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F. Struensees egen Forklaring om sin religiöse Omvendeise

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J. F. Struensees egen Forklaring om sin religiöse Omvendeise

1401.

Eigenhändige Nachricht des Grafen Struensee von der Art, wie er zur Aenderung seiner Gesinnungen über

die Religion gekommen ist.

An den Herrn D. Münter.

Sie verlangen,wehrter Freund, dass ich meine Gedanken, über die Art, wie ich zur Aenderung meiner Kenntniss und Gesinnungen in Absicht der Religion gekommen bin, hinter­

lassen soll. Sie ist unter Ihren Augen geschehen, Sie haben mich dabey geleitet, und ich bin Ihnen desswegen unend­ lichen Dank schuldig. Ich erfülle Ihr Verlangen mit so viel mehrerem Vergnügen, da ich dabey Gelegenheit haben werde, die Reihe von Begriffen und Eindrücken, so meine jetzige Gemühtsverfassung hervorgebracht haben, mir in

Erinnerung zu bringen und meine Ueberzeugung zu be­ stärken.

Mein Unglaube und meine Abneigung gegen die Reli­

gion sind eben so wenig auf eine genaue Untersuchung der Wahrheiten derselben als auf eine regelmässige Prüfung der Zweifel, so man gegen dieselbe macht, gegründet gewesen. Sie sind entstanden, so wie es wohl in den meisten Fällen geschieht: allgemeine und seichte Kenntniss von der Religion auf der einen Seite, und auf der andern viele Neigung, die Vorschriften derselben nicht befolgen zu dürfen, mit einer grossen Bereitwilligkeit alle die Zweifel anzunehmen, so ich gegen dieselbe fand. Sie kennen den gewöhnlichen Unterricht im Christenthum, den man auf öffentlichen Schulen erhält; doch war es meine Schuld dass ich mir die besondern Unterweisungen und das Bey­ spiel meiner Eltern nicht besser zu Nutze machte. Seit

1 Efter Münter S. 281—312.

meinem vierzehenden Jahre beschäfftigte ich mich bloss mit der Erlernung der Arzneywissenschaft. Wenn ich nachher viele Zeit auf die Lectür anderer Art gewendet habe, so geschah es allein zu meinem Vergnügen und um die Kenntnisse, mein Glück zu machen, zu erweitern. Die Heftigkeit der Begierden, mit welcher ich mich allen sinn­

lichen Vergnügen und Ausschweifungen in meiner Jugend überliess, erlaubte mir kaum an die Sittlichkeit, noch viel weniger an die Religion zu denken:

Als die Erfahrung mich nachher lehrte, wie wenige Zufriedenheit in dem unordentlichen Genuss dergleichen Vergnügungen zu finden sey, und ich durch Nachdenken überzeugt ward, dass meine Glückseeligkeit eine gewisse innere Befriedigung erfordere, die weder durch die Erfül­ lung einzelner Pflichten noch durch die Unterlassung gröberer Laster erhalten werden könne, so suchte ich mir gewisse Grundsätze einzuprägen, die ich diesem Endzweck gemäss hielt. Allein mit was für einer Verfassung unter­

nahm ich diess? Mein Gedächtniss, angefüllt mit moralischen Grundsätzen aber auch zugleich mit den Entschuldigungen einer gefälligen Vernunft gegen die Schwachheiten und Fehler des menschlichen Herzens; mein Verstand ein­ genommen mit Zweifeln und Schwierigkeiten gegen die Unsicherheit der Hülfsmittel zurWahrheit und Gewissheit zu kommen; und mein Wille, wo nicht fest entschlossen, doch heimlich sehr geneigt, meine Pflichten zu bestimmen, dass ich nicht genöthigt seyn möchte meine Lieblings­

neigungen dabey aufzuopfern: das waren die Führer bey den Untersuchungen, so ich anstellte.

Ich setzte zum Voraus, dass in einer Sache, so die einzelne Glückseeligkeit eines Menschen betraf, weder Tiefsinnigkeit noch Scharfsinnigkeit oder Gelehrsamkeit, sondern bloss eigene Erfahrungen und die Begriffe, wovon sich jeder selbst überzeugen könnte, zur Findung der Wahrheit vonnöthen seyn. So wie die Nothwendigkeit alle unangenehme Empfindungen der Schmerzen, der Krankheiten, meiner eignen Vorwürfe und der Vorwürfe anderer zu vermeiden, die sorgfältige Beobachtung der

Pflichten gegen mich selbst und gegen meinen Nächsten sehr wichtig machten, so glaubte ich jedoch durch die Betrachtung Gottes, der Natur und des Menschen, keine besondere Verpflichtungen gegen das höchste Wesen zu finden, als die, so aus der Bewunderung seiner Grösse und der allgemeinen Dankbarkeit wegen meines Daseyns flössen. Des Menschen Handlungen, bestimmt durch Vor­ stellungen, so die natürlichen Triebe, der angenehme oder unangenehme Eindruck der äussern Gegenstände, die Er­ ziehung, die Gewohnheit und die Verschiedenheit der Umstände, worin er sich befindet, hervorbringen, schienen, mir eben so wenig in einzelnen Fällen Gott gefallen oder misfallen zu können, als die verschiedenen Begebenheiten in der Natur, so in den festgesetzten physischen Regeln ihren Grund haben. Es war mir genug zu bemerken, dass alles so wohl in diesem als in jenem Fall zu Einem End­ zweck, nemlich zur Erhaltung des Allgemeinen, abziele, und diesen hielt ich allein der Vorsorge des höchsten Wesenwürdig. Meine Aufmerksamkeitward daher grössten- theils auf die Pflichten gegen den Nächsten gezogen. Die Erfüllung derselben bestimmte mein äusseres Glück, und ich hoffte auch darin meine innere Befriedigung zu finden.

Der Wunsch, den jeder fühlt, tugendhaft zu seyn, und eine natürliche Neigung zu gesellschaftlichen guten Handlungen bewogen mich eifrigst zu bemühen die Tugend kennen zu lernen. Aber wo konnte ich die wahre finden, da ich sie nicht da suchte, wo sie allein anzulreffen ist?

Was für eine Verschiedenheit herrscht nicht in den Mey-nungen der Weltweisen über die Natur und Bewegungs­

gründe derselben, und wie widersprechend ist nicht das Urtheil der Menschen über die Würkungen, so sie in ein­ zelnen Fällen hervorbringt? Jedoch sollten diese mich richten, wenn Gott es nicht thut, und ich mich nicht allein auf mein Gewissen verlassen wollte, das so leicht verblendet, von den Begierden überstimmt, und meisten- theils gar nicht gehört wird. Wenigstens fand ich, dass es sehr leicht sey, sich in Absicht seiner Gesinnungen zu betrügen, und diese wären doch jedem selbst allein zu

beurtheilen überlassen. Wie viele bemerkte ich nicht auf der andern Seite, die bey der grössten Unthätigkeit voll von guten Gesinnungen zu seyn schienen! Diese und andre Betrachtungen verführten mich, die Tugend allein in die Handlungen, so einen nützlichen Einfluss in die Gesell­ schaft hätten, in der ich lebte, und in die Begierde solche hervorzubringen, zu setzen. Die Bewegungsgründe dazu, die Ehrbegierde, die Vaterlandsliebe, ein natürlicher Trieb zum Guten, eine wohlverstandne Selbstliebe, oder selbst die Kenntniss der Religion, schienen mir gleichgültig, je nachdem einer mehr oder weniger auf die Gesinnungen einzelner Personen würkte. DerVerstand, die Ueberlegung müsse allein die Anwendung und Ausführung der Tugend bestimmen. Derjenige sey der tugendhafteste, der die nütz­ lichsten, die schwersten und weit ausgebreitesten Hand­

lungen hervorbringe. Niemand dürfe sich Vorwürfe machen, wenn er nur in der Wahl der Mittel die Landesgesetze und die ohne Vorurtheile festgesetzten Grundsätze der Ehre sorgfältig beobachte.

Ich glaubte in der Natur der Menschen hinlängliche Kräfte und Triebfedern zu finden, die ihn zur Tugend bewegen könnten, ohne dass eine geoffenbahrte Religion dazu nöthig sey, die bloss eine Verbindlichkeit bey weniger angeklärten Menschen zu Wege bringen könne. Das Gefühl, die Empfindungen, so sie erregen sollte, hatte ich nie erfahren, oder wenigstens nicht darauf geachtet. DieWahr­

heiten desGlaubens schienen allen meinen übrigen Begriffen zu widersprechen, ihre Lehre zu streng, und glaubte ich solche, wo nicht mehr, doch eben so deutlich, vollkommen und nutzbar in den Schriften der Weltweisen ausgeführt zu finden. Fügen Sie dahin zu die Zweifel, so ich gegen dieselbe fand; in dem engen Zirkel der Menschen, welchen sie bekannt war, — in der kleinen Anzahl, auf welche sie Eindruck machte, — die Übeln Folgen, welche für das menschliche Geschlecht aus ihrem Misbrauch entstanden waren, — wie wenige ihr gemäss handelten, wenn sie auch solche glaubten, — die wenige Hoffnung, so ich mir von meiner Fortdauer nach diesem Leben machte, — den

Begriff von der Güte Gottes, dass solcher die Fehler des Irrthums und der Uebereilung ohne hin vergeben würde,

— endlich den Widerspruch und nicht zu überwindenden Widerstand, so ich in der Natur des Menschen wahr­

zunehmen glaubte, die Vorschriften der Religion zu erfüllen

— und Sie werden leicht den Schluss errahten, welchen ich mich daraus zu folgern berechtigt hielt.

Die Vernunft, geleitet vom Verstände und unterstützt durch die Ehre, die Selbstliebe und der natürliche Trieb zum Guten waren nun die Führer, so meine Handlungen bestimmten. Wie vielen Irrthümern und Vergehungen war ich nicht ausgesetzt? Ich fand es nicht mehr schwer meine Lieblingsneigungen zu entschuldigen und gar mit Beruhigung mich ihnen zu überlassen. Die Vergehungen und selbst die Laster der Wollust schienen mir höchstens Schwachheiten zu seyn, wenn solche nur keinen schäd­

lichen Erfolg auf mich selbst oder auf andre hätten, und diesem könnte Vorsicht und Klugheit vorbeugen. — Viele, die Anspruch auf Ehre und Tugend machten, entschul­

digten es und erlaubten sie sich. — Die Sitten der Zeit erlaubten stillschweigends Frey hei ten, so nur strenge Sit­

tenlehrer verdammten, billigere aber mit der Kenntniss des menschlichen Herzens gelinder und mit mehrerer Nachsicht ansähen. — Die Enthaltsamkeit sey eine Tugend des Vorurtheils, und ganze Nationen bestünden und hät­ ten bestanden, ohne diese Tugend zu kennen noch aus­ zuüben.

Es gereicht zu meiner wahren Demüthigung, mein wehrtester Freund, dass ich Ihnen Scheingründe wieder­

hohle, die mir itzt höchstabgeschmackt sind, die Sie aber bey allen denjenigen mehr oder weniger werden gefunden haben, die nicht ganz gedankenlos handeln und bey der unregelmässigsten Lebensart in dem Verstände Mittel zu ihrer Beruhigung suchen. Wie leicht können nicht auf diese Art alle unsre Begierden bemäntelt und gerechtfertigt werden! Der Ehrgeizige siehet in seinen Unternehmungen Liebe zum Vaterland und eine edle Ehrbegierde; der Ein­

gebildete edlen Stolz auf seine Verdienste und die

Gerechtig-keit so er sich selbst schuldig ist; der Verläumder Wahr­ heitsliebe und unschuldigen Scherz u. s. w.

Diesen Irrthümern hoffte ich durch eine strenge Prü­ fung und Untersuchung meiner selbst und der Folgen, sq

meine Handlungen haben könnten und haben würden r auszuweichen. Bin ich darin glücklich gewesen und ist es möglich, wenn ich auch nur für die unmittelbaren Folgen derselben einstehen sollte? Betrog ich mich nicht selbst, wenn ich mich mit dem lebhaften Vorsatz, so viel Gutes zu thun, als ich konnte, und der Ueberzeugung, dass ich es, so viel die Umstände, in denen ich mich befand, thäte, zu befriedigen glaubte? War es Betäubung, Unempfindlichkeit, Affectation, wenn ich in mir selbst Ruhe, Standhaftigkeit und Gelassenheit bey meinem itzigen Unglück zu finden hoffte? Untersuchte ich die Ursachen desselben, so blieb ich bey den politischen stehen, und wie viel konnte ich nicht in dem Zufälligen und der Natur meiner Situation zu meiner Entschuldigung entdecken?

Meine moralischen Gesinnungen sah ich nur von ferne, und wie konnte ich sie verdammen, wenn ich mich nicht auf einmahl aller Beruhigung berauben wollte? Was ich von der Zukunft hoffte, habe ich vorhin gesagt, und da ich wusste, dass eine anhaltende Vorstellung und bestän­

diges Nachdenken über den nemlichen Vorwurf den Ein­

druck desselben nur um so viel lebhafter auf uns machte so suchte ich durch Zerstreuung und Beschäftigung mein Gedanken mit andern Vorwürfen, mein Unglück mir weniger fühlbar zu machen und meine natürliche Gemüthsverfas-sung dadurch zu unterstützen.

In diesem Zustande fanden Sie mich, mein wehrtester Freund, und wir fiengen unsre Unterredungen an. Sie erinnern sich, wie sehr ich von meinen Grundsätzen über­ zeugt zu seyn glaubte, wie fest ich mir sie eingeprägt, und wie sehr ich gegen alle Leidenschaften, die in mir erregt werden konnten, auf meiner Hut war. Diess fand ich billig, dass eine Sache, so meine Glückseeligkeit beträfe, die noch einen Einfluss auf die Zukunft haben könnte, eine Untersuchung verdiene; eine Meynung, darin die

grösste Wahrscheinlichkeit die Gewissheit sey, erhalte neue Stärke durch die Prüfung der entgegengesetzten, und die Wiederlegung der Zweifel erfordre wenigstens so viel Auf­ merksamkeit, als auf die Ueberlegung der Gründe bey ihrer Annehmung sey gewandt worden.

Bey der Betrachtung meiner moralischen Grundsätze und ihrer Folgen erregte sich gar bald der Zweifel, ob ich nicht durch jene meines Zwecks, der innern Beruhigung und Zufriedenheit über meine Handlungen, verfehlt hätte.

Ich konnte mir nicht verbergen, dass ich Vorwürfe von mir selbst und andern verdiente, wenn es auch nur von der Seite meiner mit mir unglücklichen Freunde sey, welche mich am lebhaftesten rührte. Würde es nicht sichrer gewesen seyn, dachte ich, wenn ich meine Hand­ lungen mehr nach ihrem Ursprung als nach den Verhält­ nissen und Folgen beurtheilt hätte? —Wie wenig Vergnügen und Thätigkeit wäre alsdann in meinem Leben gewesen!

Jetzt weniger Reue und Misvergnügen, aber vorhin mehr Kampf und Widersstande gegen mich selbst. Die Zeit des Leidens ward bloss verändert. Mit jenem Falle sind leb­ hafte und kurze Schmerzen, mit diesem Einförmigkeit und anhaltende unangenehme Empfindungen verknüpft. Ich würde aber nur allein gelitten haben. Und wie viel Zufriedenheit hat mir der Genuss alles dessen, was ich vom Glück erwarten konnte, gegeben? — Die Befriedigung von Begierden, die eine unvermeidliche Leere nach sich zieht; die Erfüllung von Wünschen, deren Reiz durch die unruhige Geschäfftigkeit sich darin zu erhalten vermindert wird; vervielfältigte Vergnügungen, die ihrer Natur nach sich unter einander zerstören, und endlich nichts als höch­ stens Zerstreuungen sind; die Unempfindlichkeit, eine na­ türliche Folge des Besitzes alles dessen, was das Leben geschwind und leicht angenehm machen kann. — Das Vergnügen der Freundschaft und der Geselligkeit wird man mir doch nicht absprechen können? Nein, wenn eine Situation voller Zerstreuungen, voller Aufmerksamkeit auf hundert Kleinigkeiten, mit der Unmöglichkeit den Gedan­ ken von ihrer Unsicherheit zu entfernen, solches geben

konnte, und es nicht vielleicht seiner Natur widerspräche.

Gesetzt aber, ich sey mir bloss guter Absichten und er­ laubterMittelbewusst, und meine moralischen Vergehungen wären die Folgen des Leichtsinns und der Schwachheit?

So raubten mir doch itzt die Vorwürfe von diesen alle Beruhigung über jene. Vermieden würde ich sie haben, wenn ich ihre Folgen nach allen Verhältnissen überdacht hätte. War dieser Entschluss aber möglich, wenn auf der andern Seite die Leidenschaft mir die Glückseeligkeit mei­ ner und andrer, die Verachtung der Gefahr, die Ungewiss­ heit der entfernten Folgen und die Sicherheit die nächsten in der Gewalt zu haben — so lebhaft vorstellten? Der Ausschlag musste nothwendig auf die Seite fallen, wo das Vergnügen nahe und der Schmertz entfernt und ungewiss war; der Fall aber, wo Vernunft und lebhafte Begierden streiten, und der Verstand entscheiden soll, kann nicht anders gedacht werden. Die Ehre und Selbstliebe, der Ein­ fluss, so eine Handlung auf andre haben kann, und andre Bewegungsgründe sind leicht erklärt und bey der Anwen­

dung dem vorgesetzten Endzweck gemässgefunden. Konnte ich nun wohl anders als zugestehen, dass meine Grund­

sätze mir keine moralische Beruhigung geben könnten, dass die Leidenschaften meine Handlungen bestimmt hät­

ten, und dass mir kein andrer Trost als der aus dem Zufälligen und Unvermeidlichen des menschlichen Schick­ sals hergenommene übrig bliebe? Mein Glück konnte ich ihnen zu verdanken haben, und dass sie mirWürksamkeit in Erfüllung der Pflichten gegeben; wenn sie mich aber nur ein mahl verleitet, eine Handlung zu begehen, die ich vermeiden können und sollen, worüber ich mit Recht Vorwürfe verdiene, und deren Andenken meine innere Glückseeligkeit zerstört, so musste ich sie verwerfen.

Diess war ich bereit zu thun, wenn ich bessere finden konnte. Ich bemerkte vornehmlich zwey Mängel bey ihnen.

Die Beurtheilung der Handlungen nach ihren Verhältnissen und Folgen hob alle Gewissheit und Sicherheit auf, zu einer moralischen Ueberzeugung meiner selbst zu kommen;

die von mir angenommenen Bewegungsgründe zur Tugend

können eben so leichtzur Befriedigungals zum Widerstande der Begierden dienen, sie würken nicht lebhaft genug, auch sind sie leicht einer Misdeutung fähig, wenn die Seele etwas heftig begehrt. Das Gewissen, die innere Emp­

findung des Guten und des Bösen und die Furcht Gottes schienen mir nicht diesem abzuhelfen. Mein Verstand war reich an Gründen sie zu verkennen, und die Sinnlichkeit erlaubte mir nicht ihren Eindruck zu bemerken. Hätten mich diese unter allen Umständen richtig handeln lehren und beruhigen können, wenn gleich die Folgen, das Urtheil der Menschen und die Vorwürfe meiner Freunde wider mich wären? Ohne Zweifel. Aber dann hätten meine Handlungen in den Gesinnungen ihren Ursprung nehmen, und diese eine sichre Richtschnur haben müssen, nach welcher sie nicht irren konnten.

Der Irrthum war klar, dass ich die Tugend in die Handlungen und nicht in die Gesinnungen gesetzt, und dadurch meines Endzwecks, der innern Beruhigung verfehlt hätte. Gellert zeigte mir die Regeln, nach welchen ich ihn hätte vermeiden können; Jerusalem überführte mich von der Kraft und Stärke, so die wahre Verehrung Gottes giebt, solche zu beobachten, und Reimarus bewies mir die Nichtig­

keit der Zweifel, so der Verstand findet, den Antheil Gottes an den einzelnen moralischen Handlungen zu läugnen.

Ich will nicht die Reihe der Betrachtungen wiederhohlen, die mich von den Wahrheiten, so diese vortrefflichen Schriftsteller lehren, überzeugten. Es wird genug seyn mir einige in Erinnerung zu bringen, die sich mir am leb­

haftesten darstellten.

War es nicht die Sinnlichkeit, so mich Wahrheiten, die mein Verstand kannte, verläugnen, und mir andre Gegenstände und falsche Begriffe wichtig machte? — Ist Sicherheit und Weisheit da, wo ich einfache Grundsätze finde, die in allen Fällen ohne Ausnahme mit Deutlichkeit anzuwenden sind, oder dort, wo die mannigfaltigen Mey-nungen und Bedingungen ohne Zahl mehr Zeit zum Unter­ suchen als zum Handeln erfordern? — Ist der moralische Unterschied von Tugend und Laster nicht wirklich in den

Gesinnungen, so kann niemand auf Tugend Anspruch machen, wenigstens hängt sie nicht von seinem Willen ab.

Der Kluge, der Vorsichtige, der Listige, der Heuchler ist rechtschaffen; der Einfältige, der Leichtsinnige, der Un­

glückliche der Aufrichtige wird lasterhaft seyn. — Die innere Beruhigung hängt von der Meynung anderer und dem Zufälligen ab, wenn ich nicht meine Gesinnungen nach festgesetzten Regeln beurtheilen kann.

Ist der Begriff nicht sehr eingeschränkt, wenn ich das Ganze bloss Gottes Aufmerksamkeit würdig finde? Wir wissen, dass die Kenntniss und Combinaison vieler ein­

zelnen Mittel und würkenden Ursachen, in so ferne solche zu einem Endzweck angewendet werden, die moralischen grossen Handlungen hervorbringen. Die Fähigkeiten des Menschen erlauben ihm nicht, sich jene gleich deutlich auf einmahl vorzustellen. Er verliert das Ganze aus dem Gesicht, wenn er sichzu viel mit dem Einzelnen beschäfftigt.

Daher ist er genöthigt seine Aufmerksamkeit allein auf die nächsten und würksamsten Ursachen zu richten und die entferntem dem Zufälligen zu überlassen, oder, welches damit überein kommt, vorauszusetzen, dass solche nicht fehlen werden, ob er sie gleich nicht in seiner Gewalt hat.

Jedoch lassen Sie uns hiebey nicht stehen bleiben. Der­ jenige, welcher die meisten und entferntesten Mittel zugleich übersehen, jedes nach seinem Endzweck bestimmen und anwenden, und alle Schwierigkeiten leicht und geschwinde zuvorkommen und abwenden könnte, der würde mit Recht den Nahmen eines grossen Mannes verdienen. Je mehr Ordnung und Uebereinstimmung er jedem Theile geben kann, desto sicherer ist der Erfolg. Misvergnügen muss es ihm erwecken, wenn er es nicht überall kann. Verschiedene

Jedoch lassen Sie uns hiebey nicht stehen bleiben. Der­ jenige, welcher die meisten und entferntesten Mittel zugleich übersehen, jedes nach seinem Endzweck bestimmen und anwenden, und alle Schwierigkeiten leicht und geschwinde zuvorkommen und abwenden könnte, der würde mit Recht den Nahmen eines grossen Mannes verdienen. Je mehr Ordnung und Uebereinstimmung er jedem Theile geben kann, desto sicherer ist der Erfolg. Misvergnügen muss es ihm erwecken, wenn er es nicht überall kann. Verschiedene