wenig. So informiert das Robert Koch-Institut (2020) in seinem COVID-19-Steckbrief: „Die Krankheitsverläufe sind unspezifisch, vielfältig und variieren in ihrer Symptomatik und Schwere stark, sie reichen von symptomlosen Verläufen bis zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod.“ (Ebd.) Angesichts der Bedrohung und aufgrund mangelnder Bilder für den Krankheitsverlauf greift selbst eine Wissenschaftseinrichtung zu Metaphern der Öffentlichkeitsfahndung.

Das Format Steckbrief stammt bekanntermaßen aus der Kriminalistik. Andere wiederum bemühen gern ein etwas in Vergessenheit geratenes Bild der Kybernetik:

„Das Virus bleibt eine Blackbox“3. Mit der bemühten Blackbox-Metapher gelingt es auf eingängige Weise, die Unzugänglichkeit des Virus und unser Verhältnis dazu zu illustrieren. Die Metapher selbst verweist auf eine Beobachtungsebene, die den Input und den Output in den Blick zu nehmen erlaubt, aber die komple-xen Vorgänge im Inneren ausblendet. Wie wir zeigen werden, eignet sie sich für viele Ebenen der Auseinandersetzung mit dem Virus, das sich unerwartet rasch ausbreiten konnte. So wurde die „Wuhan Epidemie“ bereits am 11. März 2020 von der WHO zur Pandemie erklärt und hat seither die Welt fest im Griff. Die aufgerufenen Schreckensszenarien und konkreten Folgen in ihrer historischen Be-deutung zu analysieren, ist zum gegebenen Zeitpunkt kaum möglich, dazu braucht es Distanz. Der vorliegende Beitrag widmet sich daher den in Zusammenhang mit der COVID-19-Krise aufgerufenen Bildern und Narrativen der Verunsicherung und „inneren Sicherheit“. Die dabei leitende Frage lautet: Welche Strategien der Rationalisierung werden im Umgang mit der sogenannten Corona-Krise auf den Plan gerufen, um einerseits individuelle Besonnenheit zu aktivieren und anderseits gesellschaftliche Stabilisierung zu gewährleisten?

Die Verblüffung bezüglich des Bedarfs an Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Krise ist nicht nur in Wien ein Thema. Ob Deutschland, Neuseeland, USA, Frankreich, Großbritannien oder Hongkong: Überall scheint das Toilettenpaper das Konsumgut der Stunde zu sein, wenn es um gesellschaftliche Krisensitua-tionen geht. Bilder der Toilettenpapier-Knappheit wurden bereits in den 1990er Jahren prominent in Szene gesetzt. Vor dem Hintergrund des zusammenbre-chenden realsozialistischen Alltags skizziert Slavoj Žižek (1991) ein Subjekt des Wissens, um die Auswirkungen von Subjektivierungsprozessen, die im Zeichen des Symptomatischen stehen, zu veranschaulichen. So verbreitet sich in einem Land, das wir nicht näher kennen, das Gerücht, Toilettenpapier ginge demnächst zur Neige. Selbstverständlich sitzt niemand diesem Gerücht auf, allerdings wer-den entsprechende Vorräte angelegt, bis tatsächlich keines mehr erhältlich ist.

30 Jahre später sollten ausgerechnet Bilder von leergekauften Regalen Irritation in den Wohlstandsgesellschaften auslösen. Jedenfalls ist der Lebensmittelhandel für eine kurze Zeitspanne im Ausnahmezustand: Pasta, Reis, Konservendosen, Mehl, Fertiggerichte, Hefe und vor allem Toilettenpapier scheinen knapp, zumindest

kommt der Einzelhandel kurzfristig mit dem Nachfüllen nicht mehr nach. Psycho-logische Expertise erklärt uns, weshalb sogenannte Hamsterkäufe wichtig für das Gefühl der Kontrolle im unübersichtlichen Corona-Lockdown werden konnten.

Žižeks Auseinandersetzung aus den 1990er Jahren geht unseres Erachtens über diese Simplifizierung hinaus und scheint für die Analyse der Frage der inneren Sicherheit in Zeiten der Corona-Krise 2020 lohnend: Er sieht in dem beschriebenen Konsumverhalten eine besondere Form des Glaubens, Begehrens und Genießens, das Mehrgenießen, am Werk. Wie kommt es dazu?

2 Das Subjekt weiß

Mit der Figur des Subjekts, dem unterstellt wird zu wissen, gelingt es, individuelle Strategien im Umgang mit Ungewissheit zu beschreiben. Dabei geht es um die Kunst, eine bereits symptomatisch wirkende Situation reflexiv einzuholen. Letztere entsteht, wenn die Zukunft noch nicht gewiss ist, ihre Spuren aber bereits gegen-wärtig sind. So führt eine mediale Bekanntgabe von bevorstehenden Ausgangs-beschränkungen unausweichlich zur Irritation bezüglich der Herausforderung, den Alltag zu organisieren. Kaum ein Gut ist so alltäglich wie das Toilettenpapier, das nun zum Objekt der Begierde avanciert:

Wie lautet nämlich die Schlußfolgerung der Akteure. Jeder von ihnen wird etwa folgendes denken ‚Ich weiß natürlich ganz genau, ich bin ja nicht dumm, daß genug von diesem Zeug vorhanden ist; sicher gibt es aber Naive, die dem Gerücht aufsitzen werden – diese werden das Toilettenpapier aufkaufen, so daß ich schließlich leer ausgehen werde.

Am besten also, ich beeile mich, es einzukaufen, obwohl ich weiß, daß es genug davon gibt‘ (Žižek 1991, S. 134).

Mit dieser für Žižek so typischen flapsigen Argumentation ist die Einführung in eine an die lacansche Spielart der Psychoanalyse angelehnte Ideologiekritik er-öffnet, die für uns insofern interessant ist, als sie ein Analyseinstrumentarium für Mechanismen der Konstituierung und Versicherung des Selbst zur Verfügung stellt.

Die besondere Pointe dabei ist die Betonung eines reflexiven Verhältnisses zu den antizipierten Vorhaben und Handlungen, unter Umständen auch Gefühlen der ande-ren (das unterstellte Subjekt). Dieses Verhältnis lässt sich als eine subjektivieande-rende Trias in den Blick nehmen, die das wissende Subjekt, das sich nach Sicherheit sehnt und besonnen handeln möchte, hervorbringt: das Subjekt, dem unterstellt wird zu glauben (1), das Subjekt, dem unterstellt wird zu begehren (2), und das Subjekt, dem unterstellt wird zu genießen (3).4 Dieses unterstellte andere Subjekt tut all das auf eine Weise, die sich vermeintlich berechnen lässt und dem Selbst damit ein Wissen zur Verfügung stellt, das Gewissheit und Orientierung verspricht.

Zurückkehrend zu dem Toilettenpapier einkaufenden Subjekt des Wissens lässt sich hervorheben, dass dieses wiederum auf dem Subjekt, dem unterstellt wird zu glauben (1) basiert – dem naiven Menschen, der dem Gerücht aufsitzt und tatsäch-lich glaubt, im Falle einer Krise käme es zum Toilettenpapiermangel. Obwohl unser wissendes Subjekt über die faktisch funktionierende Nahversorgung Bescheid weiß, geht es dennoch davon aus, dass es andere gibt, die das nicht wissen. Und hier beginnt der circulus vitiosus: Ausgerechnet im Augenblick der Gewissheit werden Schlüsse gezogen und Szenarien entwickelt, die anderen möglicherweise für das Selbst bedrohliche Intentionen und Handlungsoptionen zuschreiben. Und so versucht das wissende Subjekt, den sich abzeichnenden Szenarien unter allen Umständen zu begegnen und kauft sechs Packungen à zehn Rollen Toiletten-papier ein. Das Symptom des Mangels wird Realität: Zahllose Bilder von leeren Regalen folgen, werden medial ausgeschlachtet und Interviews mit verunsicherten Bürger*innen laufen im Loop.

Auch wenn diese Reaktion auf den ersten Blick an eine naheliegende Konse-quenz der sich selbst erfüllenden Prophezeiung erinnert, so macht Žižek deutlich, dass hier noch eine weitere Wendung ausgemacht werden kann: Zur Unterstellung, es gebe das naive Subjekt, das dem Gerücht glaubt, kommt auch die Unterstellung eines Begehrens (2). Routiniert verweist Žižek in diesem Zusammenhang auf die klassische Psychoanalyse-Situation und das Beispiel der Organisation des Begehrens eines „Hysterikers“.

Das Problem des Hysterikers ist, daß er zu einem anderen Zuflucht nehmen muß, wenn er sein Begehren organisieren will. [...] Deshalb lautet die beim Hysteriker zu stellende Frage nicht: ,Was begehrt er? Was ist das Objekt seines Begehrens?‘, sondern: ,Von wo begehrt er? Wer ist jenes Subjekt, das für ihn die Möglichkeit des Begehrens verkörpert und zur Organisation seines eigenen Begehrens dient?‘ (Ebd., S. 35)

Demnach ist die Grundstruktur eines psychoanalytischen Gesprächs hier wegweisend. Die sich in Analyse begebende Person geht von der fixen Vorstel-lung aus, der*die Analytiker*in wüsste etwas, das ihr selbst noch nicht bewusst ist und sich in der Analyse erschließt. Selbstverständlich ist dieses Wissen nicht vorhanden, vielmehr wird es erst im Rahmen der Analyse hervorgebracht. Wir setzen mit dem Toilettenpapier hortenden Subjekt fort und untersuchen das Subjekt seines Begehrens, allerdings scheint uns zuvor ein Schlenker auf dem Weg zu diesem Narrativ bedeutsam: Zu Beginn der Corona-Krise, am 30.03.2020, sorgte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einer geradezu propheti-schen Äußerung in der Nachrichtensendung Zeit im Bild Spezial für ungeteilte Aufmerksamkeit: „Wir werden auch in Österreich bald die Situation haben, dass jeder jemanden kennt, der an Corona gestorben ist.“ Einen Monat später wird dem renommierten Radiosender Ö1 ein Sitzungsprotokoll vorgelegt, aus dem klar

hervorgeht, dass der Bundeskanzler Ende März bewusst Angst schüren wollte, um die Bevölkerung wachzurütteln (vgl. Mitschrift, 4. Sitzung des Beraterstabs der Taskforce Corona (12.3.2020). Explizit heißt es darin: „Kurz verdeutlicht, dass die Menschen vor einer Ansteckung Angst haben sollen, bzw. Angst davor, dass Eltern/

Großeltern sterben. Hingegen sei die Angst vor Lebensmittelknappheit, Strom-ausfall etc. der Bevölkerung zu nehmen.“ (Ebd.) Die Toilettenpapiergerüchte kann das wissende Subjekt vorerst hinter sich lassen. Denn das zentrale Ergebnis einer psychoanalytischen Auseinandersetzung ist die Erkenntnis, dass das Begehren nicht existiert, sondern stets konstruiert und reproduziert wird. An dieser Stelle verblasst also die Konstruktion der Knappheit, eine andere Konstruktion tritt in Erscheinung: Als Teil der Bevölkerung, die es zu schützen gilt, wird unser Subjekt nun zum Objekt des Begehrens des Kanzlers. Folgt man nämlich Žižek (1991) in seinen Versuchen, Spuren Lacans in der Populärkultur zu finden, so gelangt man rasch zum Phantasma, einem Szenario, „welches das Begehren des Subjekts realisiert“ (ebd., S. 15). Begehren, dieser „nicht stillstellbare Motor menschlichen Handelns“ (Dolderer 2013) ersetzt Freuds Konzept der Libido und wird an der Schnittstelle zwischen Subjekt und Kultur verortet. Das Phantasma unterstützt uns darin, uns als begehrend zu konstruieren. In diesem Zusammenhang sollte jedoch nicht der Irrtum begangen werden zu meinen, dass das Phantasma unser Begehren befriedigt. Vielmehr liefert es uns die Koordinaten unseres Begehrens (Žižek 1991, S. 15 ff.), und die laufen darauf hinaus, das Begehren niemals zu er-füllen, sondern stets zu reproduzieren.

Das Objekt der kanzlerischen Begehrens ist also die von der Corona-Pandemie bedrohte und verunsicherte Bevölkerung. Diese Bevölkerung wird das Objekt biopolitischer Regierungsmaßnahmen, die bis ins Subjekt eingeschrieben werden, und entsprechende Regime der Selbstsorge installieren. Es handelt sich dabei um eine Form des Regimes, die von dem Machttheoretiker Michel Foucault (2004 [1978/1979]) in ihrer repressiven Offenheit und Konkretisierung zum damaligen Zeitpunkt seiner Analysen wohl kaum gedacht werden konnte. Denn es werden nicht wertschöpfende Mechanismen der Disziplinierung über nationale Grenzen hinaus zum Einsatz gebracht, sondern unproduktive Reglements einer territorialen Selbsteinschränkung und -kontrolle etabliert (vgl. Abbildung 1). Die Sicherstellung von Bewegungsfreiheit und Wettbewerb weicht von einem Tag auf den anderen einem buchstäblichen Bewegungsstillstand und fraglicher Solidarität. So wird jede*r Einzelne nun als Teil einer Bevölkerung (in den Worten des Kanzlers „der Österreicher und Österreicherinnen“) angerufen, die jetzt lernen muss, ihr indi-viduelles präventives Handeln als ausschlaggebend für das Wohl der gesamten Nation und Stabilität des Gesundheitswesens zu sehen. Entsprechend gibt es nur noch drei Gründe, das Haus vorübergehend zu verlassen: erstens, um zur Arbeit zu gehen, wenn das notwendig ist („Gewährleistung der täglichen Versorgung in

unserem Land“); zweitens, um Besorgungen für notwendige Grundbedürfnisse zu erledigen, und drittens, um andere zu versorgen („für Menschen, die unsere Unterstützung brauchen“). Die Einschränkungen im Namen der Präventionen und Sicherheit finden sich, nicht nur aufgrund der bemühten Rhetorik, im Register der panoptischen Macht wieder. Es handelt sich um die nachhaltige Aufgabe jedes Panoptikums, die Isolation auf eine bestimmte Art und Weise zu organisieren und mittels minimalem Einsatz die größtmögliche Kontrolle zu etablieren – indem die Individuen sich selbst im Griff haben. Das kalkulierte Ziel ist es, „den Kontakt der eingesperrten Individuen untereinander zu verunmöglichen, um gleichermaßen Kommunikation, Assoziation und Infektion zu verhindern“ (Sarasin 2005, S. 100).

Social Distancing lautet die daraus abgeleitete Heilsformel, Physical Distancing wiederum das sprachliche Aufbegehren gegen die de facto Quarantäne nachge-wiesen gesunder wie möglicherweise infizierter Menschen.

Mit Rückgriff auf diskursorientierte Subjekttheorien gelingt es zwar, den konstitutiven Disziplinierungszugriff auf das Subjekt in den Blick zu nehmen, mit der psychoanalytischen Subjekttheorie kommen aber auch Strategien subjektiver Rationalisierung in den Blick. Interessant an den Anti-Covid-19-Maßnahmen und ein Risiko der Objektivierung ist, wenn man beide Analyseperspektiven berück-sichtigt, die Ungewissheit des konstruierten Begehrens. So ist es völlig unklar, wie lange und wie nachhaltig die Disziplinierungsmaßnahmen zu wirken vermögen:

„Folgen sie mir noch?“ Das Kanzlersubjekt muss sich der folgsamen Bevölkerung stets neu versichern, wie etwa am 18. Juli 2020 in einem Interview für die Zeit im Abb. 1: Werbecampagne zur erstmaligen Mobilmachung der Miliz in Österreich im Kampf gegen Corona, Frühjahr 2020.

Bild: „So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig“. Die Verunsicherung gilt es aufs Neue zu lancieren, Angst schüren: „Die Zahlen werden steigen. Wenn man Maßnahmen setzt, werden sie wieder sinken.“ (Ebd.) Unklar an diesem Statement ist, um welche Zahlen es sich handelt. Stehen die Zahlen für die Genesenen, die Infizierten, die Erkrankten, die Toten? Es scheint für das Bedrohungsszenario, das beschworen werden soll, belanglos zu sein, worum es eigentlich geht. Die steigenden Zahlen schrecken, und das Sicherheit suchende, wissende Subjekt begehrt das starke Kanzlersubjekt, das Sicherheit in dieser Zeit der Verunsicherung verspricht, so lange man ihm eben folgt. Aber folgen auch die anderen? Das unterstellte Subjekt, der imaginierte Naive, der glaubt, die Maß-nahmen würden nichts nützen, im Gegenteil, schlimmere ökonomische Nachteile mit sich bringen usw., lauert bereits. Das veranschaulichen auch die aktuellen Zahlen der Teilnehmer*innen bei Demonstrationen gegen die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie weltweit. Wird unser wissendes Subjekt etwa unfolgsam, da sich auch andere nicht an die Maßnahmen halten? Wie lange wird es sich diese Unfolgsamkeit leisten können, wenn der Druck steigt, also „die Zahlen“ in die Höhe gehen? Ab welcher Zahl wird es die Nähe des Kanzlers erneut suchen? Das Phantasma des Begehrens gehorcht nur einer Regel, der ständigen Re-produktion. Und diese ist unerlässlich, denn die neue Distanz und Disziplinierung erzeugt – wie zu Zeiten der Pest – den Traum vom Fest, bei dem die Masken fallen und die Körper sich vermischen (vgl. Foucault 1995 [1975], S. 254).

Neben dem imaginierten Subjekt, das glaubt und begehrt, findet sich in der subjektivierenden Trias schließlich das Subjekt, das genießt (3). In unserer bishe-rigen Diktion hat das wissende Subjekt eine klare Vorstellung von einem Subjekt, dem unterstellt wird zu genießen. Es gibt also Einzelne, die auf eine unfassbare Art genießen. Dieses unterstellte Genießen leitet sich aus der Vorstellung ab, es gebe ein „grenzenloses, unerträgliches, fürchterliches Genießen“ (Žižek 1991, S. 135). Wir könnten hier erneut das Toilettenpaper hamsternde Subjekt bemühen, das isoliert in seinem Home Office sicher und versorgt ist und sich fragt, ob der Nachbar nicht doch das bessere Schnäppchen, die qualitätsvollere Papierstruktur oder das passendere Farbmotiv etc. in seinen Händen hält.

Doch wir widerstehen diesem Impuls und wenden uns dem Home Office zu, das während des Covid-19-Lockdowns über Nacht eine Popularisierung ungeahnten Ausmaßes erfuhr. War das Arbeiten von zuhause aus vor dem Corona-Lockdown u.a. wegen fehlender sozialer Kontrolle und Überprüfung gar nicht möglich, ungern gesehen oder stand nur denjenigen zu, die sowieso schon in einem hohen Maß selbstbestimmter Arbeit nachgingen, war es nun notwendig, Menschen zum Arbeiten nach Hause zu schicken. Unser wissendes, genießendes Subjekt befindet sich durch diesen plötzlichen Wandel in einem verrückten Dilemma, das sich in der doppeldeutigen Formel ausdrückt: Arbeite ich überhaupt, – bin ich ökonomisch?

Das disziplinierte Subjekt erfährt nämlich neue Spielräume, die ein kurzfristiges Befreiungsmoment markieren – bis es kippt. Es übt eine Form der Selbstkontrolle aus, die eine unaufhörliche Beschäftigung mit sich selbst und seinen Bedürfnissen evoziert. Keine Phase der Rast, das Private, in den gängigen Arbeitsverhältnissen inzwischen ohnehin immer schwieriger vom Öffentlichen zu trennen, erfährt im Home Office eine Auflösung. Und hier manifestiert sich die Problematik und Vielgestaltigkeit dieser subjektivierenden Imaginationen auf eine fatale Weise:

Was gilt legitim als Arbeit, wenn das Private sich immer wieder in den Raum des Beruflichen drängt bzw. korrekter, wenn das Berufliche sich das Private einver-leibt? Aber es folgen auch diese kleinen Imaginationen des Mehrgenießens der anderen: Ist meine Nachbarin nicht viel effizienter? Mit dem Laptop am Balkon gleicht ihre Tätigkeit mehr einem Urlaubsaufenthalt denn Arbeit. Und dann noch dieses laute Lachen während der Videokonferenzen. Hier lässt sich eindeutig eine Unterstellung erkennen: Die Nachbarin scheint nicht nur besser zu arbeiten, sondern genießt diese Arbeit auch noch mehr. Auf diese Weise verweilt unser Subjekt des Wissens im ständigen Gefühl des Defizits, denn obwohl es nach der von den Einzelnen erlebten Qualität des Genießens strebt, gelingt es ihm niemals, diese einzuholen: Es wird stets welche geben, die sich in ihrer Entfaltung bedroht glauben, die unaufhörlich begehren und mehr genießen.

3 Black Box regiert

Arbeiten im Home Office kennt viele Gesichter, folgt man der Berichterstattung in herkömmlichen wie in sozialen Medien. Unter Umständen beginnt der Arbeits-tag unmittelbar nach dem Aufstehen, ungeduscht und mit ungeputzten Zähnen.

Zumindest wird der alarmierende Rückgang beim Konsum von Hygieneartikeln seit dem Corona-Lockdown mit sinkender Körperpflege in Zusammenhang gebracht und mit Sorge kommentiert.5 Videokonferenzen ermöglichen es, die Arbeitsbespre-chungen nach Hause zu holen, und in den Pausen der Zoom-Meetings wird doppelt und dreifach kontrolliert, ob das Mikro stumm und die Kamera ausgeschaltet ist.

Die Unsicherheit bleibt: Ist die Besprechung wirklich beendet? Berater*innen empfehlen nicht nur einen eigenen Raum, der es den Home-Office-Neulingen er-möglicht, die Tür hinter sich zu schließen, sie wissen außerdem, dass es essentiell für das eigene Berufsethos ist, die Arbeit im richtigen Outfit auszuüben.6 Während die Verkaufszahlen von Jogginghosen in die Höhe schießen7, wird in einschlägigen Kolumnen auf die Bedeutung angemessener Kleidung (auch unterhalb des Tisches) hingewiesen. Diese Tipps sollen die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit markieren helfen, die im Home Office für alle durch den Lockdown aufgelöst scheint. In

Die Unsicherheit bleibt: Ist die Besprechung wirklich beendet? Berater*innen empfehlen nicht nur einen eigenen Raum, der es den Home-Office-Neulingen er-möglicht, die Tür hinter sich zu schließen, sie wissen außerdem, dass es essentiell für das eigene Berufsethos ist, die Arbeit im richtigen Outfit auszuüben.6 Während die Verkaufszahlen von Jogginghosen in die Höhe schießen7, wird in einschlägigen Kolumnen auf die Bedeutung angemessener Kleidung (auch unterhalb des Tisches) hingewiesen. Diese Tipps sollen die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit markieren helfen, die im Home Office für alle durch den Lockdown aufgelöst scheint. In