• Ingen resultater fundet

Wertes Kapitel

In document Digitaliseret af | Digitised by (Sider 187-200)

Einige Jahre waren verstrichen.

In Danemark neigte sich der lange Verfassungs-kampf seinem Ende zn. Noch waren die streitenden Parteien freilich nnter Wasfen aber — — ermudet durch den Kamps wunschte man anf beiden Seiten den Frieden. Besonders zeigte die Volkspartei, die wahrend des jahrelangen Streites nnterlegen war, eine immer starkere Neigung znr Versohnung, dadurch^ datz sie freiwillig den „status ^uo" an-erkannte, und ihre ganzliche Unterwerfnng wnrde von Allen nnr als Zeit- und Formfrage angesehen.

In diese Zeit fiel nun geråde die goldene Hochzeit

— 17?

des alten Konigspaares, und die Vevolkerung ergriss diese Gelegenheit alle Feindseligkeiten zu vergessen und den Majestaten eintrachtig Huldiguug und Dank zu briugen.

Depntationeli und Abgesandte aus allen Teilen des Landes und aus alleu Schichten des Volkes sammelten sich wie eiue Ehrenwache am Fnhe des Thrones. Das private Familienfest wurde ganz von selbst, ohne auhere Einwirknng, zu einer Be-gebenheit historischer Bedeutung, und wurde ge-wissermahen zur Einleitnng des grohen Versoh-nuugsfestes, nach dem alle Herzen sich sehnten.

Aus allen Landern Europas eilten Tausende von Znschauern zu den Festlichkeiten herbei, die mehrere Tage danerten. Eine ganze Woche hindurch erfreute sich die danische Hanptstadt des Ranges einer Weltstadt. In der That hatte sie nie eine an-sehnlichere Pracht als in diesen Maitagen entfaltet.

Sie war eine Marchenstadt aus Blumen und Flaggen geworden. Der Herrgott selbst sandte

Pontoppidan, Nachtwache.

t?8

seine Sonne zmn Feste und lieh in der Ferne den Donner salntieren. Fahnenzuge und Volksfeste wechselten mit Illuminationen und Feuerwerken, und uberall, wo das hohe Paar sich zeigte, sreuud-lich gruHend, nach allen Seiten nickend, und von einein glanzenden Gefolge furstlicher Verwandten begleitet, erzitterte die Luft von Jubelrusen. Der Kouig und die Konigin von Griechenland waren da, englische Prinzen, und rnssische Prinzessinnen, aber vor allen der Schwiegersohn des Konigspaares — der Liebling aller Kopenhagener — der weitze Zar, Selbstherrscher aller Reuhen. Und in vielen be-drangten Gemutern keimte wahrend dieser Festtage neue Hoffnung ans Versohnnng, Vaterlaudsliebe und eiu begeisterter Glanben an die Znknnft.

Selbst die Gleichgultigen und Widerstrebenden wnrdeu nnwillkurlich vom Festtauuiel mit fort-gerissen.

Aber doch nicht alle! In einem dunstigen Kellerlokal in einer dunklen, abseits gelegenen

Strasze. weit von den Festlichkeiten, Guirlanden und Illuminationen, satz spat am Abend eine einsame Gesellschaft um einen Tisch voll geleerter Bierslaschen. Es maren Jorgen Hallager und der junge humoristische Zeichuer Theobald Harnung, Sohn eines abgesetzten Pastors der Linken, ferner der versoffene Journalist Hans Brage, dann ein unheimlich anssehender, spindeldnrrer Buchbinder-geselle Namens Reinald uud uoch ein paar andere Leute ans dem Handwerkerstande. Dazu kamen drei oder vier Frauen von mehr denn zweifel-haster Art.

Das maren die traurigen Reste des „Klumpens", oder die „Nachtmache" mie sie sich jetzt nannten.

In dieser schmutzigen, nnr menig besuchten Schanke, trafen sich gemohnlich die Genossen, und jetzt regelmatzig jeden Abend, um die Begebeuheiten der Festtage zn diskutieren. Der versofsene Jour­

nalist, eine kleine Pfeife unter der roten Nase, las ans einem Negierungsblatte Festartikel vor — es

180

war aber heute nicht der rechte Klang in dem Hohnlachen, mit dem man dann und wann die Vorlesung nnterbrach, und selbst die besten Witze fielen unbeachtet unter den Tisch. Die Begeisternng in der Stadt war fast unbeschreiblich gewesen.

Sogar bekannte radikale Wortfnhrer hatten am Festzuge und an der Illumination teilgenommen.

Jorgen sah stumm und stumps in seinem Stuhl und leerte hcinsig sein Glas. Das rote Haar und der Bart wuchseu wild wie in srnheren Jahren, er sah uberhanpt recht verkommen ans. Die Zeiten waren ihm auch in jeder Hinsicht uuguustig ge­

wesen. Neulich war sogar ein groHes Bild von ihm: „Streikende Arbeiter" vom Ansstellnngskomitee refiisirt worden, ohne weitere. Erregung der offent-lichen Meinnng hervorznrnsen. Man hielt seine Richtuug ftir veraltet, und das grosze Publikum, bei dem er inimer Argernis erweckt hatte, war nach und nach gleichgiiltig geworden sur seine nbrigens auch recht einfonnigen Bilder. Dagegen hatten

— 181 —

wahrend der lchten Jahre mehrere seiner Freund?

und Schuler sich einen Namen gemacht — vor allen Thorkild Drehling. Sein „Meermann" war mit nngeteilter Freude vom Publikum anfgenommen worden, und dieses Jahr hatte ein anderes Ge-malde noch grotzeres Anfsehen erregt. Es stellte

den protestantischen Kirchhof an der Cestius Pyramide in Rom dar, wo Ursula ruhte. Mit ergreifender Wirkuug war durch die hohen dunklen Cypressen nnd die endlosen geraden Reihen der weitzen Grabsteine die erhabene Rnhe des Todes nnd des Grades wiedergegeben, es war, als fuhlte mau die heitze Sehnsncht einer einsamen, heimat-losen Seele nach der ewigen Rnhe.

Das dicke Franenzimmer mit dem roten Gesicht, beide Hånde in die Seiten gestemmt, neben Jorgen, war das fruhere Nahmadchen aus der Saxosstrahe, mit dem er sich vor Kurzem verheiratet hatte. Sie gahnte in einem fort, und zwar derartig, da§ man die gauze Reihe ihrer schwarzeu Zahustummel sehen

konnte. Und als zuletzt die Vorlesung des Jour­

nalisten immer schlasriger wurde, und einige der Gesellschaft wirklich einzuschlafen schienen, rausperte sie sich und machte Jorgen ein Zeichen mit dein Daumen. Er nickte beistimmend, leerte sein Glas und stand ans. Die Ubrigen folgten seinem Bei-spiel. Es war anch schon spat gewordeu, und der Wirt mu§te sie aus Furcht vor der Polizei aus einerHinterthurheranslassen. Drautzen aufderStra§e verabschiedete man sich mit der alten Parole des

„Klumpens": „Halte das Pulver trocken, Kamerad!"

Jorgen und seine Frau wohuten in der west-lichen Vorstadt, Arm in Arm gingen sie durch einige schmale Gassen, und erreichteu bald die ge-schmuckten Hauptstratzen. Uberall herrschte Stille und Leere. Die Leute waren sruh zur Ruhe ge-gangen, nm sich sur die Strapazeu des kommeuden Tages Kraste zn sammeln. Nur mitten ans dem Rathausmarkt stand ein Liebespaar und betrachtete mit Interesse eine eigentumlich geformte Wolke, die

gleich einem schweren, dnnkeln Tiere auf dem lichten Sommernachtshimmel dahinzog.

Der junge Mann hatte die Hand erhoben und schien sehr eindringlich etwas zu erklaren, wahrend das duukelhaarige Weib ihre Wange an seine Schulter lehnte, anf eine Weise und mit einem Blick, der Jorgen znsammenfahren machte. So hatte Ursula gewohnlich aiuh gestanden, wenn sie etnms hnbsches betrachtete, Ursula, die jetzt den ewigen Schlaf weit dort uuten zwischen dnnkeln.

hohen, ernsthaften Cypressen und langen, graden Reihen von Marmorsteinen schlies — — — Ge-schwatz! — — Ursula — die vor zwei Jahren ans dem Kirchhof iu Rom beerdigt wurde, uud die jetzt in einem Sarg zu zweihundertfunfuudsiebzig Francs vermoderte.

Seine Fran erweckte ihn ans seinen Be-trachtuugeu, indem sie meinte:

„Du magst sagen, was Du willst, Jorgen, hubsch ist es doch!"

— 184 —

„Was ist hubsch?"

„Nun, das alles hier mit den Flaggen, Blumen und grunen Zmeigen. Es ist so poetisch — ganz wie ans dem Theater?"

„Nein, weitzt Du was, Nalle, ich glaube jetzt, weih Gott, Du fangst anch an, mir mit Lyrik des Daseins zu kommen!"

„Lyrik? was ist denn das?"

„Lyrik — nun das weiht Du nicht, mein Madel! Wie soll ich es Dir erklaren? Es ist das Raucherpulver des Schonheitskultus — ver-stehst Du? So eiue Art uebliger Gehirndnnst, durch Schwache oder mangelhafte Verdannng her-vorgerufen. — Ein Lyriker ist ein Mann mit schlechter Verdauung!"

„Das ist gewih was nettes, was Du mir da aufbindest!"

„Meinst Dn? — — Du solltest lieber hinhoren und Dir's hinter die Ohren schreiben, denn darin liegt unser ganzes Unglnck. Es nutzt nichts es zu

— 185 —

leugnen — die Idealisten mogen insofern Recht haben, und wir Socialisten, Nihilisten und Anarchisten sind Dummkopfe.

,,Jeden Tag wird es mir klarer, es ist nicht die Freiheit, die nns retten kann — es ist nicht in der Gesellschaft. wo man den Fehler snchen muh,

— es ist in uns selber, der Mensch ist es, der von der Lyrik angegriffen ist. — und das ist ganz dasselbe, als weun in einem Hanse der Schwamm ausbricht. In einem solchen Hanse, weitzt Du, werden die Kinder nie grotz, keine Zuknnst kann dort gedeihen. Und es niitzt nichts, daran zu doktorendie ganze Bude muh herunter — kein Stein dars zuri'ickbleiben — es giebt keine andere Rettung! Dafnr haben wir schon in der Geschichte Beispiele! — — Merke Dir das, Nalle! — Nicht nene Gesetze branchen wir, nicht neue Gerechtigkeit oder neue Weltteile mit neuen Hiilfsquellen, — von denen man wahrend der letzten Zeit so viel saselt. Nein, was uns Not thut, das ist im

- 186

Menschen selbst ein neues Amerika zu entdecken, einen nnkultivirten Flecken, ohne Vorzeit, ohne Er-innerungen, ohne Renaissance, oder ahnlichem Nachlasz von fruheren Zeiten, aus der der Schwanim wieder neue Nahrung ziehen kann. — verstehst Du?"

Er entwickelte noch weitlaufig seine Gedanken, fur die seine Fran ihr Interesse durch fortwahrendes Gahnen kundgab

Endlich waren sie zu Hause angelangt. Sie wohnten in einem Arbeiterviertel der Vorstadt, ganz oben uuter dem Dach in zwei Zimmern, wovon das eine als Wohnzumner und Atelier diente. Hier empfing sie ein kleines, giftig, grunbla§ ausseheudes Frauenzimmer, mit einer schmntzigen Binde uber dem einen Ange, — es war die Nachbarin, die ver-sprochen hatte, ihr drei Monate altes Sohnlein wahrend der Abwesenheit zu huten.

„Hier siud wir wieder, Frau Hansen!" sagte Jorgen aufgeraumt und trat an die Wiege. „Wie geht es denn dem kleinen Rekruten?"

— 157 —

„Wie's ihm geht?" sagte sie bissig, „wie soll's wohl einem solchen Wurmlein geheu? weun seine Mutter arger als eine Strahendirne sich bei Nacht herumtreibt? Er ist ebeu erst eingeschlafen und hat die ganze Zeit gebrnllt, als ob er am Spietze stecke, der Bengel!"

„Bravo, Frau Hansen! Es thut ordentlich wohl, einen Menschen mit einem bischen Galle wieder zu horen!" erwiderte Jorgen. „Ubrigens branchen Sie sich nicht zu viel um das Geschrei des Jungen zu kiimmern. Niels Peter ist eiu durchtriebener Spitzbube

— er will nnr seine Verdauuug starken. Er wird nicht Lyriker werden, verstehen Sie?"

„Man konnte wohl ineinen, Sie hatten Pastor stndiert — so viele Worte haben Sie immer!"

hohnte Frau Hausen und ging in die Mche, wo Nalle mit der Kaffeekauue beschastigt war.

Jorgen satz an der Wiege und sah das kleinc, blasse Kind an.

Eine Lampe ohne Kappel brannte anf dem

188

Tisch und warf em scharfes Licht iiber die ge-ti'mchten Wande, welche voll Studien nnd fertiger Bilder hingen. Man snchte hier vergebens nuch nur das geringste Entgegenkommen, das dem Ge-schmack der Zeit gemacht ware. Das unter den jungeren Kunstlern immer weiter gehende Streben nach Jdealisiernng verdoppelte bei Jorgen nnr das Verlangen, sich getreu an die Natur zu halten, seine Leidenschaft fur die ungeschminkte Wahrheit. —

„Der letzte Mohikaner" wurde er vou seinen Kameraden genannt. —

Jorgen war sich der Hoffnuugslosigkeit seiner Lage wohl bewusst. In wehmiitiger Resignation sagte er sich immer selber, er habe nichts anderes zu thnn, als gednldig nnd standhaft anf dem Wacht-posten auszuharreu, wo das Schicksat ihu hingestellt hatte in dieser schwulen, fiusteren, dunsterfullten Nacht, die sich jetzt uber die Meuschheit seukte.

Deshalb freute er sich doppelt, als ihm Nalle den kleinen Niels Peter schenkte; er sollte ihn einmal

— 189 —

ablosen, wenn er selbst alt, oder ganz verkommen war — so wie er seinen Vater abgelost hatte auf dem Posten beim heiligeu Feuer der Wahrheit, und so wie Niels Peter anch einmal Ablosnng in einem kleinen nenen Rekrnten finden wurde — — und so weiter, — bis endlich der Morgen wieder dammerte. — —

Fran Hansen trat wieder in's Zimmer, band ein altes Tuch nm ihre kleine, welke Figur und bot Gute Nacht.

„Gute Nacht, Frau Hansen!" sagte Jorgen und hob den schweren Kopf. „Auch vieleu Dauk, datz Sie den Rekrnten so schon gehutet habeu!"

„Ach was, Sie mit Jhrem Rekruten! Sie sollten sich doch schamen, das Kind so zu nennen, Herr Hallager!"

„Und das verstehen Sie wirklich nicht, Frau Hansen? Sie, die Sie sonst so klng sind! ganz eine der Meinigen! — Ware ich nicht an Nalle hangen geblieben, hatte ich die grohte Lnst, Sie zu heirateu.

In document Digitaliseret af | Digitised by (Sider 187-200)