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Zusammenfassung: Das Ziel dieses Beitrags ist die Analyse des Verhältnisses von Angst und Freiheit in pädagogischen Verhältnissen. Zu diesem Zweck erläutern wir unser Verständnis von Gefühlen und verorten darin Angst als emotionales und existenzielles Gefühl. Daran schließen sich Überlegungen an, die die Produkti-vität von Angst in gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen diskutieren. Auf dieser Grundlage nehmen wir die dialektischen Bewegungen zwischen Freiheit und Angst in den Blick, um darauf aufbauend die pädagogischen Verhältnis-se zum Gegenstand der Überlegungen zu machen. In unVerhältnis-serem abschließenden Kommentar entwerfen wir eine pädagogische Perspektive auf Emanzipation und Vernunft als eine unabschließbare Vermittlung der dialektischen Bewegung von Angst und Freiheit.

Abstract: The aim of this contribution is to analyse the relationship between fear and freedom in educational settings. To this purpose, we explain our concept of feelings and define fear as an emotional and existential feeling. This is followed by considerations that discuss the productivity of fear in capitalistic modes of produc-tion. On this base, we will develop an argumentation that focuses on the dialectical movement between freedom and fear in order to address the pedagogical relations of our subject. In our concluding commentary we draft a pedagogical perspective on emancipation and reason as an inconclusive mediation of the dialectical move-ment of fear and freedom.

Keywords: Angst und Freiheit, pädagogische Verhältnisse, Emanzipation, Vernunft.

1 Einleitung

Angst ist ein auch in kapitalistisch-demokratischen Gesellschaftsformationen prä-gendes Gefühl, da die gesellschaftlichen Integrationsmodi in Exklusionsdrohungen eingefasst sind und sich in Verhältnissen des Angstmachens und Angsthabens bewegen (vgl. Bude 2014; Balzereit/Cremer-Schäfer 2018). Angst machen können Situationen, Dinge oder Personen. Angst zu haben ist ein sich Affiziertfühlen

von Ungewissheit, Bedrohlichkeit oder Gefährlichkeit, das von Situationen, Dingen oder Personen ausgehen kann. Wir gehen davon aus, dass das Fühlen von Emotionen als Ausdruck eines Selbst- und Weltverhältnisses zu fassen ist;

dabei stellt Angst nicht nur ein auf das Subjekt bezogenes Gefühl dar, sondern ist immer in der Beziehung zwischen Subjekten und gesellschaftlichen Bedingungen zu betrachten (vgl. Slaby 2011; Schröder 2017). Vor diesem Hintergrund wird im folgenden Beitrag herausgearbeitet, dass Angstmachen und Angsthaben in einem widersprüchlichen Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zu verorten sind.

Angst kann vielfältige Formen annehmen, in denen sich die Beziehungsstruktur zwischen individuellem Fühlen und gesellschaftlichen Lebenszusammenhängen, wie beispielsweise bei Zukunftsangst oder Versagensängsten, aufzeigen lässt.

Das Spektrum reicht von im Alltagsleben wahrgenommener Unsicherheit und Ungewissheit etwa in Bezug auf die Verwirklichung eigener Lebensziele bis hin zu einem gefährlich und bedrohlich erscheinenden Anderen. So gesehen ist Angst ein Modus gesellschaftlicher Integrationsprozesse, der sowohl im Alltagsleben als auch in gesellschaftlichen Institutionen Gestalt erhält. Angst beispielsweise vor Arbeitslosigkeit, vor Altersarmut, vor Krieg, vor dem Versagen bei der nächsten Prüfung, vor Sanktionen im Hinblick auf den Bezug von Arbeitslosengeld usw.

deuten auf die Produktivität von Angst hin. Zugleich ist Angst nicht nur ein Gefühl, das Menschen empfinden, sondern sie kann auch ein Mittel zur Disziplinierung von Subjekten und zu ihrer Anpassung an gesellschaftliche Normen und Erwartungen darstellen und als solches rekonstruiert werden. Im Kontext gesellschaftlicher Lebenszusammenhänge, so unsere These, ist Angst produktiv im Hinblick auf die Erzeugung von Sicherheitsbedürfnissen und kann dafür in Dienst genommen werden, Ungewissheit und Unsicherheit wie auch Gefährlichkeit und Bedrohlich-keit mittels wohlfahrtsstaatlicher Institutionen zu steuern und zu kontrollieren (vgl. Schröder 2017).

Vor diesem Hintergrund analysieren wir Angst und ihre strukturelle Einbindung in wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, um im Anschluss daran zum einen die in Interaktion eingelassene Erzeugung von Angst zur Verhinderung unerwünschter Entwicklungs- und Bildungsprozesse, zum anderen den Einsatz von Angst als Mittel der Erziehung zu diskutieren. Wir richten den Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen der Ermächtigung der Subjekte als Ziel (sozial-) pädagogischen Handelns und der normierenden Funktion wohlfahrtsstaatlicher Leistungserbringung (vgl. Schröder 2017; Schröder/Burmeister 2018). Dabei gehen wir davon aus, dass die in kapitalistischen Gesellschaften angelegten struktu-rellen Ungleichheitsverhältnisse sowohl Auswirkungen auf das Verhältnis von Angst und Sicherheit der Handelnden als auch auf die Ausgestaltung der (sozial) pädagogischen Handlungsvollzüge zwischen Ermächtigung und Normierung hat.

2 Gefühle und Subjektivität in gesellschaftlichen Transformationsprozessen und das (re-)produktive Moment von Angst

Gefühle spiegeln das phänomenale Dasein des Subjekts in der Welt wider, denn das Erleben konstituiert sich in der affektiven Betroffenheit innerhalb der Gegeben-heiten in der Welt (vgl. Heller 1981; Slaby 2011). Da sich das Subjekt qua seines Daseins in der sozialen Wirklichkeit bewegt und darin existiert, weisen Emotionen eine Strukturiertheit auf, die sich aus dem Verhältnis von Selbst und Welt ergibt und in ihm manifestiert. Gefühle deuten auf das körperleibliche wie das bewusste Dasein des Menschen hin und zeigen sich im Fühlen von Gefühlen, in evaluativen Repräsentationen und in kommunikativer Gestalt (Demmerling/Landweer 2007;

Slaby 2011).1 Gefühle beziehen sich auf die körperleibliche Konstitution von Sub-jektivität, in dem das Fühlen das In-etwas-Involviert-sein betont (Heller 1981, S. 19). Das Involviert-Sein deutet auf die Sogkraft der Gefühle hin, das Subjekt wird in das Fühlen hineingezogen, es kann sich in seiner affektiven Betroffenheit seinem Fühlen nicht entziehen, es ist dem, wie es etwas fühlt, ausgeliefert, so dass das Fühlen von Gefühlen einen Widerfahrnischarakter besitzt (vgl. Heller 1981, S. 19; Löw-Beer 1993, S. 97).

Das Fühlen bezieht sich aber auch auf etwas in der Welt und deutet auf die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen von Emotionen hin, denn die affektive Betroffenheit ist in der Welt, in der ich mich qua meines Daseins bewege, verortet und in der Konsequenz eingebunden in ein Verhältnis des Subjekts und seines Weltbezugs (vgl. Heller 1981, S. 26; Slaby 2011, S. 29). Gefühle umfassen immer das Fühlen an sich und verweisen als Erleben und Empfinden auf das körperleib-liche Dasein – oder das leibkörperleib-liche Spüren.2 Sie besitzen aber gleichzeitig einen evaluativ-repräsentationalen Charakter, der eine kognitive Dimension umfasst und eine wertende Positionierung des Subjekts in seinem Verhältnis zu anderen Menschen und der Welt beinhaltet (vgl. Slaby 2011; Döring 2009). Gefühle haben ein Objekt (Intentionalität) und eine Repräsentation von Welt (Evaluation) und stellen sich „als in einer bestimmten Weise seiend“ dar (Döring 2009, S. 15), so dass „im Gefühlserleben sich dem Fühlenden das evaluative Profil einer bedeut-samen Situation ganzheitlich [erschließt]“ (Slaby 2008, S. 23). Wenn das Fühlen ein evaluativ-repräsentatives Moment enthält, verweist dies auf eine Wertung in Bezug auf die Situation oder andere Personen, die gleichzeitig auf das Erleben gerichtet ist (vgl. Döring 2009). Gefühle spiegeln daher keinen Dualismus von Fühlen und Denken wider, sondern sie sind in einer Ganzheitlichkeit bestimmt, denn mit dem Fühlen erschließt sich das Subjekt den Sinn und die Sinnhaftigkeit in seinem Be-zug zur Welt (vgl. Slaby 2008, S. 23).3 Ihre expressive wie kommunikative Gestalt erhalten Gefühle über die dem Subjekt inhärenten Ausdrucksmöglichkeiten wie Sprache, Gestik und Mimik. Der Ausdruck von Emotionen beinhaltet eine Wertung

gegenüber dem Gegenstand des Fühlens, die eine charakteristische hedonische Valenz aufweisen – positive und negative Gefühlsbewegungen (Freude und Stolz sowie Furcht und Scham) – und Einfluss nehmen auf die Möglichkeitsräume des Handelns.4 Gleichzeitig entfalten Gefühle eine symbolische Ausdruckskraft, die eine für andere wahrnehmbare Gestalt annimmt.

Gefühle in einem weiten Verständnis umfassen Emotionen, existenzielle Gefühle sowie Affekte. In dieser Hinsicht ist der Begriff ein Gattungsbegriff (vgl.

Demmerling/Landweer 2007, S. 5), der darauf verweist, dass das Fühlen ein kons-titutives Merkmal des Subjekts ist. In einem engeren Sinne können Gefühle in der Gestalt von Emotionen einen episodischen Charakter haben, wenn sie von kurzer Dauer sind und mit physiologischen Veränderungen einhergehen, aber auch über das leibliche Spüren wahrgenommen werden. Sie sind auf klar identifizierbare Situationen und Objekte in der Welt bezogen, wie Scham, Neid, Furcht, Dankbar-keit, Freude, Stolz (vgl. Slaby 2011, S. 28) – und eben auch Angst.

Gefühle können vom Subjekt aber auch gespürt und erlebt werden, ohne dass sich ein konkreter Situations- oder Objektbezug darin ausdrückt, so dass die affektive Betroffenheit die personale Existenzweise des Subjekts ganzheitlich umfasst und den Bereich der Stimmungen und Atmosphären beschreibt, die auch als existenzielle Gefühle beschrieben werden (vgl. Ratcliffe 2011, S. 146 f.). Der Grad der Intensität dieser Gefühle ist bei episodischen Emotionen schwächer ausgeprägt, überdauern diese aber und prägen die Welt- und Selbstbezüglichkeit des Subjekts ganzheitlich (vgl. ebd., S. 148). Dadurch, dass das Subjekt qua seines Daseins immer auch in einem Weltbezug eingebettet ist, ist das Fühlen von existenziellen Gefühlen intentional auf die Welt gerichtet, ohne einen konkreten Objektbezug zu besitzen (vgl. Slaby 2011, S. 28). Melancholie, Ohnmachtsgefühle, Entfremdungsgefühle sowie sich hilflos, fremd, überwältigt, leer oder verloren fühlen sind Beispiele für existenzielle Gefühle (vgl. Ratcliffe 2011, S. 156). Der Begriff Affekt stellt eine intensive Erlebnisqualität dar, in dem „heftige Empfindungen […] ‚die Herrschaft der Vernunft‘“ (Frevert 2011, S. 29) aussetzen und einen Kontrollverlust beinhalten: Der affektauslösende Impuls löst eine Reaktion aus, in dem der Affekt das situative Handeln lenkt.5

Angst kann so gesehen als ein Affekt, eine Emotion oder aber auch als ein existenzielles Gefühl betrachtet werden. Relevant für unsere Analyse und die sich daran anschließenden Überlegungen ist Angst als ein existenzielles Gefühl und Angst als Emotion. Angst als ein existenzielles Gefühl umfasst „eine gegenstands-lose, ungerichtete bzw. unbestimmt gerichtete Stimmung oder Befindlichkeit, die das Betroffensein von einer unbestimmten Bedrohung oder Gefahr“ (Fink-Eitel 1993, S. 59).6 Angst als Emotion richtet sich dagegen auf ganz konkrete Objekte und Situationen, die als bedrohlich oder gefährlich wahrgenommen werden.7

Der Analyse von Bude (2014) zufolge ist Angst ein Bestandteil der gegenwärti-gen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Er spricht von einer „Gesellschaft

der Angst“, in der der Modus der Integration geprägt ist durch eine von den Sub-jekten wahrnehmbare Exklusionsdrohung (vgl. ebd., S. 19). Der Lebensvollzug im Alltag scheint unsicherer geworden, da in westlichen Wohlfahrtsstaaten die sozialen Risiken im Zuge der Restrukturierung vom versorgenden zum aktivie-renden Sozialstaat nicht mehr ausreichend durch die sozialen Sicherungssysteme kompensiert werden können und dadurch Unsicherheit und Ungewissheit im All-tagsleben prägend geworden sind (Castel 2005; Betzelt/Bode 2018). Das Bedürfnis nach Sicherheit kann als eine Konsequenz dessen gedeutet werden. Es drängt die Subjekte in eine defensive Haltung gegenüber Risiken, die in alltäglichen Hand-lungsvollzügen und richtungsweisenden Entscheidungen für das eigene Leben liegen können (vgl. Zapf 1994). Angst erzeugt ein Sicherheitsbedürfnis, das Be-dürfnis, die mit der empfundenen Unsicherheit und Ungewissheit einhergehenden Gefahren und Risiken zu minimieren, um einen Handlungsrahmen zu schaffen, in dem man sich sicher fühlt. So gesehen, kann Angst als ein Mittel der Macht-ausübung konzipiert werden.

3 Die dialektische Gestalt von Angst, die auf Freiheit verweist

Innerhalb pädagogischer Verhältnisse stellt das Angstmachen einen ebenso zent-ralen Bezugspunkt der Überlegungen dar wie das Angsthaben. Beide Perspektiven zeichnet dabei aus, dass sich Angst grundlegend auf Freiheit als Gegenpol bezieht, denn in Freiheit wird das Handeln der Subjekte gerade nicht durch Angst gesteuert.

Remke (2015) zeigt mit Rekurs auf Erich Fromm, dass „aus Unsicherheit und Angst vor Sicherheitsverlust und Isolation im Individuum Fluchttendenzen“ (Remke 2015, S. 145) entstehen. Wird diesen Fluchttendenzen nachgegeben, so begeben sich die Subjekte in einen Zustand, in welchem sie nicht mehr handlungsfähig sind.

Die Subjekte orientieren sich an Autorität, und es gelingt ihnen gerade nicht, ihre eigene Subjektivität zu realisieren (vgl. Remke 2015, S. 203 ff.).

Freiheit kann als Gegenpol zur Angst sich zum einen als Freiheit von etwas oder als Freiheit zu etwas bestimmt werden. Die Freiheit von etwas meint dabei die Abwesenheit von „äußeren sichtbaren Zwängen“ (Remke 2015, S. 162; Herv.

i. O.). Die Freiheit zu etwas dagegen zeigt sich in der Möglichkeit sein je eigenes Subjekt-Sein zu realisieren und „sich nicht nur frei zu bewegen, sondern auch frei zu denken, zu fühlen und zu wollen und somit die gegebenen äußeren Freiheiten tatsächlich selbstgestaltend und selbstverantwortlich zu nutzen“ (Remke 2015, S. 207). Die Freiheit von etwas kann demnach dadurch bestimmt werden, dass diese grundlegenden Rahmenbedingungen und Möglichkeitsräume schafft, um die eigene Subjektivität zu realisieren. Darin verortet ist die Freiheit zu etwas, in dem sich das Individuum in seinem Subjekt-Sein der Selbstverwirklichung und

Persönlichkeitsentwicklung zuwenden kann. Herausgefordert sind diese Prozesse zur Realisierung der je eigenen Subjektivität immer wieder durch Angst, wie sie aus Unsicherheit durch Freiheit resultiert und die mit einem Bedürfnis nach Sicherheit des Individuums einhergeht (vgl. Remke 2015, S. 162 f.). Freiheit als Grundlage von Subjektivität ist somit immer in Relation zu einem Bedürfnis nach Sicherheit und der Angst vor Unsicherheit zu denken; insofern ist sie immer auch als gefährdet zu verstehen.

Angst und Freiheit in pädagogischen Verhältnissen sind keine starren Gegenpole, sondern in einer konstitutiven dialektischen Bewegung. Freiheit ist ein Moment von Subjektivität im Kontext eines emanzipativen Prozesses von Befreiung aus gesell-schaftlichen Zwängen, die auf Unfreiheit verweisen (vgl. Adorno 2003, S. 225 ff.).

Die Erfahrung von Angst stellt eine Differenzerfahrung dar, die das Subjekt von seinen Handlungsmöglichkeiten entrückt. Während pädagogische Verhältnisse auf die Ausbildung von Subjektivität8 zielen – auch durch die Bearbeitung von Angst – wird in ihnen immer wieder auch Angst gemacht. Pädagogische Verhält-nisse können als intersubjektive Beziehungen zwischen Pädagog*innen und ihren Adressat*innen gefasst werden, in denen sich erzieherische und bildnerische Akte im interaktiven Vollzug konstituieren. Sie zielen als Erziehungs- und Bildungspro-zesse auf die Selbstbestimmung der Subjekte, auf Freiheit im oben beschriebenen Sinne. Andererseits setzt Freiheit in vielfältigen pädagogischen Figuren die Selbst-bestimmung der Subjekte bereits voraus. So macht Winkler (1988) deutlich, dass

„Subjektivität als Rahmenbedingung des sozialpädagogischen Handelns“ (Winkler 1988, S. 271) die Aufhebung der Intention des Erziehers als „subjektive Aktivität“

(ebd.) bedeutet. Auf dieses Spannungsverhältnis wird in pädagogischen Verhält-nissen mit Erziehung zu reagieren versucht, wobei diese aufgrund ihrer Zielvor-stellungen und Werteorientierungen grundsätzlich in das Geflecht gesellschaftlicher Angstproduktion involviert ist. Präventive wie auch intervenierende Strategien der Kontrolle und Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen zielen darauf, dass diese keine Bedrohung der Gesellschaft darstellen und sie ihre eigenen bedrohlichen Lebenssituationen zu meistern in die Lage versetzt werden.

In Erziehungsprozessen realisiert sich die Erzeugung von Angst als Mittel der Anpassung und Disziplinierung, als Angstmachen, mittels Bedrohungsszenarien:

Lehrer*innen, die gegenüber Schüler*innen äußern, diese müssten ihre Leistungen verbessern, da sie sonst keine berufliche Perspektive haben werden; sozialpädago-gische Fachkräfte in der stationären Erziehungshilfe, die einem Jugendlichen mit dem Ausschluss aus der Wohngruppe drohen, wenn dieser sein Verhalten nicht ändere. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Angst als Emotion - eine gegenwärtige konkrete Gefährdung -als Ausgangspunkt und Legitimation genutzt werden kann, um eine den institutionellen Normerwartungen entsprechende Verhaltensänderung durchzusetzen und dabei an Angst als ein existenzielles Gefühl anschließt.

Zugleich kann mit einem solchen Angstmachen einhergehen, dass über konkrete Erziehungssituationen hinaus bei jungen Menschen ein Angsthaben er-zeugt wird. Die Sorge vor dem individuellen Scheitern sorgt dort für Angst, wo die Bedingungen des Aufwachsens selbst als Bedrohung erlebt werden. Junge Menschen, die in Armut aufwachsen oder in Familien leben, die mit vielfältigen Problemlagen konfrontiert sind, erfahren diese Angst in pädagogischen Verhält-nissen ebenso, wenn nicht intensiver als andere junge Menschen (vgl. Calmbach 2019, S. 427 ff.).

Wo sich pädagogische Verhältnisse auf das Wechselspiel von Freiheit und Angst einlassen, dort erzeugen sie immer auch Angst. Wo jungen Menschen die Mittel zur Bearbeitung von Angst zur Verfügung gestellt werden sollen, die auf Sicherheit Bezug nehmen, dort agiert Pädagogik immer auch im Modus des Angstmachens.

In pädagogischen Verhältnissen über die Reproduktion von Angst hinauszugehen und sich konkret auf die Ermöglichung von Bedingungen von Freiheit zu konzen-trieren, wird dann möglich, wenn das Verhältnis von Erzieher und Zögling als individuelles aufgebrochen werden kann: Dann kommt die Gemeinschaft in den Blick, deren Mitglieder die Subjekte in ihrer konkreten Lebensführung jeweils sind. Die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft realisiert sich in der konkreten Ausübung von Macht und der Teilhabe an Entscheidungsprozessen, in der Arbeit an der Gemeinschaft selbst. Dies erfordert jedoch eine Übergabe von Macht an die jeweiligen Subjekte, damit diese tatsächlich an der Gemeinschaft aktiv mitwirken können (vgl. Winkler 2000). Wo die Bedingungen der Gemeinschaft es ermög-lichen, dass sich die Subjekte als selbstbestimmt erfahren, kann in pädagogischen Verhältnissen Freiheit als Ziel formuliert werden und bedeuten, die eigene Angst zu überwinden und sich ihrer bewusst zu werden, um in einer emanzipativen Perspektive nach den Bedingungen der Möglichkeiten im Umgang mit Angst zu fragen. Darin angesprochen ist der Zugang zu Vernunft als einer Reflexion dessen, was Angst macht: „Wenn Angst nicht verdrängt wird, wenn man sich ge-stattet, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, dann wird gerade dadurch wahrscheinlich doch manches von dem zerstörerischen Effekt der unbewußten und verschobenen Angst verschwinden“ (Adorno 1971, S. 97). Das Bewusstwerden dessen, was Angst macht, ist verknüpft mit einem emphatischen Vernunftgedanken, der Angst in ihrer psychologischen Wirkung entzaubert.9

Anmerkungen

1 Der theoretische Zugang zum Thema Gefühle lässt sich zwischen Feeling-Theorien (James) und Evaluationstheorien (Nußbaum) verorten. Ein Gefühl basiert nicht nur auf einer Empfindung, die eine körperleibliche Dimension umschließt, sondern eben auch

auf der damit verbundenen Sinnhaftigkeit, die der Empfindung beigemessen wird.

Eine solche theoretische Figur ist beispielsweise bei Agnes Heller (1981) zu finden, die den Dualismus von Fühlen und Denken in ihrer ‚Theorie der Gefühle‘ zu überwinden sucht.

2 Mit dem Konzept des Körperleibs beschreibt Plessner das Subjekt wie folgt: „[H]inter den Augen und Ohren sitze Ich als Mitte meines Bewußtseins, zwischen Brust und Rücken leben Gemüt und ‚Herz‘. Meine Gedanken und Wünsche, den anderen ver-borgen, scheinen, wie im Inneren vom Körper umschlossen, einer raumlosen Tiefe anzugehören“ (Plessner 2003, S. 239).

3 Dieser Aspekt des Fühlens wird bei Plessner als exzentrische Positionalität umschrieben.

4 Der Furcht, die ich in einer Interaktion gegenüber einer bedrohlich wirkenden Person spüre, kann ich über Körperhaltung, Gestik, Mimik wie auch Sprache Ausdruck ver-leihen; insofern können Emotionen eng verwoben sein mit meinem Handeln.

5 Dies impliziert, dass es so etwas wie vernünftige Gefühle gibt. Diese können be-schrieben werden als die „reflektiert angeeigneten Gefühle, die vor unserem Selbstbild bestehen können und die in einem normativen Sinne als authentisch einzustufen sind“

(Hastedt 2009, S. 61).

6 Vor dem Hintergrund, dass das „Leiden an Ungewissheit“ (Dehne 2017, S. 36) eine kontingente Struktur aufweist, die weder ein klar eingrenzbares Objekt besitzt noch in eine konkrete Situation eingebettet ist, wird diese Form der Angst auch als

„Kontingenzangst“ (ebd.) bezeichnet.

7 Adressat*innen können eine Gruppe oder aber auch einzelne Personen sein.

8 Vgl. aus einer sozialpädagogischen Perspektive dazu beispielsweise Scherr (2003a, 2003b), Thiersch (1986), Winkler (1988, 1989).

9 Adorno fasst Vernunft als eine Form der Selbstbesinnung, die auf ein kritisches wie reflexives Denken und Handeln verweist (vgl. Adorno 1971, S. 90). Vernunft beinhal-tet einen reflexiven Gehalt, der bezogen ist „auf durchsichtige, humane Zwecke“ (ebd., S. 125). Besinnungslosigkeit hingegen zeichnet sich dadurch aus „ohne Reflexion auf sich selbst nach außen zu schlagen“ (Adorno 1971, S.  90). Selbstbesinnung ist bei Adorno nicht nur bloße Selbstreflexion; vielmehr deutet er darin gleichzeitig auf die Autonomie des Bewusstseins eines fühlenden, empirischen Subjekts im Sinne einer

„Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen“ (ebd., S. 93) hin.

Literatur

Adorno, Theodor (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt am Main.

Adorno, Theodor W. (1970/2003): Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Frank-furt am Main.

Balzereit, Marcus/Cremer-Schäfer, Helga (2018): „Angst machen und Angst haben“. Zur Produktion von Angst und der Geschichte (un)angemessener gesellschaftlicher Reak-tion. In: Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.): Wa(h)re Gefühle. Sozialpädagogische Emotionsarbeit im wohlfahrtsstaatlichen Kontext. Weinheim, S. 53–64.

Bude, Heinz (2014): Gesellschaft der Angst. Hamburg.

Calmbach, Marc (2019): „Ich möchte es einmal besser haben als meine Eltern“. In:

Calmbach, Marc (2019): „Ich möchte es einmal besser haben als meine Eltern“. In: