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Eine Soldatenfrau

In document THE DET (Sider 197-200)

In Ungarn steht jede Frau auf ihrem Posten. Angefangen von der Erzherzogin Augusta, die ein wundervolles Beispiel gibt, wie eine Frau ihres Mannes Wirksamkeit ergänzen kann.

Er befehligt die siebenbürgischen Truppen, verbringt jede freie Minute mit den kämpfenden Kameraden, steht ihnen bei in Leben und Sterben, ist ihr Abgott. Seine Frau widmet sich seit Kriegsanfang der Pflege kranker Soldaten. Wie mütterlich und hingebungsvoll sie das tut, ist beispielgebend. Alle ihre königliche Würde schmilzt in weiblichem Mitgefühl dahin, wenn ein paar Soldatenaugen trostheisChend nach ihr blicken.

Wer sie an der Stätte ihrer harten täglichen Arbeit gesehen hat wie ich, der begreift, daß sich um den „ungarischen"

Erzherzog und seine Frau ein Legendenkreis zu bilden beginnt.

Sie zeigt mir persönlich das kleine Spital, das sie für sechzig Offiziere zu Kriegsbeginn aus eigenen Mitteln errichtet hat und selbst leitet. Kein Spital, sondern ein Heim.

Mit energischer Bewegung legt sie ihren Militärmantel ab und steht in ihrer ganzen Schlankheit hoch aufgerichtet vor mir. Militärisch gerade ist ihre Haltung, aber der wider­

spricht die vollendete Weiblichkeit ihres Lächelns.

Die Erzherzogin unterhält sich mit den jungen Kriegern, so, wie ich mir denke, daß sie sich in Friedenszeiten mit ihren Gästen unterhält. Der eine kann es kaum erwarten, ihr die alte Laute zu zeigen, die er sich eben angeschafft hat, mit dem anderen muß sie einen Band Gedichte durchblättern, die sein Freund, der Dichter, ihm geschickt hat.

Es ist Abend, später Abend sogar, und doch habe ich den Eindruck von Tag und Sonne. Wie unbeschreiblich gut und wohlig haben sie es hier: Blumen und Kölnerwasser,

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Bücher, Zeitungen, Zigaretten, elektrische Bettlampen und jeden Abend mehrstündigen Besuch der liebenswürdigen Hausfrau.

Einige von den jungen Verwundeten haben schon den Kopf zur Seite gelegt und sind eingeschlafen. Auf den Zehen­

spitzen schleicht die Erzherzogin zu ihnen hinein — glück­

lich lächelnd, wie eine junge Mutter, die am Vorabend des Geburtstages die Geschenke am Bett ihres schlafenden Kindes aufbaut — gibt uns ein Zeichen, den Atem anzuhalten und legt auf jedes Kopfkissen eine von den kleinen Gaben, die sie bei sich führt.

Es ist elf Uhr abends, ehe wir aufbrechen. Am nächsten Tag gilt der Besuch den „Augustabaracken", einem der vielen, großen Barackenspitäler vor den Toren Budapests. Die Erz­

herzogin ist pünktlich — eine Eigenschaft, die fürstlichen und gekrönten Häuptern gemeinsam zu sein scheint. — Wir legen Schwesterntracht an, ganz weiß, und begeben uns in die Baracke für Nervenstörungen.

Wie traurig auch der Eindruck junger Soldaten mit Pro­

thesen sein mag, er verbleicht vor diesen scheinbar Unver­

wundeten, die im tiefsten getroffen sind: in ihrer Seele. Sol­

daten : Magyaren, Kroaten, Serben, Türken und Czechen — alle wie zitternde, lallende Greise, mit angstvoll starrenden Blicken und hilflos verzweifeltem Mund. Alle wie an­

geschossene Tiere, deren stumme Augen um den Gnadenstoß flehen — vergebens flehen und keine Kraft haben, sich ins Dickicht zu schleppen, um keusch die Greuel des Schmerzes und Todes zu verbergen.

Die Erzherzogin geht von Bett zu Bett, wie jemand, der viel Zeit hat. Sie spricht mit jedem einzelnen — direkt oder durch einen Dolmetsch — fragt, tröstet und verteilt ihre kleinen Gaben, Bücher, Denkmünzen mit vielsprachigen Inschriften, Zigarren, Zigaretten und Marmeladen. Jeder Patient bekommt so ein kleines Geburtstagstischchen aufgebaut.

Diese traurigen Menschenreste, die selbst hier im Spital der militärischen Disziplin unterstehen und die damit ver­

bundene Ehrfurcht vor dem Vorgesetzten fühlen, bringen mit rührendem Freimut alle Wünsche und begründete oder un­

begründete Beschwerden vor die hohe Frau. Auf alle hört sie.

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Sie setzt sich an den Bettrand, bald zum einen, bald zum anderen, streicht ihm lind über die Stirne, nimmt seine zittrige Hand in die ihre und lauscht geduldig der gestotterten Dar­

stellung. Einer .der Kranken zeigt ihr schluchzend einen Brief von zu Hause und bettelt um Transferierung in sein fernes Heim: „Damit ich bei meinen Leuten sterben kann. Neun­

zehn Monate liege ich jetzt hier; ein Mensch werde ich ja doch nicht wieder!" Sie wendet sich zum Chefarzt und spricht lange mit ihm. Dann sagt sie milde zu dem Unglücklichen: „Es geht dir schon besser. In ein paar Monaten wirst du so weit sein, daß du auf den Beinen stehen kannst. Dann schicken wir dich zu deiner Frau!"

War es Wahrheit oder nur Trost? Ich weiß es nicht.

Der Kranke aber atmet tief auf, wie befreit von einer schweren Last. Er schließt die Augen und ein Lächeln — vielleicht das erste seit Monaten — erhellt sein bleiches stoppeliges Ge­

sicht.

Ich weiß, daß allerorts vornehme Frauen die üblichen Spitalsbesuche machen. Das ist nichts Neues. Das Neue am Wirken der Erzherzogin war für mich die wunderbare Selbst­

verständlichkeit, mit der sie täglich den Anblick solchen Elends auf sich nimmt. Neu und bemerkenswert schien mir die Demut in ihrem Tun. Mir war, als wollte sie sagen: W ie ohnmächtig bin ich doch! Um wie viel großartiger euer Leiden, als meine Hilfe. Verzeiht der Menschheit den Wahn­

sinn, der euch so elend gemacht hat. Verzeiht mir, daß ich es wage, euch zu nahen, daß ich so kühn bin, euch helfen zu wollen."

Diese Gedanken las ich auf der klaren Stirne der Erz­

herzogin, als ich — das Herz voll Leid — an ihrer Seite die Augustabaracken durchschritt.

In document THE DET (Sider 197-200)