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UNGDOMSERINDRINGER

In document EFTERLADTE PAPIRER (Sider 167-200)

NEDSKREVNE AF

KOMTESSE CATHARINE STOLBERG, HENDES SØSTER JULIE VON WITZLEBEN OG DENNES

ÆGTEFÆLLE KAMMERHERRE HENNING VON WITZLEBEN.

VII 8

I.

CATHARINE STOLBERGS OPTEGNELSER.

DenSommer 1765 starb mein seliger Vater. Obgleich ich nicht viel um ihn gewesen war, liebte ich ihn un­ aussprechlich und war sehr traurig. Wir liebten ihn alle zärtlich. Er war auch immer freundlich und liebend, und die letzte Zeit seines Lebens, da er schon vom Schlage gerührt war, sah’ er uns fast nie ohnezuweinen. Meine Brüder waren den letzten Winter immer bey ihm und lasen ihm viel vor, unter anderm den Rollin, dessen Ge­

schichteer uns immer sehr anempfahl. Er hatte in seiner Jugend Rollins Bekanntschaft in Paris gemacht.

Seine Geschäfte, die sehr gross waren, und die er mit unglaublicher Treue und grosser Activität besorgte, machten, dass er uns nicht viel sah. Als Chef des Hofes der Königin Sophie Magdalene ass er immer bey Hofe, das war ein Fest für uns, wenn er einmal zuHause ass, aber das war nur ein oder zwei mal im Jahre. Obgleich er sehr mässig war, sass er lange an Tisch und gemei­

niglich bat er dann einen gewissen Major Berglas, einen sehr redlichen Mann, zu sich. Dann ward erzählt. Mein Vater hatte Hang zur Satyre, aber diese traf nie die

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Schwäche von jemandem den er ehrte; allein Niederträch­ tigkeit, kurz was Verachtung verdient, rügte er mit scharfen, treffenden Zügen. Sein Herz war sanft und milde, sein Umgang still und ernst; zärtlich und treu vermied er jeden Schein; er mochte vielenkalt erscheinen;

dem, welchem er helfen konnte und dem, der von ihm abhing, schien er es nie. Leicht gerührt, entstürzten ihm Thränen, wo er oft keinWort sagte. Er scherzte selten, aber seine Freundlichkeit milderte seinen Ernst, und sein Witz, der nicht in saillien ausbrach, ward nur dadurch Witz, dass er mit der Schnelligkeit und Sicherheit des Instinkts, mit dem ihm so eigenen, ihn so schön charak- terisirenden Wahrheitssinn und mit seiner Wahrheitsliebe das Falsche vom Wahren, das Kleine vom Grossen, den Schein vom Seyn zu unterscheiden und jedes in gehöriges Licht zu setzen wusste. Unbestochener von Eitelkeit als er war — ist wohl nie ein Mensch gewesen. Sein Gefühl war so weich, dass er sich jedes Thiers erbarmte, aber bis zur Strenge gieng sein Ernst, wo er Unrecht sah. Er belachte die Thorheit, bestrafte das Laster, ver­

achtete die Schalkheit, er war allgemein verehrt, von den Guten geliebt, von Tausenden geseegnet, gefürchtet von denen, die auf falschenWegen giengen und von den sich aufblähenden Narren. Kein Ansehn, kein noch so glän­ zender Vorzug, nicht sowohl des Standes, der Gunst oder des Reichthums, als auch der Talente und des Geistes, schützten vor seiner Satyre oder liessen ihn nur um ein Haarbreit aus seinem Wege gehen, hemmten im minde­ sten seine stille Thätigkeit oder bestachen sein reines Urtheil. Er blieb sich immer gleich.

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Er hielt auf gleicher Wage des Grossen drohend Recht Und eines Bauern Klage.

Den Tag seines Todes liess mein seliger Vater sich von Clauswitz, dem Hofmeister meiner Brüder, der ihn nach Achen begleitet hatte, den lOten und Ilten Psalm vorlesen und wiederholte mit lauter Stimme den Spruch:

„das Verlangen der Elenden hörest Du Herr, ihr Herz ist gewiss, dass Dein Ohr darauf merket.“ — und nach­ dem er sich ihn noch einmal hatte vorlesen lassen und hinzugefügt „das ist ein vortrefflicher Spruch“ — starb er. Dieses Verlangen, dieses letzte Flehen seines Herzens, war gewiss, dass seine Kinder den Weg des Herrn wandeln möchten. Wie lag ihm dieses am Herzen! wie lag dieses unserer Mutter am Herzen! — Ich höre sie noch sagen, dass sie keine Mutter so beneide, wie die Mutter der sieben Söhne, dass sie die glücklichste aller Mütter sey.

„Herr hier sind wir und die Kinder die Du uns ge­ geben hast“ —dies einst sagen zu können, war ihr ein­ ziger Wunsch, ihr Streben, ihr Gebet — die Seele ihrer Erziehung.

Meine selige Mutter war von ihrer Mutter enterbt worden, Clauswitz gieng das sehr nahe, und er ärgerte sich über meiner Mutter Gleichgültigheit dabey, sie sass und schaukelte sich (da sie sehr kränklich war und die Luft im Winter nicht ertragen konnte, so hatte der selige Berger ihr eine Schaukel angerathen. Ein langes Brett auf zwey Füssen ruhend im Saal), da sass sie und neckte ihn über seine Besorgnis — ihr Scherz gränzte immer an Ernst und so zog sie ihr Spruch Kästchen aus der

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Tasche, gab lächelnd den Zettel, den sie wie eine Num­

mer aus der Lotterie auszog, an Clauswitz. „Nun lesen Sie, lieber Witze, kann ich nicht zufrieden seyn?“—Der Spruch war dieser:

„Mein Loos ist mir gefallen aufs lieblichste, mir ist ein schön Erbtheil worden/

Clauswitz hat mir das erzählt.

Unsrer Eltern Denkungsart stimmte vollkommen mit­

einander überein. Ihrer beyder natürlicher, schöner und edler Character, ihre ernsten Grundsätze und ihre fromme Gesinnung machten, dass sie sich gegenseitig aufs innigste ehrten und liebten, und dass zwischen ihnen das Ver­

trauen entstand, welches von dieser Ehrfurcht und Liebe unzertrennlich war. Allein ihre Charactere waren eben so verschieden von einander, wie ihre Art zu empfinden es war. Mein Vater war still und ernst, meine Mutter im höchsten Grade lebhaft, mein Vater schloss sich nur an einige, wenige Freunde an, meiner Mutter Herz um­

fasste mit Liebe alles was sie interessirte. Meines Vaters Herz war wie ein tiefer Brunnen oder wie eine Quelle die immer fliesst, nie trübe wird, aber kaum hörbar rieselt.

Meiner Mutter Herz war wie das Firmament, mit Sonne, Mond und Sternen. Sie auch der zartesten Empfindun­

gen fähig, er in seiner Stille empfänglich für das höchste Gefühl; beyde sehr reitzbar. Ich glaube, dass mein Vater tiefer gekränkt werden konnte, aber bereitwilliger zu verzeihen als er war, kann man nicht seyn. Sie ward erstaunlich geliebt, und obgleich sie ihre Freunde oft ungeduldig machen musste, sahen sie sie an wie ein höheres Wesen. Er, ohne es zu wollen, gebot Hoch­ achtung und Ehrfurcht, man konnte sie ihm nicht

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sagen, aber man bezahlte seiner Tugend gern diesen Tribut, weil man ihn noch mehr liebte.

Meine Mutter wandte immer auf ihn den schön gezeichneten Character des Jacobus im Messias an.

„Dies ernste Gesichte

Ist verschwiegene Tugend, die weniger saget als ausübt — Kennt ihn der Ewige nur, wenn ihn von Nachwelt zu Nachwelt Menschen auch nicht kennten, wenn er Engeln selbst unbekannt bliebe, Dennoch würd’ er, vom Ruhm unbelohnt, stets edel und gut seyn.“

Es ist sonderbar, dass ich in der That nicht erinnern kann, je in meiner Eltern Hause das Wort, Geld, Aus­ kommen, Oeconomie, Dépense, Sparsamkeit gehört zu haben. Damals war der Luxus noch nicht Mode, und war ers auch gewesen, unserer Eltern Haus war wie eine Insel. Wir lebten von anderen abgesondert, ohne es eigentlich zu wissen, wir hielten wahrscheinlich die Sitte bey uns für etwas ganz gewöhnliches. Nie man­ gelte es uns an etwas was uns Freude machen konnte, unsere Eltern waren freygebig und liebten eigentlich die Dépense, allein ihr Geschmack und ihre Denkungsart hielt sie von Fantaisien ab und von tausend Thorheiten der Eitelkeit, in die oft selbst edle Menschen verfallen.

Sie hatten viele Bedienten, jedem Freund und jedem Gast stand das Haus offen, ich habe nie gemerkt, dass je ein Besuch in Verlegenheit gesetzt hätte. Ich weiss wirklich nicht, wie reich oder arm sie waren; das weiss ichwohl, dass niemals über irgend einen Mangel oder eine ängst­

liche Sparsamkeit unter den Hausgenossen Klage oder nur die Rede davon war. Unsere Kleidung war nie nach der Mode, aber nicht nur anständig, sondern vor­

nehm; feine Wäsche, seidene Kleider etc. und imme

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mehr als wir bedurften, aber auch das ward uns zu Theil ohne dass je ein Werth darauf gelegt ward. An Geburtstagen und zum heiligen Christ wurdenwir immer reichlich beschenkt, unsere Lehrer waren Freunde des Hauses.

So wenig von Geld und Mode die Rede war, war auch von Bequemlichkeit die Rede. Die jetzige Behag­ lichkeit und Raffinements in Stühlen und Sophas war uns ganz unbekannt. Alle Möbeln waren, wie unsre Kleider, gut und anständig, und so der Tisch, aber von allem hätten wir sagen können wieCyrus von den Sitten in Persien an der Tafel des Astiages.

Als mein Vater starb, war ich 131/2 Jahr alt; wenn ich um ihn weinen wollte, gieng ich in ein dunkles Zim­ mer, damit mich niemand sehen mögte. Der Eindruck des tiefen Schmerzes, den mir sein Tod machte, ist mir noch sehr lebendig. Den Herbst kaufte meine selige Mutter Rungstedt — hiervon will ich ein andermal er­ zählen. Den Winter brachten wir in Hirschholm zu, hiervon auch ein andermal. Der Winter, wo ich immer bey meiner Mutter war und viel mehr mit meinen Brü­ dern als vorher, war mir so angenehm, dass ich noch viele Jahre nachher den Winter allen andern Jahreszeiten vorzog. Meine Brüder giengen täglich nach Rungstedt.

Ich weiss nicht wie es kam, dass wir nie hinfuhren oder hingiengen, da es doch nur eine halbe Stunde von Hirschholm war, aber es fiel uns nicht einmal ein, dass es angehn könnte, denn wir waren nie den Winter aus­ gegangen oder spatzieren gefahren. Im Frühjahr 1766 wurde ich mit meinen Brüdern in Blauströd — einem Kirchdorfe — confirmirt, vom guten Pastor Müller, der

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während Clauswitzes Abwesenheit bey uns gewesen war, den wir zwar liebten, aber oft neckten. Er war äusserst gutmüthig, dabey aber schwach, empfindlich, bisweilen heftig — aber öfters weinte er wie ein Kind, wenn wir ihn nicht hören, ihm nicht folgen wollten.

Bey unserer Confirmation waren wir alle sehr ge­

rührt. Pastor Müller hielt eine sehr herzliche Rede über den Spruch Hesekiel am löt. v. 16.

Da wir auf dem Lande den Winter waren, konnten wir nur jeden andern Tag frisches Brodt haben. An einem Tage, da wir altes Brodt hatten, kam die Frau von Plessen mit ihren zwey Fräulein, die ihr überall folg­ ten. Meine Mutter machte Entschuldigungen über das alte Brodt, die Frau von Plessen versicherte, sie ässelieber altes als frisches Brodt, weil es gesünder wäre; gleich sagten die beyden Fräulein dasselbe. Mich wunderte es, und es freute mich, dass sie gerade an dem Tage des alten Brodtes gekommen wären, allein hinterher hielt ich es nur, was es wohl auch war, für eineHöflichkeit, und das hat den Eindruck auf mich gemacht, dass ich nie dergleichen sage, wenn es auch wahr ist, damit man es nicht für eine Schmeicheley halte, obgleich ich gerade dieses sagen könnte, da ich nie frischesBrodt esse. Bey der Frau von Plessen war es indess wohl keine Cour- toisie, denn sie lebte sehr diätetisch und ist auch erst vor einigen Jahren gestorben.

Im Januar 1766 starb der gute König Fridrich der 5te. Meine gute Mutter fuhr mit Gustchen und mir nach Kopenhagen, um uns sein Castrum dolorissehn zu lassen.

Diese kleine Reise, die erste in meinem Leben von der Art — machte Epoche bey mir. Das Castrum doloris

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schien mir eins der siebenWunderwerke, und ich machte viele Bekanntschaften bey der Gelegenheit; allein diese Rose war nicht ohne Dornen. Wir brachten den Abend beym alten Bernstorff zu, es waren wohl 20 Personen am Tisch und fast nichts zu essen. Eine einzige kleine Ente war der Braten und ich nahm ein Stück, als mir der Teller angeboten ward. Der Prinz von Hessen sass neben mir. Beym Dessert präsentirte er mir die Bisquits, ich nahm eins davon, ohne dabey den Teller in die Hand zu nehmen, sondern liess ihn denselben halten.

Den Abend hielt mir meine Mutter über meine Unbeschei­

denheit, von dem kleinen Braten eine Portion genommen zu haben — und über meine Unhöflichkeit gegen den Prinzen v. Hessen, eine sehr beschämende Predigt in Gegenwart meines Schwagers und Klopstocks, welche sich meiner aber treulich annahmen und aus der Sache einen Scherz machten. Mich aber machte es sehr ver­ legen. Meine Brüder reisten zur Krönung des jungen Königs nach Kopenhagen, und da machte mein Bruder Fritz folgendes kleines Gedicht, welches er mirganz heim­ lich anvertraute, als er zurück kam. Er rief mich aus der Stube auf den Gang und sagte es mir her; weder ihm noch mir ahnte, dass er der grosse Dichter werden würde. Hier ist es:

Singt Lieder diesem Tag zu Ehren, , damit er dreymal festlich sey.

Eilt frohe Cimbrer, baut Altäre dem König und der — Sklaverey.

Verberget, damit nichts Euch störe In Eurem frohen Jubelton, Verbergt des Patrioten Zähre

Dann streuet Weihrauch auf den Thron.

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Es ist bekannt, dass die Regierungsform in Däne­ mark vor ungefähr 100 Jahren verändert ward und der König mit Hülfe der Bürger despotisch erklärt worden war. Zeigt sich in diesem Inpromptu des Jünglings nicht die ganze Denkungsart, die ihn nachher so sehr characterisirte? —Niemandem sonst sagte er damals etwas davon. Er hatte schon einige Jahre früher allerley Ver­ suche gemacht: einen Brutus, einenTjmoleon, allein von diesen Drama’s ist nichts mehr. Es waren Stellen darin, die wir Geschwisterwunderschön fanden, und die einem, auf Genie aufmerksamen Lehrer nicht hätten entgehen können. Er hatte auch ein epicomisches französisches Gedicht angefangen über einen Streit zwischen einigen unserer Leute, darin excellente Beschreibungen und ko­

mische Situationen waren. In Rungstedt besang er in Hexametern die 4 Jahreszeiten. O, besässeich das noch!

— Mein ältester Bruder, ohne sein Wissen (nur Gustchen und ich waren vom Geheimniss), schrieb die 4 Gesänge ab und schickte sie nach Kopenhagen mit der Bitte, sie nacheinander in die Zeitungeinzurücken, aber esgeschah nicht, er bekam keineAntwort, und die Gesänge wurden nie wiedergeschickt.

Anno 66 lernten wir zuerst die Herrnhuter kennen, es besuchten ihrer manche meine selige Mutter und wir gewannen sie alle sehr lieb.

Die Grönländische Geschichte von Kranz, welche wir den Sommer 66 lasen, war die Veranlassung zur Bekantschaft der Herrnhuter. Gustchen war immer aus­

serordentlich gerührt bey dieser Lecture. Den 18ten April 1767 Gustchens Confirmationstag.

D. 1. August reisten Gustchen und ich mit meiner

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sei. Mutter nach Loitmarkund kamenden 17.Sept, wieder nach Rungstedt, wohin wir im Frühjahr gezogen waren.

Anno 1768 war meine Schwester Lenchen in Ko­ penhagen, wo sie den Sten August so standhaft ihre Operation aushielt. Meine Mutter war mit meinen Brü­ dern auf der Insel When, allein vom Besteigen der Berge dort bekam sie das erste Blutspeyen.

A°. 68 war das erste Lottchen Bernstorff in Rung­ stedt, während meine selige Schwester in Mecklenburg war; ich lernte in der Zeit den lOten Gesang des Mes­ sias ganz auswendig.

Den 11. Januar 1769 starb das erste Lottchen. Es war ein schönes, holdseliges Kind. Als sie krank war, wollte sie nicht trinken; als man ihr aber sagte „es be­ trübte Papa“, trank sie ganze Tassen voll und als sie einmal keine Arzney nehmen wollte, sagte man ihr, „die gehorsamen Kinder seyen des lieben Gottes Kinder“, — worauf sie antwortete: „Lottchen auch“ und nahm die Arzney.

Meine selige Schwester sagte mir viele Jahre nach­ her, sie habe in zwey Jahren den Namen des Kindes nicht aussprechen können. Das Kind starb am Keuch­

husten; die Mutter, Hans und Drees hatten ihn auch.

Ungeachtet des Grams und der Kränklichkeit gebar sie den 3. April 1769 Christian, den sie gleich so zärtlich liebte, dass sie ihm verzieh kein Mädchen zu sein.

Anno 69 hatte meine Mutter einen angstvollen Som­

mer. Wir hatten alle den Keichhusten sehr stark, er dauerte 18 Wochen, besonders heftig hatte ihn mein äl­

tester Bruder, der zweimal betäubt vor ihr auf die Erde fiel. Die Blattern waren in der Gegend und keines von

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uns hatte sie gehabt. Es wütheten tolle Hunde. Ich weiss noch, dass einer einige unsrerHühner in der Küche, welche ganz nahe bey unserem Zimmer war, biss. Sie wurden toll, flatterten dem Feuer zu und verbrannten.

Ein Schwein wurde auch gebissen und stürzte sich ins Meer, wie die Schweine im Evangelium. — Dasselbe Jahr im November war meine Mutter tödlich krank und besserte sich den 30. November. Im October oder Sep­

tember des Jahres wurden wir alle inoculirt. Da ich das folgende Jahr fünf Recidive vom kalten Fieber und den Keichhusten gehabt und nun inoculirt ward, glaube ich, dass das den Grund zu meinen schwachen Augen ge­ legt hat, obgleich sie erst das Jahr darauf so schlecht wurden.

Den 15. Sept. 1770 reiste Gustchen von Rungstedt nach Uetersen und den 24. Sept, meine Brüder und Clauswitz nach der Universität. Allein da Erstere immer contrairen Wind hatte, reisten sie zusammen, hatten eine schlimme und gefährliche Seereise. Der alte Bernstorff und mein Schwager erhielten den Herbst ihren Abschied und gingen nach ihren Gütern in Mecklenburg, also trennte sich meine Mutter von vieren ihrer Kinder auf einmal und von den beyden Bernstorffs und Clauswitz.

Ich bewundere noch jetzt die Heiterkeit, welche sie bey diesen schrecklichen Losreissungen immer behielt. Sie war wirklich eine grosse Frau. Von der Zeit an bis an ihren Tod bin ich nur einen ganzen Tag von ihr ge­ wesen. Ich war so glücklich vom Augenblick ihres Erwachens bis spät des Abends bey ihr zu seyn. Den ersten Winter war ich ihr Sekretair, ihre Vorleserin und fieng bey meinesBruder Magnus Hofmeisteran, griechisch

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zu lernen, allein meiner Augen wegen musste ich das alles schon im Frühjahr 70 aufgeben. Den 17. Juny 1770 reiste meine Mutter mit uns übrigen nach Altona, von diesem Aufenthalt erzähle ich ein andermal.

Den 16. October 1773 kamen mit meiner seligen Mutter meine beyden Brüder, Julchen, Magnus und ich nach Kopenhagen. Meine Brüder wohnten im Bem- storffschen Hause, Clauswitz war mit uns. D. 20. De-cember starb meine Mutter. Clauswitz und die Hinrich- sen waren gerufen worden. Sie hatte nichtgewollt, dass man eins ihrer Kinder riefe, allein ich hörte gehen, stand auf und gieng zu ihr. Sie konnte nicht mehr sprechen, aber sie war bey völliger Besinnung. Sie betete unauf­

hörlich leise. Mit unaussprechlicher Freundlichkeit blickte sie auf jeden von uns. Ich kniete vor ihrem Bette, weinte, küsste ihre Hand, sie zeigte aufs Gesangbuch, auf ein Lied, bey dem ein Zeichen lag, es war das Lied

„O Haupt voll Blut und Wunden“, legte einen Finger auf die zwey letzten Verse: „Wenn ich einmal soll scheiden, erscheine mir zum Schild“. Clauswitz las sie ihr vor. Meine beyden jüngeren Geschwister kamen herein, sie schluchzten und weinten, ich hatte keine Thränen mehr. Sie sah noch zweimal auf uns alle mit ihrem schönen Blick und unaussprechlichen Heiterkeit und Himmelsruhe darin — und so starb sie.

Kaum stand ihr letzter Athemzug stille, als mein ältester Bruder, welcher, nach der gewöhnlichen Nach­

frage und ihren nahen Tod nicht vermuthend, da er sie den Abend vorher noch ziemlich wohl gesehen, und sie mit uns gescherzt hatte, — auf die Nachricht „sie sey sterbend“ — ins Zimmer stürzte und laut weinte und

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jammerte. Ich habe es mir nie verzeihen können, dass ich nicht gleich zu ihm geschickt. Ich fragte erst, und die sterbende Mutter wollte nicht in ihrerVorempfindung des Himmels gestört seyn, sie winkte nein. Ich war die zwey Stunden vor ihrem Bette wie., betäubt, ich weiss wie ich erschrak als man mir sagte, es sey 8 Uhr, ich glaubte wenigstens 5 oder 6 Stunden bey ihr gewesen zu seyn.

Ich blieb den Winter noch in Kopenhagen in dem­ selben Hause. Ich konnte nicht ihre Leiche sehen, ich wollte es einigemale, meine Brüder sagten, derAusdruck der Seligkeit ruhe auf ihrem Angesichte. Ich ward gegen das Frühjahr sehr krank.

Den 6. May 1774 gieng ich nach Walloe mit der guten Hinrichsen, welche meine sei. Schwester Lenchen, darauf meine sei. Mutter so treu gepflegt hatte.

Meine Schwester Julchen gieng mit mir und blieb den Sommer bey mir. Ich ward sehr freundlich von der Fräulein Beulewitz (Christian Reventlow) empfangen.

Sie hatte mir schon Anno 71 viele Freundschaft erzeigt.

Den Abend hatte ich eine grosse Freude, ihr Bräutigam kam zu ihr und mit ihm kam unerwartet mein ältester Bruder, o, wie war mir zu Muthe als ich ihn erblickte.

Er blieb einige Tage und dies gab mirgleichvon Walloe einen sehr angenehmen Eindruck. Den Sommer besuchte mich auch meine selige Schwester mit Gustchen, meine Brüder besuchten uns einigemale. Den 12. Sept, reiste ich mit meinem ältesten Bruder, Gustchen und Julchen nach Loitmark.. Cajus war auch da. Wir waren auch in Altona, Hamburg und Wandsbeck; es freute mich sehr die Ahlemanns, Claudius und Klopstock

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