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Digitaliseret af | Digitised by

Forfatter(e) | Author(s): Pontoppidan, Henrik.; von Henrik Pontoppidan ; Einzig berechtigte Übers. von Emmy

Drachmann.

Titel | Title: Nachtwache : Erzählung

Udgivet år og sted | Publication time and place: Dresden, Leipzig : Verlag von Heinrich Minden, [1896]

Fysiske størrelse | Physical extent: 192 s.

DK

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UK

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Knoebet.

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Hulltvulls.

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Henrik fontoppiclan.

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WclchtrvcrcHe

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In demselben Verlage erschienen gleichzeitig:

Atphovse Daudet, Sappho. Pariser Sittenbild.

Einzig berechtigte Ubersetzung.

Neunte Auflage. Preis M. 3.—

Kvnle Jota, Herminas. Soeialer Roman. Einzig berechtigte Ubersetzung von Ernst Ziegler.

Neunte Auflage. Preis M. 3.—

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Nachtwache

Krzahtung

von

e n r i k ^ > o n t o p p i d a

Einzig berechtigte Ubersetzung

von

Kmmy Drachmann

Dresden und Leipzig

V e r l a g v o n H e i n r i c h M i n b e n

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Unbefugter Nachdruck wird gerichtlich verfolflt.

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Krstes Kapitel.

Die steile „Via Tritoue" in Rom entlang ging an einein sonnenhellen Morgen anfangs Dezember ein grotzer, kraftig gebanter Mann, beide Hånde tief in den Taschen seiner blanen Joppe vergraben.

Es war der vielbesprochene, oder besser bernchtigte, dauische Maler Jorgen Hallager — gewohnlich

„der rote Hallager" genannt, teils wegen der Farbe seines Haares und Barts, teils — und hauptsach- lich, — weil er als Fuhrer einer Vereinignng junger radikaler Maler augesehen wurde. Diese Vereiuigung der sogenannte „Klumpen", hatte wahrend der letzten zehn Jahre das danische Publikum aus seiner

Pontoppidan, Nachtwach?. 1

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— 2 —

Ruhe aufgescheucht und dnrch eine heraussordernde Wirklichkeitskunst eine sich immer steigernde Be- wegung hervorgerufen.

Als er den hochgelegenen Barberini-Platz er- reichte, aus dessen Mitte Berninis riesenhafter Triton seine feine, silberklare Wassersaule in das Hiinmels- blau blast, blieb er einen Angenblick stehen und sah sich unentschlossen nm, dann ging er quer uber den Platz nach der Via Pnrifikatione. Er war noch ein Nenling in Rom. Erst vor zwei Tagen war er hierher gekommen, um Hochzeit mit der hnbschen Ursula Branth zn halten — Tochter des Etatsrats Branth, des bekannten Kunst-Macen, emer der Hauptstutzen der Kopenhagener Kon- servativen, ja nach einer vielverbreiteten Meinuug sogar vertrauten Natgebers des Ministeriums, in all em, was Theater, Litteratur und bildende Kuuste anlangt.

„Lump", brummte Jorgen Hallager regelmatzig, wenn er seines Schwiegervaters gedachte, wobei

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— 3 —

dann ein trinmphierendes Lacheln seine Lippen kranselte.

Den Tag vorher hatte die Trannng auf dem Kapitol stattgesnnden, im Beisein des Vaters der Braut, des danischen Consuls und des Gerichtsrats Hoskjar. Auch einer von Hallagers Freunden war zugegen, der junge Maler Thorkild Drehling, der sich znfallig in Rom anfhielt. Des Abends hatte der Etatsrat die ganze danische Kolonie zn einem splendiden Diner in eins der vornehmsten Gesell- schaftslokale Noms eingeladen, das zn dieser Feier mit nordischen Flaggen, Wappenschildern und lor- beerbekranzten Busten beruhmter Kunstler geschmuckt word en war.

Jorgen ging dahin und brummte grimmig bei dem Gedanken an das Fegefener, das er hatte dnrchmachen mussen. Er bereute innerlich, das; er dumm genng gewesen war, Ursulas Bitten nach-

zngeben und dem Schwiegervater diesmal den Willen zu thuu. Nun, es sollte auch das einzige

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und letzte Mal sein! Ubrigens mochte er kaum mehr an diese Dummheit denken. Nnn war ja alles gut uberstauden und er war glucklich.

Trotz seiner dreiunddreihig Jahre und seiner etwas massiven Gestalt, stieg er schnell die Treppe in dem grohen Eckhause hinauf, in dem er wohnte.

Jm Vorubergehen rief er der dicken Hausmeisterin ein gemutliches danisches „Guten Morgen, Madame,"

zu; diese war aus ihrem dunklen Guckloch getreten und sah verwnndert dem merkwurdigen Brautigam nach, der das Brantgemach so fruh verlassen hatte.

Die kleine Wohuung der Neuvermahlten lag im funften Stocke, ganz oben unter dem Dache. Der vergnugte Ehemann warf seiuen Hut auf eiuen Nagel im Vorsaal und trat rasch in eine etwas niedrige, aber sehr geraumige Wohnstube, wo es nach frischen Blumen duftete und jubelndes Sonnen- licht durch zwei breite Fenster und die Scheiben der Balkonthur hereinstromte. Ein hubscher Fuhteppich,

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Portieren, Gardinen und eine groHe Gruppe Blatt- pflanzen verschonte einigermaHen das — nach nor- dischen Begriffen — ziemlich spartanische Mobiliar des Zimmers. Ein paar phantastische Draperien, einige alte Bronceu, japauische Facher und ahnliche dekorative Gegenstande snchten bescheiden den Ein- druck eines Kunstlerheims hervorznrufen.

„Ist die gnadige Frau aufgestanden?" fragte Jorgen in haarstraubendem Jtalienisch die zwolf- jahrige Tochter der 5)ansmeisterin — die als Dienst- madchen fur das junge Ehepaar gemiethet war.

„Die gnadige Frau hat soeben geklingelt," ant- wortete das Kind, „die gnadige Frau ist beim An- kleideu. Jch habe den Theetisch fur die Herrschaft hier gedeckt."

„Schon gut — Du — Du — wie heitzt Du gleich? Jch meine, wie ist Dein Name? Wie nennt man Dich?"

„Oh! — Anunciata, Herr!"

„Richtig! Nun geh nnr in die Kuche. Nunciatde,

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und bleibe dort, bis wir Dich rufen. Verschwindeu sollst Du, hop', weg! Scheer Dich!"

Scheu haschte die Kleine ihr Staubtuch und schlnpfte wie eine Mans ans dem Zimmer, Jorgen trat an die Thnr znm Schlafzimmer und klopfte mit doller Kraft an.

Ein knrzer Anfschrei, ein cingstlicher Protest, er- tonte von innen.

„Hallo! — Jch bin es nnr," tachte Jorgen.

„Gnten Morgen; gut geschlafen? Jch branche nbrigens uicht zu fragen, Du schliefst so fest als ich aufstaud, datz ich Dich nicht wecken wollte."

„Aber Du darfst nicht herein kommen, Jorgen,"

flehte die Stimme von innen, „horst Dn, lieber Guter!"

„Mein Gott, sei doch nicht so scheu, Ursula!

Ubrigens weih ich nicht, warnm Dn Dich fnrchtest,

— Du hast ja die Thur verschlosseu, Du kleiner Narr!"

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„Aber Du darfst auch nicht da stehen! Sei mm gut, Jorgen, und geh von der Thur weg."

„Du bist wirklich zu komisch. Nun denn — ich gehorche! Kannst Du horen, dah ich jetzt im Zimmer auf und ab gehe? Ich schan mir unsere Wohnnng an, gestern Abend kam ich nicht recht dazu. Potztauseud, wie prachtvoll sie ist! Und diese Menge Blumen! Das sind wahrscheinlich Hochzeitsgeschcnke! — Hast Du bemerkt, datz Visiten- karten daran hasten? — ->A. P. Hoskjar, Ober- gerichtsrat am hochsten Gerichte.« Hm! Danke verbind- lichst, Herr Gerichtsrat! In meinem Leben hatte ich mir nicht traumen lassen, die Ehre der selbstgefalligen Anwesenheit Euerer Schwatzhaftigkeit bei meiner Hoch- zeit zu haben. — »Wilhelm Folehave, Schriftsteller.«

Freut mich sehr, kleine Auster! Sie verzeihen, datz meine Hand sich gestern weigerte, Jhre Klane zu drncken, Herr Dickhaut! Auf Ehre — bald hatte ich das ganze Diner in den unrechten Hals be- kommen beim Anblick Jhres idealen Speichellecker-

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Gesichtchens. — — Nem, weitzt Du was, Ursula,"

unterbrach er sich plotzlich und ging Wied er an die Thure, „nun sollst Du wahrhaftig kommen. Der Thee wird kalt."

„Ja, jetzt komme ich, Jorgen. Geh' nur fort!

Dann werde ich gleich kommen!"

„Aber Du bist zu thoricht. Und ich glaube gar Du bist schon langst angezogen, ich kann horen, datz Du direkt hier an der Thnr stehst." — „Nun sollst Du aber geheu, horst Du, lieber Jorgen!"

„Ja, ja! ich gehe — ich bin doch nun einmal die Langmut selbst! So — ich bin schon fort, Ursula! Aber Donnerwetter!" sagte er halb- lant, und griff in die eine Rocktasche. Er hatte ganz vergessen, dah er anf seiner Morgenwanderuug eine Tute kleiner Theekringel als Uberraschung fur Ursula gekauft hatte. Er trat an den kleinen, runden Tisch, der vor der Pflanzengrnppe gedeckt war, stellte ein grotzes Vlumenbouquet, mit dem Annnciata den Tisch geschmiickt hatte, fort und

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schuttete den halbzerbrockelten Jnhalt seiner Tnte auf das Tuch. Dann druckte er das leere Papier zusammen und warf es nach alter Junggesellenweise nach dem Kamin.

Wahrend er so beschaftigt war. wurde die Schlaf- stubenthur leise anfgeschlossen, und eine junge Frau in weiHem, faltenreichem Morgenkleide trat langsam herans. Die Hand am Thnrgriffe blieb sie dort stehen, bis Jorgen sie anblickte und mit lantem Anfschrei ihr entgegeneilte. Dann hob sie schnell den Arm vor das Gesicht und druckte sich dicht an den Thnrrahmen.

Jorgen schlang seine Arme nm sie und zog sie an sich.

„Liebe Ursula. — sei doch vernnnftig!" sagte er and snchte vorsichtig den halb entblotzten Arm von ihren Angen zn nehmen.

„Aber was ist das? Du hast ja geweint?"

Sie barg sich an seiner Brust, von Nenem im Kampf mit den Thranen.

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- 10 —

„Nem weiht Du was, Ursula, das ist zu albern!

Wann wirst Du denu vernunftig werden?" Er bengte sich uber sie und fugte leise hiuzu: „Weitzt Du uicht mehr, was Du mir heut Nacht versprochen hast? — — Du wolltest uicht mehr weiueu? Hast Du es schou vergessen?"

„Jch weine ja auch uicht mehr," autwortete sie, iudem sie sich plotzlich frei machte, und mit der Hand hastig uber die Augeu suhr.

Eiuige Minuten ging sie still im Zimmer umher, um ihre Gefuhle zu beruhigen. Dann ging sie wieder zu ihm und schlang sanst ihre beiden Arme um seinen Nacken.

„Und unsere Wohnung gefallt Dir wirklich?"

fragte sie, indem sie dnrch die Thranen ihrer gro§en, hubschen Augen lachelte. „Du meinst also, dah Du Dich hier wohl fnhlen wirst — — nicht wahr?"

„Oh gewi^ — es ist ja alles so vortresflich.

Also das ist es, was Dich wahrend der letzten Zeit so beschaftigt hat, und was Dich in Deinen Briefen

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— n —

so geheimnisvoll gemacht, Du kleiner Schelm Du!

Jch habe mir es wohl gedacht." —

„Du hast aber noch nicht das Allerbeste ge­

sehen. Komm!"

Sie fcchte seine Hand und fuhrte ihn an die Thiir zwischen den beiden Fenstern und schob sie anf. Sie traten auf eiuen breiten Balkon, und be- fanden sich hier wie auf einem hohen Turm.

Rings nm sie dehnte sich die ewige Stadt auf ihreu sieben Hugeln aus, malerisch belenchtet von der klaren, hellen Morgensonne. Noch lag der nntere Teil im weihgraueu Nebelgrnnd des Tibers, aber aus ihm ragten eine Unzahl von Kuppelu und Turmeu in die goldene Luft, als ware die Stadt ein einziger tausendzinniger Tempel, und weit in der Ferne hinter der giftschwangeren Wnste der Cam- pagna zogen sich die schneebedeckten Gipfel der Berge wie ein luftiges Traumbild lailgs des duukel-

blauen Himmel.

„Weiht Du was — das ist wirklich nicht ubel,"

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sagte Jorgen nach einer Pause, wahrend Ursula mit gespannter Aufmerksamkeit den wechselnden Ansdruck seines Gesichtes beobachtet hatte.

„Ich muh gestehen, dies ist ein Panorama, das sich sehen lassen kann. Sieh' mal die Kuppel dort, es wird gewih der Sankt Peter sein. Potztausend, wie der da steht! Ja, Du, das ist wirklich hubsch!"

„Ja, ja, nicht wahr!" jubelte Ursula, indem sie sich plotzlich wie von einer grohen Angst besreit an seinen Hals wars, „kannst Du jetzt verstehen, dah ich es nicht anshalteu konnte in all dieser Herrlich- keit zu leben, ohne Dich zu haben. Ach Jorgen, Jorgen, Du weiht gar nicht, wie nnendlich ich mich nach Dir gesehnt habe, wie nnglucklich ich war hier zu sein und Dich im Sturm und Winter dort in aller unserer heimischen Hiihlichkeit zu wisseu, das war nicht znm Aushalten!"

„Still, Still! Nicht so exaltirt, Ursula!^ sagte Jorgen und strich liebkosend mit seinen grohen

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Handen uber ihr duukelbraunes Haar, welches vom zierlichen Scheitel ganz glatt uber ihrem Kopf lag, nnr vorne anf der Stirne kranselte es sich leicht, hinten war es in einem Knoten tief im Nacken be- festigt. Sie war viel kleiner als er und muhte auf den Zehen stehen, nm seinen Hals zn umschliugen;

ihre ganze Gestalt war so fein und leicht, und von einer so sansten und reizenden Schonheit, dah sie neben dem breiteu Manne einen fast kindlichen Ein- drnck machte.

„Dann bist Du uicht langer bose, Jorgen?"

suhr sie fort, indem sie sich an ihn schmiegte, ohne auf seinen Widerstand zn achten, oder an die Nach- baren zu denken, die sie sehen konnten. „Denn. ge- stehe es nur, Du schlimmer, schlimmer Mann! znerst warst Du uicht damit zufriedeu, dah ich Dich hier- her lockte. Ich habe es wohl Deinen Briefen ange- merkt. Habe ich nicht Recht? Jetzt darfst Du es

ja gestehen — ich werde nicht bose. Du meintest, es ware wieder einer meiner fluchtigen Einfalle —

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wie Du gewohnlich sagst, nicht wahr? Aber jetzt bist Du nicht mehr unzufrieden. Nicht wahr, Jorgen? — wie?"

„Nem gewih nicht, durchaus nicht! Das habe ich Dir doch schon gesagt, Liebste. Da Du aber nnn von selbst davon ansangst, will ich Dir gerne gestehen, datz Deine unerwartete Hochzeitseinladuug mir in der That etwas ungelegen kam. Ich hatte mich schon darauf eingerichtet, den Winter durch in meinem alten Giebel Stand zu halten und hatte deshalb alle Hånde voll Arbeit, von der ich mich nicht so ganz leicht losmachen konnte, be- sonders jetzt nicht. Ich werde Dir namlich sagen,"

fuhr er fort, wahrend er sich langsam aus Ursulas Armen srei machte, „es geht ganz verdammt zu daheim. Sie sind alle so schlotterig geworden, dcch man aus der Haut fahreu konnte. Laszt man nicht ab und zu eine Bombe vor ihrer Nase syringen, so werden die Murmeltiere bald den Todesschlaf schlafen. Statt dah wir alle nur denkliche Wider-

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standskraft zusammenrafsen sollten, um den karg- licheu Rest von Freiheit, der uns geblieben ist, zu wahren, hort man nur von schmahlichstem Abfall.

Und wie gemohnlich, wenn es sich dårum handelt, aus widrigem Wind und zu eiuem fetten Bissen zu kommen, sind nnsere geehrten Federhelden die ersten. Die seigen Hunde! Du hast wohl gehort, dasz Sahlmanu nnter Trompetenklang zu der Rechten nbergegangen ist uud taglich im »Tagblatt« schreibt?"

„Was! — nuu ja, Sahlmann!" sagte Ursula zerstreut, und spielte mit seiner Hand.

„Das nenne ich ein Musterstuck, uicht wahr! — Der lyrische Windbeutel! Ubrigens war von dem Kerl ja anch nichts anderes zu erwarteu! Trotz all seiner Byron'schen Bravaden ist er doch nichts ånders als ein sechs Fntz hoher Sangling. Und das sind sie alle daheim, mehr oder weniger.

Das ist nnser Unglnck! Keine Spnr von Ruckgrat!

lauter Kuorpel und rethorisches Zappeln und lyrischer Speichel —"

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„Du vergiht aber ganz die Aussicht zu be- wundern", unterbrach ihn Ursula, „sieh doch wie die Albanerberge dort leuchten! Jst das nicht ein herr- licher Anblick?"

„Ja, hubsch ist es hier, sehr hubsch. Aber, Ursula, jetzt mussen wir doch wirklich an unseren Magen denken. Jch bin hungrig wie ein Dom- probst."

Sie gingen in das Zumner zuruck und setzten sich an den gedeckten Tisch. Jorgen schnitt sofort zwei Brotchen durch, strich Butter daraus und steckte schliehlich eine ganze Handvoll Theekringel in seine Tasse. Ursula dagegen war schnell mit ihrem Frnhstuck sertig. Sie sah still zurnckgelehnt im Sessel und lietz die Hånde im Schootze ihres weitzen Morgenkleides ruhen, welches nach alter, stilvoller Mode, den Korper wie ein luftiges Gewand um- schlaug. Mit eiuem Blick, voll Zartlichkeit und Gliick strahlend, schaute sie unverwandt Jorgen an und freute sich uber seinen gesunden, mannlichen,

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Appetit. Dann und wann, wenn er von seiner Tasse aufblickte, reichte sie ihm lachelud die Hand und sagte: „Liebster Jorgen!"

Als Jorgen endlich fertig war und sich eine Cigarette angezundet hatte, stand sie auf, nm Annneiata zn rnfen. Auf dem Weg zur Thur nach der Kuche wurde sie aber von Jorgens kraftigem Arin eingefangen und zartlich auf seiueu Schoch uiedergezogeu. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, und jetzt verliefen einige Minuteu in tiefer Stille, in leisem, erotischem Spiel, ein Nippen der Liebe, wo die Lippen keine Zeit zum Sprechen fanden.

„Du grover, grotzer Barbar!" sagte Ursula zu- letzt und strich mit beiden Handen dnrch seine kurzen, struppigeu Haare. „Woher kommt es doch, da§ ich soviel von Dir halte? — Weiht Du noch das allererste Mal, dch lvir uus sahen? Ich hatte ordentliche Angst vor Dir, wie Du aussahst, wie ein Wilder, mit Deinem groben Bart, den Du

Pontovpidan, Nachtwache. 2

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damals trugst, und mit Deiuem blauen Arbeits- hemde, weiht Du noch? Und deuuoch glaube ich, habe ich mich sofort iu Dich verliebt. Jst das uicht souderbar?"

„Ich weitz wirklich uicht, Ursula!"

„Ich deuke so oft darau. Damals hatte ich doch uur das Allerschlimmste von Dir gehort und gelesen, sowohl zu Hause, als durch die Zeituugeu — uber- all! Und dazn warst Du uicht eiumal liebeus- wurdig gegen mich. eigentlich recht aufgeblaseu, und schroff und uuoerschamt warst Du, gar uicht wie die anderen Herren, die ich kannte. Aber deshalb oer- liebte ich mich wohl geråde in Dich. Glaubst Du uicht auch?"

„Das ist wohl moglich. — Aber mir fallt etwas ein. Gestern Abend als wir hier auf der- selbeu Stelle satzen. wolltest Du mir etwas sagen.

Du fingst damit an, wir kamen aber dann auf etwas anderes. Was war es eigentlich?"

„New, nein, hente nicht", entgegnete Ursula.

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und hielt ihre Hand vor seinen Mund. „Heute wollei: wir nur recht oergnngt nnt einander sein.

Wir ivollen an uichts anderes in der ganzen Welt denken — — nicht Jorgen?"

„>;etzt machst Du mich aber nengierig. War es denn etwas sv ernsthaftes? Dann sage es lieber gleich!"

Sie besann sich ein Weilchen uud uestelte an seiner Nhrkette. dann sagte sie sehr rnhig und ohue aufzublickeu:

..Eriuuerst Du Dich. Jorgen. datz Du mir ein- mal oersprachst, Du wiirdest mir nie etwas ab- schlagen. lvornm ich Dich an nnserem Hochzeits- tage bate?"

„Haoe ich das dersprochen? Nnn. dann mntz ich es wohl halten! — Und was verlangst Du von mir?

„Ich wnrde Dich dårum bitten, wiirde Dich so gerne fragen. ob Du Dich nicht mit meinem Vater versohnen konntest?"

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„Mit Deinem Vater? Aber liebe Ursula Du bist ganz im Jrrtum. Es besteht zwischen Deinem Bater und mir das allerbeste Verhaltnis. Gestera Abend noch habe ich seine Hand geschuttelt nud mit echtem Jubilaums - Pathos zu ihm gesagt: Eiu superbes Diner, Herr Etatsrat!"

„New. Jorgen. es ist nicht so wie ich es meine".

sagte sie ernst, ..ach konnte ich mich Dir nur recht verstandlich machen! Das ist aber wirklich wahr.

Jorgen. und Du nucht es glauben. wenn ich es Dir sage. meiu Vater halt viel von Dir. New. nein.

Du darfst uicht lacheu! Ich bitte Dich so herzlich dårum. Ich weitz wohl. daH Papa anfangs nicht so zufrieden mit Dir uud uuserer Verbindnng war.

wie er es hatte sein sollen. Du mrcht aber be- !!

denken. dah er in allen Stiicken ans der alten Schule ist. und dah er Dich nur durch die Zeituugeu kaunte und durch all das boshafte Ge­

rede. das damals uber Dich und Deine Freunde umging. Dies nuch doch als Entschnldignng fur

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ihn gelten, nicht wahr? Wenn ich bedenke wie ich selber — ich, die Dich doch so innig liebte, Nachte hindnrch weinen konnte, sobald man nur etwas von Dir erzahlt hatte, dann ist es doch nicht merkwurdig, da§ anch Papa diesen Geruchten glanben konnte.

Ich wei§ aber bestimmt, datz er jetzt sein Urteil uber Dich ganz geandert hat, und datz es sein aus- richtiger Wnnsch ist eine Versohnnng herbeizufiihren.

Sei doch nicht so hart, Jorgen, nicht immer so nn- versohnlich! Wenn Dn Papa erst recht kennen lernst, wirst Du sehen, wie gut und liebevoll er ist.

Bedenke nur, wie ausopserud er mir gegennber immer gewesen ist. Von meiner Kindheit an, seitdem meine Mutter gestorben, bin ich und meiu Wohl sein einziger Gedauke gewesen. Ich bin fest davon uber- zeugt, er wnrde gern als der elendeste Bettler leben, wutzte er mich nnr glucklich! Uud uuu hier, bei unserer Hochzeit! Ja, eigentlich glanbe ich nicht, datz er es will, wenn ich davon rede, aber ich kann es Dir nicht verschweigen, da§ Papa es war,

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der mit mir zusammen alles hier besorgt hat.

Jeden Tag ist er mit mir Einkaufe machen gegangen, bald an einem, batd am anderen Ende der Stadt, und er ist doch schon ein alterer Maun, nicht wahr? Aber niemals, wieviel wir anch hernm liefen hat er sich beklagt. Immer furchtete er, wir bekamen nicht das Beste, und da§ unsere Einkaufe Dir nicht gefallen lvnrden. Immer hat er gefragt, ob Du wohl diesen Stoff, diese Farbe gern hast.

Ja, deuke Dir uur, ehe er das Menu fur gestern bestellte, fragte er mich, welche Speisen Dir am liebsten waren, und ob es einen Wein gabe, den Du besouders schatztest, und ob es uberhanpt uichts gabe, womit er Dir eine Freude niachen konnte!

Das ist wirklich wahr Jorgen!"

„Hor' nnn her, Ursula! Wolleu wir einmal oernnnftig mit eiuander reden. Dah Dein Vater, nachdem er jedes nicht gar zu nnanstaudige Mittel benutzt hat, um unsere Berbinduug zu verhindern, datz er dann schlichlich nachgiebt, und uuu der Hou-

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neurs wegen versucht einen oergoldenden Schein iiber die Mesalliance zn lverfen, darin sehc ich keine Ursache zmn Gernhrtwerden. Als er damals unter dem Vorwande, dafz seine Gesuudheit es ersordere, die Reise beschlo^, waren wir doch beide einig daruber, er thate dies nnr in der Hoffnung. Du solltest unter fremdeu Berhaltnissen und im Verkehr mit neueu Menschen, Deine Meinuug auderu und mich aus dem Sinne schlagen. Erinnerst Du Dich noch, als wir den letzten Abend im Friedrichsberg- Gavten Abs6)ied uahmen? Du umarmtest inich und sagtest, eher sollte ich horen, Du warest in einen Abgrund gesprnngen, als dasz Du anch nur auf ein einziges Haar meines Kopfes oerzichtetest. Geråde diesen Ausdruck hast Du benntzt. Weiht Du es noch?"

„Hade ich denn nicht mein Wort gehalten, Jorgen?"

„Gewitz! Du bist ein ganz tapferes, standhaftes Acadchen gewesen — und das werde ich Dir anch

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nie vergessen. Aber dariiber sprechen wir jetzt nicht. Nem, beantlvorte mir nur eine Frage! Was sagte Dem Vater, als Du ihm erklartest, Du wolltest mich eiuladen her zu kommen, damit wir hier Hochzeit halten! Was antwortete er? — Ja, Du schweigst! — Und ich kann es auch ganz gat allein sagen! Ich kenne meine Pappenheimer! Er bat Dich von Tag zu Tag zu uberlegen — flehte Dich an mit tranriger Miene, ja znletzt mit Thranen in den Angen, Du mochtest doch die Sache auf- schiebeu — noch einmal uberlegen, uoch eiumal Dein Herz prufeu u. s. w., u. s. w., eine ganze lange Geschichte! Und als alles nichts geholfen hatte, stellte er sich gekrankt, hullte sich in seine vaterliche Wnrde, erinnerte Dich an die Opfer, die er Dir gebracht, an die schweren Priifungen seines Lebens, und in einer erschutternden Hofkirchenpredigt ermahnte er Dich an Gottes Gericht uber die Ungehorsameu und Widerspenstigen, — ja, ich sollte mich nicht wundern, wenn er nicht gar Deine selige Akutter

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aus ihrem Grabe hervorgeholt hat, damit sie als letzter Knalleffekt ihre Bitten mit den Seinigen ver- einigte. Habe ich nicht Recht?"

Ursula drehte an einem Knopfe seiner Weste nnd antwortete nicht.

„Siehst Du wohl! — — Nein, Dein Vater ist eiu alter Luchs! Das habe ich Dir oft genug gesagt! Eiu reaktionarer Spitzbnbe echter Sorte ist er."

„Aber — Jorgen!"

„Ja, es nutzt nichts, dah Du fur ihu bittest Ursula! Es ist wirklich Zeit, day ich Dir die Augen offne nber die Lente, unter denen Du aufge- wachseu bist. Die Wahrheit muH gehort werden, und ob sie anch das Trouunelfell zersprengt. Spitz- bnben sind sie, Diebe, niedertrachtige Henchler, die uuter dem Vorwande Gesetze nnd Ordnnng zu tiber- wachen, das Volk im Schlaf halteil, damit sie es besser bestehlen konnen. Und einem Manne, der solchen Lenten an die Hand geht, uud ware es auch

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zehntausendmal Dem Vater — dem soll ich um den Hals fallen, ihn li eb er Freund und Schwieger- vater nenneu, ihn mn Ende noch kussen ?

„So meine ich es ja auch nicht Jorgen. — Ich habe es doch gar nicht so gemeint!"

„Aber znm Henker, was ist es denn, was Du von mir verlangst?"

„Werde nnr nicht gleich heftig, bester Jorgeu!

Ich verlauge ja uberhaupt nichts. Ich habe unr gesagt, dasz Du mich glucklich, unendlich glucklich machen wurdest, )veuu Du uur eiu bischeu freundlich meinen Vater entgegen kommen wurdest. Konntest Du nur ganz naturlich gegen ihn sein, so wie Du gegeu die Audereu bist, uud nicht immer so spottisch.

„Herr- Etatsrat" sageu, sondern nur Sie, oder was Du selbst willst — ach, wie glucklich wurdest Du mich dann machen!"

„Wenn es nicht mehr ist, was Du oon mir forderst, werde ich Dir gerne damit dienen den Titel zn sparen. Nbrigens habe ich anch einen Gruud

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ihm erkenntlich zu sein, deinl wenn er gar nicht existiert hatte, warst Du ja auch nicht da, und konntest nicht meine Frau sein!"

^„Siehst Du wohl! — Nlso Du willst uicht wahr, Jorgen, Du thnst es?"

Sie umsatzte seiueu Kopf mit beideu Haudeu und sah ihm lange iu die Augen mit einem Blick voll uueudlicher Dankbarkeit.

„Wie gut Du bist! Wi'chten die Leute nur, wie herzensgnt Du bist, dann wiirden sie nicht Deiner Bilder wegen so haszlich gegen Dich seiu.

Du lieber, lieder Freuud! Meiu guter Akann! Ach wie souderbar ist es doch, Dich meiueu Mann nennen zu dnrfen. Meiu Mauu, niein Mann!

Horst Du? Jch suhle micy so stolz, ich mochte es der gauzen Welt znrnfen! Meiu Maun, mein Mann!

Klingt es nicht schon? — Ach Dn lieber, Du Herziger! Wie hast Du mich glucklich gemacht!

Wie sroh ich bin! Wie reich!"

„Na, na," meinte Jorgen etwas ungeduldig.

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„Ja, ja, ich werde vernnnftig sein; jetzt werde ich Dich nicht uaehr qnalen. Sprechen wir von etwas Anderem. — Hast Du uberlegt wie wir den Tag verbringen wollen? Weiht Du, was ich mochte, Jorgen? Wenn Papa nnn erst hier gewesen — und er wird ja nicht lange bleiben, — dann fahren wir in die Berge, irgendwo hin, ganz weit weg, wo wir allein sind, Du und ich und niemand mehr.

Was sagst Du dazu? Ware es nicht herrlich?

Ich habe mir Frascati gedacht."

„Frascati? — Was ist das?

„Aber, Jorgen, das weiht Du doch! Es ist ja die kleiue, bekauute Stadt in den Sabinerbergen.

Besinnst Du Dich nicht mehr, ich habe Dir doch geschrieben —"

„Ja, ja — datz Du eiueu Tag da warst mit mehreren Skandinaviern ni:d mit Thorkild Drehling

— nicht wahr."

„Richtig! — Nuu — dorthiu fahreu wir also nnt der Bahn nnr eine halbe Stunde, dann

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— 29 —

sind wir da. Rings um die Stadt auf den Ab- hangen liegen grotze Villen von Olivenhainen vin­

geben, und eine halbe Meile von der Stndt ein altes, unbewohntes, ganz zerfallenes Schlo§, mit einein verwncherten Park. verwitterten Spring- brnnnen und umgestiirzten Bildsanlen und mit einer gratzlich langen, pechdnnklen Steineichenallee, die in ihrer Art in der ganzen Welt einzig ist, — wie Papa sagte. Dort ging ich geråde den Tag mit Drehling. Kurz vorher hatte ich Dir den Brief ge- schickt, mit dem ich Dich anfforderte, hierherznkommen um Hochzeit zu halten, noch hatte ich aber nicht Deine Antwort und Du wirst Dir denken konnen, in welcher Spannnng ich war. Niemals glanbe ich habe ich mich so uberwaltigt gefiihlt, wie an jenem Tage. Die grotzartige Natnr, der prachtvolle Sonnen- schein, die Freuudlichkeit Aller mir gegeuuber, alles hat einen solchen Eindruck auf mich gemacht, da§ ich bei jedem Wort, das man zu nnr sprach, hatte weinen konnen — oh, Du hattest mich tuchtig gescholten, Du

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schlimmer Barbar! Als uh mich nnn znfallig unt Drehling allein besand — entschlnpste es mir — denke Dir nnr, dah ich Dich erwartete. Jch konnte es nicht lassen, ich nuchte mit Jemanden nber das sprechen, was mich so ganz ersnllte. Und Drehling war ja noch dazn Dein Freund, nnd von Ansang an mit nnserem Verhaltni§ bekannt — —"

„Gewitz — und kurz uud gut, was hat er gesagt?

Hat es ihn nberrascht?"

„Und wie! Du hattest ihn nnr sehen sollen!

Er blieb mitten in der Allee stehen, uud sah mich mit groben Augen an, als wiire ich ein Gespenst.

„Jorgen Hallager in Rom?" sagte er. „Aber, liebes Franlein, jetzt wollen Sie mich znm Besten haben!"

Er wollte es mir gar nicht glanben."

„Nicht? Ubrigens habe ich mit ihm zu reden!

Er kam mir gestern so merkwnrdig vor. Jch surchte, er wird mir hier ganz verdorben. Was sind es fur franzosische Maler, mit deuen er verkehrt, wie Du mir erzahlt hast? Das gefallt mir gar nicht.

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Drehling gehort auch zn denen, die znsammenklappen U'ie ein Paar leere Hosen, sobald sie auf eigene Filtze gestellt werden. Jeh mns; versucheu, ihm etwas Leben einzublaseu, wahreud ich hier bin — am besten ware es wohl ihu mit nach Haus zu nehmen — weshalb sol! er sich hier hernmtreiben?"

In diesem Angenblick wnrde die Klinget ge- zogen.

„Es ist Papa!" ries Ursula frendestrahlend, und lief, ihn zu empfaugeu.

Jorgen aber blieb sitzen. Als er horte, wie Ursula dranhen im Vorzimmer sich mit einem Frendenrnfe an den Hals des Vaters warf, glitt ein Schatten nb er sein blasses, etwas fettes Gesicht mit dem spitz geschnittenen Vollbart, und er bitz sich auf die Lippen. Nur zogernd erhob er sich, ging langsam durch das Zimmer, und erreichte eben die Thure, als der Schwiegervater hereintrat.

Der Etatsrat war ein nngewohnlich hubscher, kleiner Mann mit weihem Varte und wei§em Haare

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— und ein Paar dunklen, warmstrahlenden Augen in einem feinen, intelligenten Gesichte. Er erschien im zierlichen Vormittagsanzuge mit dem glauzeudeu Seidenhnt in der Hand. Still, aber sehr freundlich druckte er die Hand des Schwiegersohnes, dann schante er sich nm und sagte:

„Nun, die Herrschast ist noch beim Thee?" Als ob er fnchtete seine Worte kiinnten einen Vorwnrf enthalten, fngte er schnell hinzn:

„Ja, selbstverstandlich bin ich es, der zn frnh kommt. Ich hoffe, man wird die Ungeduld eines Vaters verzeihen?"

„Wir sa§en nnd planderten ein bischen," sagte Ursula. „Komm, Papa und setze Dich!"

Man nahm nm den gedeckten Tisch Platz, die Herren jeder in einem Sessel mit hoher Lehne, wahrend Ursula ein kleines Tabouret zu Jorgen zog und sich dort niederlich, so dicht an Jorgen wie nnr moglich, und mit einem Arme anf seinem Knie ruhend. Es entstand eine kleine Pause. Der

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Etatsrat, noch immer mit seinem Hut in der Hand, fing schlietzlich von dem nngewohnlich schonen Sonnenschein zn sprechen an: „eine Seltenheit hier in dieser Jahreszeit," und fragte endlich ob die Herr-

schaften irgend einen Plan fur den heutigeu Tag gemacht hatten.

„Ja, lvir gedenken in die Berge zu fahren, ganz mit uns allein," sagte Ursula, und betonte leicht die letzten Worte.

„Aha! Naturlich!" meinte der Etatsrat, indem er lachelnd seine Enttauschung zu verbergen suchte:

„Und wohin geht die Reise, wenn man stagen darf?"

„Nach Frascati!"

„Ah, Frascati! Ja das ist so recht ein Ort fur Neuvermahlte. Frascati ist ja wirklich ganz be- zanbernd. Ein wahres lleines Meisterwerk der Natur und menschlichen Schonheitssinns."

Obgleich der alte Herr hauptsachlich seine Worte an morgen richtete, sa^ dieser ganz stumm, nachlassig

Pontoppidan, Nachtwache. z

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zuruckgelehut in seinem Sessel, mit der rechten Hand seinen Bart streichend und schaute vor sich hin, als gingen ihn die Worte des Schwiegervaters. ja uber- haupt dessen Anwesenheit garnichts an.

Wieder trat eine lange und diesmal auherst peiu- liche Pause ein. Der Etatsrat zog sein Taschentuch hervor, trocknete sich die Stirn, drehte sich schlichlich ganz zu Jorgen und fing mit angestrengter Stimme eine sichtbar genau iiberlegte und vorbereitete Rede an.

„Ja, mein lieber Schwiegersohu", sagte er, sich noch immer bemuheud den vertrauteu, scherzhasten Ton beizubehalteu, „meiue Regierungszeit ist also jetzt zu Ende. Mein einziger Unterthan — meiue liebe Ursula — hat mir den Gehorsam ansgekundigt, und Sie als kunstigeu Herru uud Beschutzer erkoren.

So habe ich denn nichts anderes zu thuu, als das Scepter in Jhre Hånde zu ubergebeu!"

„Selbstverstaudlich!" antwortete Jorgen kurz und ohne ihn anzublickeu.

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„Ja, — was ich sagen wollte!" — fuhr der Etatsrat nach einer Pause und mit sichtbar schwer erkampfter Fassung fort: „Sie werden gewih be- greifen — werden gewih verstehen konnen, mit welchen Gefnhlen ein Vater sein Kind ans seiner Hand lasit, um seine Znknnft, und ich darf wohl sagen, sein Glnck in fremde Hånde zu geben. Be- sonders hier ist die Wehmnt der Trennnng natnr- lich, lveil Ursula mein einziges Kind ist, die zarte Pflanze in der ein alter Mann seine ganze Zu- kunftshofsnuug, seine ganze Freude sieht, dereu Ge- deihen sur ihn der ganze Trost, die ganze Stutze seiner alten Tage ist. Ich glaube behanpten zu konnen, dcch ich immer bestrebt gewesen, Ursula schonend, ohne Zwang, wie es mein Prinzip ist, zu erzieheu, in der Pslege dessen, mas mir als die hochste Bestimmnng uuseres Lebens erscheint. Aber ge^itz, ich wei^ es wohl, dah ich in meiner Be- ziehung Anschauungen Hege, die fur viele Leute hentzntage altmodisch sind. Moglich ist es ja anch,

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datz ich mich wirklich hier und dort geirrt habe und gewitze Vorurteile gehegt — —"

„Ja. ganz bestimmt," sagte Jorgen in demselben Ton wie zuvor.

Der Etatsrat hielt inne und erbleichte. Jorgens kurze Antworten trafen ihn wie Beilhiebe auf den Nacken. Er sah ihn einen Augenblick unsicher an, dann traf sein Blick eine Hand, Ursula, welche Jorgens gefatzt hatte, und sie in ihrem Schoohe still liebkoste — — — bei diesem Anblick war es, als ob die Glut iu seinen dunklen Angen langsam erlosch.

Er war in der bestimmten Absicht gekommen eine Versohnuug herbeizufnhren. Der Tochter wegen wollte er seinen Schmerz bezwingen, seinen Stolz opfern, seine weitzen Haare vergessen, und sich vor diesem fremden Menschen demutigen, der, Gott wei§

durch welch teuflische Macht, sein armes Kind ge- blendet und bethort hatte. Nun sah er, dah alles vergebens war. Selbst die Bitten und Thranen

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des Vaters wurden hochstens ein Hohnlacheln auf den Lippen dieses Unmenschen hervorrusen. Als ein aufdringlicher Fremder, als ein unwillkommener Gast satz er hier im Ziminer seines eigenen Kindes, nur eben gednldet, und geråde mit so viel Hoslichkeit empfangen, dafz man ihm nicht die Thure gezeigt hatte. Seine einstndirte Rede hatte der alte Herr uuterbrocheu, und versuchte jetzt die Unterhaltung aus den beabsichtigten Besnch in Fraseati zu lenken.

Obgleich jedes Wort ihm Muhe kostete, erzahlte er ausfuhrlich von einer Partie, die er vor dreitzig Jahren mit Constantin Hansen, Ernst Meyer, dem Dichter Hauch und mit audereu beruhmteu, danischen Kiinstlem uach Frascati gemacht hatte. Mit einer Umstandlichkeit und Redseligkeit, die ihm gar nicht ahnlich war, erzahlte er weitlansig, wie an dem Tage das Wetter gewesen, in welchen Trattorien sie gespeist hatten, wie teuer es gewesen, und ahn- liche ganz gleichgultige Dinge.

Indessen sa^ Ursula sortwahreud mit meder-

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geschlagenen Augen, und streichelte still Jorgens Hand in ihrem Schootze. Nicht zum ersten Mal in Jorgens Gegenwart genirte sie der Vater. Und diese Redseligkeit, deren Ursache sie nicht begriff, mnchte sie so oerlegen, dah sie Jorgen beinahe ver- zieh, datz er doch nicht sein Benehmen dem Schwiegervater gegeniiber geandert hatte. Wie sehr sie sich auch anf sein Kommen gefrent hatte, empfand sie es doch jetzt wie eine Erleichternng, als er anfstand nm zn gehen.

„Nun, ich habe gewih zn lange geplandert.

Jch hatte bedenken mnssen, da^ Niemandem die Minnten so tener sind, als einem neuvermahlten Paar," scherzte der Etatsrat mit einem krampfhaft heroorgelocktem Lacheln, wahrend er mit zitternden Fingern seinen Rock znknopfte. Er uberwand sich und machte eine ceremonielle Verbengnng gegen Jorgen, die Hand jedoch gab er ihm diesmal nicht, Jorgens Haltung forderte auch nicht dazn auf.

Ursula hingegen begleitete ihn liebevoll bis auf den

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Corridor, ja ganz auf die Treppe humus, und iiber das Gelander gebeugt rief sie wiederholt:

„Adieu, — lieber Papa, adieu, adieu!" wahrend er die Treppen hinunter stieg.

„Wie alt doch Papa wird", dachte sie, als sie seine gebeugte Gestalt sah, die so souderbar langsam, beiuahe schwankend von Stuse zu Stufe verschwand.

Und ganz erfullt, — mie sie mar — von ihrem eigenen, jungen Gluck, iiberkam sie in diesem Augen- blick ein nnbestimmtes Gefuhl des Mitleids mit ihm — mit seiuer Einsamkeit, mit seinem meijgen Haar, mit seinem gebeugteu Rucken.

„Adieu, lieber Papa!" rief sie ihm uoch eiumal nach, dann erhob er noch einmal den Kops und sah zu ihr hinans mit einem langen Blick, der an den letzten Grrch eines znni Tode Vernr-teilten erinnerte.

Ursula aber lies das Gelander los und eilte in das Zimmer znruck. Mit meit ausgebreiteten Armen, lies zu Jorgen und siel ihm um den Hals.

„Und jetzt wollen mir fort! Jorgen kannst Du

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Dir das denken, den ganzen Tag wollen wir zu- sammen sein!"

„Ja, und noch etwas langer, mein tapferes Madchen!"

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Jn einer der abwarts gelegenen Alleen in Monte Pincio's Park-Anlagen, von wo man anf der einen Seite Rom, anf der Anderen die grohen Garten der Villa Borghese und die sanft geschwellten Hugel auf der rechten Seite des Tibernfers iibersieht, sa§

am folgenden Tage nach der Mittagsstunde ein junger Mann, ganz in Gedanken versunken, und schaute in die Ferne hinaus. Ueber eine Stunde schon satz er in derselben, vorgebeugten Stellung, das Kinn auf den elfenbeinernen Knopf seines Spazierstockes gestntzt. Weder der Larm der hinter ihm auf der Fahrstrahe rollenden Equipagen noch das Gezwitscher der Vogel, die sich in den vollen Wipfeln uber seinem Haupte tumnielten, hatten ihn

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mis seinen Traumereien erweckt. Es war Thorkild Drehliug, der junge Maler, von dem Ursula und Jorgen den Tag vorher gesprochen hatten. Er war der Sohn eines wohlhabenden Gntsbesitzers, und hatte sich sehr gegen den Wuusch seiner ganzen Familie der Kunst gewidmet. Ja, von Anfang an war er sogar Mitglied des „Klumpen" gewesen.

Besonders hatte er sich au dessen Fnhrer. Jorgen Hallager angeschlossen, uud wurde ein sanatischer Bewnnderer und treuer Nachahmer seiner herans- ' sordernden Wirklichkeitskunst. Als Jorgen, zum ' Beispiel. sein Anfsehen erregendes Bild: „Der ' Martyrer" ansstellte, ein Riesengemalde. ein nacktes i und feuchtes Pflugland darstellend, auf dem ein ) abgearbeiteter Tagelohuer elendiglich in einer soeben, z eingestnrzten Mergelgrube begraben lag und ver-

gebens mit blutiiberstromten Munde um Hilse ries, l machte es ihm Thorkild im nachsten Jahre mit s seinem Pastellbild „der letzte Troster" nach.

Der Unterschied war nuu der, dah es auf Dreh-

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lings Bilde eine arme Frau war, die mitten in einer oden, trostlosen Landschaft unter der Last einer schweren Holzblirde zusammengesunken war wahreud im Hintergrunde — wo Jorgen auf seinem Bilde tendenzios eine elegante Eqnipage mit Livreekutscher und Diener zeigte — eine undentliche Nebelgestalt sichtbar wurde, der Tod mit einem Sarg unter dem Arme. Diese Jdee hatte ihm nbrigens eine scharfe Zurechtweisung von Jorgen eingebracht, denn dieser verabschente jede phantastische Anspielnng.

Trotz des nnbestreitbaren Talents des jungen Kunstlers hatte diese Nachahmung im Laufe der Jahre einen komischen Schein auf ihn geworfen.

Und statt Anstoh zn erregen, was seinem Ehrgeiz entsprochen haben wurde, wurde er uun regelmahig von mitleidigem Gelachter des Publikums und der Presse begrHt. Diese Demntigung znsammen mit dem immer gespannteren Verhaltnis zn seiner Fa­

milie, hatten den jungen Maler noch mehr fur den revolutionaren Einflnh Hallagers empfanglich gemacht.

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Nach und uach hatte er sich alle seine Anschauungen nber Kunst und Politik angeeignet, kurz und gut sich au Jorgen geschlossen mit der blinden Unter- N'erfuug, die dieser von seinen Frennden verlangte.

Beeinslutzt vou ihm, hatte er sogar seiuem aristo- kratischen Bater einen sormlicheu Absagebries ge- geschrieben, voll nnehrerbietiger Auheruugeu und beleidigeuder Beschuldigungen, und dieser Brief hatte einen volligen Bruch mit seiuer Familie und mit seinem bisherigeu Umgaugskreise hergesuhrt.

Seit dieser Zeit solgte er seinem Herrn ulld Meister wie ein jungerer Bruder. Uberall wo Jorgen Hallagers heransfordernde Gestalt sich zeigte

— aus der Strahe, im Theater, in den Kassees — immer sah man an seiner Seite den schlanken, stillen, beinahe verlegenen Gntsbeiitzerssohn, „den hiibschen Maler" wie die Abeudschoueu ihu gewohulich uauuteu.

So wareu Sie auch zusammen ans der Eisbahn gewesen, wo sie Ansang des vorigen Winters Ursula Brauth zum ersteu Male sahen. Das

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Schlittschnhlanfen war der einzige Sport, den Jorgen trieb, darin hatte er es aber auch zur Boll- koimnenheit gebracht. Diese Fertigkeit war ihm so zu sagen angeboren, da er der Sohn eines armen Schul- lehrers war ans jenen oden, trostlosen Gegenden des westlichen Jntland, wo die Schlittschnhe als Befor- dernngsmitteldienen mussen, sobald die Fjorde zufrieren.

Ein gemeinsamer Bekannter hatte ihn eigentlich gegen ihren Willen — der zwanzigjahrigen Tochter des bekannten Etatsrates und ehemaligen Departe- ments-Chefs vorgestellt.

Die ungewohnliche Schonheit des jungen Madchens, der seelenvolle Ansdruck ihrer dunklen Augeu und die fast blumenartige Wei^e ihres Teints machten sofort ein en tiefen Eindrnck anf Thorkild Drehlings Kunstlerange. Jm Lanfe der folgenden Frostwochen, wo sie sich jetzt taglich trafen, ging diese kunstlerische Begeisteruug in eine tiefe Leiden- schaft uber, die dadurch uicht abgekuhlt wurde, das?

Ursula unverkennbar genug sie nicht teilte.

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Er sprach nicht zu Jorgen von diesem seinen nenen starken Gefuhl. Freilich fing er einmal an mit ihm von Liebe zu reden, allein es lvnrde ihm bei der Gelegenheit klar, datz er wenigstens in diesem Pnnkte die Anschannng seines Frenndes nicht teilen konnte, ja Jorgens gewohnlich freie AuHer- ungen nber das Liebesverhaltnis zwischen Mann nnd Weib, verletzten ihn plotzlich dnrch ihren Mangel ail Zartgefnhl. Der Gedanke an eine Nebenbnhler- schaft von Seiten des Frenndes fiel ihm nicht ein.

Jorgens Benehmen der jungen Etatsratstochter gegennber sprach so wenig von Verliebtheit, dah Drehling sich oft iiber seinen brntalen Mangel an Rucksicht argerte. Nberdies wutzte er, dch Jorgen auf einein vertrantem FHe mit einem Nahmadchen in der Saxstraf;e lebte, das er immer ein Pracht-

exemplar nannte, und oft davon sprach, sie zu heiraten.

Desto grotzer war sein Erstaunen, als Jorgen eines Tages im Januar, nachdem er lange, die

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Hånde in den Rocktaschen und wie gewohnlich seinem Zom gegen alle Welt Luft machend, im Zumner auf und abgegangen war, halb an der Thur beim Fortgehen sich nmwandte und ganz trocken sagte:

„Ubrigens, dch Du es weiszt, ich l^ade mich mit Ursula Branth verlobt!"

War Drehling bisher nber seiile Gefnhle snr das junge Madchen schlveigsam g elvesen, so wnrde er jetzt vollig stumm. Und nicht allein das! Nach deni Verlanf einer Woche verschwand er plotzlich und spnrlos ans Kopenhagen, ohne sich anch nnr von seinem einzigen Frennde verabschiedet zu haben.

Wahrend mehrerer Monate horte nmn nichts von ihm, und schon fing man ernstlich an zu fnrchten, ihm ware ein Unglnck zngestoyen, als Ursula in einem ihrer Briefe aus Rom die nberraschende Mit- teiluug machte, das; sie ihn in der Villa Farnesina getroffen hatte, vollig vertieft im Beschauen von Rafaels Galatea. Es war eine plotzliche Eingebung, die ihn nach der alten Heimatsstelle der Lebens-

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s freude und des Schouheitskultus gefuhrt hatte, um j hier in der Einsamkeit, nnbeeinslicht von Kameraden 5, zur Klarheit uber sich selbst zn kommen, und die

Zweifel, welche die Liebe in seinem erregten Ge- l mute hervorgernfen hatten zu bannen. Sein erster

> Gedanke bei dem nnenvartetem Zusammentreffen mit i Ursnla Ivar deshalb den Kosfer zu packen und sich Z davon zu machen. Allein der Zauber ihrer dunklen - Augen, die aufrichtige Freude, die sie beim Wieder-

s seheu zeigte, die Freundlichkeit, ja Vertranlichkeit i mit der sie ihm als Jorgeus Freund eutgegeukam j und dazn die Zuvorkomineuheit des Etatsrats, die i n?it jedem Tag zunahm - dies alles brach schnell j seine ohnehin schwache Widerstandskraft. Tag fur - Tag schob er seine Abreise ans, und ergab sich tt millenlos der Frende des Znsammenseins mit Ursula li und ihrem Bater. Er wurde ihr Begleiter aus li ihren Spaziergangen, in den Museeu, auf den Aus- 1 flugen in die Umgegend, glucklich in ihrer Nahe sein

^ zu durfen, und dankbar fur jedes Zeichen von

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Sympathie und Verstandnis — bis zu deui Tage, wo Ursula in der dunklen Steineichen-Allee der Villa Mondragones plotzlich den Zauber loste, als sie ihm lachelnd anvertraute, datz sie Jorgell gebeteu hatte nach Rom zu kommen, um Hochzeit zu macheu.

An diesem Tage setzte er seiue Abreise fest — und jetzt uahm er Abschied von Rom.

Eine stille Wehmnt spiegelte sich in seinen jugeud- lichen Zugen, wahrend vor seiner Seele Bild auf Bild voruberzog. Er ergab sich wieder gauz seiner alten Neigung, sich tranmend in sich selbst zu ver- tiefen, die in der Einsamkeit unter dem blauen Himmel des Sudens wieder ebeuso stark in ihm erwacht war, wie damals, als er noch in den grotzen Waldern seines Vaters wandelte und sich noch von dem dunklen Rauscheu der Baume be- zaubern lieh, oder auf den Abhangen am offenen Meere sah, wo die Thranen nber seine eigenen Ge­

danken ihm in die Augeu traten.

Glockengelaute von der Nonnenkirche Sankt

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^.rimtati del Monte erweckte ihn endlich. Er sah auf seine Uhr machte ein erstanntes Gesicht und stand schnell auf. Die Zeit war ihm schnell ver- strichen. er mn§te stch beeilen. wenn er noch vor Abend seine letzten Abschiedsbesuche machen wollte.

Znerst ging er den Nenvermahlten seine Auf- wartuug machen.

Ursula war alleiu zu Haus. Sie erhob sich vou emem kleinen Schreibtisch am Fenster und kam ihm entgegen mit dem stillen, beinahe verlegenen Lacheln.

das ihr eigen war. wenn sie Besuche empfing.

.Wie hubsch von Jhueu. datz Sie kommen", sagte sie und reichte ihm die Hand. „Jorgen wird gleich wieder hier sein. er ging nnr ans, um eine Cigane zu raucheu. Aber was ist deuu mit Jhnen?

Papa erzahlte heute. Sie wollteu abreisen. Das ist doch nicht moglich?"

„Leider! Es ist sogar die hochste Zeit? Jch reise in der That sehr ungern? — Sie werden aber dnk es nicht

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angeht nach Danemark zuruckzukehreu ohne Pompeji und Neapel gesehen zu haben. Autzerdem darf ich mir kaum schmeicheln. dch Jemand mich hier ver- missen wird. Eineni neuvermahlten Paar kann

jeder Freund nicht fern genug sein, sagt ein altes Sprichwort."

„Aber nein! mit Jhnen ist das ganz etwas anderes. Sie gehoren sozusagen zur Familie. Und jetzt, da Jorgen nnn auch hier ist. ware es so nett!

Das kann ich Jhnen sagen. Jorgen wird sich sehr enttauscht fuhlen, wenn Sie abreisen. Er hat auch gesagt, er hatte ein Huhnchen mit Jhnen zu pflucken," fugte sie mit einem verstandnitzvolleu Lacheln hinzu.

Drehling antwortete nur mit einer bedauerndeu Geberde.

„Nun ja, wenn es sich garnicht andern la§t, dann mussen wir ja versuchen ohne Sie fertig zu werden. Aber nehmen Sie doch Platz, Herr Dreh­

ling!"

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Sie setzten sich in dieselben hochlehnigen Sessel, wo Jorgen und der Etatsrat den Tag vorher ihren letzten, stnmmen Kampf gefochten hatten.

Drehling sah sich verstohlen in dem Zimmer nm und sagte dann nach einer kurzen Pause:

„Und Sie wareu gestern in Frascati?"

„Ja, es war ein reizender Ansflng. Heller Sonnenschein am Tage uud Vollmond des Abends.

„Nuu, mehr konnen ein paar Jungverheiratete sich selbst uicht wnnschen. Und Sie haben in der Locanda Maggiore zu Mittag gegessen — in der dichten Laube im Garteu — uud haben sich mi Hnhnerpasteten uud Faleruer delectiert?"

„Aber auch das missen Sie!" sagte sie und errotete ein wenig; „Man sollte wirklich meiueu, Sie hatten spioniert."

„Ah, gewih nicht! Jch war gestern den ganzen Tag in Rom, und hatte genug mit Packen und Visitenmachen zu thuu."

„Aber woher missen Sie denn dies alles?"

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„Und Sie konnen es wirklich nicht erraten?"

„Ah, gewitz! — Natnrlich, von dem Gerichtsrat Hoskjars!" Ursulas dunkele Braaen zogen sich zu-

sammen, und sie verstnmmte einen Angenblick. „Ja, ja! Die Hoskjars waren anch dort. Wir fuhren znsammen zuruck, das heitzt, sie sahen im Coupee neben uns, ich konnte aber ihre Slimmen erkennen.

Ja, ich horte sogar das Meiste was sie sprachen.

Drehling beobachtete sie genan, wahrend sie da sah, nach vorn gebengt, die Ellenbogen auf den Lehnen des Sessels ruhend und die Spitze ihres Futzes betrachtend. Dnrch das hausige Zusammen- seiu mit ihr wahrend der letzten Monate war er mit den verschiedenen Anzeichen ihrer schnell wechselnden Stimmungen so verlraut geworden, dah er sofort ihre Anfregnng bemerkte.

Knrz darauf erhob sie dann anch beinahe trotzig den Kopf und sagte:

„Wollen Sie mir eine Frage ganz ehrlich be- antworten? — Aber ganz ehrlich?"

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„Jch werde es versuchen!"

„Nuu, dauu sagen Sie unr, waren Sie — hat

^ Sie sehr uberrascht, als Sie ersuhren, dch borgen und ich uns verlobt hatten? Jch meine xzentlich nicht, vb Sie nberrascht waren — mdern, hatte es Sie sehr in Erstannen gesetzt?

urz und gut, haben Sie die Partie sonderbar lifnnden?" k,-^te s^ und schlug beinahe leiden-

^aftlich mit den Fnsispitzen ans den Boden.

Thorkild schwieg einen Augenblick.

„Also davon nnterhielten sich die Hoskjars t'tern Abend?"

„Gewitz — die auch? Jetzt frage ich aber Sie.

lis haben Sie dabei gedacht?"

„^ch? sagte Thorkild mit einem gezwnngenen tcheln. „Branchen Sie wirklich zn fragen? Jch we ev natiirlich ganz in der Ordnung gefunden.

» habe Jhnen gewitz schon fruher gesagt, datz ich m er?ten Male, da ich Sie sah — ich weisz selbst i,)t warnni — lag es an Jhrem ganzen Wesen,

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Jhrer Art sich zu kleiden, oder an der Warme, womit Sie immer von dem freien Leben des Kunstlers sprachen, ich habe aber gleich, soqleich den Eiudruck gewonnen, Sie hatten immer daran gedacht, einen Kunstler zu heiraten.

„Das habe ich anch."

„Und das finde ich ganz natnrlich, besonders weil das Hans Jhres Herrn Vaters immer der Versammlnngsort — und ein bernhmter — fnr die Verehrer der Kunst gewesen ist. Nnr moglich, dah sich die braven Lente ein wenig daruber aufgehalten haben, dah Sie nicht einen Lebensbegleiter aus Jhren eigenen Kreisen gewahlt hatten!"

„Aber Du lieber Gott! Hatte ich denn H. P. Holst, oder den alten Professor Hagen, oder gar den Tiermaler Karsten mit dem holzerneu Vein heiraten sollen?"

„Gewih nicht, gnadige Frau. Und wenn uicht aus anderen Grunden, dann deshalb, weil diese Herren, so viel ich weih, mehr als hinreichend ver-

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heiratet sind. Aber ich konnte mir vorstellen, — ja, Sie haben mich aufgefordert ehrlich zu sein — also ich konnte mir denken, dah solche brave Leute wie nnn eben diese Hoskjars, es etwas sonderbar ge- fnnden, datz Jhre Wahl geråde den Mann getroffen, der offenbar Jhren? eigenen Kreise am entferntesten stand, und anch nnter allen danischen Kunstlern derj enige ist, der im Hanse Jhres Vaters das gcringste Ansehen genoh."

Ursula antwortete nicht gleich, sie hatte sich in dem Sessel znruckgelehnt. beide Hånde ausgestreckt vor sich hinhaltend, so dah die Fingerspitzen sich be- ruhrteu. Mild und vertrauensvoll blickte sie durch das Fenster in den rotlichen Abendhimmel, der einen fast verklarenden Schein auf ihre Gestalt warf.

„Ach ja, vielleicht kann es etwas sonderbar erscheinen", sagte sie schliehlich sehr langsam und in einem Tone als sprache sie mit, sich selbst, „es kommt aber nur daher, datz die Leute Jorgen gar-

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nicht kennen, dah sie ihn so beurteilen, wie sie es thun. Vielleicht ist er ciuch manchmal etwas ruck- sichtslos und uubesonnen — es ist mm einmal seine Natur! Und dcch er etwas eigensinnig und vielleicht zu selbstbewntzt ist, — nun ja! Welch anderer hat sich wohl auch ganz durch eigene Kraft wie er den Weg gebahnt? Wenn ich bedenke, was er von fruhester Kindheit an hat dnrchmachen mussen. Demutigungen aller Art — Armut und Not — ja selbst Hnnger — — dann verstehe ich ganz gut, wie er zu seiuer bitteren, trostlosen Welt- anschauung gekommen ist — die man ihm iminer vorwirst. — — — Doch — — ubrigens", suhr sie uach einer kurzen Pause fort und schien in Ge­

danken den Abeudsteru anzulacheln, — „wer sagt denn, datz das so bleiben wird?"

Thorkild sah anf und blickte sie erstaunt an.

„Wie? Sie glauben, dah —"

„Ja, — doch" sagte sie, still mit dem Kopfe nickend, ohne von dem Himmel fortzublickeu, „Ist es

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'.Zhnen nicht selbst so gegangen, Drehling? Sind

^^ie im Grunde nicht ein ganz anderer geworden,

^eitdem ^ie den vielen Frennden und ewigen

^Ztreitereien fern sind?"

.So meinen Sie," stammelte Thorkild uud er-

^otete, ,,^>ie glaubeu, das^ die verauderteu Ledeus- i>erhaltuisse dch der Aufeuthalt hier in Rom

Jorgen ?"

„Oh ja, uud das meinen Sie auch," sagte sie -ud sah ihu jetzt fest uud forscheud an, so datz sich inne Angen vor ihrem Blick seukteu, „Sie sind nnr immei in allem, was Sie selbst anlangt, so ge-

^eimui^ooll, ich glanbe ader doch oon ^hnen ivas ich nuu eben glanbe!"

Thorkild antwortete nicht, er horte kauni mehr ire ^dorte. Ein Gefuhl des tiessteu Schmerzes, mi uueudllches Mitleid hatte ihu gauz erfullt und uachtc ihu stumm. Er hatte sie plotzlich viillig

^irstanden. Durch ihren Blick, ihre Worte, das When ihrer Waugeu hatte sie deu letzten, dnstigen

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Schleier zerrisseu, der ihr iuueres Wesen verhiillte, und vollig entblotzt stand ihre Seele jetzt vor seinen Gedanken in ihrer ganzen, stolzen, schwar- merischen Schiinheit! Das also war ihr heimliches Hoffen! Das der Traum ihrer Liebe! Das war es, was ihrer jungen, zarten Madchennatnr diesen sonderbaren Mut gegeben, dem Urteil der Welt zu trotzen; sie tranmte sein rettender Engel zu werden!

— seine Beatrice — seine Laura! —

— - Vom Corridor erschallten schwere Schritte und Jorgen trat herein.

Ware Thorkild noch nicht klar iiber die Not- wendigkeit feiner Abreise gewefen, so lvurde ihin jeder Zweifel daran jetzt dnrch den sturmischen Jubel, mit dem sich Ursula an Jorgens Hals warf, genommen, wahrend sie zwitschernd wie ein kleiner Vogel, ihm sein langes Ausbleiben vorwarf

er fuhlte, wie alles Blut ihm ans den Wangen trat und seine Lippen erstarrten.

„Jch habe gar nicht begreifen konnen, warum

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Du nicht kamst!", fuhr Ursula fort uud wollte Iiirgen kaum wieder loslassen. „Ich fing ordentlich an mich zu fnrchten! Wo bist Du denu gewesen?

Hast Du Jemand getroffen? — — Aber sieh, wen ich hier fur Dich habe?!" —

„Ei, ei! Thorkild!" sagte Jorgen und druckte dem Freunde kraftig die Hand. „Gnten Tag, Du Siebenschlafer! Ich habe Dich hente am Morgen in Deinem Atelier gesncht, fand aber die Thure llerschlossen. Hast Du vielleicht nach letzter pariser Mode den mystisch schwarmerischen Nachtwandler oder den tragischen Vollmondshelden gespielt? — Habt Jhr nbrigens das Allerneuste aus Paris

gehort?"

„Was denn?"

„Die Anarchisten haben wieder von sich horen lassen. Ich las es eben im Cafe im „Figaro".

Ein Restaurant in die Luft gesprengt, ein paar Menschen zerquetscht und einer Fran den Schadel gespalten; gro§e Entriistung — naturlich!"

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M

„Aber das ist doch auch entsetzlich — jetzt wieder", rief Ursula ganz blatz und faltete die Hånde uber der Brust.

„Nun, was kann man dazu sagen!" meinte Jiirgen, indem er sich ans einen Sessel fallen lietz, beide Hånde nnter dem Nacken legte und an die Decke hinaufschaute. „Gewih ist es eiue traurige Ge- schichte mit dem Dynamit und den armen Tenfeln, die dabei zu Grunde geheu. Aber — wer kann's wissen, vielleicht giebt es wirklich kein anderes Mittel, um sich in nnserer Zeit Gehor zu verschafsen!"

„Nein, psui doch — rede uicht so, Jorgen, Du meinst das doch garnicht," sagte Ursula.

„Nein, das thue ich vielleicht auch nicht. Jeden- falls bestrebe ich mich, die Fahne der Jdee hochzu- halten, wie man sagt. Man beschmutzt sich doch auch nnr nngern die Manschetten."

Jetzt erhob sich Thorkild um Abschied zu uehmen.

„Was? Du witlst schou gehen?" rief Jorgen

^-raug auf.

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— 61 —

„Jch nnch! Jch fahre heut Abend nach Neapel und hade noch ein paar Abschiedsbesuche zu machen."

„Was soll denn das aber heitzeu? Du reist ab, ehe lvir uus ubechaupt gesprochen haben! Und ich, der beide Lungen voll Versluchungen fur Dich hatte!"

.Ja, das ist wahr!" lachelte Thorkild etwas uujicher nnd verlegen, „Deine Frau hat mir erzahlt Du hattest eiu Huhnchen mit mir zu rupfen?"

„Ein Hnhnchen! Nein, meiu Junge, einen ganzen Kapann! So leicht sollst Du nicht davon- kommen?"

„Nun jedenfalls muh ich es mir fur ein anderes Mal aufsparen; denn mie gesagt — hente mutz ich mich beeilen?"

„Gut, dauu werde ich ihn inzwischen weiter masten Du wirst doch bald zuriickkommen? Dort giebt's gewih nicht viel zu sehen."

Ohne zu antworten, wandte Thorkild sich au Ursula und sagte ihr Adien.

Ursula schob ihreu Ann iu Jorgen's und Beide

(73)

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I-

-

begleiteten ihren Gast auf den Corridor und von dort auf die Treppe.

Als man hier zum letzten Male Abschied ge- nommen und Thorkild schon den ersten Absatz erreicht hatte, bog sich Jorgen iiber das Gelauder und ries ihm mutwillig nach:

„Gruhe mir den Vesuv, den alten Dynamitarden und sage ihm er solle bald etwas Ernstliches von sich horen lassen. Wir konnten jetzt ganz gut eine kleine Welterschutterung braucheu!"

„Aber, Jorgen, Du bist doch heute ganz verriickt!"

lachte Ursula und zupste ihn, mit nicht ganz ans- ri chtiger Munterkeit, am Ohre.

„Was soll den Drehling von Dir denken?"

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Zweites Kapitet.

Ron?, den 4. Januar.

Guteu Tag Schreiberhaus!

Es ist ja unter braven, danischen Genossen eine gnte Sitte seine Eindriicke von hier, von „den heiligen Hallen der Kunst" nach Hause zu schreiben. Da Du mich nnn ganz besonders dazu aufgefordert hast, und es geråde ein ganz niedertrachtiges Wetter ist, und ich heute wirklich zu eiuer friedlicheu Be- schaftignng aufgelegt bin, ergreife ich das mir etwas ungewohnte Werkzeug — das eine Feder genannt wird — um Deinem Wnnsche nachzukommen.

Ubrigens warst Du ja auch aufrichtig genug, Dir

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