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130019374263

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VON

DR. ANTON NYSTRÖM

VERFASSER VON

..ALLOEMEINE KULTURGESCHICHTE",

»VOR, WÄHREND UND NACH I9I4\

NELSASS-LOTHRINOEN", ETC.

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.WIR HABEN KEIN TRIBUNAL ZU SCHEUEN."

BETH MANN-HOLL WEO,

KRISTIANIA 1917 ::: P, OMTVEDTS FORLAQ

-

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VOR DEM TRIBUNALE

„WIR HABEN KEIN T R I B U N A L Z U S C H E U E N . «

BETHMANN-HOLL WEQ.

VON

DR. ANTON NYSTRÖM

VERFASSER V O N

„ALLGEMEINE KULTURGESCHICHTE«,

„VOR, W Ä H R E N D U N D N A C H 1914»,

„ELSASS-LOTHRINGEN", ETC.

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KRISTIANIA 1917

TRYKT I ARBEIDERNES AKTIETRYKKERI

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VORWORT.

Harm und Rechtsgefühl haben mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben. Als Mensch und Forscher habe ich es empörend gefunden, dass man allgemein in Deutschland kategorisch und systematisch verkündigt hat, dass es Frankreich, England und Russland sind, die den Krieg von 1914 verbrochen haben, und dass Deutschland keine Schuld daran trägt.

Ich habe das Buch als Weltbürger, ohne alle na­

tionalen Gesichtspunkte und Vorurteile geschrieben, und wenn ich persönlich den streitenden Mächten gegenüber nicht neutral sein kann, so ist es, weil ein umfassendes und gewissenhaftes Studium aller Ursachen des Welt­

krieges mich überzeugt hat, dass Deutschland vor allem, und auch Österreich, das heisst die Regierungen dieser Staaten, den Krieg verschuldet haben.

Stockholm, August 1917.

Anton Nyström.

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I. KAPITEL.

Wer hat den Weltkrieg verbrochen? Unschuldserklärungen von Wilhelm II. und Bethmann-Hollweg. Vor dem Tribunale.

Vorgeschichte des Krieges von 1914. Die Kriege der Balkan­

staaten 1912 und 1913. Die orientalische Politik. Wilhelm II., seine Tätigkeit in den Balkanstreitigkeiten und sein Streben, ein Balkanbündnis zu verhindern. Deutschland und die türkischen Greuelthaten gegen die Armenier. Österreichs Verantwortung für den serbischen Konflikt.

Die nächste Veranlassung dieses Buches sind mehrere Erklärungen von Kaiser Wilhelm II. und vom Reichs­

kanzler Bethmann Hollweg über die Ursachen des Welt­

krieges und die Verantwortung dafür.

Der Kaiser sagte in seinem Aufruf an das deutsche Volk den 6. August 1914:

«Mitten im Frieden überfällt uns der Feind.»

In seinem Manifeste vom 31. Juli 1915 an das deutsche Volk sagte der Kaiser:

«Ein Jahr ist verflossen, seit Ich gezwungen war, das deutsche Volk zu den Waffen zu rufen. Eine unerhört blutige Zeit kam über Europa und die Welt. Vor Gott und vor der Geschichte ist mein Gewissen rein. Ich habe den Krieg nicht gewollt.»

In dem Friedensangebot der Zentralmächte sagte Wilhelm II. und seine Verbündeten, dass «die verbündeten Mächte gezwungen wären, zu den Waffen zu greifen,»

und dass «der Kampf ihnen aufgezwungen» sei.

Er hat einem hochstehenden Neutralen, der ihn in einem offiziellen Auftrage gegen Ende 1915 besuchte, (nach der «Berliner Morgenpost») folgendes gesagt:

«Die englische Theorie, ich sei für diesen Krieg verantwortlich, scheint bei ihrem Volke Eingang gefunden

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beneide nicht diejenigen, die die Verantwortung für diesen Krieg auf ihrem Gewissen haben. Ich bin jedoch nicht der Mann. Ich denke, dass die Geschichte mich von diesem Verdacht befreien soll. In gewisser Hinsicht ist jeder zivilisierte Europäer teilhaftig der Verantwortung für den Krieg.»

Der Reichskanzler Bethmann-Hollweg hat in seinen Reden im Reichstage vom 4. August 1914 bis 9. No­

vember 1916 erklärt:

«Der Kampf ist uns aufgezwungen.-»

«Wir haben alles getan, um den Krieg zu vermeiden.»

«England und Russland tragen vor Gott und der Menschheit die Verantwortung für diese Katastrophe.»

«Wir befinden uns in Nothwehr.»

«Wir haben kein Tribunal zu scheuen.»

*

Die letzte Erklärung hat mir den Titel meines Buches eingeflösst. Ich stelle die Leiter der Politik Deutschlands vor das Tribunal der Geschichte und des Gewissens der zivilisierten Welt.

*

Seit dem Anfang des Weltkrieges ist die Frage:

Wer hat den Krieg verbrochen? in allen Ländern unauf­

hörlich aufgeworfen und diskutiert worden. Bei den Neu­

tralen wünscht man, aufgeklärt zu werden, der grossen und gemeinschaftlichen Interessen halber, die alle daran haben; bei den Streitenden sucht man, die Schuld auf die Gegner zu werfen. Die Zentralmächte behaupten, dass der Krieg Deutschland und Österreich-Ungarn auf­

gezwungen würde, die Entente, dass diese Staaten Europa den Krieg aufgenötigt hätten.

Jetzt, als die Frage über den Frieden auf der Tages­

ordnung steht, ist es klar, dass eben die Frage über den Ursprung des Krieges in die erste Linie gestellt werden muss, und dass ihre Erörterung von auschlaggebendem Einfluss auf die Frage über die Verantwortung werden wird.

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Es wäre ohne allen Nutzen, gegen alle Logik, gegen alle Gerechtigkeit, Vorschläge für den Frieden zu machen und zu diskutieren, wenn nicht die wahren Ursachen klar und unwiderleglich dargestellt werden könnten.

Die politische Geschichte des Krieges, die vor allem die Geschichte seiner Ursachen sein soll, hat schon alle Voraussetzungen, vollkommen wahrheitstreu geschrieben werden zu können — nur nicht in Deutschland. Hier kann sie erst in Zukunft geschrieben werden, wenn die Universitäten nicht mehr von den jetzigen Dynastien beherrscht sind, und wenn demokratische Verfassungen durchgeführt sind. Wenn Wilhelm II. Freisprechung der Verantwortung für den Weltkrieg von der Geschichte hofft, wenn die deutsche Gelehrtenwelt meint, dass das Urteil der Geschichte zu Deutschlands Gunsten lauten wird, so sage ich: ja wohl, die deutsche, von deutschen Professoren geschriebene Geschichte wird ganz sicher ein günstiges Urteil fällen, aber nicht »die Geschichte», d. h. die vollkommen unparteiische, von gewissenhaften Forschern ohne nationale Geschichtspunkte und Treib­

federn geschriebene Darstellung der Ereignisse.

Im der preussischen Deputiertenkammer sagte Fried­

berg in Januar 1917: «Die Verantwortung für den Krieg ist eine Frage, die die Geschichte schon gelöst hat.»

Ein Beispiel unter tausend, wie man in Deutsch­

land den Krieg beurteilt, und wie man keinen Zweifel über das Urteil der Geschichte hegt.

Ein anderes Beispiel. Die «Frankfurter Zeitung"

schrieb am 2. Januar 1917:

«Man erinnert sich, welche drohende Sprache russische und französische Zeitungen lange vor dem Kriege gegen Deutschland geführt haben, mit wie ungeheuren Mitteln Russland und Frankreich ihren Krieg gegen Deutsch­

land mit Wissen Englands vorbereiteten. Die Vorwürfe, Deutschland und Österreich-Ungarn hätten durch ihr unnachgiebiges Verhalten den lokalen Koyiflikt mit Serbien zu einem europäischen Weltbrand gemacht, sind gleich­

falls unzählige Male an der Hand authentischer Doku­

mente als Verleumdungen erwiesen worden.

Diese Vorgeschichte des Krieges ist ja auch gar

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in früherer Zeit sind es nicht. Diese liegt vielmehr in der Frage, ob Deutschland eine Stellung in der Welt einzunehmen beabsichtigt, die ihm nicht gebührt. In diesem grossen Prozess aber wird das Urteil der Ge­

schichte, dessen sind wir ganz sicher, zu Deutschlands Gunsten lauten.»

Man meint also, dass Deutschland den lokalen Kon­

flikt mit Serbien nicht zu einem allgemeinen Krieg machte, dass die Vorgeschichte des Krieges gar nicht die Hauptsache ist.

*

Das Resultat meines unparteiischen Studiums der diplomatischen Verhandlungen zwischen den streitenden Mächten in den von ihnen veröffentlichten Büchern und ihren sonstigen offiziellen Erklärungen habe ich früher in meiner Arbeit: <Vor, während und nach 1914»

niedergelegt. Neuere Publikationen und Erklärungen in den Parlamenten etc. von leitenden Staatsmännern haben mir keine Veranlassung gegeben, meinen Stand­

punkt und meine Ausführungen zu ändern.

Veranlassung, die Frage über die Ursachen des Krieges und die Veranwortung dafür noch einmal näher zu behandeln, habe ich, wie gesagt, in Erklärungen seitens Wilhelms II. und des deutschen Reichskanzlers gefunden, und Äusserungen von gewissen Schriftstellern in neutralen Staaten haben auch dazu beigetragen. Es ist vorgekommen, dass Personen, die sich neutral den streitenden Mächten gegenüber zeigen wollen, die Meinung ausgedrückt haben, «die Schuld für den Weltkrieg liege nicht bei einer der streitenden Gruppen, sondern bei dem falschen System, das bis 1914 herrschte, und das sich auto­

matisch im Kriege auslöste,» und «wenn auf jeder Seite der streitenden Grossmächte ein grosser Staats­

mann existiert hätte, so wäre der Weltkrieg nicht ausgebrochen.»

Die eine wie die andere von diesen Meinungen ist mir unbegreiflich. Diese meine neue Arbeit wird unzwei­

deutige Beweise liefern, hoffe ich, dass wahrhaftig die

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eine von den streitenden Machtgruppen für den Krieg ver­

antwortlich ist, und ich hege die feste Überzeugung, dass die unparteiische Geschichte schon heute Asquith, Grey und Goschen, Poincaré, Yiviani und J. Cambon als grosse Staatsmänner anerkennt, aber dass sie den Krieg nicht verhindern konnten, weil einige Staatsmänner Deutsch­

lands den Krieg wollten und ihn seit vielen Jahren gründlich vorbereitet hatten.

Denkende Menschen können übrigens nicht neutral bleiben, wenn sie ernsthaft die politischen Ereignisse beim Anfang des Krieges studiert haben und die Vorge­

schichte kennen.

*

Die nächsten Veranlassungen des Krieges von 1914 lagen in den Verwirrungen in den Balkanstaaten, «der unruhigen Ecke Europas», und in den mehr oder weniger heimlichen Plänen, die Österreich und Russland dort hegten. Der Berliner Vertrag von 1878 hatte die orien­

talische Frage nicht gelöst, sie nur vorläufig zur Ruhe gebracht. Die Türkei hatte zwar die meisten ihrer Balkanprovinzen im Kriege 1877—78 verloren, aber behielt noch einige, und Reibungen mit den neuen Balkanstaaten konnten hier nicht ausbleiben.

Veranlassung zu einem Krieg mit der Türkei war die schlechte Verwaltung und die Unordnungen in Maze­

donien, und für die Erhaltung des Friedens sei, er­

klärte man, die Einführung wirksamer Reformen, die der Bevölkerung unter der Aufsicht der Mächte gesicherte Lebensverhältnisse verbürgen sollte, unbedingt nötig.

Den 30. Sept. 1912 erliess die bulgarische Regierung die Ordre für eine allgemeine Mobilmachung und gab bekannt, dass eine Verständigung mit Serbien, Griechen­

land und Montenegro abgeschlossen war.

In seinem Kriegsmanifest erklärte König Ferdinand, dass die Anarchie in den türkischen Provinzen das nationale Leben Bulgariens bedrohte, dass es eine heilige Pflicht sei, seinen Brüdern zu helfen, weil sie mit der Vernichtung bedroht seien etc.

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Erklärungen ab.

Eine Reihe von Siegen der Verbündeten brachte die Türkei einem wahren Ruin nahe. Die Verbündeten drangen im November gegen Konstantinopel und ver­

teilten im voraus die Kriegsbeute.

Ein Kongress der Mächte trat im Dezember in Lon­

don zusammen, um die Friedensbedingungen zu eröitern.

Nachdem der Friede in London abgeschlossen war, Mai 1913, wurden die Verbündeten uneinig und fingen einen neuen gegenseitigen Krieg an. Griechenland eröffnete ihn gegen Bulgarien im Juli 1912, und bald darauf war die Türkei noch einmal auf dem kriegerischen Schauplatz und eroberte Adrianopel zurück. Die Bulgaren wurden von den Serben und Griechen bald in furcht­

baren Kämpfen besiegt. Rumänien trat plötzlich in den Krieg ein und besetzte Silistria, aber bald kam eine Verständigung mit Bulgarien zustande. ^

Endlich trat eine Friedenskonferenz in Bukarest zusammen, und der Friede wurde den 10. August 1913 zwischen den Balkanstaaten geschlossen; den 22. Sep­

tember wurde der Friedensvertrag zwischen Bulgarien und der Türkei unterzeichnet.

*

Hinter diesen Kämpfen auf dem Balkan waren nicht nur Russland und Österreich tätig, Wilhelm II. spielte auch eine grosse Rolle. Es lautet sonderbar, aber es ist sicher, dass der Vertrag zwischen den Balkanstaaten o-eo"en die Türkei auf seine Initiative zustande kam.

Aber es war nicht, um ihre Interessen zu fördern, sondern er verstand sehr wohl, dass ein Krieg mit dei Türkei zu gegenseitigen Streitigkeiten führen wuide, wobei ein dritter, wahrscheinlich er selbst oder Franz Joseph, Veranlassung zu einer Einmischung finden wurde.

Wilhelm unterstützte König Ferdinand, und dieser konnte auch darum auf besondere deutsche Sympathien rechnen, weil er sich mit einer deutschen Prinzessin vermählte. Der Kaiser liess ihn verstehen, dass er nur

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durch den Krieg mit der Türkei die ersehnte Kaiser­

würde in dem eroberten Konstantinopel erreichen könnte, und Österreich trieb ihn auch auf diesen Weg, um Russ­

land zu verhindern, den freien Zugang zu den Dar­

danellen zu erreichen. Sein Ehrgeiz trieb ihn, der He­

gemonie auf dem Balkan nachzustreben, aber dadurch wurden seine Allierten gereizt, und so kam der Krieg mit ihnen, wo er nicht die versprochene Hilfe von Osterreich erhielt, und der seinen stolzen Hoffnungen ein Ende machte.

Europa mahnte vergebens, den Frieden zu schliessen, bis Rumänien, auf Grund eines geheimen Einverständ­

nisses zwischen seinem König Carol, einem Hohenzoller, und Wilhelm II. eingriff und jetzt erklärte, dass wenn Ferdinand nicht aufhörte zu streiten, Rumänien ihm den Krieg erklären wollte.

Russland hatte immer die Balkanstaaten unterstützt;

Österreich und Deutschland fürchteten ein Bündnis dieser Staaten unter russischer Leitung und taten alles, um Russlands Einfluss zu neutralisieren.

In seinem rücksichtslosen Doppelspiel stand Wil­

helm II. an der Seite der Türkei, und er sandte der tür­

kischen Regierung Geld und Offiziere, die das türkische Heer viel besser anführten als die türkischen.

Serbien war auf die Hilfe Russlands angewiesen.

Sein hervorragender Ministerpräsident Pashitsch ver­

langte und erhielt Russlands Versicherung, auf Serbiens Seite zu stehen und das Land gegen Angriffe seitens Österreichs, die nicht lange auf sich warten Hessen, zu schützen. Pashitsch wusste sehr wohl, dass es ein alter Wunsch der österreichischen Regierung war, Serbien wie Bosnien und Herzegovina als eine österreichische Pro­

vinz zu annektieren.

Gestützt auf ihre Siege 1912 verlangten Serbien und Albanien Häfen am Adriatischen Meere, aber dagegen protesterte die österreichische Regering, die behauptete, dass es eine Intrigue Russlands sei, um einen Hafen an diesem Meere zu bekommen. Österreich mobilisierte, und ein Krieg mit Russland drohte. Aber dann traten England und Deutschland als Vermittler auf und verhinderten den Krieg. Deutschland var noch nicht hinreichend

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gerüstet, die letzten ausserordentlichen Rüstungen (von 1912—13) waren jetzt nicht fertig, um siegesgewiss als Österreichs Verbündeter gegen Russland und das damit allierte Frankreich auftreten zu können.

Die Verdienste Sir Edward Greys als Vermittler können wir am besten verstehen, wenn wir sehen, was Bethmann-Hollweg später im deutschen Reichstage sagte:

«Zwischen Österreich-Ungarn und Russland bestand seit mehreren Monaten ein Zustand von Spannung, und ein Krieg wurde nur durch die Mässigung der Mächte vermieden. Europa soll Dankbarkeit gegen den englischen Minister des Äusseren fühlen wegen der ausserordent­

lichen Geschicklichkeit und des Vermittlergeistes, die er bei der Leitung der Überlegungen der Ambassadeure in London an den Tag legte.»

*

Der serbische Ministerpräsident Milowanowitsch betonte in der Skupschina den 11. Dezember 1911, wie Serbien vor allem seine völlige Unabhängigkeit wahren müsse und dadurch ein verlässliches Element des euro­

päischen Gleichgewichts im Osten Europas sein werde.

Er erklärte auch, dass die Formel «Balkan den Balkan­

staaten» von der Mehrzahl der Grossmächte, auch von Russland, als Grundsatz aufgestellt sei und schliesslich siegen werde, da sie am besten die gegensetzlichen In­

teressen ausgleiche.»

Wenn nicht König Ferdinand, getrieben von seinem Ehrgeiz und getäuscht von Wilhelm II. und Franz Joseph, die Dummheit begangen hätte, sich nach den Siegen über die Türkei mit Serbien und Griechenland zu entzweien und sich ihnen gegenüber zu erheben, dann wäre die Formel «Balkan den Balkanstaaten» auf dem soliden Grund eines Bündnisses zwischen den Balkanstaaten verwirklicht gewesen ohne Russlands Leitung.

Diese Staaten hätten Russland den freien Zutritt zu den Dardanellen zusichern können und hätten dadurch den europäischen Frieden gefördert. ^

Das Balkanbündnis hätte dann ebensowenig Russ-

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land wie Osterreich bedroht. Dass es so nicht kam, beruht zum grössten Teil auf der verderblichen und schlauen Politik Wilhelms II.

Dr. A. R. Graves, früher geheimer Agent im geheimen Erkundigungsamt der deutschen Regierung, hat in seinem interessanten Buch: «Enthüllungen eines geheimen Agenten» erzählt, wie Wilhelm II. einen Plan ausge­

dacht hätte, mit Hilfe Englands ein Balkanbündnis unter Russlands Leitung zu verhindern, und wie Dele­

gierte für Deutschland, Österreich und England im Oktober 1911 deswegen heimlich in einem kaiserlichen Jagtpavillon im Taunuswald (in Nassau) zusammenkamen.

Die Delegierten waren: der deutsche Minister des Äus­

seren Kiderlen-Wächter, der Kriegsminister v. Heeringen, der Marineminister v. Tirpitz, der österreichische Kriegs­

minister v. Auffenberg, der englische Kriegsminister Lord Haidane, persona grata bei Wilhelm II., und das Parla­

mentmitglied Winston Churchill.1

Dr. Graves hatte den Befehl vom Minister des Äusseren bekommen, alle Anordnungen für den Empfang der Delegierten zu treffen; er war nicht bei der Kon­

ferenz anwesend, aber wurde ein paar Mal hereingerufen und konnte dann Verschiedenes hören. Er wusste, dass das Verhältnis zwischen England und Deutschland damals gespannt war, und war erstaunt, jetzt zwei ein­

flussreiche Mitglieder des englischen Parlaments bei dieser Zusammenkunft zu sehen. Es war ihm jedoch bekannt, dass sie auf Einladung des Ministers des Äusseren inkognito in Deutschland waren, um zu sehen, wie weit gewisse militärische Vorbereitungen, besonders' im aeronautischen Gebiete, im Lande getrieben waren.

Er verstand, dass der Kaiser einen Versuch machen wollte, die Entente zu sprengen, aber wie er sie zu fest fand. Er hörte, dass «das Balkanbündnis gesprengt werden müsstewie der österreichische Minister sagte;

und Kiderlen-Wächter erklärte dass man gestehen müsse', dass Österreich die grössten Interessen im Balkan hat'

1 Diese beiden Namen stehen nicht in dieser Arbeit von Dr. Graves^ wohl aber in einem neueren Buch von ihm: «Die roten Geheimnisse der Hohenzollern».

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eine heimliche Übereinkunft betreffs technischer Sachen aufgestellt hätte. Was das bedeutete, fand Graves in den Papieren der Delegierten, d i e e r auf Befehl im Ofen verbrannte: Aufzeichnungen über die Streitkrafte der Mächte. Auf die Vermutung Tirpitz's, dass man <*ul England rechnen könnte, antworteten die Englander nie s.

& Graves bekam den Eindruck, dass Verwicklungen auf dem Balkan bald zu erwarten waren.

*

Die neuere deutsehe Politik im Orient hat immer eine Allianz mit der Türkei gesucht als Bremse und Schutz gegen Russland, und Wilhelm II. hat sie personlich ener­

gisch gefördert. Er machte deswegen seine Pa l^ma"

reise mit einem Aufenthalt in Konstantinopel beim Sultan Abdul Hamid. Sein Ziel war übrigens von seinem Standpunkte wohlbedacht und es gelang ihm, Deutschland, statt Frankreich, wie bisher zum t f ' ^ nltsc^

Türkei zu machen und die grossten Vorteile fur

land zu erwerben. Deutsche Fabrikate wurden nachher nach der Türkei in reichlicher Menge exportiert un deutsches Kriegsmaterial in grossem Massstab eingekauft Das türkische Heerwesen wurde neu organisiert durch deutsche Generalstabsoffiziere, und das türkische und das deutsche Kaiserreich traten in nähere Beziehungen zu

emaDier'Orientreise des Kaisers konnte nicht

seine Politik in Frankreich und England verdachtig zu machen. Der damalige Staatssekretär im^ A"™^g e n

Amte, v. Bülow, fand sich dadureh veranlasst, im Reichs tage zu versichern, die Reise habe nicht die «ihr unter­

geschobenen Motive und Ziele» gehabt. ;Deutschland hat im Orient keine direkten politischen Interessen.» Der französische Minister des Auswärtigen, OeUmsé, machte Salisbury und Curzon in der englischen Regienmg darauf aufmerksam: «Seht Ihr nicht, was Eue

steht? Uns allen? Um die Liebe der Muselmanen Wh-bt der Imperator, weil er will, dass sie in der seinem

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Trachten günstigen Stunde die britische Herrschaft vom Erdball abschütteln. Die Bagdadbahn, für die er sich wie ein Aufsichtsratsmitglied oder ein anderer Akquisi- teui eingesetzt hat, soll ihm den trockenen Weg nach Indien sichern. Und dass der hastige Flottenbau nicht von der Notvendigkeit des Handelsschutzes geboten ist, brauche ich Euch nicht erst zu beweisen.»

Die Mächte, die bei Faschoda unversöhnbar schienen, nahten sich bald einander, und man kan sagen, dass die französische-englische und die englisch-russische Verstän­

digung eine Folge der Orient-Politik Wilhelms waren.

*

Mit Deutschlands Orient-Politik stehen die türkischen Greuelthaten gegen die Armenier teilweise in Zusam­

menhang. Die Armenier, die Christen und von indo­

arischer Herstammung sind, hatten seit langer Zeit einen hohen Kulturstandpunkt erreicht. Sie hatten im ganzen türkischen Reiche (1902) 803 Schulen mit 81,226 Schülern; die Litteratur war gepflegt, und die neueren schönen Wissenschaften waren von der französischen Litteratur sehr beeinflusst. Die Armenier sind immer eine Quelle des Reichtums der Türkei gewesen. Sie haben einen grossen Teil der Werte, die Geld bringen, geschaffen; sie haben als Kaufleute und Bankiere den Umsatz von Waaren und Anleihen vermittelt, und sie waren Ackerbauer, Fabrikanten, Baumeister, Staats­

männer etc. Als sie menschliche Rechte zu fordern begannen, und liberale Ideen bei ihnen Eingang gefun­

den hatten, wurden sie der türkischen Regierung ver­

dächtig und als gefährlich für das bestehende Elend in der Türkei angesehen. Ausserhalb der Türkei lebende Armenier bildeten Vereine für Reformen — ganz wie die Jungtürken — und diese hatten mehr oder weniger heimliche Filialen in der Türkei. Sie hatten jedoch keinen politischen oder aufrührerischen Zweck, nur soziale Ziele und standen in Verbindung mit den früheren Jungtürken. Obschon die Mehrzahl ganz loyale Mit­

bürger waren, wurden sie als rebellisch betrachtet und

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behandelt, und Abdul / ^ r f be aW abo d.e gransame ^ Massenmorde an Armeniern 1894 9£ we.c g Welt gegen ihn erzürnte Abdul Hamid^ ^ ^ deutschen Bestrebungen 'E gewährte ihnen sehen widerstehen zu ko""®n, r e\t e° t U c h e Arbeiten

Eisenbahnkonze^en und _ d e r

und empfand mit rreu aber ghessen ste

Verbindungen im Orie , Deutschen überlegen waren, auf die ima,"Tw1'!18M _ wurden deutsch-türkische und dann es war ^hpr Armenier, die sich

«schwarze Li®ten*••^chpdinsiingen der Deutschen finden nicht in die Geschäftsbedingungen oe ^ ^ wollten. In demselben welehe Abdul Hamid Niedermetzelung der Armei ^ Räubern bestehen- von den Kurden, einem gi e ermordeten

den Volk in Armenien, Tortur,

Armenier ™aa$ Vber, verkauften die Rinder und notzuchtig en D i e Grossmächte griffen ein plünderten die Hai • o.,fm e n z u versprechen, und nötigten den Sultan, M « « ^ l i e s s

Aber er tat Niedermetzelungen unter den neue, noch fu™htcrbchc f ü h r e n j w eil er wusste, Armeniern 1895 una. 1 0 d bes0„ders weil er wie uneinig die Machte ^"'w i u s s e r t w a r Wilhelm II.

der Stütze Deutschland ^ ^ d e m B ! u t b a d e unter zeigte es offen, a 18gg ;n Konstantinopel den Armeniern den Morder^ 189b i g 1 besuchte und tonnte der höchst Christ- Das war hohe P°lltlk* , Abdul Hamid war ja Hche Kaiser sich1 e r]a^a/ VOn Mordmanie besessener allgemein verachtet und als e e n t l i c h e n Meinung

von Gerechtigkeit und ist er auch ver-

g a n z E u r o p a ^ Ausnahme von De^scMan^

tCh erzvingen und sie unter Kontrolle zu stellen.

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Unterstützt von den Mächten konnten zuletzt die Jung­

türken 1908 eine Verfassung für die Türkei durchtreiben und Abdul Hamid entthronen.

Die Freude der Armenier über diese Revolution war von kurzer Dauer. Die neue türkische Regierung war ihnen ebenso feindlich als Abdul Hamid, und 1909 fanden neue Niedermetzelungen unter den Armeniern statt.

Grausame Massenermordungen und Massendeportationen hat seit der Zeit bis 1915 die türkische Regierung in solchem Massstabe ausgeführt, dass man berechnet, dass eine Million Armenier dadurch den Tod gefunden haben.

Absichtlich hat man die Armenier aussterben lassen wollen! Und das hat Deutschland gesehen, jedoch nichts getan, um es zu verhindern. Wilhelm II. hätte nur ein Wort dagegen zu sagen gebraucht, und die türkische Re­

gierung hätte die Greuelthaten nicht fortgesetzt. Aber nein, die Deutschen müssen vorwärts in der Welt, müssen neue Plätze auf der Erde finden und müssen Handel mit ihren Fabrikaten in neuen Ländern treiben, und dann ist es gut, wenn eine Million Armenier under der Erde ruhen und nicht Gottes auserwähltem Volke im Wese

stehen! 6

Ein deutscher Spion, C. A. Bratler, hat gesagt, die armenische Frage sei eine englische Erfindung, und die türkische Regierung hat gemeint, dass das revolutionäre armenische Volk im Einverständnis mit den Russen eine Aufstandsbewegung in der Türkei zuwege bringen wollte, wenn die Russen im November 1914 über die türki­

sche Grenze marschieren sollten. Es mag sein, dass einige armenische Grenzbewohner damals nach dem Russischen Armenien flüchteten, und dass Armenier ihre Sympa­

thien für Frankreich, England und Russland gezeigt haben, jenen Mächten, die während der grausaumen Verfolgungen der Armenier seitens der Türkei ihnen Teilnahme gezeigt hatten. Das war jedoch keine Ursache sie als Revolutionisten in der schauderhaftesten Weise zu behandeln. Nirgends hat man von Verschwörungen unter den Armeniern reden gehört, und sie haben 1912 und 1913, wie auch im jetzigen Kriege, die Kriegslasten als türkische Untertanen ohne Widerstand getragen.

Nystrøm: Vor dem Tribunale. o

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Deutscherseits liegen mehrere Erzählungen über die türkischen Massenmorde und Deportationen von Arme­

niern vor. Ein Rapport hierüber (vom 8. Oktober 1915;

vom Lehrerkollegium der Deutschen Schule in Aleppo.

Dir. Huber, Dr. Niepage, Dr. Or o ter und Frau^ SpiecJcer, wurde an das Ministerium des Ausseren in Berlin gesendet, und das Kollegium sprach die Hoffnung aus, dass die deutsche Regierung etwas tun wollte, um die Brutalität zu vermildern, und sagte offen, wie das An­

sehen der Deutschen im Orient gefährdet sei. Das Ministerium nahm keine Rücksicht auf den Rappor und verhinderte eine Meldung davon in den Zeitungen.

Dasselbe geschah mit der «Allg. Missions- Zeitschri (Novemberheft 1915) wo die Blutbäder und Ausweisungen

g e S CDr d e» tnt in einem Briefe (7. Juli 1916) bestä­

tigt, dass der Zweck der Greueltaten die Ausrot­

tung der Armenier in der Türkei war, wie die türkischen Beamten zynisch und die deutschen Konsule verlegen gestehen. Er erzählt, dass die Deutschen, m i t rühmlichen Ausnahmen, sich passiv verhalten und erklaren: «Wir bedürfen eben jetzt der Türken!»

Es geht also hervor, dass die Deutschen als Pa s s^ Mitwisser mitverantwortlich für den Untergang armenischen Bevölkerung in der Türkei sind-

*

In seinem Buche: * Wer hat den Krieg verschuldet?»

(1915), erklärt J. Andrassy, ehemaliger Minister des Innern: «Die wahre Ursache des Krieges liegt in der orientalischen Ambition Russlands, die so a • seine Grossmachtsstellung. Das Ziel der russischen

Ambition blieb sich bis ans Ende gleich: Die Herrschaft über den gesamten Balkan' Die bei uns sei £ bestehende gefährliche südslawische

die Suprematie der Russen auf dem Balkan

damit verbundene slawische Propoganda eine gesteigeite zentrifugale Kraft erhalten. Das russische Protektorat das in Serbien Wurzel gefasst hatte, gefährdete natui

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gemäss und in erster Reihe unsere territoriale Integrität.

Als Russland Serbien unter seine ausgesprochene Pro­

tektion nahm und seine Orientpolitik auf dem Bündnis mit Serbien basierte, ward es offenkundig, dass es zu einem Konflikt mit uns entschlossen war. Der Krieg wurde unvermeidlich, als Pashitsch seine gross-serbischen Umtriebe unter lauter Verkündigung der russischen Freundschaft, der russischen Protektion, begann.>

Über das entscheidende Moment in dem orienta­

lischen Konflikt: Die Beziehungen Österreichs zu Serbien, Bosnien und Herzegowina, sagt Andrassy folgendes:

«Ich leugne nicht, dass auch wir Fehler in unseren Beziehungen zu Serbien begangen haben, doch ist es zweifellos, dass der kleinere Staat Expansionsgelüste zu unserem Schaden hatte. Die Annexion von Bosnien und Herzogewina (1908) entstand aus der Überzeugung heraus, dass die stetig wachsende Propoganda solange nicht erstickt werden könnte, als unsere staatsrechtliche Lage auf internationalem Wege nicht definitiv geklärt sei. Die bosnische Regierung behauptete, dass die fort­

während anwachsende Agitation durch die irrigen Gerüchte gefördert würde, laut welchen Bosnien und Herzegowina nur provisorisch unserem Regiment über­

lassen seien. Diesen Gerüchten, diesen Agitationen wollte man durch den Beschluss der Annexion ein Ende machen.

Über die Zweckmässigkeit der Annexion gibt es und können Meinungsverschiedenheiten bestehen; auch die Formalitäten unseres Vorgehens sind diskutierbar.

Das direkte Ziel unseres Einmarsches und der Okkupation war, die Hoffnung serbischer Kreise auf eine Ausbreitung nach dem Westen ein für alle Mal zu vernichten.

In den Diskussionen über die Annexion hat der serbische Minister des Äusseren behauptet, unser Mandat sei abgelaufen, denn es hätte nur den Zweck gehabt, dass, solange die Balkanstaaten hierzu nicht stark genug seien, wir den westlichen Teil des früheren Türkischen Reiches gegen die russische Expansion schützen wollten. Heute aber seien die Balkanstaaten schon selber dazu fähig.» Andrassy erklärt nun, «dass

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diese Behauptung jeder realen Grundlage entbehrt, dass Europa (d. h. der Berliner Vertrag von 1878) das uns er­

teilte Mandat nie irgend einer Einschränkung unterworfen oder von vornherein festgestellt hätte, wann und unter welchen Vorbedingungen dasselbe aufhöre.» Dieser Ver- teidigungsversuch ist ohne Beweiskraft, denn es ist zu

bemerken: _

1 dass die Annexion ausgeführt wurde gegen den Vertrag mit der Türkei von 1879 betreffs der Suvera- nität des Sultans, und ohne die Meinung der Bevöl­

kerung zu hören; .

2. dass das Mandat des Berliner Vertrags me den Besitz der Provinzen galt und nur zum Ziel hatte, Aufstände zu unterdrücken.

Nichts desto weniger spricht Andrassy von «unserer»

territoriellen Integrität!

Die gegen das Völkerrecht und den Volkswillen streitende" Annexion rief eine leidenschaftliche Agitation unter den Serben in Bosnien und Herzegowina und in Serbien hervor. Disse Agitation hatte viele Attentate zur Folge und endete mit dem Morde des Thronfolgers Franz Ferdinand den 28. Juni 1914.

Man muss sich erinnern, dass Franz Joseph diese Annexion durchführte, gestützt von Wilhelm II., der in seiner gewöhnlichen dramatischen Weise er ar a , er sei bereit, in «glänzendem Harnisch» an Österreichs Seite auf zutreten. Die beiden Kaiser tragen s011

Schuld der letzten verhängnisvollen serbischen Agitation mit ihren Folgen.

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II. KAPITEL.

Der serbische Konflikt. Alle Vermittelungsversuche ab­

gelehnt von der österreichischen und der deutschen Regierung.

Die Tätigkeit Wilhelms II. rücksichtlich der Kriegsdrohungen.

Die wahre Natur der Erklärungen Bethmann- Hollweg s im Reichstage. Die Advokatur der Gelehrten. Das Verbrechen gegen Belgien. Die Anklagen gegen Belgien.

Nachdem der serbische Konflikt, verursacht durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers, in der langen Sitzung des österreichisch-ungarischen Minister­

rats am 7. Juli 1916 abgehandelt war, hatte der Minister des Äusseren Berchtold am 9. Juli eine lange Audienz bei Franz Joseph in Ischl. Einige Tage nachher trafen Berchtold und der deutsche Minister des Äusseren von Jagow zusammen in einem deutschen Badeort, und der Chef des österreichischen Generalstabs reiste nach Karlsbad, um den deutschen Generalstabschef Moltke zu treffen.

Während dieser Tage wurde ohne Zweifel der entscheidende Beschluss betreffs Serbien gefasst. Am 23. Juli wurde die österreichische Note an Serbien über­

liefert, und diese bedeutete Krieg, war auch als eine Kriegserklärung aufzufassen, weil sie einige Forderungen aufstellte, die Serbien nicht akzeptieren konnte. Das bestätigte auch Jagow, der dem englischen Botschafter Goschen erklärte, dass die serbisehe Regierung auf einige von den österreichischen Bedingungen nicht ein­

gehen könnte.

Alle Vermittelung svor schlüge seitens England, Frank­

reich und Russland, um den serbischen Konflikt in einer friedlichen Weise zu beseitigen, wurden von den Re-

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gierungen Österreichs und. Deutschlands abgelehnt, und.

alles weist darauf hin, dass diese Mächte in vollständigem Einverständnis handelten, und dass sie den Krieg wollten.

*

Nach seiner Rüokkehr nach Berlin, den 26. Juli, griff der Kaiser persönlich in die Ereignisse ein, und damit erhielt die Leitung der Verhandlungen mit den Mächten eine grosse Veränderung. Jetzt waren sie nicht mehr ausschliesslich in den Händen des Reichskanzlers und des Ministers des Äusseren, und jetzt konnten der oberste Kriegsbefehl und die Kriegspartei ihren Einfluss geltend machen. Die persönliche Meinung und die heim­

lich gehegte aggressive Politik des Kaisers machten ihn geneigt dazu. Er sammelte tatsächlich die ganze Leitung in seiner Hand, und damit ist.er auch für das Resultat:

die kriegerische Aktion Österreichs im Verein mit Deutsch­

land, Österreichs Kriegserklärung an Serbien und ihre Folge, den Weltkrieg, im höchsten Grad persönlich ver­

antwortlich.

Der Botschafter Deutschlands in Konstantinopel, Baron v. Wangenheim, folgte mit dem grössten Interesse der Entwickelung der österreichisch-serbischen Krise und soll der österreichischen Regierung Beweise von der Teilhaftigkeit gewisser Personen in Belgrad in dem Sarajevoattentate geliefert haben. Es wurde bemerkt, dass nach dieser Zeit beständige Kommunikationen zwischen ihm und dem deutschen Botschafter in Belgrad, Baron v. Griesinger, stattfanden, und dass dieser und der österreichische Botschafter in Belgrad, Baron Giesl, fleissig zusammentrafen. Wohl unterrichtete Personen bestehen darauf, dass der (damals) österreichische Minister des Äusseren, Graf Berchtold, der nicht besonders tatkraftig ist, sich für das Ultimatum an Serbien nach langem Zögern entschloss, nachdem er von v• Wangenheini und noch mehr von dem deutschen Botschafter in Wien, Baron von Tschirsky, bearbeitet worden war.

Tschirsky (gestorben 1916) war ein sehr schlauer Diplomat und ein persönlicher Freund von Kaiser

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Wilhelm II., der sich auf ihn vollkommen verlassen konnte. Es ist kein Zweifel, dass er hinter dem Ulti­

matum an Serbien stand, ja man kann sogar annehmen, dass es nicht nur auf seinen Antrieb zustande kam, sondern auch, dass Tschirsky an der Abfassung teil­

genommen hat. Als er den Kondolenz-Brief von Kaiser Wilhelm aus Anlass der Ermordung des Thron­

folger dem Kaiser Franz Joseph persönlich überlieferte, hatte er Gelegenheit hervorzuheben, wie notwendig es sei, die serbische Sache mit Festigkeit zu entscheiden, was auch die Meinung des alten Kaisers war. Die deutsche Regierung unterstützte ihn immer in seinem Plan, mit Schärfe gegen Serbien einzuschreiten. Bethmann- Hollweg hat im deutschen «Weissbuch» den 2. August 1916 erklärt:

«Die k. und k. Regierung benachrichtigte uns — und erbat unsere Ansicht. Aus vollem Herzen konnten wir unserem Bundesgenossen unser Einverständnis mit seiner Einschätzung der Sachlage geben und ihm ver­

sichern, dass eine Aktion, die er für notwendig hielt, um der gegen den Bestand der Monarchie gerichteten Be­

wegung in Serbien ein Ende zu machen, unsere Billigung finden würde. Wir waren uns hierbei wohl bewusst, dass ein etwaiges kriegerisches Vorgehen Österreich- Ungarns gegen Serbien, Russland auf den Plan bringen und hiermit uns unserer Bundespflicht entsprechend in einen Krieg verwickeln könnte. — Wir liessen daher Österreich völlig freie Hand in seiner Aktion gegen Serbien. Wir haben an den Vorbereitungen dazu nicht teilgenommen.»

Das war die erste heilige Lüge der deutschen Regierung in ihren Mitteilungen an das deutsche Volk betreffs der Ursachen des Krieges. Der Reichskanzler wollte verstehen lassen, dass nicht er, nicht die Regierung, nicht die Botschafter und auch nicht der Kaiser sich mit dem serbischen Konflikt befasst hätten, sondern dass Österreich allein die Leitung gehabt habe und allein für das Ultimatum stände. Wie aber war es möglich, Österreich völlig freie Hand zu geben in einer Aktion, die Krieg mit Russland mitführen konnte, Einverständnis

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zu versichern für Handlungen, die die deutsche Regierung nicht kennt und an deren Vorbereitungen sie nicht teil­

genommen hat? Das ist ja reiner Nonsens. Und wir wissen auch ganz genau, dass die Regierung, die Bot­

schafter und der Kaiser selbst in allen Sachen gemein­

schaftlich mit der österreichischen Regierung gehandelt haben. Welch eine Lüge, dass die deutsche Regierung ohne Kenntnis von Österreichs Ultimatum vor der Überreichung an die Regierung Serbiens war! Das hat jedoch Deutschlands Minister des Äusseren, v. Jagow, dem französichen Botschafter Cambon gesagt, und das­

selbe versicherte der deutsche Botschafter v. Schoen in Paris im Departement des Äusseren.

Der deutsche Botschafter in Wien v. Tschirsky war unvorsichtiger und hat seine Kenntnis vom Ultimatum frühzeitiger zugestanden. Der englische Botchafter Bunsen sagt in einem Telegramm am 30. Juli 1916 (Nr. 95 in Englands «Weissbuch»), dass «der deutsche Botschafter in Wien eine Ordre bekommen hätte, der österreich­

ungarischen Regjerung ernste Vorstellungen zu machen, nicht zu handeln in einer Weise, die berechnet wäre, einen europäischen Krieg hervorzurufen». Leider war der deutsche Botschafter selbst so solidarisch mit den in Wien herrschenden extremen antirussischen und antiserbischen Gefühlen, dass es unwahrscheinlich ist, dass er vollständig aufrichtig für den Frieden reden konnte.

Ich habe privat Auskunft bekommen, dass der deutsche Botschafter Kenntnis hatte vom Worlaute des österreichischen Ultimatums an Serbien, bevor es abgesendet wurde} und dass er es an den deutschen Kaiser telegra­

phierte. Ich weiss von dem deutschen Botschafter selbst, dass er jede Zeile darin unterschreibt.»

Als Graf Berchtold durch Vorstellungen von den Regierungen in London, Paris und Rom beeinflusst wurde, noch einmal im letzten Moment Underhandlungen mit Russland über das Ultimatum zuzulassen, und die Ver­

antwortlichkeit Österreichs für einen Krieg zu schwer fühlte, und Tschirsky das erfuhr, protestierte er heftig gegen solch eine «verbrecherische Schwäche» und unter-

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richtete Bethmann-Hollweg von der «Kleinmütigkeit»

der österreichischen Regierung.

Es ist offenbar, dass Tschirsky in Einverständnis mit Wilhelm II. handelte, und dass zwischen ihnen eine Korrespondenz, an der Seite des Reichskanzlers und des Ministers des Äuseren, stattfand. Was der

«Friedenskaiser» in dieser verhängnisvollen Zeit dachte, ist in einem Tagebuch von einer Person aus seiner Um­

gebung geschildert, und weiter unten werde ich das Hauptsächlichste wiedergeben.

Jagow war übrigens auch gegen Verhandlungen zwischen Russland und Österreich. Als der russische Minister der Äusseren, Sassonow, der österreichischen Regierung vorschlug, dass sie im Ultimatum die Punkte streichen möge, die die Souveränität Serbiens beleidigte, und er in diesem Falle erklärte, dass Russlands militärische Vorbereitungen aufhören sollten, schlug Jagow ab, diesen Vorschlag nach Wien zu senden, und erklärte, es wäre unter der Würde der österreichischen Regierung, ihn in Betracht zu nehmen.

Trotz allen Beweisen, dass die deutsche Regierung nie einen friedlichen Ausgleich des serbo-österreichischen Konflikts versuchen wollte, wenngleich sie ein paar Mal einen Schein davon abgab, erklärte der Reichs­

kanzler im «Weissbuch», dass «wir unsere Bemühungen forgesetzt haben, eine Verständigung zwischen Russland und Osterreich herbeizuführen», «wir haben unsere Vermittelungsversuche bis zum Aussersten fortgesetzt,»

«Schulter an Schulter mit England haben wir unausgesetzt an der Vermittelungsaktion fortgearbeitet und jeden Vorschlag in Wien unterstützt» u.s.w. Nicht weniger als 19 Mal ist im deutschen «Weissbuche» Rede von Deutsch­

lands Vermittelungsversuchen — und die Welt ausser Deutschland kennt keine!

Das Haupgewicht in der ganzen Frage räch dem Anfange des Krieges legt die deutsche Regierung im

«Weissbuch» auf die Mobilisierungen, und diese werden da nicht weniger als 38 Mal besprochen. Als ob solche Bewe­

gungen, die ja nur eine Folge von feindlichen Spannungen sind, Beweise abliefern können, wer einen Krieg ver­

schuldet hat.

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Mobilisierungen des Feindes und andern feindseligen Handlungen — die nicht stattgefunden hatten — erklärte der Reichskanzler im Reichstage:

«Russland eröffnete den Krieg gegen uns» und

«Frankreich eröffnete die Feindseligkeiten.

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Es ist dies ein unwürdiges Geschwätz, eine kühne Advokatur, wo der Reichskanzler durch Überfülle von Worten die Mängel in der Auseinandersetzung des Kriegs­

problems und die Schwäche der Argumentation zu decken versucht.

Als der deutsche Botschafter in Paris, v. Schoen, der französischen Regierung den 3. August erklärte, dass Kriegszustand mit Frankreich eingetreten sei, motivierte er es mit mehreren Beschuldigungen gegen die Republik, besonders dass militärische Aviateure über bel­

gisches und deutsches Terretorium geflogen und Bomben bei Wesel, Karlsruhe und Nürnberg geworfen hätten.

Das war alles eine offenbare Lüge, was auch der Minister­

präsident Viviani vollständig bewies. Deutscherseits hat man auch später wenigstens eine dieser Beschuldigungen widerlegt. Professor Schwalbe schrieb nämlich im

«Volkfreund» (Karlsruhe) den 21. Juli 1916, dass die Geschichte von den Bomben, die von einem feindlichen Flieger über Nürnberg den 2. August geworfen worden wären, ein reines Gedicht sei, und bedauerte, dass Deutsch­

land bei der Kriegserklärung sich auf solche Erdich­

tungen stützen könnte.

Wie die deutsche Regierung, machte General Bernhardt einen Versuch zu zeigen, dass Frankreich im Verein mit England beschlossen hätte, die Neutralität Belgiens zu verletzen. Dagegen lieferte die französische Regierung eine kategorische Erklärung, und hob hervor, dass sie den 30. Juli eine Ordre gegeben hätte, dass die französischen Truppen sich 10 Kilometer von der Grenze halten sollten; dass eine Instruktion vom 2. August den Truppen auferlegte, sie sollten die ganze Verant­

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wortung für Feindseligkeiten auf die Deutschen kommen lassen; dass ein neuer Befehl den 3. August in absoluter Weise den Truppen vorschrieb, allen Konflikt an der französischen Grenze zu vermeiden.

In seiner grossen Rede im Reichstage den 2. Dezem­

ber 1914 hat Bethmann-Hollweg u. a. folgendes gesagt:

«Am 4. August bekannte der Reichstag den unbeug­

samen Willen des gesamten Volkes, den ihm auf gezwun­

genen Kampf aufzunehmen und seine Unabhängigkeit bis zum äussersten zu verteidigen.

Die Verantwortung für diesen grössten aller Kriege liegt für uns klar.

Die äussere Verantwortung tragen diejenigen Männer in Russland, die die allgemeine Mobilisierung der russischen Armee betrieben und durchgesetzt haben.

Die innere Verantwortung liegt bei der gross­

britannischen Regierung.

Das Londoner Kabinett konnte den Krieg unmöglich machen, wenn es unzweideutig in Petersburg erklärte, England sei nicht gewillt, aus dem österreichisch-serbischen Konflikte einen kontinentalen Krieg der Grossmächte herauswachsen zu lassen.

Eine solche Sprache hätte auch Frankreich ge­

zwungen, Russland energisch von allen kriegerischen Massnahmen abzuhalten.

Dann aber gelänge unsere Vermittlungsaktion zwi­

schen Wien und Petersburg, und es gäbe keinen Krieg.

England hat das nicht getan.

So, meine Herren, tragen diese beiden Staaten, Eng­

land mit Russland zusammen — über Russland habe ich mich am 4. August ausgesprochen —, vor Gott und der Menschheit die Verantwortung für diese Katastrophe, die über Europa, die über die Menschheit herein­

gebrochen ist.

Die belgische Neutralität, die England zu schützen vorgab, ist eine Maske.

Am 2. August, abends um 7 Uhr, teilten wir in

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Brüssel mit, die uns bekannten Kriegspläne Frankreichs zwängen uns, um unserer Selbsterhaltung willen durch Belgien zu marschieren. Aber schon am Nachmittage dieses 2. August, also bevor in London das geringste von unserer Demarche in Brüssel bekannt war und bekannt sein konnte, hatte England Frankreich seine Unterstützung zugesagt und zwar bedingungslos zugesagt für den Fall eines Angriffs der deutschen Flotte auf die französische Küste. Von der belgischen Neutralität war dabei mit keinem Worte die Rede.

För die Schuld der belgischen Regierung lagen schon damals mannigfache Anzeichen vor. Positive schriftliche Beweise standen mir noch nicht zu Gebote, den englischen Staatsmännern aber waren diese Beweise ganz genau bekannt.

Wenn jetzt durch die in Brüssel aufgefundenen, von mir der Öffentlichkeit übergebenen Aktenstücke fest­

gestellt worden ist, wie und in welchem Grade Belgien seine Neutralität England gegenüber aufgegeben hatte, so ist nunmehr alle Welt über zwei Tatsachen im klaren:

Als unsere Truppen in der Nacht vom 3. zum 4. August das belgische Gebiet betraten, da befanden sie sich auf dem Boden eines Staates, der seine Neutralität selbst längst durchlöchert hatte.

Und die weitere Tatsache: nicht um der belgischen Neutralität willen, die England selbst mit untergraben hatte, hat uns England den Krieg erklärt, sondern weil es glaubte, zusammen mit zwei grossen Militärmächten des Festlandes unser Herr werden zu können.

Jetzt, wo der bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete englisch-belgische Kriegsplan enthüllt ist, ist die Politik der englischen Staatsmänner vor der Weltgeschichte für alle Zeit gekennzeichnet».

Diese Ausfürung des Reichskanzlers hypnotisierte vollkommen die meisten Abgeordneten, die unaufhörlich alles bestätigten durch die Ausrufe: «sehr wahr», «sehr richtig» u. s. w.

Und nichts desto weniger war alles unwahr und unrichtig.

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Es wäre dem Reichskanzler nützlich gewesen, wenn er sich Goethes Worte erinnert hätte:

«Die Weisheit ist nur in der Wahrheit.»

Aber Goethe passt nicht für die jetzige Regierung Deutschlands.

Gelehrte, Politiker und Publizisten waren sogleich bereit, alles zu unterstreichen und zu beweisen, was der Reichskanzler im Reichstage erklärte.

Der Finanzminister Helfferich machte in seiner Broschüre: «Die Entstehung des Weltkrieges im Lichte der Veröffentlichungen der Dreiverbandsmächte», einen halboffiziellen Versuch, die deutsche Regierung in ihrer Haltung beim Ausbruche des Krieges zu rechtfertigen.

Disse Publikation ist ein Hohn auf die geschichtliche Darstellung, denn der Minister lässt den Krieg erst am 31. Juli entstehen, obschon allbekannt ist, dass die Krise, die zum Krieg führte, am 23. Juli begann. Die russische Mobilisation am 31. Juli war ja die Folge vorheriger Ereignisse, der Schlussakt der diplomatischen Verhand­

lungen. Es ist für die officielle deutsche Geschichts­

schreibung charakteristisch, dass Helfferiscli, der die Telegramme, die zwischen Wilhelm II. und Nikolaus II.

in den letzten Julidagen gewechselt wurden, ausführlich nennt, nichts von dem Telegramm des Zaren vom 29. Juli erwähnt, wo er vorschlug, den serbischen Konflikt dem

Haager Schiedsgericht zu unterbreiten.

Dr. F. Naumann schrieb in seiner Zeitschrift «Die Hilfe», dass die Worte des Reichskanzlers über Belgien den 4. August als «politisch unnötig'1' und in ihrer Wir­

kung ungünstig hingestellt wären; aber wer ist sicher, dass er es am 4. August richtiger gemacht hätte? Die damalige Erklärung war sehr ehrlich, vielleicht aber gerade darum undiplomatisch! Um diese Bedenken nach Möglichkeit zu mindern, ist jetzt der Kanzler noch­

mals auf die belgische Frage eingegangen und hat nun mit festem Boden under den Füssen klar ausgesprochen, dass Belgien tatsächlich kein neutraler Staat gewesen sei und die Folgen seiner eigenen dobbelzüngigen Hal­

tung zu tragen habe. Damit ist dieser wichtige Punkt klargestellt» (!).

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Eine andere noch empörendere Verteidigung der Verletzung der belgischen Neutralität mag hier Platz finden als charakteristisches Beispiel der sophisti­

schen Advokatur, welche die akademischen Autoritäten nicht scheuen. Es ist ein Artikel in der Wochenschrift

«Das grössere Deutschland» (28. Nov. 1914) mit der Überschrift: «Die belgische Neutralität und wir», von W. von Blume, Professor der Rechte in Tübingen. Er schreibt daselbst:

«Warum mussten wir Belgien mit Gewalt besetzen?

Weil man uns den Durchmarsch verweigerte, den wir unter Angebot einer Entschädigung forderten. Warum waren wir berechtigt, ihn zu fordern? — Es gibt für die Völker ein Notrecht, das Verträge zu einem Blatt Papier macht und zerreist um des höheren Rechts willen.

Dies und nichts anderes hat der deutsche Reichskanzler gemeint, als er das bekannte, von unseren Gegnern mit heuchlerischer Empörung behandelte Wort sprach.»

Hier muss vor Augen gehalten werden, dass gemäss dem Vertrage von 1839, Art. VII, nicht nur Preussen, Russland, England und Frankreich sich verpflichteten, die Neutralität Belgiens zu respektieren und zu schützen, sondern Belgien verpflichtete sich auch, bei entstandenen Streitigkeiten keinem anderen Staat zu dienen, wozu gehört, die alte Neutralitätsregel aufrecht zu halten:

Durchmarsch der Armeen eines krieg führ enden Staates zu verweigern.

Bethmann-Hollweg gestand auch am 4. August, dass die Forderung des Durchmarsches ein Unrecht war.

Der Theologe Dr. Naumann fand das unnötig und ungünstig, und der rechtsgelehrte Blume fand es ohne Bedeutung und die Forderung ganz berechtigt wegen eines höheren Rechts! Wenn er glaubt, dass nur die Gegner Deutschlands empört wurden durch die Bezeich­

nung des Vertrages von 1839 als ein «Blatt Papier», so irrt er sich. Es war ganz gewiss kein denkender Mensch in allen neutralen Staaten, der nicht dieses Zu­

geständnis seitens des Reichskanzlers abscheulich fand.

Professor Blume fährt weiter fort in seiner Advo­

katur: «Keine Neutralität kann das Recht gewähren,

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immer und unter allen Umständen verschont zu bleiben von der Kampfnot des Nachbarn. Der neutrale Staat muss — unter Umständen den kämpfenden Truppen den Durchmarsch gestatten. — Das Notrecht ist das bessere Recht — wenn der Staat, der für sich den Durch­

marsch begehrt, unzweifelhaft in gerechter Abwehr eines Angriffes sich befindet. Und in dieser Lage war Deutsch­

land! Ein von seinem Gegner sorgfältig vorbereiteter Krieg war ihm aufgezwungen worden.

— — Heute müssen wir die Frage aufwerfen und können sie mit Sicherheit beantworten: Ist Belgien vor dem Kriege seinen Neutralitätspflichten uns gegenüber nachgekommen ? Die Antwort kan nicht anders als

«nein» lauten. Und damit ist das Urteil über Belgien ausgesprochen. Belgien hat seine Neutralitätspflichten bewusst verletzt, indem es mit Deutschlands Gegnern gemeinschaftlich den Ring gegen Deutschland vorbereitet hat Was man in Berlin wohl ahnte, ohne es mit Sicherheit beweisen zu können, das haben jetzt die Archive des belgischen Generalstabes offenbaren müssen.»

Obschon man wohl kennt, dass der belgische Gene­

ralstab mit englischen Militärattacheen Unterhaltungen führte über die Möglichkeit, Belgien zu verteidigen, für den Fall, dass Deutschland es angreifen sollte, schleudert Professor Blume nichts desto weniger seine Anklage gegen Belgien wegen Vorbereitung eines Krieges gegen Deutschland, gemeinschaftlich mit England! «Belgien hätte auch mit Deutschland sich ins Einvernehmen setzen sollen, um gesichert zu sein für den Fall, dass Frankreich und England die Angreifer wären.»

Solche Eventualität war ja absolut ausgeschlossen, aber wie begründet der Gedanke an die Möglichkeit eines Angriffes seitens Deutschlands war, das hat Bel­

gien 1914 gesehen. Es ist auch sehr wohl bekannt, dass seit einigen Jahren der deutsche Generalstab einen vollständigen Plan für einen Durchmarsch durch Belgien in einem künftigen Kriege mit Frankreich hatte. Trotz aller Friedensworte des Kaisers glaubte man ihm nicht, und die von der deutschen Kriegspartei und den Chau­

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vinisten verkündete Machtlehre war dem belgischen Generalstab eine Warnung.

«Wir haben stets», sagt Blume, «zu sehr auf unser gutes Gewissen und unser gutes Schwert allein vertraut und zu wenig beachtet, dass in der Völkergemeinschaft auch der gute Ruf eine Macht ist.» Und er und Tau­

sende in Deutschland beklagen seit dem Anfang des Krieges, dass sie vergeblich gegen die Verleumdung kämpfen.

Ist das Verleumdung, wenn die, die nicht Deutsche sind und sich nicht von hochoffiziellen Reden hypno­

tisieren lassen und die neue Machtlehre von Treitschke, Bernhardi u. a. verabscheuen, die Gewalttaten und die Lügen der deutschen Regierung mit ihrem rechten Namen nennen? Seit dem dänischen Kriege 1864 und dem französischen Kriege 1870—71 hat die preussische Regierung keinen guten Ruf in Europa, und die deutsche Regierung kann durch den Angriff auf das neutrale Belgien keinen Anspruch auf guten Ruf machen.

Dass Belgien bedroht war, früher oder später in Deutschland einverleibt zu werden, davon berichtete der belgische Botschafter Beyers in Berlin in einem Rapport an den belgischen Minister des Äusseren vom 2. April 1914. Er erzählte hier, dass der französische Botschafter in Berlin, Cambon, ihm mitgeteilt habe, wie der deutsche Minister des Äusseren, Jagow, in einer privaten Unterredung die Meinung geäussert habe, die kleineren Staaten seien bestimmt zu verschwinden oder in die Bahn der grossen Mächte zu gravitieren.» Als Jagow ein Einverständnis mit Frankreich und auch England suchte betreffs kolonialer Fragen in Kongo, wollte Cambon, dass Belgien auch an der Konferenz teilnehme. «Oh nein», antwortete Jagow, denn unsere Einigung würde auf die Kosten Belgiens ab­

geschlossen.»

*

Die Lüge über Belgien hat in Deutschland einen allgemeinen Anklang gefunden. Das ganze deutsche Volk, vom Letzten bis zum Ersten, hat geglaubt, was

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der Reichskanzler über Belgien gesagt hat, und es hat sich blindlings irreführen lassen durch die sogenann- ten Beweisstücke für ein Bündnis zwischen Belgien, Frankreich und England, veröffentlicht durch die

«Norddeutsche Allgem. Zeitung» vom 12. Oktober 1914.

Die veröffentlichten Aktenstücke enthielten aber absolut keine Beweise für eine solche Allianz. Man sagte es nur, der Reichskanzler bezeugte es öffentlich, und beinahe alle in Deutschland glaubten ihm unbedingt.

Deutschland war in «Notlage», erklärte der Reichs­

kanzler, und «Not bricht Recht»; das Lebensinteresse Deutschlands war bedroht. Die allgemeine Meinung war, wie in allen Zeitungen und von Millionen Deutschen erklärt wurde, dass «die Reichsregierung gegen das höchste nationale Gebot gehandelt hätte, wenn sie in ihrer Lage eines von allen Seiten Überfallenen das Bestehen eines sowieso feindlich gesinnten Staates höher gestellt hätte, als das eigene Leben, — wenn sie den von langer Hand vorbereiteten Herzstoss in das deutsche Industrie­

gebiet nicht so pariert hätte, wie sie es getan hat.»

Die «Norddeutsche» hat sich mehrmals mit dem­

selben Thema beschäftigt; im Januar 1917 schrieb sie in der Absicht einer Widerlegung der Englischen Re­

gierung: «Eine objektive englische Staatskunst hätte sich klar sein müssen, dass in einem Deutschland von einer übermächtigen europäischen Koalition aufge­

zwungenen Existenzkampfe sich für dieses die Not­

wendigkeit der Forderung des Wegrechtes durch Belgien ergeben müsste.»

In derselben Tonart schreibt die Monatschrift:

«Kriegschronik», März 1917: «Für Deutschland, dem der Krieg aufgezwungen wurde, lag eine Zwangslage vor — und es suchte ein Durchzugsrecht. Die belgische Regierung hat es ihm verweigert, in konsequenter Durch­

führung einer Politik, zu der sie sich vor dem Kriege von der Entente für dessen gegen Deutschland gerich­

teten Ziele hatte gewinnen lassen. Den Plan der Entente Cordiale, Belgien zu einer Operationsbasis in einem Offensivkriege gegen Deutschland zu machen, hat die belgische Regierung nicht nur geduldet, sondern auch

Nyström: Vor dem Tribunale. 3

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gutgeheissen und unterstützt.» Als Beweis nennt die

«Kriegschronik» die Akten des belgischen Generalstabs, die eine geplante «offensive Aktion gegen Deutschland»

von England ausweisen sollen. Belgien hatte also «gar keinen Anspruch auf Behandlung als neutrales Land».

Die «Kriegschronik» zeigt sich auch ganz entrüstet über den «Verleumdung sfeldzug der Entente gegen Deutschland».

Es ist unangenehm, aber notwendig zu sagen, dass Lügen und Verfälschungen allen deutschen Vertei­

digungen des Verbrechens gegen Belgien zu Grunde liegen, was von vielen Forschern nicht nur in Belgien, Frankreich und England, sondern auch in neutralen Ländern, wie Schweden und Dänemark, vollständig klar­

gelegt ist!1

Bethmann-Hollweg machte der «Associated and United Press in New-York-» folgende Erklärung: «Eifer­

süchtig auf die Entwicklung Deutschlands — hat Eng­

land Deutschland brutal zu Boden werfen wollen. Es hielt jetzt den Augenblick für gekommen und griff gern die Gelegenheit auf, die ihm der Einmarsch der deut­

schen Truppen in Belgien bot, um in den Krieg einzu­

greifen. Deutschland selbst war zum Einmarsch in Belgien gezwungen, weil es dem von Frankreich geplan­

ten Einzug in Belgien zuvorkommen musste, und Belgien nur auf den Einmarsch der Franzosen wartete, um sich ihnen anzuschliessen.»

Immer nur Anklage und Behauptungen, nie Beweise.

In seiner Anklage gegen England wies Bethmann-Hollweg auf das englische Blaubuch als Beweis hin; er sagte:

«Von der belgischen Neutralität verlautet kein Wort;

diese Tatsache wird bestätigt durch das englische Blau­

buch selbst.» Er sprach von Greys Depesche vom 2. August 1914 an den englischen Botschafter in Paris, Sir F. Bertie; aber entweder hat er sie nicht gelesen, oder hat er gelogen. In dieser Depesche Nr. 148 des engl. Blaubuches — steht nämlich: «If the German

1 Siehe: E. Waxweiler: «La Belgique neutre et loyale»

(1915); J.Jørgensen: «Klokke Roland^ Kopenhagen (1915), und A. Nystrøm: «Vor, während und nach 1914» (1915).

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