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Gjellerup und die Aufwertung des Jugendstils

In document DANSKE STUDIER 1971 (Sider 81-91)

Von F R I T Z PAUL

Karl Gjellerup hat bekanntlich keinen besonders guten Platz in der Literaturgeschichte gefunden. Dazu mag die Tatsache, dass er zwischen zwei nationalen Literaruren stand und in keiner ganz integriert wurde, nicht zum geringsten beigetragen haben. Ein danischer Dichter war er seiner Geburt, Herkunft und Bildung nach, ein deutscher wollte er, der

»Lehrling der Germanen«1, sein ganzes Leben werden. Die Deutschen haben ihm diese Anstrengung nie honoriert: Er wurde, obwohl zu Lebzeiten durch hohe Auflagen seiner Werke einem breiteren Lese-publikum bekannt, bald vergessen und mit Wertungen wie »mehr Denker als Dichter«2 an den Rand der Literatur verwiesen. In der danischen Literaturgeschichte gilt er als ein mattes Licht im Drei-gestirn mit den glanzenden und beriihmten Autoren Herman Bang und Henrik Pontoppidan, und die Vorkommnisse bei der Nobelpreis-verleihung 19173 haben seinem Ruf eher geschadet als geniitzt. Die meiste Anerkennung fanden noch die zwischen Naturalismus und Sym-bolismus stehenden Meisterromane Minna (1889) und Møllen (1896) (deutsch: »Die Hugelmiihle«), wahrend seine sogenannte buddhisti-sche Periode (nach 1900) mehr oder weniger belachelt und vergessen wurde4.

Diese eigentlich doch merkwiirdige Tatsache veranlasst die Frage-stellung des vorliegenden kleinen Aufsatzes: Warum ist die enorme Aufwertung des Jugendstils in den letzten funfzehn Jahren an diesen Werken Gjellerups so spurlos voriibergegangen? Mit dieser Fragestel-lung wird deutlich erkennbar von vornherein ein Zusammenhang zwischen Gjellerup und dem Art Nouveau postuliert, ein Zusammen-hang, den es erst nachzuweisen gilt. Der Jugendstil wurde vor seiner Neuentdeckung durch die Zuricher Jugendstilausstellung im Jahr 1952 ahnlich geringschatzig und abwertend wie Gjellerups »buddhistische«

Werke beurteilt. Vielfach galt er als Musterbeispiel artistisch-epigo-nalen Kitschs. Inzwischen hat man diese Ansicht allgemein griindlich revidiert. An Gjellerup hingegen wurde bis heute keine Neubewertung versucht, obwohl die Werke seiner sog. buddhistischen Periode, Offer-ildene (1903) (»Die Opferfeuer«), Pilgrimen Kamanita (1906) (»Der

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Pilger Kamanita«), Den Fuldendtes Hustru (1907) (»Das Weib des Vollendeten«) und Verdensvandrerne (1910) (»Die Weltwanderer«) ge-nau in die Spåtzeit des Jugendstils fallen. Nun ist die Obertragung dieses Epochenbegriffs aus der Kunstgeschichte auf die Literatur um-stritten5, und wir wollen daraus kein Postulat machen. »Ein literarischer Jugendstil ist kein Faktum«, schreibt auch Claude David, »das man anstandslos nachweisen kann. Wenn sich aber die ublichen Begriffe, wie etwa Symbolismus, Impressionismus, Naturalismus, so festgefah-ren haben, dass man nur noch getfestgefah-rennte Rubriken erblickt, ohne das Ganze mehr iibersehen zu konnen, so darf man wohl versuchen, an Hånd eines zunachst imaginaren Begriffs wie literarischer Jugendstil Querverbindungen herzustellen, die Perspektiven eroffnen0.« Was David mit dieser Feststellung auf Stefan George bezieht, kann man ohne weiteres auf Gjellerup iibertragen, da es vor allem dårum geht, den Zusammenhang zwischen seiner Schaffensperiode von 1900-1910 und dem artistischen Epochenstil seiner Zeit aufzuzeigen. Dabei wird bald klar, wie sehr der weltanschaulich-gedankenbefrachtete Uberbau, der eine gerechte literarische Wurdigung eher verhindert als gefordert hat7, nicht nur die inhaltlichen Vorgange, sondern als Form- und Stil-element auch die Komposition und den funktionalen Ablauf dieser Werke bestimmt. Der Pilger Kamanita moge dabei exemplarisch den Nachweis fiihren, da dieses Werk vielleicht am engsten mit dem Epo-chenstil des Art Nouveau verkniipft ist. Wenn Paul V. Rubow in sei-ner kleinen Studie iiber Gjellerup8 die Behauptung aufstellt, der Dich-ter schliesse sich in dieser seiner Stilperiode ganz von der ausseren Welt ab und nehme von ihr keine Inspiration mehr an9, so soli hier im Gegensatz dazu nachgewiesen werden, dass Gjellerup sehr wohl vielfaltigen inhaltsbezogenen und stilistischen Vorbildern und Zeit-stromungen verpflichtet war.

Gjellerup hat bekanntlich in seiner Dresdener Zeit die meisten Werke gleichzeitig deutsch und danisch herausgebracht, so dass die philologische Frage auftaucht, welche Ausgaben man nun als Originale betrachten soli. Fur unsere Problemstellung ist das ein Vorteil, da die durch zwei Originale erweiterten Vergleichsmoglichkeiten eine Stil-untersuchung nur fordern konnen. Der Pilger Kamanita erschien zu-nachst in der deutschen Ausgabe mit dem Untertitel »Ein Legenden-roman« im Jahr 190610 und zwar vor der im gleichen Jahr herausge-gebenen danischen Ausgabe Pilgrimen Kamanita11. Wahrend die dani-sche Edition, bei der der Untertitel fehlt, sich in Format und

Aus-Gjellerup und die Aujwertung des Jugendstils 83 stattung nur wenig von der damals ublichen Buchausstattung des

Gyl-dendal-Verlags unterscheidet, zeigt die deutsche Erstausgabe bereits åusserlich den eindeutigen Bezug zur Epoche des Art Nouveau: Die kostbare Ausstattung von Emil Orlik macht den Band zu einer asthe-tisch-bibliophilen Raritat, wie sie selbst im Jugendstil selten war12, wobei die graphische Gestaltung mit seltsam exotischen Vignetten, de-korativem Rankenwerk und prachtvoll-stilisierter Attitude sehr wohl auf Inhalt und Form des Werks bezogen ist, zugleich aber auch eine bewusst verschleiernde, dunkle Symbolwirkung andeutet;3. Eingeglie-dert in diese dekorativen Elemente - heute fiir uns jedoch recht ins Auge fallend - ist immer wieder das Hakenkreuz, hier jedoch noch ornamentales Muster im Geist des sanskritischen Vorwurfs und damit auf den Inhalt bezogen, und nicht volkisch-nationales Heilszeichen.

Bereits bei dieser deskriptiv-ausserlichen Darstellung des Buchs sind Schlusselbegriffe aufgetaucht, die fiir das Stilverstandnis des Werks unerlasslich sind. Der Exotismus, der Wille zum Ornamentalen und Dekorativen, der bewusst preziose und kiinstliche Gestus der Sprache, die Oberladung mit Symbolen, die gar nicht gedeutet werden sollen und die mit all diesen Mitteln intendierte Pseudoesoterik sind die formenden kunstlerischen Elemente von Gjellerups ganzer buddhisti-scher Periode, sind zugleich aber auch typische Eigenarten des Jugend-stils. Die Zusammenhange sind also relativ einfach zu erkennen. Will man nun diese Phanomene im einzelnen untersuchen, dann muss man von vorn herein zwei Schichten voneinander ablosen: den geistesge-schichtlich von Schopenhauer iiber Wagner und Nietzsche14 herzuleiten-den gedanklichen Apparat des Inhalts und die dem Zeitstil der Jahr-hundertwende verhafteten formalen Kriterien. Hier soli vor allem die zweite Schicht naher betrachtet werden, da sie uns die interessantere und wertvollere zu sein scheint, und da sie bisher in der Forschung noch nie beriicksichtigt wurde.

Der Pilger Kamanita besteht inhaltlich aus zwei Teilen, die die Komposition des Werks bestimmen. Im ersten Tcil begegnet Kamanita

auf der Suche nach Buddha dem »Erhabenen« selbst, erkennt ihn aber nicht15, obwohl er beim Erzahlen seiner Lebensgeschichte von der un-erfiillten Liebe zu Vasitthi die Lehren Buddhas erfahrt. Im zweiten Teil berichtet der Autor von der kosmischen Existenz Kamanitas nach seinem Tod, seiner Wiederbegegnung mit Vasitthi »am Gestade der himmlischen Ganga« und schliesslich seinem Vergehen in der unend-lichen Brahmawelt, in »Weltennacht und Weltengrauen«. Der erste

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Teil ist eine prachtvolle, in sich abgeschlossene exotische Erzåhlung, die sehr wohl die zeitweilige Popularitåt des Werks erklart, der zweite als ein (pseudo-)philosophischer Appendix gleichsam die Erklarung, und weniger die Fortsetzung des ersten. Mit dem ostlichen Exotismus des Themas befindet sich Gjellerup bereits deutlich in der Nachfolge bzw.

Nachbarschaft von Nietzsches Zarathustra, Wildes Salome (1893) oder Bethges Chinesischer Flote (1907)10. Vor allem Nietzsches Zarathustra

ist als Vorbild fur Inhalt und Form bemerkbar. Seine Philosophie wird in die buddhistische Neuromantik transkribiert, die sprachliche und motivische Affinitat, man denke an das Motiv des Wanderns oder des Erkennens, lasst sich kaum leugnen. Im zehnten Kapitel versucht Gjellerup sogar, wie er in seinem halb-gelehrten Nachwort anfuhrt,

»eine Darstellung des indischen Obermenschentums«17 (»Overmenne-skemoralen i indisk Klædebon«18). Solche Gelehrsamkeit im Fiktiona-len und Kiinstlerischen, wie sie die Fussnoten, QuelFiktiona-lenangaben und

Nachworte in Gjellerups Werken dieser Periode ausdriicken10, ist durchaus integraler Bestandteil des formalen Apparats. Sie ist gleich-sam, zusammen mit den eingebauten authentischen Buddhatexten, der reale Kern (als letztes Aufflackern des Positivismus), der mit dem kost-baren Gewand einer uberkultivierten Sprache eingehiillt wird. Diese Sprache, die Gjellerup nie perfekt beherrscht, kommt ganz aus dem Geist der »décadence« der Jahrhundertwende und tragt alle positiven und negativen Elemente des Jugendstils in sich, wie sie Jost Hermand als Schlagworte formuliert: »Aufbruch ins 20. Jahrhundert«, »Stil-wende«, »Kampf gegen Historismus«, »Manierismus«, »schwule Sinn-lichkeit«, »Einbannung des Menschen ins Ornament«20. Der Historis-mus wird bei Gjellerup auf die mythologische Ebene verlagert, wobei

ein Rest durch die Einbeziehung der erwahnten authentischen Buddha-texte und durch den »wissenschaftlichen« Apparat zuriickbleibt, die Stilwende wird im Vergleich zu seinen friiheren Werken deutlich, und Manierismus, Sinnlichkeit und Ornamentik diirfen als Grundpfeiler seiner stilistischen Absicht gelten. Eine ausgesuchte, bewusst esoteri-sche Metaphorik, extreme Bilder, kostbar-kiinstliche Wortfiigungen kennzeichnen diesen Stil. Das ist naturlich alles nicht so neu: Man findet es schon bei Baudelaire oder J. P. Jacobsen, und der spate Ibsen hat solche Stilmittel geradezu system atisch in seine Werke integriert, man denke nur an das extrem esoterische Weinlaubsymbol in Hedda Gabler oder die Konigreichmetaphorik in Bygmester Solness. Das buddhistisch-exotische Gepriige ist jedoch wenigstens teilweise

Gjelle-Gjellerup und die Aujwertung des Jugendstils 85 rups eigene Zutat.

Beim Vergleich zwischen deutscher und dånischer Fassung des Romans fållt auf, dass der deutsche Text an vielen Stellen noch ge-suchter, stilisierter, »kostbarer« als der danische ist. Das zeigt sich vor allem in der Verwendung ausgesuchtester Adjektiva und Appositio-nen21, die im Danischen håufig auf andere Weise wiedergegeben wer-den und dann dem Stil wer-den gesucht kiinstlichen Anstrich nehmen. Ein Beispiel aus dem vierten Kapitel »Die Ballspielerin« (»Boldtspiller-sken«) moge dies verdeutlichen:

»Auf einer grossen, edelsteinbesetzten Biihnc crschienen sofort die Madchen, zum Spiele bereit22

»Paa en stor, med Ædelstene indlagt Tribune saae vi allerede de unge Piger staa, rede til at begynde deres Spil23

Gjellerup bewahrt hier im deutschen Text die ornamentale Stileinheit und lasst dadurch die Sprache mehr leisten. Die Begriffe »edelstein-besetzt« und »zum Spiele bereit« werden dagegen im Danischen aufge-lost (»med Ædelstene indlagt« und »rede til at begynde deres Spil«), und der artistische Sprachfluss dadurch unterbrochen24. Die Einblen-dung des Erzahlers im danischen Text durch »saae vi« widerspricht ebenfalls der objektivierenden iisthetischen Tendenz dieses Abschnitts, in dem Gjellerup offensichtlich samtliche Versatzstiicke einer exoti-schen (Jugendstil-) Welt vorstellen will: duftige Musselinschleier, Per-len, Edelsteine und Goldspangen fur die schwellgliedrigen, gazellen-augigen Schonheiten. In beiden Ausgaben zeigt sich auch in den Kapitel-iiberschriften bereits die stilisierte Kiinstlichkeit der ganzen Sprach-gestalt: »Der Erhabene begrlisst die Stadt der fiinf Hiigel« - »Den seierrig Fuldendte hilser den femhøiede Stad25.« »Das magische Bildnis« — »Det magiske Billede.« »Auf der Terrasse der Sorglosen«

»Paa de Sorgløses Terrasse.« »Am Gestade der himmlischen Ganga«

-»Ved Bredden af den himmelske Ganga« usw. usw.

Worter wie »der Erhabene«, »magisch«, »Gestade«, deuten in ihrer Ausgesuchtheit ganz besonders die Intentionen des Verfassers an und weisen auf die Stillage des Werks hin. Die Bildhaftigkeit bezieht sich dabei fortwahrend auf das fernostliche Kolorit und die exotische My-thologie, ist gleichzeitig aber stilistisch in die Komposition integriert.

Bereits die Einleitung, d. h. die erste Seite des Werks zeigt fast alle

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wesentlichen Stilelemente. Zum bessern Verstandnis dieser Unter-suchung sei sie deshalb in beiden Sprachen hier wiedergegeben:

»Einst wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach Rajagaha. Der Tag ging schon zur Neige, als der Erna-bene sich der Stadt der fiinf Hiigel naherte. Gleich dem Abglanz ei-ner segnenden Gotterhand breiteten sich die milden Strahlen der Sonne iiber die weite, mit griinen Reisfeldern und Wiesen bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an der Erde hinkriechende Wolkchen, wie aus reinstem Goldstaube, dass Menschen und Och-sen von der Feldarbeit heimkehrten; und die langgestreckten Schat-ten der Baumgruppen waren wie von einer regenbogenfarbigen Glo-rie umgeben. Aus dem Kranze der bliihenden Garten glanzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und TUrme der Haupstadt hervor, und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als waren sie aus Topasen, Amethysten und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenhiigel da20

»En Gang vandrede Buddha i Landet Magadha fra Sted til Sted og kom til Rajagaha. Dagen hældede allerede, da den seierrig Fuldendte nærmede sig den femhøiede Stad. Som Afglandsen af en signende Gudehaand bredte Solens milde Straaler sig over den vidtstrakte Slette med dens grønne Rismarker. Hist og her forraadte Smaaskyer af det pureste Guldstøv, der krøb henad Jorden, hvor Mennesker og Oxer vendte hjem fra Markarbeidet, og Trægruppernes langstrakte Skygger vare omgivne af en regnbuefarvet Glorie. Hovedstadens Taarne og Murtinder, Terrasser og Kupler hævede sig skinnende af Havernes Blomsterkrands, og i et uforligneligt Farveskjær, som dannedes af Topaser, Amethyster og Opaler, strakte Klikkehøienes Række sig27

Die Vorliebe des Jugendstils flir das Kiinstliche und Kostbare wird in all diesen Sprachwendungen deutlich, seien es nun die »Wolkchen, wie aus purem Goldstaub« oder die zahlreichen Edelsteine, die fiir die Metaphorik verwendet werden. Gleichzeitig intendiert der Autor mit dieser Motiv- und Formenwelt aber jene »biologische Romantik«, die Robert Schmutzler får ein Hauptkennzeichen des Art Nouveau halt:

»Eindeutig gibt sich all das Schwingen und Pulsen, Treiben oder Bluhen als organisch belebt, als biomorph zu erkennen. Zuweilen

Gjellerup und die Aufwertung des Jugendstils 87 spricht auch das 'Leben' der Elemente mit: flackerndes ziingelndes

Feuer, Wind und vornehmlich das ziehende, wellige Wasser, An-klange an gewachsene organische Formen, an unregelmassig ge-maserte Streifen in Tiger- und Zebrafell, an die Augen in Pfauen-federn und Schmetterlingsfliigeln treten auf . . . Im Motivvorrat des Art Nouveau stehen Blumn und Vogel im Vordergrund28

Die letztgenannten Motive, die bei Gjellerup als Versatzstiicke im-mer wieder auftauchen, erinnern an Wagner, vor allem an den

Lohen-#/7«-Schwan und die Blumenmadchen in Parsifal, als einen der wichtig-sten Wegbereiter des Jugendstils, und man kann auch von daher eine Beziehung zu Gjellerup herstellen. Alle diese Stilmittel lassen sich recht eindeutig schon in dem oben abgedruckten Eingangsteil wieder ausmachen. Ein Begriff wie »regenbogenfarbige Glorie« (»regnbue-farvet Glorie«) ist dabei in seiner literarischen Gesuchtheit keinem Realismus mehr verpflichtet. Die Worte stehen nur um der Wieder-gabe des Imaginativen willen da (Impressionismus), vielleicht sogar nur, um einen Sprachrausch vorzutauschen, den der Autor dem Leser suggerieren will, da er in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Die Kiinst-lichkeit der Sprache und ihrer Fiigung zeigt sich am besten an der Obernahme der (unsinnigen) Wortpragung »Ilf« (Elefant)20, die jedoch nicht in die danische Version Ubernommen wurde. Hier heisst es z. B.

statt »Ilfenstadt« »Elefantstad«30, d. h. wir haben hier wieder ein Detail, in dem sich die deutsche Ausgabe noch mehr der Artistik und dem kiinstlichen Geprage des Jugendstils zuwendet. Diese bewusst rauschhafte und kiinstliche Verwendung sprachlicher Mittel begleitet alle Phasen des erzahlerischen Vorgangs, sei es die Liebeshandlung oder das Erlebnis mit dem furchtbaren Rauber Angulimala, dessen Schicksal als polares Geschehen Kamanita bis ins mystische Jenseits des zweiten Teils verfolgt. Die Sprache andert sich nie, hat auch keine Entwicklung oder Entfaltung, sondern passt sich bestenfalls an, und darin liegt wohl die Schwache Gjellerups. Die innere Entwicklung Kamanitas bis zur ganzlichen Selbstaufgabe wird sprachlich nicht be-statigt, weil sie nicht bewaltigt wird. Der geliiuterte Kamanita gebraucht noch die gleichen prunkvollen Wendungen wie als junger Liebender, und die anderen Figuren reden wie er: Man hort in Wirklichkeit nur Gjellerup. Das braucht nun allerdings nicht nur ein Nachteil zu sein, da die stilistische Einheitlichkeit der inneren Einheit des Vorgangs auch niitzt. Heterogene Bestandteile wie Buddha, Schopenhauer und

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Nietzsche, sowie der Epochenstil der Jahrhundertwende werden dabei in Sprachstil und Inhalt integriert. Damit kommen wir noch kurz zur ersten Schicht des Werks, dem gedankenbefrachteten Oberbau des Werks, eine Schicht, die der Literaturwissenschaft bereits bekannt ist, und die daher ganz knapp behandelt werden kann.

Gjellerup nennt in seinem Nachwort als Quellen und Anregungen u. a. Richard Schmidts Beitrdge zur indischen Erotik31, ein fast tausend Seiten langes wissenschaftliches Werk, das »zum ersten Mal den Ver-such« macht, »die Lehren der alten Inder iiber Liebe und Geschlechts-verkehr zu einem geordneten Ganzen zusammenzustellen.« Dieser damals recht kuhne Versuch — die »kritischen« Partien wurden nicht ins Deutsche, sondern ins Lateinische ubertragen - hat recht wenig Spuren bei Gjellerup hinterlassen. Seine Liebesszenen sind konven-tioneli, von Erotik ist kaum die Rede. Viel mehr dagegen spurt man den Geist von Karl Eugen Neumanns Budhistischer Anthologie"2 und dessen Reden Gotamo Buddho's33, sowie die Sechzig Upanishad's des Veda von Gjellerups Freund Paul Deussen34, ein Werk, das recht bezeichnend den »Manen Arthur Schopenhauers« gewidmet ist. Dieser Freund, Professor in Kiel, soli beim Lesen der Romane Der Pilger Kamanita und Die Weltwanderer im Hinblick auf die exotische Durch-dringung des Stoffes und die Schilderung des indischen Milieus aus-gerufen haben: »Wie ist es moglich, so zu schreibcn, ohne es selbst gesehen zu haben35

Diese anekdotische Ausserung, deren Wahrheitsgehalt kaum nach-priifbar ist, zeigt jedoch nochmals deutlich die Verbindung zwischen einem pseudowissenschaftlichen Exotismus, wie er sich in der Ver-wendung wissenschaftlicher Quellen dokumentiert, und einem artisti-schen Exotismus (des Jugendstils), wie er Form und Komposition des Werks bestimmt. Das ganze esoterische Gebaren, das auch Paul V.

Rubow zu der bereits erwahnten Meinung veranlasst, Gjellerup sei so weltfremd und weltfera in diesen Werken, dass er von aussen keine Inspiration mehr angenommen håbe, diese Esoterik ist in Wirklichkeit nur vorgetauscht und gehort mit zur Stillage des Werks. Die hohen Auflagen in Deutschland und England beweisen geradezu, dass die Epoche nach solchen exotischen Mystifizierungen verlangte, und dass das Geheimnisvolle in Wirklichkeit recht allgemeinverstandlich war.

Gjellerup so als rechten Vertreter seiner Zeit und seines Zeitstils, des Art Nouveau zu sehen und damit auch die Neubewertung dieses Stils auf den Dichter zu ubertragen, sollte bei neuerlicher Lekture dieser

Gjellerup und die A ujwertung des Jugendstils 89 Werke moglich sein. Die Ingredienzen von Buddha bis Nietzsche, die

den kiinstlerischen Rang dieser BUcher kaum beriihren, teilen sich dann von selbst mit.

A N M E R K U N G E N

(1) Germanernes Lærling (1882) ist ein programmatischer Roman Gjellerups, der in mancher Hinsicht auf sein spateres Wirken als »deutscher« Dichter hinweist. -(2) Wilhelm Kosch: Deutsches Literatur-Lexikon, Ausg. in einem Band. Ben 1963, S. 106. - (3) Bekanntlich wurde der Nobelpreis 1917 zwischen Gjellerup und Pontoppidan geteilt, weil einige Mitglieder der schwedischen Akademie in einer grotesken Verkennung der literarischen Qualitiiten Pontoppidans Gjellerup den Vorzug gaben. - (4) Auch Georg Buchreitz weiss in seinem Aufsatz Euro-pæiske Paavirkninger paa Karl Gjellerups Forfatterskab (In: Edda 30, 1930, S. 400-433) wenig mit diesen Werken des dar.isch-deutschen Autors anzufangen.

Wahrend er sein Schaffen vor 1900 ausfuhrlich darstellt, wird fur die nach-folgende Periode nur kurz auf einer Seite der weltanschauliche Hintergrund mit den Schlagworten der Schopenhauerschen Philosophie und des Buddhismus her-vorgehoben, wahrend der Einfluss des zeitgenossischen Epochenstils unbeachtet bleibt. - (5) vgl. dazu: Jost Hermand: Jugendstil. Ein Forschungsbericht 1918—

1964, Stuttgart 1965 (Erw. Sonderdruck aus DVJ 38, 1964). - (6) Claude David:

Stefan George und der Jugendstil. In: Formkrafte der deutschen Dichtung vom Barock bis zur Gegenwart. Gottingen 1963, S. 211-228. Hier: S. 211. - (7) Dazu trug nicht zum geringsten die vollig unkritische Einleitung P. A. Rosenbergs z.i Karl Gjellerup, der Dichter und Denker. Sein Leben in Selbstzeugnissen und Briejen (2 Bde. Leipzig 1922) bei, die den Ruf des Dichters kaum gefordert hat.

(8) In: Herman Bang og flere kritiske Studier. København 1958. S. 7986. -(9) Ibid. S. 85. - (10) Auf dem Titelblatt (Erstes und zweites Tausend) ist die Jahreszahl 1907, auf der Copyrightseite 1906 angegeben.

(11) Nicht: Pilgrimmen Kamanita, wie man in fast allen Literaturgeschichten orthographisch berichtigt lesen kann. Die Prioritat der deutschen Ausgabe wird im Impressum der danischen ausdriicklich hervorgehoben: »Den-førstudkomne-tyske Udgave . . .«. - (12) Emil Orlik, geb. 1870 in Prag, gest. 1932 in Berlin, gilt als einer der fuhrenden Graphiker des Jugendstils und spater des Expressionismus.

Er wurde u. a. durch Buhnenbildentwiirfe fur Max Reinhard bekannt. Bezeichnend fur das Interesse an Gjellerups Exotismus sind seine Reisen nach Ostasien, deren

Er wurde u. a. durch Buhnenbildentwiirfe fur Max Reinhard bekannt. Bezeichnend fur das Interesse an Gjellerups Exotismus sind seine Reisen nach Ostasien, deren

In document DANSKE STUDIER 1971 (Sider 81-91)