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Arittes Kapitet

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Es war in der That eine einfache Osteria in den Badern des Diokletian, in der die skandinavische Kolonie diesen Winter ihren Versammlungsort hatte.

Die gigantischen Ruinen, die mammutartig ihre gras-bewachsenen Mauern uber die Backsteinbauten der modernen Stadt in die Hohe streckt, ist im Laufe der Zeit zn einer kolossalen Arche Noah geworden.

Eintrachtig neben einander hat sich hier der Menschen Treiben — sauberes und unsauberes — in den vielen, ringsum im ganzen Gebande gleich Zellen im Bienenkorb liegenden Badekammern ein-gerichtet. Handwerker und Kleinhandler, Barbiere

und Wirtsstuben, Hospitaler und Nwseen, — ja selbst eine jKirche — haben zwischen den alten Heidenmauern ihren Platz gefunden, und in den tiefen Spalten und Ritzen des Daches haben unzahlige Vogel, Fledermause, Ratten und Eidechsen uud ahnliches Getier ihren Schlnpfwinkel.

Signor Franzesko's »eueina« war ein statt-licher hochgewolbter Raum, etwas an das Jnnere einer Dorfkirche erinnernd. Man befand sich hier wie in einer Arche Noah im Kleinen. Zwischen und unter den Banken, wo sonnengebraunte Eisen-bahnarbeiter und Campagnolen ihre gerosteten Wurstchen esseu, spazieren ganz nngenirt Hnhner und Kliken herum, Krumeu auf dem Futzboden auf-pickend. Grotze tiegergerstreifte Katzen sitzen mit ihrem krummen Sammetrucken mitten auf den Tischen, und in der schwnlen, von Bratendnnst gefullten Luft schwirren Schwalben nmher und bnnte Tauben.

Signor Franzesko selbst steht in Hemdsarmeln mit einem blanen, papierenen Hut am offenen Feuerherd,

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wahrend seine Frau, eine ehrwurdige Matrone mit blauschwarzen Haaren und ein paar silberner Ohr-ringen, — so grotz wie Eselshufe — die Gaste be-dient, gewohnlich einen Saugling auf dem Arme tragend.

Aber das Allermerkwurdigste von allem dadrinnen war ein nngehenrer Bretterkasten, der in der Form eines Fliegenschrankes an der hohen Decke hing, und dnrch eine steile Huhnerstiege mit dem Zimmer in Verbindnng gebracht war. Hier oben befand sich das Schlafzimmer der Familie. Abends, wenn alle Lampen brannten und das Lokal voll Gaste war, zeigte sich mitunter ganz oben auf dieser Stiege ein schwarzgelockter kleiner Bengel im Hemd, der nen-gierig durch die dichten Tabakwolken gnkte — eine Erscheinung die jedesmal von den Skandinaviern mit Handeklatschen und Freuderufen begrntzt wurde;

uamentlich die Damen trieben mit dem kleinen Engel in der Wolke einen wahren Kultus. An einem Abend Anfangs Marz war dieser Ort der Schanplatz

eines ungewohnlich regen Lebens. Den ganzen Abend war das Lokal von Gasten ubersullt.

Manner und Franen kamen und gingen unter lauten Znrnfen und leideuschaftlichen Gebarden, und um die vielen kleinen Tische satzen die sonst ziemlich indoleuten Stammgaste, und schrieen einander an, so datz man kein Wort verstehen konnte. Nnr an dem Tisch in der nordischen Ecke war das Gesprach ungewohnlich gedampft. Die strohumwuudenen Wein-flaschen standen hier beinahe unberuhrt. Ein sorgen-voller Ernst lag heute uber der sonst so vogelsrohen Gesellschast.

Am Nachmittag war etwas ungewohnliches vor-gesallen. Die Anarchisten hatten wieder von sich horen lassen, und zwar in Rom selbst. Wahrend des jubelnden Eiuzugs des Fruhling in die heilige Ttadt, als die Natur die Meuscheu zur Eintracht und Versohuuug auszusordern schien, hatte diese wilde ratselhaste N^ordervande einen ihrer uner-sorschlichen Maulwurssgange geofsnet und durch einen

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Dynamitschntz die Leute aus ihren lichten Frnhlings-tranmereien geschreckt.

In der Nahe des Corso's war ein Polizeibnreau in die Luft geflogen. funf Menschen verwundet und ein Kind getotet, so klang die Schreckensbotschaft, die kurz vor Sonnennntergang wie ein Brand durch die Strahen lief, zu derselben Stunde wo die vielen Fremden der Stadt andachtsvoll aus der Schonheits-welt der Museen traten oder mit frischen Blumen beladen von den Bergen der Umgegend zuruckkehrten^

berauscht von der Sonne des Tages und der fast uberirdischeu Pracht der Natur. In einem Nu war die ganze Stadt auf den Beinen, die wahnsinnigsteu Geruchte von weitverbreiteten Complotts und anar-chistischen Drohbriefen schwirrten durch die Lnft.

Dmch alle Stratzen in der Nahe des Corso's wogte ein ungeheures Menschemneer — und hier in Signor Franzesko's sonst so friedlicher Weinschenke verspnrte man jetzt die Dnnung dieses wild anfgeregten Meeres.

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Die skandinavische Kolonie war so zu sagen vollzahlig erschienen. Am Ende des langen Tisches prasidierte der stattliche, joviale gerotete Gerichtsrat Hoskjar neben seiner Frau — einer hubschen Tizian-uppigen Blondine, die trotz ihrer achtuuddreitzig Jahr mehr denn einem der jungen Kunstler das Herz hoher schlagen machte. Auch der Etatsrat Branth war da, aber mehr als ein Schatten seiner selbst, hohlwangig und rotaugig mit ungepslegtem Haar und Bart. Neben ihm satz Thorkild Drehling, der erst vor einigen Tagen von seiner Reise aus Sud-Jtalieu zuruckgekehrt war Man erzahlte, er habe dort in einer oden Gebirgslandschast ein abenteuer-liches Naturleben gefuhrt, nur in der Gesellschaft einiger alten Ziegenhirten. Sein anffallend sonnen-verbranntes Gesicht und seine asketische Magerkeit schienen dieses Gerucht zu bestatigeu und hatte schnell den bisher nur weuig beachteteu Kunstler in eine interessante Personlichkeit verwandelt.

Ubrigens war er womoglich noch ernster und

ver-schlossener wie zuvor. Wahrend des ganzeu Abends scch er still an die Mauer znruckgelehnt, die Arme uber der Brust gekreuzt, wahrend seine dunklen, melancholischen Augen fast nicht von dem unteren Tischende wicheu, wo Jorgen und Ursula satzen.

Es war Jorgen selbst, der vorgeschlagen hatte, hente Abend an der Gesellschast Teil zn nehmen.

Mit einem ironischen Lacheln hatte er geautzert, daH er wohl sehen mochte, wie die gemutlichen Seehunde sich nach einer solchen Dynamitpanik gebardeten.

Ubrigens war er nicht vermiHt worden wahrend der Zeit, wo er nicht dagewesen war, und seine An-wesenheit heute erhohte noch mehr die gedruckte Stimmung der Gesellschast. Es war Jorgen im Laufe des Winters gelungen sich bei der kleinen Kolonie hier in Rom ebenso verhaht zu machen, wie beim grotzen Publikum daheim. Der kalte Hohn, den er bei jeder Gelegenheit znr Schan trug und nicht weniger sein Betragen dem alten Schwiegervater gegenuber, der jetzt vor Trauer

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und Gram beinahe an der Grenze des Wahnsinns stand, hatte die Stimmung von Anfang an gegen ihn erhitzt. Und in der letzten Zeit hatte anch sein Verhaltnis zn Ursula Veranlassung zu unheimlichen Gernchten von brutalem Unterjochen, ja sogar von Gewaltthatigkeiten, gegeben — Geruchte, denen Ursulas verandertes Wesen und mehr und mehr leidendes Anssehen nicht widersprachen, wiewohl sie fortwahrend sehr energisch die Teilnahme abwies, die man ihr von allen Seiten entgegen brachte.

Unter der allgemeinen Verstimmung hielt es der Gerichtsrat Hoskjar fur seiue Pflicht, einige ermunternde Worte zu sagen. Er richtete seine grotze, Ehrfnrcht einflotzende Gestalt mit dem granen Haar und der goldenen Brille auf und schlug an

sein Glas.

Er sing mit einer Anekdote an. Mit uber-legenem Humor erzahlte er von einem seiner Stndiengenossen, einem gewissen Herrn Sorensen, der so besorgt fur seine Gesuudheit gewesen, datz er

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jahrlich eine ganze Apotheke verschluckte. Niemals horte er von einer neuen Salbe, einer neuen Pille, oder von einem neuen Wunder-Elixier, ohne sie angenblicklich zn probieren. Furchtsam vor jedem Lnftzng wagte er kanm im Freien zn atmen, und obgleich er ein uugewohnlich kraftig gebauter Mann in den besten Jahren war, sah er doch an jeder Strcchenecke Krankheit und Tod lanern. Einmal als in Kopenhagen einige Pockeufalle aufgetreten waren, erwachte er eines Morgens und entdeckte zu seinem Entsetzen drei rote Punkte anf seiner Hand.

Halbtot vor Angst lietz er sich in eine Droschke tragen und fuhr uach dem Krankenhans, dort wurde er aber mit der Bemerkung abgewiesen, man kuriere hier keine Flohstiche. Dieses alten Studienkollegen muhte er j etzt oft ged enken, fuhr er fort, h eut zu Tage, wo so viele Menschen, sowohl alte als junge, ja am meisten die Jungen, mit einer besonderen Vorliebe die Schattenseiten des Lebens aufsuchten und die Welt als ein einziges, grotzes, pestbehaftetes

Krankenhaus ansahen. Er konne dies nicht ver­

stehen. Strahlte denn der Himmel heute weniger blau als zu den frohen Zeiten nnserer Vorfahren?

Dufteten die Veilchen weniger W? Waren denn wirklich Liebe, Mondschein und Nachtigallengesang mit dem blasenden Postillon vollig verschwnnden?

Wir haben nns aber — ganz wie jener un-glnckliche Mann — an Medicin ubernommen. Aus zu angstlicher Fursorge fur das allgemeine Wohl haben wir uns Quaksalbern ubergeben, die durch allerlei Wunderknren das gesunde Blnt der Gesell-schaft vergiften und ihr Nervensystem zu Grunde richteu. Deshalb die ewigen Storungen in den Funktionen des socialen Korpers, deshalb die hahlichen Ausschlage, die schwarzen Beulen, die heute mit Recht alle Gemuter emporen. Und dennoch moge man diese Art UnregelmaHigkeiten nicht gar zu ernst nehmen, noch weniger sich von ihnen in Unruhe versetzen lassen. Er fur seine Person habe uubediugtes Vertrauen zu dem Bau

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der Gesellschaft. Denn der Unsrige ware aus festem und geprnftem Holz gebaut und hatte schon schlimmere Stnrme der Leidenschaften bestanden, als Diejenigen die jetzt nber die Lander rasten. Es ware Thor-heit, ja Verbrechen, anzunehmen, da§ die Gesellschaft sich auch nur einen Fingerbreit aus ihren Fugen bringen liehe, weil eine elende, lichtschene Morder­

bande ihr den Krieg erkare.

Und dennoch ist es natnrlich — schloh er seine Rede — datz wir an einem Tage wie dem heutigen, unseres Vaterlandes doppeltbewegten Herzens ge­

denken. Hoffen wir also, dah das was hente hier vorgefallen ist, auch uus die Augen offnen wird, so dah wir die „Wundermanner" erkennen, welche gegen alle Gebrechen der Gesellschaft Heilmittel haben, wahrend sie nicht einsehen wollen, dah das wahre Gleichgewicht nur durch die ruhig fort-schreiteude Entwicklnng erreicht werden kann. Hoffen wir, dah alle rechtschaffenen Manner, sie nennen sich Rechte oder Linke, Reich oder Arm — alle

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-kleinliche Zwietracht vergessen werden, sich fest zu-sammen zu schlichen zum Schutze des gesunden, ruhigen Lebens und Gedeihens unseres Volkes?

Darauf bitte ich Sie, meine Damen und Herren, Jhre Glaser zu erhebeu und mit einzustimmen in den Ruf: „Gott beschutze uuser liebes Vaterland!"

„Bravo, bravo!" rief es von allen Seiten. Die Rede hatte die beabsichtigte Wirkung. Alle standen auf, mit von Begeisterung geroteten Wangen und wiederholten mit hocherhobenen Glasern: „Gott be­

schutze nnser liebes Vaterland!" — Nur Jorgen blieb sitzen und ruhrte seiu Glas nicht an. Die Meisten thaten, als ob sie seine Demonstration gar nicht be-merkten, in stillschweigender Ubereinkunft ignorierten sie ihn ganzlich, wahrend man formlich wetteiferte, um Ursula mit Nickeu und Lacheln und liebevolleu Zurufeu zu begrutzen. - Ursula war mit der ubrigeu Gesellschast aufgestanden und hatte mit anffallendem Eiser mit den Umstehenden augestotzen, obgleich sie uumoglich ubersehen konnte, datz ihr Mann sitzen

Pontoppidan, Nachtwache. g

blieb. Jorgen versuchte uberlegeu zu lacheln. Dies-mal wollte es ihm aber uicht recht gelingen, seine gewohnliche, kaltblutige Selbstbeherrschung zu be-haupten, die ihn mehr als alles andere bei dieser Gesellschaft verhatzt gemacht hatte. Mit Genug-thuung bemerkte man, datz er erblahte.

Unterdessen hatte em kleiner, freundlich ans-sehender Herr an sein Glas geklopst, und als die Gesellschaft wieder zum Sitzen gekommen war, ver-beugte er sich tief nach beiden Seiten und erbat sich die Erlaubnis einige Bemerknngen der Rede des Gerichtsrat folgen zu lassen. Es war der Dichter Folehave.

Wie der Herr Gerichtsrat so ausgezeichuet be­

merkte, stng er an, bote das sociale Leben nnserer Zeit das Bild allgemeinen Krankelns. Uberall und auf allen Gebieten gebe sich ein trauriges Zuruck-gehen, ein verhangnisvoller Versall knnd. Und uberall, - in allen Landern. zeigte die Krankheit dieselben Symptome: Schlaffheit und Enttauschung

bei den Alteren, eine willensschwache Jugend, ein unznsriedenes, unruhiges Volk. Allen, die nicht durch Parteileidenschaft verblendet waren, sei die Ursache dieses Zustandes nach und nach klar ge-worden. Es lag an einer falschen Anssassung dessen, was das einzig Wahre nnd Wertvolle im Leben sei, oder, wie der Herr Gerichtsrat sich so ticssend ansgedruckt habe, an einer ubertriebenen

^orge sur unser materielles Wohl und an einer daians solgenden Gleichgultigkeit, sa Verachtung sur die Schatze, welche Rost und Motten nicht sressen.

„Bravo! bravo!" klang es beistimmend von allen Seiten.

„Also, meine Damen und Herren, dies ist die Diagnose", suhr er mit erhobeuer Stimme sort,

„die Pest, welche unsere Gesellschast verheert hat und alles brach gelegt, es ist der geistige

„schwarze Tod" — es ist diese nnsruchtbare, materialistische Lebensanschauung, die seit der letten

Halfte, dieses bald verstrichenen Jahrhunderts, die herrschende gewesen ist — in der Kunst, in der Politik, in der Wissenschaft und in der Litteratur —"

„Das ist gelogen," murmelte Jorgen halb fur sich.

„Was haben Sie gesagt?" uuterbrach sich der Redner verdutzt, wahrend Alle gehassige Blicke nach dem unteren Tischende sandten.

„Jch sagte, das ist eine verdammte Luge!"

wiederholte Jorgen diesmal mit seiner vollen Stimme. Der Gerichtsrat echob sich in seiner ganzen Wiirde und sagte:

„Darf ich mir als Prasident der Gesellschaft aus das Bestimmteste solche unpassende Unter-brechuugeu verbitteu. Man wird unter keinen Um-standen solches hier dulden. Darf ich Sie bitten, Herr Folehave, fortzufahreu; lassen Sie sich nicht durch derlei Einmischuugen storen."

Mun also, ich habe gesagt", fing der Dichter

wieder an, wahrend Ausrufe der Entrustung noch nberall nachklangen, „die Krankheit ist konstantiert, die Ursache ist bekannt. Also ist die Frage nur, welche Heilnuttel anznwenden? Fur nns, meine Damen und Herren, die so glucklich sind taglich von den reiuen, krastigen Atemzugen groher verschmun-dener Zeiten nmweht zu werden, fur uns, sage ich, kann das Heilmittel nicht in Zweifel gezogen werden. In der erhabenen Ruhe der Antike, in dem schonheitstrnnkenen Himmelsslug der Renaissanee erblicken mir den Fingerzeig, der uns den Weg aus dem kummerlichen Elend der jetzigen Zeit weist.

Und wenn mir mirklich anf eine Ernenernng der Menschheit, auf die Wiedergeburt des Glucks und der Frende hoffen wollen, dann kann sich dies nur dann erfullen, wenn der Geist des Volkes aus der trubeu Unfruchtbarkeit der Alltaglichkeit erhoben mird, und sein Sinnen und Trachten wieder einen hoheren Flug "

„Bravo, bravo!" rief Jorgen mit lauter Stimme.

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-„Ganz wie in der Pantomime, wo Harlequin den Pierrot hinstellt, nm den Sternenhimmel zu be-guckeu, damit er selbst wahrenddessen mit der dicken Kolnmbine davonlaufen kann!"

Der Gerichtsrat war aufgesprnngen.

„Jetzt schweigen Sie aber!" schrie er, rot vor Zorn. „Wir wollen Jhre Unverschamtheiten nicht langer dulden!"

„Und ich will nicht langer dulden. datz dieser Kerl dasteht und Dnmmheiten schwatzt, weil er selbst ein viel zu elender Stumper ist, die Grotze der Zeit, in der er lebt, zu wurdigen."

„Nein, das ist zu frech!" — „Unerhort!" „Der Grobian!" — „Werft ihn hinaus!" wurde jetzt von allen Seiten gerufen, wahrend Herr Folehave mit einem Versuch ironisch uberlegen zu sein, sich an Jorgen wandte und sagte:

„Erlauben Sie mir, Herr Hallager, bin ich es, oder sind Sie es, der das Wort hat?"

„Ich bin es!" schrie Jorgen plotzlich aschfahl im

Gesicht und sprang auf, iudem er mit der geballten Faust auf den Tisch schlng und ohne sich von dem Stnrme erbitterter Zurnfe, mit denen mau ihn zum Schweigen bringen wollte, storen zu lassen, fnhr er fort:

„Soll es ivirklich erlanbt sein, dah solch ein Zehnpfennigschmierer, so ein koniglicher Hof-Speichellecker, dasteht und die Zeit besudelt, in der er lebt — statt seinem Schopfer zu danken eine Zeit, deren Thaten einst mit goldener Schrift in der Geschichte geschrieben stehen werdeu, und welche die Nachwelt das grotze Jahrhnudert der Menschheit nennen wird! Ja, schreien Sie uur — toben Sie nnr? — Konnen Sie nnr aber ein Jahr-hnndert nennen, wo die Entwickelnng mit solchen Riesenschritten wie jetzt oorwarts gekommen ist?

Immer kommt man mit der Renaissanee. Als ob das so was grotzartiges ware! — die paar Bildwerke nnd das bischen Marchenkomodie! Jch behanpte aber, diese ganze Renaissance-Schmiererei hat fur die

Wu wissenschaftliche oder technische Erfindnng unserer Zeit, von den heutigen socialen Reformen garnicht zu sprechen! Ja selbst die vielgepriesene Refor­

mation — — was bedentet sie im Vergleich zu dem Erziehungswerk, welches jetzt dnrch die politi-schen und socialen Bewegnngen in den breiteren Volksschichten begonnen hat und anfangt Fruchte zu tragen!"

„GewiH! Richtig, herrliche Fruchte!" schrie man ihm eutgegen, „Socialisten-Strikes und Anarchisten?

Ja, die Auarchisten, die Anarchisten!"

„Jawohl — Sie haben ganz Recht, meine Hoch-verehrten!" rief er mit doller Krast seiner Stimme, um den Larm zu ubertouen. „Die grohen socialen Fragen, die politische Agitation unserer Zeit, das machtige Zusammeuschliehen der Arbeitsheere — dies alles ist der grohte und stolzeste Triumph unseres Jahrhnnderts — ein Rieseuwerk, dessen Gleichen man seit der Schopfung der Welt nicht erlebt hat.

-Es ist der endgnltige, der siegreiche Kamps gegen das Sklavenjoch, unter dem die Menschheit Jahr-tausende hindnrch geseufzt hat. Warten Sie nur meine geehrten Herren und Damen, bald werden Sie neues erfahren!"

„Ja, die Anarchisten, die Anarchisten!"

„Jawohl — auch die Anarchisten thnn vielleicht was nntzliches. Es scheint mir wenigstens, als spiire ich das in der Stimmnng hente Abend.

Bedentet es denn wirklich so viel, datz ein paar Menschenleben zn Grunde gehen, wenn man dadnrch die verstopften Ohren offnen kann, fur das Schreien Millionen Unterdrnckter?"

Es war nicht langer moglich ihn anznhoren.

All der Hah und Zorn, der sich im Lanse des Winters gegen ihn gesammelt hatte, machte sich jetzt Luft. Die Meisten waren ausgesprungen, und eine ganz junge, phantastisch drapierte Dame ries mit wild verzerrten Zngen: „Sie Schuft, ich konnte Jhnen in's Gesicht spncken!"

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Zwei andere Damen waren zu Ursula geeilt, die leichenblah geworden und einer Ohnmacht nahe schien. Auch dem unglucklichen Etatsrat kam mml mit ansdrucksvoller Teilnahme eutgegen, wahrend man den Dichter vollig vergessen zu haben schien, obgleich er, noch immer das Glas in der Hand, seine ironische Anfrage wiederholte: „Erlaubeu Sie Herr Hallager, bin ich es oder sind Sie es, der das Wort hat?"

Der Gerichtsrat hatte es ganz aufgegeben Gehor zu verlangen, und erst als die Stammgaste des Lokals, durch das Wort „Auarchisten" anfmerksam gemacht, sich in den Streit einzumischen versnchten, fand er es fur notwendig mit seiner ganzen Pra-sidenten-Wurde einzuschreiten.

Mit Stentorstimmen dnrchdrang er den Larm und hob die Versam mlung anf. Ind em er auf die Haltung der ubrigen Gaste aufmerksam machte, forderte er die Gesellschaft auf, das Lokal in Ruhe zu verlassen — eine Aufforderuug, der man augen

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blicklich nachkam. Unter heftigen Ansfallen gegen den Friedenstorer ging man fort, nur Jorgen nnd llrsnla blieben am leeren Tische znrnck.

Eine Viertelstunde darauf verabschiedeten der Etatsrat und Thorkild Drehling sich von der nbrigen Gesellschaft nnd gingen nllein dnrch die stillen, menschenleeren Stråben weiter. Der Etatsrat hatte den Maler anfgefordert ihn zn begleiten, er hing sich an seinen Arm, stolperte bei jedem zweiten Schritt, planderte und weinte. Der alte Herr, der srnher immer so voller Selbstbeherrschung, korrekt, ja grazios gewesen, hatte sich in dieser Hinsicht wahrend der letzten Monate vollig verandert und konnte nur schwer unter vier Augen mit irgend einem Be-kannten sein, ohne sofort seinem kranken Herzen Luft zu machen.

„Mein armes, nnglnckliches Kind!" wiederholte er fortwahrend, dnrch die eben erlebte Scene vollig anHer Fassnng gebracht. „Was kann ich thun?

Wie kann ich sie aus den Krallen dieses

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hundes retten? — Er wird sie ombringen! Jch

hundes retten? — Er wird sie ombringen! Jch

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